Auf großem Fuß
Ein Bericht von Adrian Meyer
Der Schweizer Mathis Wackernagel zeigte mit dem «ökologischen Fußabdruck» als Erster auf, wie viel Natur der Mensch verbraucht. Was hat er damit bewirkt?
Warum? Diese Frage treibt Mathis Wackernagel seit fast drei Jahrzehnten um. Warum wollen die Menschen nicht wahrhaben, dass sie die Natur übernutzen? Warum nehmen sie sich sorglos immer mehr von der Natur, als unsere Erde erneuern kann? Und warum tun sie so, als ob Klimawandel und Umweltzerstörung sie nicht direkt beträfen? «Ich finde diese Fragen faszinierend», sagt er, «auch wenn sie mich manchmal zum Verzweifeln bringen.»
Der 58-jährige Mathis Wackernagel lächelt zu diesen Worten in seine Webcam. Er arbeitet in seinem Haus in der kalifornischen Stadt Oakland im Homeoffice. Über den Kopfhörern trägt er ein Basecap, ab und zu bellt während unseres Videomeetings sein Hund im Hintergrund. Wackernagel ist Schweizer, 1962 in Basel geboren. Auch wenn er schon lange nicht mehr dort lebt, gaben doch frühe Eindrücke aus seiner Heimat den Ausschlag dafür, dass die Menschheit sich heute ein Bild davon verschaffen kann, wie stark sie die Natur übernutzt. In seiner Doktorarbeit entwickelte er 1994 zusammen mit dem kanadischen Ökologen William Rees eine Art Buchhaltungssystem für Umweltressourcen: den «ökologischen Fußabdruck».
Der Fußabdruck ist Wackernagels Lebenswerk. Noch immer arbeitet er täglich daran – als Mitgründer und Präsident des «Global Footprint Network». Die 2003 ins Leben gerufene, internationale Denkfabrik berechnet jährlich den Fußabdruck von mehr als 220 Ländern sowie den «Earth Overshoot Day»: der Tag im Jahr, ab dem die Menschheit rechnerisch mehr von der Natur verbraucht hat, als sie im ganzen Jahr erneuern kann. 2020 fiel er auf den 22. August. Vor der Corona-Pandemie war es der 29. Juli – so früh wie nie.
Im Gespräch sprüht Wackernagel vor Ideen, er wirkt schelmisch, gleichzeitig angriffslustig und fordernd. «Ich will, dass sich die Gesellschaft ändert», sagt er. «Ich sehe mich als Missionar für ein anderes Weltbild.» Den Menschen würde es mittel- und langfristig viel besser gehen, würden sie die Wahrheit anerkennen, dass wir heute bei der Natur massiv auf Pump leben. «Sobald man das akzeptiert hat, ist alles anders», fügt er hinzu.
Der Trick mit der Fläche
Der ökologische Fußabdruck ist einer der bekanntesten Nachhaltigkeitsindikatoren. Er ist leicht verständlich, obwohl die Berechnungen dahinter hochkomplex sind. Die Metapher des Fußabdrucks ist derart einprägsam, dass sie oft synonym verwendet wird für den menschlichen Einfluss auf die Natur. Was den Indikator so einleuchtend macht: Er stellt sowohl das Angebot wie auch den Verbrauch der Natur als Fläche dar. Als Basis dienen dabei Daten der Vereinten Nationen, der Internationalen Energieagentur und zahlreicher Studien.
Auf der Angebotsseite steht die sogenannte Biokapazität, also alle biologisch produktiven Flächen der Erde, eines Landes oder einer bestimmten Region – Äcker, Weiden, Wälder und Fischgründe. Die nämlich produzieren erneuerbare Ressourcen oder binden wieder von Menschen freigesetzte Treibhausgase. Diese Flächen liefern jedoch nicht alle den gleichen Ertrag: Ein Acker ist produktiver als Weideland, das Mekongdelta ertragreicher als die Sahelzone. Daher wird für die Berechnung ein Durchschnittswert der weltweiten biologischen Produktivität pro Hektar in einem Jahr verwendet: der globale Hektar. Laut Daten der Vereinten Nationen gelten von den 51 Milliarden Hektar Erdoberfläche rund 12,1 Milliarden als biologisch produktiv. Jedem Menschen stehen somit aktuell 1,6 globale Hektar produktive Fläche zur Verfügung.
Diesem natürlichen Angebot wird nun der menschliche Verbrauch von Natur gegenübergestellt. Dafür werden diejenigen Flächen zusammengerechnet, welche für die Produktion von Energie, Nahrung, Kleidung, Konsumgütern oder für Siedlungen gebraucht werden. Hinzu kommen jene Waldflächen, die nötig wären, um freigesetztes Kohlenstoffdioxid zu binden, das nicht schon von den Ozeanen aufgenommen wurde. Diese Berechnung lässt sich nun beliebig skalieren: für die gesamte Erdbevölkerung, für einzelne Staaten, Regionen oder Städte, aber auch für Produkte, Aktivitäten und Individuen.
Der ökologische Fußabdruck
Seit 1970 im ökologischen Defizit
Die Idee für den ökologischen Fußabdruck schlummerte lange in Wackernagel. Bereits als Kind hatte er den Eindruck, dass die Menschen abhängiger sind von der Natur, als sie sich eingestehen. Ihn beunruhigte, wie sich der Beton in seiner Kindheit immer tiefer in die Landschaft fraß. Einen Ausgleich dazu fand er in den grünen Hügeln des Schweizer Juras, wo sein Großvater ein Ferienhaus besaß. Er half dem Bauern nebenan beim Heuen und Melken – und lernte dabei, dass die Natur den Menschen Grenzen setzt und nicht umgekehrt. Dieser Eindruck bestätigte sich für ihn mit der Lektüre des Berichts «Die Grenzen des Wachstums» vom Club of Rome und mit der Ölpreiskrise 1973. Der damals 11-Jährige war sich noch sicher, dass die fossilfreie Zukunft schnell kommen würde.
Doch Wackernagels Hoffnungen wurden enttäuscht. Anstatt dass sich die Weltwirtschaft nach den Ölschocks von den fossilen Energien entkoppelte, sollten sich vielmehr Teile seiner Befürchtung bestätigen. Denn etwa zu jener Zeit setzte ein Trend ein, der bis heute anhält: Seit 1970 besteht global ein ökologisches Defizit, das immer größer wurde. Die Menschheit nutzte stetig mehr, als die Natur erneuern konnte – das belegen Berechnungen des Global Footprint Network, die bis ins Jahr 1960 zurückreichen.
Ich ahnte schon damals, dass wir die Erde kaputt machen, wenn alles so weitergeht.
Mehr als 80 Prozent der Erdbevölkerung leben heute in Ländern mit einem ökologischen Defizit. Aktuell bräuchten wir daher 1,7 Erden für unseren jetzigen Lebensstil. Lebten alle wie in Eritrea, benötigten wir nur eine halbe Erde. Lebten dagegen alle wie die Deutschen, bräuchten wir gar 2,9 Erden. Der CO2-Ausstoß fällt dabei besonders stark ins Gewicht: Er besitzt bereits einen Anteil von 60 Prozent. Dafür hat sich ein eigener Begriff etabliert: der CO2-Fußabdruck.
Wegweiser auf dem Pfad zur Nachhaltigkeit
Lange Zeit war der junge Wackernagel überzeugt, dass Technologien wie Erneuerbare Energien der Schlüssel zur Nachhaltigkeit sein würden. Er studierte Maschinenbau an der ETH Zürich. Doch in seine Technikgläubigkeit mischten sich bald Zweifel. «Technologien allein ändern die Gesellschaft nicht», sagt er heute. Auch die Gesellschaft müsse sich für eine nachhaltige Zukunft bewegen. Bloß wie bringt man sie dazu?
Erste Antworten fand er Ende der 1980er-Jahre während eines Austauschstudiums an der «University of British Columbia» in Vancouver. Dort traf er auf den kanadischen Ökologen William Rees, der zu nachhaltiger Entwicklung und Ressourcenplanung forschte und sich mit denselben Fragen beschäftigte. Wackernagel blieb in Kanada, Rees wurde sein Doktorvater. Gemeinsam versuchten sie, ein Werkzeug zu entwickeln, «um die wachsende Sorge über eine globale Nachhaltigkeitskrise in konkrete Maßnahmen zu übersetzen». So steht es in der Doktorarbeit. Das Instrument sollte es der Politik, Unternehmen oder Individuen erleichtern, nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
Lange war es bei der Nachhaltigkeitsdebatte um die Frage gegangen, wie viele Ressourcen die Natur den Menschen zur Verfügung stellen kann. Wackernagel wechselte die Perspektive und fragte nun: Wie viel Natur verbrauchen die Menschen aktuell? Als Wackernagel 1992 erste Arbeiten zum ökologischen Fußabdruck publizierte, verbreiteten Umweltorganisationen sein Konzept begeistert. Der Zeitpunkt schien ideal: In Rio de Janeiro verabschiedete die Weltgemeinschaft Konventionen zum Klimaschutz, zum Schutz der Biodiversität und eine Erklärung zum Schutz der Umwelt sowie zur nachhaltigen Entwicklung.
Aus der Doktorarbeit wurde bald ein Buch, Wackernagel erhielt Einladungen zu Vorträgen und Konferenzen, reiste um die Welt. Ab 1995 leitete er das Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung an der mexikanischen «Universidad Anáhuac Xalapa» in Veracruz. Vier Jahre später wechselte er zur NGO «Redefining Progress» in Kalifornien und 2003 gründete er das Global Footprint Network.
Lippenbekenntnisse statt wirksamer Maßnahmen
Das vorrangige Ziel des Global Footprint Network war es, möglichst viele Staaten dafür zu gewinnen, mit dem ökologischen Fußabdruck ihren Ressourcenverbrauch zu messen. «Ich dachte, wenn wir zehn Staaten von der Idee überzeugen können, wird sie zum Selbstläufer und die Welt ändert sich von alleine», sagt Wackernagel. Er hat zwölf Staaten in acht Jahren gewonnen – und sich dennoch getäuscht. Zwar testeten und publizierten zahlreiche Regierungen den Fußabdruck ihrer Länder, darunter die Schweiz, Frankreich und Deutschland. Dennoch folgten meist bloß Lippenbekenntnisse – und keine konkreten Maßnahmen, die Übernutzung zu beenden. Genau darin aber sah Wackernagel den ganzen Sinn seiner Arbeit. «Damit sind wir total gescheitert.»
Nur wenn die Menschen verinnerlichen, dass sie ihre Haut riskieren, reagieren sie.
Was tun, wenn die Mächtigen nicht den Ernst der Lage erkennen wollen? Wackernagel änderte seine Strategie: Er versuchte, die Öffentlichkeit wachzurütteln. Jede Person sollte ihren Umweltverbrauch bestimmen können, per Online-Rechner. Denn die meisten privilegierten Menschen dächten, so Wackernagel, Klimawandel und Übernutzung beträfen sie nicht direkt. Daher glaubten sie, es sei nicht notwendig, persönliche Schritte zu unternehmen. «Nur wenn die Menschen verinnerlichen, dass sie ihre eigene Haut riskieren, reagieren sie», ist er überzeugt.
Ausgerechnet ein Mineralölunternehmen half ihm: Im Jahr 2004 startete British Petroleum (BP) eine millionenteure PR-Kampagne, um den CO2-Fußabdruck bekannt zu machen. «Finde heraus, wie du deinen Fußabdruck verringern kannst», forderte der Konzern auf. Und: «Es ist Zeit für eine kohlenstoffarme Diät.» BP schaltete einen Klimarechner im Internet frei, gab sich einen grünen Anstrich. So versuchte der Konzern, die Verantwortung für den Klimawandel auf das Individuum abzuwälzen. Gleichzeitig verkaufte BP weiter Öl.
Wackernagel musste mit ansehen, wie seine Idee instrumentalisiert wurde. Mit BP hatte er nie Kontakt. Dennoch sagt er heute: «Auch wenn BP Teile unserer Idee für PR-Zwecke missbrauchte, überwiegen für mich im Nachhinein die Vorteile.» Mitte der 2000er-Jahre war der Fußabdruck so bekannt wie nie zuvor – auch wegen der BP-Kampagne. Wackernagel konnte einige Partner gewinnen, wie den WWF, die Weltnaturschutzunion und die Europäische Umweltagentur. Auf über 70 ist die Zahl der Partnerorganisationen mittlerweile angestiegen.
Kritik an der Methodik
Trotz der enormen Verbreitung des Konzepts überzeugte die Methodik nicht alle. So schrieb das Umweltbundesamt 2007 in einer ausführlichen Analyse, der Fußabdruck sei zwar etabliert als eine der bedeutendsten Messgrößen für den Ressourcenverbrauch. Er würde aber verschiedene Umweltkategorien «in oft nicht ausreichend transparenter Weise» in einen hoch aggregierten Indikator aufrechnen. Die Berechnungen basierten dabei teilweise auf Annahmen. So würden für den CO2-Fußabdruck keine realen, sondern hypothetische Waldflächen berechnet, die notwendig wären, um CO2-Emissionen wieder zu binden.
Kritische Stimmen wie das «Breakthrough Institute», ein Umweltforschungszentrum in Kalifornien, sehen darin das Hauptproblem: Der ökologische Fußabdruck baue zu sehr auf dem stets wachsenden CO2-Anteil auf. Die Größe des CO2-Fußabdrucks wiederum hänge davon ab, wie gut größtenteils hypothetische Waldflächen Kohlenstoff binden können. Diese Fähigkeit sei aber schwankend und lasse sich nicht exakt bestimmen, argumentierte die Denkfabrik im Wissenschaftsmagazin «PLOS Biology». Daher sei der CO2-Fußabdruck willkürlich. Weil er zudem andere Umweltschäden wie etwa Artenschwund, Wasserknappheit, verminderte Bodenfruchtbarkeit oder die Ozeanversauerung nicht abbilde, sei er kein verlässlicher Indikator.
Diese Grundsatzkritik lässt Wackernagel nicht gelten: «Ein Dutzend Länder haben ihren Fußabdruck mit eigenen Daten geprüft und bestätigt, dass unser Konzept die Realität gut abbildet.» Die Genauigkeit der Daten sei optimiert worden; die Methodik habe man über die Jahre angepasst. Er räumt aber ein, dass der Fußabdruck den menschlichen Einfluss aufgrund fehlender Daten wohl eher als zu niedrig einschätzt. So würde die Bodenerosion oder der Verlust an Grundwasser nicht miteingerechnet, ebenso wenig der zunehmende Verlust von Wäldern wegen Feuern, Entwaldung oder Schädlingen. Die Folgen von Artenschwund und Ozeanversauerung seien jedoch indirekt inbegriffen, weil sie insgesamt die Regenerationsfähigkeit der Natur beeinträchtigten. Beim menschlichen Naturverbrauch werde in den UNO-Daten zudem einiges nicht erfasst oder sei nicht direkt abbildbar, wie zum Beispiel viele der neben Kohlendioxid existierenden Klimagase sowie illegal gefälltes Holz, unerlaubter Fischfang und ein Teil des Direktkonsums.
Der Fußabdruck bildet nur etwas ab. Er besagt nicht, ob das Abgebildete zu begrüßen oder zu bedauern ist.
Die genaue Berechnung bleibe immer diskussionswürdig, kein Indikator sei perfekt, das sehen auch andere Experten so. Für den Philosophen Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin, ist der Fußabdruck dennoch ein sinnvoller Versuch, die Folgen unserer Lebensweise sichtbar zu machen. «Damit können wir diese nicht mehr so leicht verdrängen, wie wir das gerne tun.» Zu einem ähnlichen Schluss kommt der norwegische Umweltpsychologe Per Espen Stoknes: «Der Fußabdruck half dabei, eine der größten mentalen Barrieren aufzubrechen, die Menschen davon abhält, ihr Verhalten im Kampf gegen Klimawandel und Übernutzung zu ändern – nämlich die psychologische Distanz.» Und auch das Umweltbundesamt unterstreicht in seiner Analyse, dass der Fußabdruck gegenüber anderen Umweltindikatoren eine unbestrittene Stärke habe: Er ermögliche es, hochkomplexe Zusammenhänge «in einfacher und verständlicher Form darzustellen». Daher sei er für Kommunikations- und Bildungszwecke ausgezeichnet geeignet.
Starke Metapher als Schwachpunkt
Die größte Stärke des Fußabdrucks ist gleichzeitig seine Schwäche: Die Metapher vom Fußabdruck ist eingängig, seine Bildhaftigkeit stark. «Zu stark», meint Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich und einer der Leitautoren am sechsten Weltklimabericht. «Die Vorstellung vom Fußabdruck erzeugt dieses Bild im Kopf, dass die Menschen die Erde böswillig plattmachen. Das führt zu Schuldgefühlen, wann immer jemand Emissionen verursacht.» Schuld sei jedoch kein geeignetes Mittel, um Menschen zu nachhaltigen Verhaltensänderungen zu bewegen. Konkrete Konsequenzen eines zu großen Fußabdrucks vermittle der Indikator zudem nicht. «Daher denken viele gleich, sie müssten verzichten, um ihren Fußabdruck zu verkleinern», sagt Patt.
