Eine Frau und ein Mann stehen vor einer vollgeschriebenen Pinnwand
Initiativen

EWS-Klimareferent Boris Gotchev hat auf dem European Energy Communities Forum 2025 in Krakau die Stärke der europäischen Bürgerenergiebewegung erlebt.

«Stromrebell:innen gibt es in ganz Europa»

Die Bürgerenergie ist in Europa weiterhin eine unverzichtbare Säule für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das sieht auch die Europäische Union (EU) so, die mit der Förderung der Bürgerenergie in ihrer Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED II) von 2018 den Grundstein gelegt hat. 

Mittlerweile weitet die EU-Kommission diese Förderung auch auf Bereiche wie die Wärmeversorgung und effiziente Gebäude aus. Denn auch hier kommen die Vorteile der Bürgerenergie voll zum Tragen. 

Wichtigster Treiber der Bürgerenergie in Europa ist der europäische Verband der Energiegemeinschaften REScoop.eu. Das stetig wachsende Netzwerk hat inzwischen mehr als 2.500 Mitglieder und schätzt die Zahl der Energiegemeinschaften in Europa auf mehr als 9.000. Im Mai trafen sich 180 Teilnehmende aus 42 Ländern in Krakau auf dem European Energy Communities Forum 2025. Unser Klimareferent Boris Gotchev war auch dabei.

Interview

Boris, wie steht es um Klimaschutz und Energiewende in Europa angesichts des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien bei den letzten Europawahlen und auch in vielen Mitgliedsstaaten der EU?

Boris: Natürlich nimmt der Widerstand gegen den Green Deal der EU angesichts dieser Situation zu und das bedeutet erstmal nichts Gutes für Umwelt- und Klimaschutz. Eine ganz konkrete Gefahr besteht darin, dass manche Parteien und Regierungen von Mitgliedsstaaten die Klimapolitik als Preistreiber für Verbraucher:innen und Unternehmen darstellen und sie deswegen teils zurückschrauben möchten. Das stimmt aber so nicht, da mehr erneuerbare Energien langfristig zu Preissenkungen und Unabhängigkeit von fossilen Importen führen. 

Verbraucher:innen können und müssen zudem mit Maßnahmen wie einem sozial gestaffelten Klimageld von steigenden CO₂-Preisen entlastet werden und es braucht gezielte Unterstützung, damit alle Haushalte auf klimafreundliche Alternativen umsteigen können. 

Aber aller populistischen Manöver gegen wichtige Klimaschutzmaßnahmen zum Trotz wächst die Bürgerenergiebewegung in vielen europäischen Ländern, denn sie zeigt konkret, dass eine Versorgung mit erneuerbaren Energien die lokale Wirtschaft stärkt und Energie bezahlbar macht.

Wo wächst die Bürgerenergiebewegung besonders stark?

Boris: Erfreulicherweise wächst die Bürgerenergie überall; insbesondere auch in osteuropäischen Staaten, denn auch dort gibt es viele Menschen, die sich aus fossilen Abhängigkeiten lösen möchten. 

Ist das auch ein Grund, warum die Konferenz in Krakau stattgefunden hat?

Boris: Ja genau. Im vergangenen Jahr war die Konferenz in der tschechischen Hauptstadt Prag zu Gast. Im Rahmen des European Energy Communities Forums findet immer auch die jährliche Generalversammlung von REScoop.eu statt, ähnlich wie bei den EWS, wo Generalversammlung und Stromseminar am selben Wochenende stattfinden. Auf diese Weise verbindet man das Formale mit einem Austausch von Wissen und Vernetzung auf europäischer Ebene. Die Veranstaltung wird von lokalen Partner:innen organisiert und die Bewegung profitiert natürlich sehr stark, weil ganz Europa zu Besuch kommt und sich die Aufmerksamkeit auf sie richtet. Auf diese Weise wird die Bewegung vor Ort gestärkt.

Ich denke auch, dass Menschen in postsowjetischen Staaten Genossenschaften gegenüber teils skeptisch sind, da sie diese historisch mit der Kollektivierung durch den Staat verbinden. Das ändert sich jetzt langsam wieder, auch durch das Engagement von REScoop.eu. Denn Energiegenossenschaften sind das beste Mittel für Selbstermächtigung und eine nachhaltige Energieversorgung. 

 

Warum bist du nach Krakau gefahren, Boris?

Boris: Die EWS sind Mitglied bei REScoop.eu und waren 2012 bis 2015 an dessen ersten Projekt beteiligt. Dadurch stehen wir mit mehreren führenden Energiegenossenschaften in Europa im Kontakt. Ich habe in Krakau die EWS auf der Generalversammlung vertreten. Darüber hinaus habe ich mit anderen an einem gemeinsamen Manifest zur Bürgerenergie mitgewirkt und auch einen Vortrag gehalten über die Bedeutung von Netzwerken und Koalitionen für Bürgerenergiegemeinschaften. Auch hier gilt das genossenschaftliche Prinzip: Was eine:r allein nicht schafft, das schaffen viele zusammen! 

Diese Treffen sind also wichtig, um Inspirationen zu sammeln, die gemeinsame Motivation für die bürgernahe Energiewende zu stärken und Koalitionen zu schmieden. Auch konkrete Projektideen werden dort entwickelt. Nach wie vor sind die EWS ein wichtiger Impulsgeber für Energiegenossenschaften in Europa. Viele Leute sind in Krakau auf mich zugekommen, um zum Ausdruck zu bringen, wie inspirierend die Geschichte der EWS für sie war und ist. Das hat mich sehr berührt und gefreut. 

«Energiegenossenschaften sind das beste Mittel für Selbstermächtigung und eine nachhaltige Energieversorgung.»

Welchen Mehrwert haben Bürgerenergieprojekte für die Energiewende in Europa? 

Boris: Energiewende und Klimaschutz können nur funktionieren, wenn wir auf europäischer Ebene zusammenarbeiten. Allein die Bedeutung des bestehenden europäischen Stromverbundes nimmt beständig zu, um Schwankungen in der Produktion und im Verbrauch von Strom über Landesgrenzen hinweg auszugleichen. Die europäische Bürgerenergiebewegung schafft zusätzlich einen sozialen Verbund und eine Gemeinschaft. Durch ihren dezentralen Charakter stärken Bürgerenergiegemeinschaften die lokale Wirtschaft und fördern durch die Möglichkeit der Teilhabe auch die Akzeptanz und demokratisches Bewusstsein in der Bevölkerung. 

Du hast mit vielen Menschen geredet, welche Geschichten fandest du besonders inspirierend?

Boris: Beeindruckend finde ich das Beispiel von SeaCoop aus Belgien. Denn dort haben sich insgesamt 34 kleine Energiegenossenschaften zusammengeschlossen, um sich gemeinsam an einem Offshore-Windpark zu beteiligen. Das zeigt: Auch viele kleine Akteur:innen können zusammen große Projekte mit Bürgerbeteiligung stemmen! 

Spannend fand ich auch die Geschichte von Sandy Fameliari aus Griechenland, die mit ihren Mitstreiter:innen der Hyperion Energiegemeinschaft Solar-Eigenverbrauchsmodelle entwickelt, von denen einkommensarme Haushalte unmittelbar profitieren. Insgesamt hat Griechenland eine sehr energische Bürgerenergiebewegung, was nicht nur an den hohen Solar- und Windpotentialen, sondern an der guten Vernetzung im Land und mit europäischen Partner:innen liegt! 

Beeindruckend war natürlich auch der Abschied von Dirk Vansintjan als Präsident von REScoop.eu. In seinen 12 Jahren als Präsident von REScoop.eu ist er zur Ikone der Bürgerenergiebewegung geworden. In seiner Abschiedsrede hat er auch die Auszeichnung als Schönauer Stromrebell 2019 als eines seiner Highlights aufgezählt. Dirk steht dabei stellvertretend für die vielen Stromrebell:innen aus ganz Europa! 

Die Energiewende schreitet in ganz Europa voran. Gibt es inzwischen auch Genossenschaften mit neuen Geschäftsfeldern jenseits von Wind- und Solarenergie?

Boris: Vor allem in den Beneluxländern gibt es inzwischen einige Genossenschaften, die sich mit der Wärmeversorgung über Wärmenetze beschäftigen. Wie auch in Deutschland stehen die Genossenschaften dort vor technischen und finanziellen Herausforderungen für solche Netze. