Energiepolitik

Petra Völzing sprach mit dem Journalisten und Energieexperten Bernward Janzing über die Perspektiven für einen weltweiten Atomausstieg.

«Der deutsche Atomausstieg ist unumkehrbar»

Deutschland steht endlich vor dem endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft. International ist die gefährliche Technologie aber noch lange nicht am Ende. 

Am 15. April gehen die letzten drei Atommeiler vom Netz. Ist das wirklich das Ende der Atomkraft in Deutschland?

Rein technisch gesehen: Die Brennelemente der verbliebenen drei Reaktoren Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland A sind jetzt am Ende. Vor allem beim Block Isar 2 sinkt die Leistung derzeit kontinuierlich, täglich um etwa fünf Megawatt; aber auch die anderen beiden AKWs schaffen nur noch zwei Drittel ihrer Leistung. Selbst wenn der politische Wille für eine Laufzeitverlängerung da wäre, würde die Beschaffung neuer Brennelemente zu lange dauern, um die Reaktoren zum nächsten Winter noch betreiben zu können.

Zudem sind die sogenannten Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ), die angesichts des bevorstehenden Endes der Reaktoren ausgesetzt wurden, überfällig. Hinzu kommt außerdem, dass zumindest die EnBW schon in Kürze mit der Rückbaugenehmigung für Neckarwestheim 2 rechnet und dann schnell mit dem Rückbau starten will.

Bei den Ende 2021 abgeschalteten Reaktoren ist der Rückbau zumindest teilweise bereits weit vorangeschritten. Eines der Kraftwerke, jenes in Gundremmingen, hat das kürzlich öffentlich bestätigt. Insofern halte ich den Atomausstieg, was die vorhandenen Reaktoren betrifft, in Deutschland für gelaufen. Zumal die Konzerne sich auch bereits darauf eingestellt haben, und sich zum Teil – vor allem EnBW – strategisch auf ein erneuerbares Energiesystem ausgerichtet haben.

Ein Thema, zu dem ich allerdings keine Prognose wage, sind mögliche neue Reaktorkonzepte in ferner Zukunft. Wenn Technologien, wie zum Beispiel die Flüssigsalzreaktoren marktreif werden sollten, weiß man nie, welche politische Dynamik das im Hinblick auf gesellschaftliche Mehrheiten entwickeln kann.

In Europa ist Atomkraft leider noch nicht am Ende, da müssen wir nur auf unsere Nachbarstaaten schauen. Wo sehen Sie die Aufgaben der deutschen Antiatombewegung?

Grundsätzlich ist es natürlich nicht meine Aufgabe, einer Bewegung Ratschläge zu geben. Aber ich sehe die Defizite in der EU-Politik. Um den Schutz vor atomaren Störfällen in Europa zu verbessern, ist eine einheitliche Atomaufsicht mit europaweit gültigen Sicherheitsstandards dringend nötig. Ich halte es für eines der größten Versäumnisse der EU-Geschichte, dass die Atomaufsicht weiterhin national gehandhabt wird. Es wäre extrem wichtig, sich hier auf einheitliche Sicherheitsstandards zu einigen. Stattdessen beschäftigt sich die EU zum Beispiel mit der Vereinheitlichung des Energieverbrauchs von Staubsaugern. Das finde ich absurd.

Wichtige Schritte wären auch, die Atomkraft wieder aus der EU-Taxonomie zu streichen. Diese definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten offiziell als nachhaltig gelten. Und ebenso muss verhindert werden, dass mit Atomstrom hergestellter Wasserstoff als grün deklariert werden darf.

Ansonsten ist es immer heikel, wenn eine deutsche Anti-AKW-Bewegung sich zu sehr in Nachbarländern einmischt, wie etwa Frankreich. Das kommt dort erfahrungsgemäß ziemlich schlecht an. Die nationalen Antiatombewegungen sind zwar international vernetzt, die Realität ist aber auch, dass diese Kräfte gerade in Osteuropa und auch in Frankreich relativ schwach sind.

