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Energiewissen von Schülern für Schüler

Ein Bericht von Lisa Harmann

Das Programm «BildungsBande» will Schülern Wissen zur Energie anschaulich vermitteln – und dabei lernt jeder von jedem.

Ganz in sich gekehrt wirkt sie, wie sie da vor ihrem Klassenraum Luft holt, um sich alles, was sie gleich erzählen wird, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Svenja steht ganz still, den Rücken an die Wand gelehnt. «Komm, lass uns gehen», sagt James, ihr Klassenkamerad, der heute Vormittag ihr Kollege sein wird, und stupst leicht ihre Schulter an.



Unter den linken Arm hat sich Svenja eine durchsichtige Plastikbox mit ihrem Versuchsmaterial geklemmt. Eine Kartoffel befindet sich darin, Krokodilklemmen, Kleber. Svenja und James werden gleich gemeinsam mit 14 weiteren sogenannten Schülercoachs den Flur der Bochumer Gesamtschule verlassen, um in die Grundschule im Erdgeschoss des Gebäudes zu gehen.



«Ich bin nicht mehr so nervös wie beim ersten Mal, aber ein bisschen aufgeregt bin ich schon noch», gesteht die 14-Jährige. Jeweils vier Schüler aus den vier Klassen ihrer Gesamtschule wurden von den Lehrern ausgewählt, um als Coaches am Projekt «BildungsBande – mit Energie in die Zukunft» teilzunehmen. Etwa 1.000 Schüler aus Nordrhein-Westfalen haben in den letzten vier Jahren bereits daran teilgenommen. An diesem Tag werden Svenja und ihre Mitschüler den Kleinen zeigen, wie man aus Kartoffeln Strom gewinnen kann.

Lernen auf Augenhöhe

Halbportrait eines jungen Mannes vor einer Schultafel.
Marc Mallocci, Programmkoordinator für das Projekt «Mit Energie in die Zukunft» Foto: Annette Etges

«Unsere Idee ist, Schülern das doch etwas abstrakte und zuweilen auch dröge wirkende Thema Energie schmackhaft zu machen, es zum Leben zu erwecken und greifbar zu machen», erklärt Marc Mallocci, 34, der das Projekt für seinen Arbeitgeber, die «wert-voll gGmbH» aus Dortmund, koordiniert. Dabei sollen jüngere Schulkinder von älteren lernen.

Peer-Education nennt sich das in der Fachsprache – das heißt: Eine Gruppe lernt von der anderen. Dabei geht es um ein Lernen auf Augenhöhe. Das Wissen der Einzelnen wird durch die Vermittlung des Gelernten noch einmal vertieft. Von diesem gemeinsamen Lernen sollen sowohl die jüngeren als auch die älteren Schüler profitieren.

«Mit der Energiewende hat Deutschland ein Vorzeigeprojekt auf den Weg gebracht», sagt Mallocci. «Damit sich die Kinder da später einbringen können, ergibt es einfach Sinn, sie schon früh für das Thema fit zu machen.» Wie können Kinder und Jugendliche für das sehr abstrakt erscheinende Thema Energie begeistert werden? Wie können sie spielerischen Zugang zu diesem zukunftsgestaltenden Thema bekommen? Basierend auf diesen Fragen wurde das Projekt entwickelt, für das sich seit Ende 2014 Schulen aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland bewerben können, so wie das auch die Gesamtschule von Svenja und James getan hat.

Eine Bande für den guten Zweck

In einem zweieinhalbtägigen Workshop hat Marc Mallocci Svenja, James und ihre 14 Mitschüler für ihre Aufgabe als ehrenamtliche Schülercoachs trainiert. Wenig Zeit für das straffe Programm: Insgesamt zehn Experimente wurden erklärt, geübt und durchgeführt. Jeder Schüler hat nun eine eigene Mappe, in der alle Experimente aufgelistet und erläutert sind. Malloccis Begeisterung für das Projekt hilft den Schülerinnen und Schülern dabei, ihn als Partner und nicht als Lehrer zu sehen.

«Ich finde es gut, dass wir ihn duzen dürfen», sagt James, «das fühlt sich an, als gehörten wir zum selben Team.» Das Konzept, eine Bande für den guten Zweck zu bilden, das sich die BildungsBande zum Ziel gesetzt hat, scheint an dieser Stelle aufzugehen. «Es soll tatsächlich eine Begegnung auf Augenhöhe sein», sagt Mallocci. Schließlich wird auch James demnächst wie er selbst vor einer Schülergruppe stehen und ihr die Experimente erklären und beibringen.

