Unser «Schönauer Stromseminar» fand in diesem Jahr unter dem Motto «Die Zukunft liebt Rebell:innen» ganz im Zeichen von gleich zwei Jubiläen statt – 30 Jahre EWS und 15 Jahre Genossenschaft. Dieses Fest nahm unsere Vorständin Anja Burde zum Anlass, in einem aufrüttelnden Impuls die Vision der EWS darzulegen.
Aus unserer Geschichte als Stromrebell:innen erwächst der Auftrag, auch weiter unbequem zu sein, voranzugehen, immer wieder neu zu denken und aus dieser Haltung umfassende, mutige Lösungen für eine gerechte, dezentrale und nachhaltige Energiezukunft zu entwickeln.
In ihrem Vortrag «Stürmische Zeiten. Klare Haltung. Mut zur Veränderung.» unterstrich Anja Burde: «Wir feiern 30 Jahre EWS – aber wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Unsere Geschichte ist kein Museum, sondern ein Sprungbrett. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, neue Allianzen, neue Formen der Teilhabe. Wir müssen unbequem bleiben, wo es nötig ist – und Vorbild, wo es möglich ist.»
Video des Vortrags von Anja Burde vom 28. Juni 2025

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Vortrag von Anja Burde im Wortlaut
Liebe Freundinnen und Freunde der EWS, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe Mitglieder, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!
Heute stehen wir hier – 30 Jahre nach dem ersten großen Stromschlag, den Schönau und die EWS der deutschen Energiebranche versetzt haben. 30 Jahre Rebellion, 30 Jahre Aufbruch, 30 Jahre Gemeinschaft. Damals, als Michael Sladek, Ursula Sladek, Wolf Dieter Drescher und ihre Mitstreiterinnen die Netze übernommen haben, war das ein Akt der Unbeugsamkeit, ein Zeichen gegen die Ohnmacht und für Selbstbestimmung. Wir waren Relevanz – weil wir gezeigt haben, dass Bürgerinnen und Bürger Verantwortung übernehmen können. Wir waren Referenz – weil wir bewiesen haben, dass eine andere, bessere Energieversorgung möglich ist.
Doch wie definieren wir heute unsere Relevanz? In welchen Bereichen könnten und sollten wir heute als Referenz dienen? Die Welt hat sich nicht nur weitergedreht – sie hat sich beschleunigt, sie ist unübersichtlicher, widersprüchlicher und verletzlicher geworden. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind existenziell: Die Klimakrise bedroht unsere Lebensgrundlagen, die Energiekrise erschüttert die Versorgungssicherheit und den Wohlstand, und die soziale Spaltung wächst. Politische Verhältnisse geraten ins Wanken, Gewissheiten lösen sich auf. Die Märkte sind härter, unberechenbarer geworden, und die Spielregeln verändern sich schneller, als wir reagieren können. Was gestern noch galt, ist heute schon überholt. Und trotzdem – oder gerade deshalb – müssen wir wieder unbequem werden. Wir dürfen nicht zur Fußnote der Energiewende werden. Wir müssen wieder aufrütteln, provozieren, vorangehen!
Relevanz heute bedeutet:
Auf dem starken Fundament unserer bisherigen Erfolge aufbauen – und zugleich weitergehen. Es reicht nicht mehr, ausschließlich Ökostrom zu liefern. Heute sind wir gefordert, umfassende Lösungen für eine gerechte, dezentrale und nachhaltige Energiezukunft zu entwickeln. Unsere Genossenschaft soll weiterhin Vorbild sein – als ein Modell, das Menschen inspiriert, einbindet, befähigt und begeistert: digital, lokal, mutig.
Referenz heute bedeutet:
Wir ruhen uns nicht auf dem Erreichten aus, sondern gehen als Pioniere voran. Wir warten nicht auf politische Vorgaben, sondern zeigen, wie Wandel gelingen könnte. Wir denken Netzwerke neu, verknüpfen Strom, Wärme und Mobilität, und machen Bürgerinnen und Bürger zu aktiven Mitgestaltenden der Energiewende. Unser Anspruch bleibt: Wir sind ein Impulsgeber der Branche – unbequem, wenn es notwendig ist. Wir wollen nicht nur ein bisschen besser sein, sondern neue Maßstäbe setzen und den Unterschied machen.