Dass Atomkraft von Beginn an eine zum Scheitern verurteilte Technologie war, haben Sie in Ihrem Buch „Vision für die Tonne“ dargelegt. Nach den Belegen dagegen muss man eigentlich nicht lange suchen, denn die meisten liegen auf der Hand. Was, denken Sie, sind die Hauptgründe, warum sich bis heute so viele daran klammern?

Einer der wichtigsten Gründe ist weiterhin die Verquickung der Atomkraft mit militärischen Interessen. Das ist bei den großen Atommächten USA, Russland, Frankreich und Großbritannien offensichtlich. Aber auch in anderen aufstrebenden Ländern ist das ein wichtiger – wenn nicht gar der wichtigste – Aspekt. In den Vereinigten Arabischen Emiraten zum Beispiel gingen im Atomkraftwerk Barakah seit 2020 drei Blöcke ans Netz, ein vierter ist im Bau. Wie konkret einzelne Staaten parallel zu ihren Reaktoren an den Bau einer Atombombe denken, kann ich nicht beurteilen, aber sie eignen sich Fachwissen an, bilden sich in dieser Technologie weiter. Sie wollen eben dazugehören zum exklusiven Club der Atomstaaten. Was die Stromerzeugung betrifft, gibt es unterdessen längst günstigere Optionen: Die Emirate bauen inzwischen Solarkraftwerke, die Strom für 1 bis 2 Cent pro Kilowattstunde liefern. Und sie tun es in großem Stil.

Rein energiewirtschaftlich gesehen sind die Hintergründe für das Festhalten an der Atomkraft auch innerhalb Europas unterschiedlich. In Großbritannien ist ein Hauptgrund, dass der Inselstaat in einem Wahnsinnstempo aus der Kohle ausgestiegen ist. Deutschland hat ein langsameres Tempo vorgelegt und wollte auf Gas setzen. Als dieses knapp wurde, liefen hier wieder mehr Kohlekraftwerke. Die Schweiz wiederum hält an ihren AKWs fest, weil die Alternative der Import wäre – und der wäre auch fossil. Fossilen Strom jedoch lehnen die meisten Schweizer vehement ab. Zum Thema Schweizer AKW: Beznau ist im Übrigen das älteste noch laufende Atomkraftwerk der Welt. Beruhigend finde ich das nicht.

Mycle Schneider, der Autor des jährlichen World Nuclear Industry Status Report belegt immerhin, dass die Atomkraft weltweit eher schrumpft. Denken Sie, dass es den globalen Ausstieg in absehbarer Zeit geben wird?

Ganz ehrlich: Ausstieg nein, Rückgang sehr wohl. Mycle Schneider rechnet vor, dass die Stromerzeugung mit Atomkraft global betrachtet abnehmen wird. Zwar werden neue Meiler gebaut, aber es werden eben mehr Meiler altersbedingt vom Netz gehen. Gleichzeitig legt die Erzeugung aus Erneuerbaren Energien massiv zu – und zwar stärker als alle anderen Energien. China mit seinem riesigen Energiehunger macht einfach alles: Es baut sowohl Erneuerbare Erzeugung in riesigem Stil zu, investiert aber auch in Kohle- und Atomkraftwerke. Genauso machen es auch andere Länder. Natürlich habe ich trotz allem die Hoffnung, dass die Erneuerbaren Energien den Atom- und Kohlestrom nach und nach verdrängen werden, weil die Länder erkennen, dass die Vorteile bei weitem überwiegen.

Titelfoto: Markus Distelrath auf Pixabay

buch

Bernward Janzing: Vision für die Tonne. Wie die Atomkraft scheitert – an sich selbst, am Widerstand, an besseren Alternativen. Picea Verlag

Veranstaltungshinweis

Am 4. April, 19:30 Uhr, findet im EWS Store in Freiburg eine Lesung von Bernward Janzing mit anschließender Diskussion statt. Der Vortrag «Vision für die Tonne» rekapituliert die Geschichte der Atomkraft in Deutschland und der Widerstandsbewegung dagegen.

Zur Veranstaltung und Anmeldung