Ein junger Mann sitzt auf einem Tisch und erklärt  einer Gruppe von zehn Schülern und Schülerinnen etwas.
Svenja, James und die anderen Schüler sind hochkonzentriert, wenn Marc Mallocci die Experimente erklärt. Foto: Annette Etges
Ein  junger Mann erklärt einem Jungen etwas. Im Hintergrund der Schulraum, Kinder am Tisch.
Es macht einen Unterschied, die Experimente nicht nur selbst verstehen zu wollen, sondern sie für die Weitergabe an jüngere Schüler zu erlernen. Foto: Annette Etges
Ein Junge und ein Mädchen basteln zusammen: Sie befestigen mit einer Heißklebepistole einen Wasserflaschenverschluss auf einer CD.
Eines der Highlight-Experiment: der CD-Luftkissengleiter, den James und Svenja zusammen bauen. Foto: Annette Etges
Ein Mädchen hält mit beiden Händen eine dünne Holzstange, auf der sich ein Papier-Windrad – angetrieben durch ihr Pusten – dreht.
Svenja testet die Funktionsfähigeit ihres Windrädchens. Foto: Annette Etges
Von oben: Auf dem Fußboden sitzen Schüler und basteln zusammen, vor ihnen Bauklötze und Alufolie.
Gemeinsam baut sie mit den anderen an dem Experiment «Stadt der Erleuchtung». Foto: Annette Etges
Das Experiment ist aufgebaut: Auf einer Pappe eine Konstruktion mit in Alufolien eingewickelten Bauklötzen; an den Seiten angeschlossene mit Kabel, wiederum verbunden mit einer Batterie und einer kleinen Glühbirne.
Super, wenn am Ende alle Brücken und Hürden überwunden sind und das Licht in der Stadt angeht. Foto: Annette Etges

«Die Jugendlichen lernen verantwortliches Handeln und nehmen sich in ihrer Selbstwirksamkeit wahr», erklärt Mallocci. «Sie gewinnen an Selbstbewusstsein und spüren, wie anstrengend es ist, wenn Schüler nicht zuhören. Vielleicht nehmen sie das auch mit in den eigenen Unterricht. Das kann nebenher eine gute Schule in Sachen Empathiefähigkeit sein.»

Es sei einfach eine große Motivation für die Schüler, erzählt Mallocci, dass sie nicht nur für sich lernen, sondern, um es anderen näherzubringen. Deswegen wollten die angehenden Coachs alles ganz genau wissen, so seine Erfahrung aus den letzten Jahren mit verschiedensten Schülergruppen – von der Brennpunktschule bis zum Gymnasium –, die an dem Projekt bereits teilgenommen haben.

Experimente, die Energiewissen anschaulich vermitteln

«Wie soll denn das gehen?», fragt der 14-jährige James dann auch, als er bei der Übung zur Herstellung eines CD-Luftkissengleiters nicht weiterkommt. Mallocci ist sofort zur Stelle, schon etwas heiser von den Tagen zuvor; er muss viel reden bei seinem Job. «Du klebst jetzt die Verschlusskappe deiner Trinkflasche mit der Heißklebepistole direkt auf die CD. Wichtig ist, dass die Kappe ganz dicht abschließt.»

Als nächstes muss der Luftballon aufgepustet und über die Verschlusskappe gezogen werden. Dann wird die CD mit dem vollen Ballon auf eine glatte Fläche gelegt. Schließlich öffnet James das Ventil. Während der Ballon seine Luft durch das Ventil abgibt, gleitet die CD-Konstruktion wie auf einem Luftkissen über die Fläche. «Mega, es klappt!», freut sich James.

«Lasst die Kinder ein Wettrennen mit ihren CD-Ballons machen, das wird sie nochmal mehr anspornen», rät Mallocci, «ihr seid dann die Schiedsrichter.» Die Kleinen lernen dann, dass der Ballon eine Art Tank darstellt. Durch das Aufpumpen des Luftballons wird Bewegungsenergie aufgenommen und als potenzielle Energie gespeichert. Gibt der Luftballon die gespeicherte Energie wieder ab, gelangt er in seine Ursprungsform zurück. So kann ein einfaches Ballonexperiment eine ganze Menge über Energie und ihre Speicherung anschaulich machen.

Und wenn ein Versuch mal nicht funktioniert? «Redet mit den Kindern, sagt ihnen, dass ihr jetzt auch gerade nicht weiterwisst», rät Mallocci. «Und dann holt euch einfach Hilfe von euren Mit-Coachs.» Er selbst wird nicht dabei sein, wenn die Coachs einmal pro Woche in die Grundschule gehen. Erst zum abschließenden Projektgespräch wird er wieder in die Schule kommen.

Ich hätte nie gedacht, dass mir Physik mal solchen Spaß macht.