Genau hierin liegt das große Missverständnis, das den Fußabdruck begleitet: Er verführt zu einem Sein-Sollen-Fehlschluss. Das eine habe aber mit dem anderen nichts zu tun, sagt der Nachhaltigkeitsphilosoph Felix Ekardt. «Der Fußabdruck bildet ja nur etwas ab. Er besagt nicht, ob das Abgebildete zu begrüßen oder zu bedauern ist.» Er liefere auch keine Ziele oder Strategie, ob rein technisch oder mit einem Verhaltenswandel auf die Übernutzung reagiert werden müsse. Damit ersetze er aber nicht die politische, rechtliche oder ethische Diskussion darüber, wie viel Umweltverbrauch hingenommen werden dürfe.
Ausgerechnet in der Klimapolitik büßte der Fußabdruck daher an Relevanz ein. Diese hat sich seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 grundlegend verändert. Mit dem Ziel von deutlich unter zwei Grad Celsius globaler Erwärmung müssen nun alle Staaten ihre Emissionen möglichst schnell auf null herunterfahren. Laut Anthony Patt von der ETH Zürich bedeute das konkret, es müsse jedem Menschen ermöglicht werden, auf eine Art und Weise leben zu können, die mit der globalen Nachhaltigkeit vereinbar ist. «Das brachte uns weg von den Diskussionen darüber, wer künftig wie viel CO2 ausstoßen darf oder wer für historische Emissionen verantwortlich ist.»
Zahlen lügen nicht – oder doch?
Die Höhe der CO2-Emissionen gilt in der Klimapolitik als Gradmesser für die Klimaschuld der einzelnen Staaten. Die gängige Berechnungsmethode steht allerdings in der Kritik, denn sie schlägt Emissionen stets dem Entstehungsland zu. Dies führt mitunter zu Verzerrungen in den Klimabilanzen: Nationen mit hohen Importquoten werden für den Konsum klimaintensiver Waren nicht zur Verantwortung gezogen, da die Emissionen anderswo anfallen.
Eine gemeinsame Studie des «Mercator Research Institute» und der Universität Leiden schlägt daher einen neuartigen Ansatz vor: Die Verantwortung für handelsbezogene Emissionen soll auf Grundlage des wirtschaftlichen Nutzens berechnet werden. Hierfür bezieht die Studie unter anderem die Warenströme des Welthandels und deren CO2-Intensität mit ein. Unter Berücksichtigung weiterer Variablen wird schließlich berechnet, in welchem Ausmaß die Handelspartner profitieren. Aus diesem Verhältnis leitet sich dann die CO2-Last ab, die gerecht zwischen «Herstellern» und «Konsumenten» aufgeteilt wird. Für die EU würde dies beispielsweise einen Zuwachs der CO2-Emissionen um rund sieben Prozent bedeuten.
Mathis Wackernagel hält nicht viel von den Klimaverhandlungen. Er glaubt, dass die meisten Entscheidungsträger weiter mit einem verzerrten Weltbild leben und das eigene Risiko der Übernutzung nicht wahrhaben wollen. «Da kommt ein großer Sturm auf uns zu, der alles mitreißt. Erst die junge Generation an Klimaaktivisten um Greta Thunberg habe wirklich verstanden, was auf dem Spiel steht.
Frustriert ihn seine Mission nicht nach all den Jahren? Wackernagel schweigt in die Webcam, dreht den Kopf zur Seite, überlegt. «Natürlich», sagt er dann, «aber nicht nur.» Es wäre sicherlich erfüllender, wenn seine Ideen bei Entscheidungsträgern Anklang fänden. Deren Fehleinschätzung der Lage, aber auch die lethargische Reaktion der Menschen ärgern ihn. Dann aber spürt man auch so etwas wie Stolz: «Immerhin kennt die ganze Welt den Fußabdruck», sagt er. Und durch ihn Menschen zum Nachdenken und Handeln zu bewegen, empfinde er immer noch als großes Privileg – und als tägliche Herausforderung.
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