Wir feiern 30 Jahre EWS – aber wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. Unsere Geschichte ist kein Museum, sondern ein Sprungbrett. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, neue Allianzen, neue Formen der Teilhabe. Wir müssen unbequem bleiben, wo es nötig ist – und Vorbild, wo es möglich ist.

Was könnte ein Zukunftsbild für die nächsten 10 Jahre sein?
Ich lade Sie heute ein, mit mir gemeinsam kurz zu träumen – und dann zu handeln. Stellen wir uns vor, die EWS würden in zehn Jahren nicht nur für saubere Energie stehen, sondern für ein neues Selbstverständnis von Versorgung.
Wir waren und sind weit mehr als ein reiner Energieversorger – wir sind und bleiben Möglichmacher. Doch unser Anspruch wächst: Wir könnten noch konsequenter Räume und Werkzeuge schaffen, damit Menschen selbst gestalten, Verantwortung übernehmen und aktiv die Energiezukunft mitprägen – in ihren Quartieren, in ihren Dörfern, in ihren Städten.
Viele Errungenschaften, die wir vor wenigen Jahren noch als visionär empfunden haben, sind heute für uns und viele andere Genossenschaften bereits gelebte Realität. Unsere Mitglieder und Kundinnen und Kunden können sich digital umfassend informieren, an Dialogen teilnehmen und ihre Anregungen und Ideen einbringen. Beteiligungsformate ermöglichen es, Impulse zu geben und die Entwicklung der EWS mitzugestalten. Transparenz ist selbstverständlich – Projektdaten und Finanzen sind offen einsehbar. Erste Ansätze für Energy Sharing, Sektorenkopplung und die Integration von Strom, Wärme und Mobilität gibt es bereits – oft als Pilotprojekte, aber noch längst nicht flächendeckend. Wir versorgen bundesweit knapp 200.000 Kundinnen und Kunden mit 100 % Ökostrom und Biogas, bauen eigene Anlagen und fördern Bürgerbeteiligung.
Doch reicht das für die Zukunft? Unser Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft. Stellen wir uns vor, wir könnten mit neuen Technologien wie Blockchain noch mehr Transparenz und Sicherheit schaffen. Was wäre, wenn wir Peer-to-Peer-Energiehandel ermöglichen und so lokale Energiegemeinschaften stärken würden? Wie viel intelligenter könnten wir Strom, Wärme und Mobilität vernetzen, wenn wir Künstliche Intelligenz gezielt einsetzen, um Energieflüsse optimal zu steuern?
Natürlich wissen wir: Solche Schritte wären kein Selbstläufer. Es bräuchte Investitionen in digitale Infrastruktur, neue Kompetenzen, starke Partnerschaften – und manchmal auch den Mut, regulatorische Grenzen zu hinterfragen. Wir brauchen politische Unterstützung, neue gesetzliche Rahmenbedingungen und die Bereitschaft, gemeinsam mit anderen Akteuren neue Wege zu gehen.
Aber: Wir haben als EWS schon einmal gezeigt, dass wir Pionierarbeit leisten können. Die Grundlagen sind gelegt, die Erfahrung ist da – und die Leidenschaft in unserer Genossenschaft ist spürbar. Lassen Sie uns gemeinsam diese neuen Chancen ergreifen, Innovationen vorantreiben und die Energiewende weiter gestalten. Denn nur so bleiben wir relevant – und könnten erneut zur Referenz für eine moderne, gerechte und zukunftsfähige Energieversorgung werden.
Und jetzt lassen Sie mich einen Schritt weiter gehen – lassen Sie uns gemeinsam das scheinbar Undenkbare denken.
Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr 2055. Die EWS feiern ihr 60-jähriges Jubiläum. Wie könnte unsere Welt dann aussehen – und welche Rolle könnten wir darin spielen?
Unsere Städte und Dörfer könnten zu lebendigen, atmenden Energienetzen geworden sein. Jede Fassade, jedes Dach, jeder Parkplatz wäre Teil eines riesigen, dezentralen Kraftwerks. Energie würde dort erzeugt, gespeichert und geteilt, wo sie gebraucht wird.
Und vielleicht sieht die Stromrechnung der Zukunft ganz anders aus: Statt abstrakter Kilowattstunden steht dort dann schwarz auf weiß, wofür wir unsere Energie genutzt haben – 250 Tassen Milchkaffee aus der Maschine, 333 Waschgänge Buntwäsche, 467 Stunden Computerspiele und vielleicht sogar die 26 km des E-Bikes vom Wochenendausflug. So wird Energie endlich greifbar – und vielleicht sogar ein bisschen persönlicher.
Energie könnte zum Gemeingut werden – wie saubere Luft oder Wasser. Das würde bedeuten: Sie steht allen zur Verfügung, und der Zugang zu sauberer Energie wäre ein verbrieftes Grundrecht, unabhängig von Herkunft und Einkommen.
Die EWS wären dann keine klassische Genossenschaft mehr, sondern eine offene, dynamische Plattform. Menschen, Unternehmen, Kommunen und ganze Regionen könnten miteinander vernetzt sein, Energie, Wissen und Ressourcen in Echtzeit austauschen – über Ländergrenzen hinweg.
Künstliche Intelligenz könnte die Netze steuern, Schwankungen ausgleichen, Bedarfe erkennen, bevor sie entstehen. Energieflüsse wären transparent, nachvollziehbar und demokratisch kontrolliert – jede:r könnte nachvollziehen, woher die Energie stammt und wohin sie fließt.
Bürgerinnen und Bürger könnten aktiv mitgestalten: eigene Projekte entwickeln, über Investitionen abstimmen, mit neuen Technologien experimentieren – in Echtzeit. Aus passiven Kundinnen und Kunden werden aktive Energiebürgerinnen und –bürger, die Verantwortung übernehmen und Innovationen vorantreiben.
Energie wäre längst nicht mehr nur Strom, Gas oder Wärme. Sie könnte Teil eines intelligenten Kreislaufs sein, der Mobilität, Ernährung, Wohnen, Arbeit und Freizeit verbindet. Alles wäre miteinander vernetzt, alles würde dem Ziel eines guten Lebens für alle dienen.
«Lasst uns mutig sein, offen für Neues, und gemeinsam die Zukunft gestalten. Aus dem Undenkbaren kann das Unaufhaltsame werden.»
Die EWS könnten dann Referenz für eine neue, kooperative Form des Wirtschaftens und Teilens sein. Wir würden zeigen, dass nachhaltige Energieversorgung und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen können – und dass innovative Lösungen entstehen, wenn Menschen, Unternehmen und Kommunen gemeinsam Verantwortung übernehmen.
Energie wäre für uns mehr als ein Produkt: Sie würde Menschen verbinden und neue Möglichkeiten eröffnen, aktiv an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken. Unser Ziel bliebe, dass alle Zugang zu sicherer, sauberer Energie haben und an den Chancen der Energiewende teilhaben könnten – unabhängig von ihrer Lebenssituation.
Und wer weiß, vielleicht hätten wir bis 2055 sogar die EWS-Energiezeitmaschine erfunden: Wer an einem sonnigen Tag zu viel Ökostrom produziert, schickt ihn einfach ins nächste Jahrzehnt – und freut sich dann in der Zukunft über eine satte Stromgutschrift. So wird nachhaltige Energie wortwörtlich zur Investition in die nächste Generation!
Oder wir schicken überschüssigen Strom aus windigen Schwarzwälder Nächten direkt ins Jahr 2085 – damit unsere Enkel garantiert nie im Dunkeln sitzen. Nachhaltigkeit bekommt so eine ganz neue Zeitebene!
Aber ist das undenkbar? Vielleicht. Aber ist es unmöglich? Ganz sicher nicht. Denn vor 30 Jahren hätte auch niemand geglaubt, dass eine kleine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern aus Schönau das Stromnetz übernimmt und damit die Energiewelt auf den Kopf stellt.
Lasst uns mutig sein, offen für Neues, und gemeinsam die Zukunft gestalten. Aus dem Undenkbaren kann das Unaufhaltsame werden. Denn unsere Geschichte zeigt: Aus kleinen Anfängen kann Großes entstehen, wenn Menschen zusammenhalten und nicht aufgeben.
Oder, um es mit den Worten von Michael Sladek zu sagen: «Gemeinschaft braucht Mut.»
Danke für eure Energie! Danke für euren Mut! Danke, dass ihr Teil dieser Bewegung seid!