Svenja, 14 Jahre

Keiner der Schülercoachs geht allein in eine Klasse. Die 16 ausgebildeten Schulkinder verteilen sich auf zwei Grundschulklassen, acht werden in jeder Klasse sein, sodass jeder Vierertisch mit Grundschülern von jeweils zwei Coaches betreut wird. Einige Wochen nach dem Training werden James und Svenja nun zum dritten Mal ein solches Coach-Team bilden. Svenja holt noch einmal tief Luft, dann geht sie gemeinsam mit James los.

Drei Wochen sind seit ihrem Training vergangen, zweimal waren sie bereits in der ihnen zugeteilten Grundschulklasse, der 4a. «Ich hätte nie gedacht, dass mir Physik mal solchen Spaß macht», erzählt Svenja, die später Mechatronikerin werden will und sich jetzt schon darauf freut, das BildungsBande-Zertifikat, das alle Coachs erhalten, später in ihren Bewerbungsunterlagen mit aufzunehmen.

Zwei Jungs vor einen gelben Pappteller mit Kartoffelhälften. In denen Kabeln an hineingesteckten Kupfermünzen und Nägeln befestigt sind.
James mit zwei Schülern, die das Kartoffelstrom-Experiment ausprobieren. Foto: Annette Etges
Eine Gruppe von vier jüngeren Schülerinnen arbeitet zusammen.
Die Mädchen bauen mit ihrem Arbeitsteam das gleiche Experiment auf. Foto: Annette Etges
Eine ältere Schülerin zeigt zwei zwei jüngeren Schülerinnen etwas. Vor ihnen auf dem Tisch ein gelber Pappteller mit zwei Kartoffelhälften.
Svenja steht den jüngeren Schülerinnen mit Rat und Tat zur Seite. Foto: Annette Etges
Zwei Jungen sitzen am Tisch vor einem gelben Teller, auf dem je zwei Haufen Samen liegen.
Die beiden Jungen bereiten die «Turbo-Kresse» für das Experiment zum Treibhauseffekt vor. Foto: Annette Etges

Strom aus der Kartoffelbatterie: ein Gruppenexperiment

Strom aus einer Kartoffel? Wie soll das denn gehen? Es gehört heute zu Svenjas Aufgaben, zusammen mit James genau das den Kindern zu erklären. «Das Cent-Stück muss in die Kartoffel rein, schaut mal, so … ganz genau», lobt Svenja die neunjährige Layla. Wie selbstverständlich beugt sie sich zu ihr runter. Doch die LED-Lampe, die nun aufleuchten soll, tut es nicht. Hakim, der Coach vom Nachbartisch, hilft.

Er setzt beim Experiment noch einmal ganz vorne an, schneidet mit den Viertklässlern eine neue Kartoffel in vier Teile, steckt 5-Cent-Stücke aus Kupfer und verzinkte Nägel hinein und verbindet diese mit Kabeln und Krokodilklemmen zu einem Stromkreislauf.

Am Ende leuchtet die LED-Lampe, die den Stromkreislauf schließt, denn zwischen den unterschiedlichen Metallen entsteht durch den säurehaltigen Kartoffelsaft ein Elektronenfluss – und damit Strom. Die Kleinen am Tisch klatschen. Von Svenjas anfänglicher Nervosität ist nichts mehr zu spüren, entschuldigend hebt sie die Schulter: «Bei mir wollte es halt nicht funktionieren.» Die Kleinen lachen.

Denn so sehr die Grundschüler zu den «Großen» aufschauen, so beruhigend ist es doch, dass auch ihnen nicht immer alles gelingt oder sie um Hilfe bitten müssen. Als schließlich alle LED-Lampen leuchten, das Kartoffel-Experiment geglückt ist und es zur Pause klingelt, ist jedenfalls klar, dass es bei diesem Projekt nicht nur um die Energie aus der Kartoffel geht, sondern auch um die Energie, die aus einem positiven Miteinander auf Augenhöhe entstehen kann.

 

Grafik: Glühbirne, darunter; «Energie – mit Energie in die Zukunft», darunter halten fünf Hände Sprechblasen ins Bild, was das Wort «BILDUNGSBANDE» ergibt

Das Projekt «BildungsBande – mit Energie in die Zukunft» startete im Dezember 2014 als Peer-Education-Programm. Hier lernen Kinder von und mit Kindern. Schüler von weiterführenden Schulen und Grundschüler treffen sich ein halbes Jahr lang zu fest vereinbarten Zeiten, führen Experimente durch und nähern sich spielerisch dem Thema Energie. Neben dem inhaltlichen Lernen geht es auch um die Persönlichkeitsentwicklung aller Beteiligten.

Das Projekt ist eine Initiative der «wert-voll gGmbH» und wird in Schulen im Ruhrgebiet und im Rheinland durchgeführt. Weitere Informationen finden Sie auch auf der Website der BildungsBande.

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18. Februar 2019 | Energiewende-Magazin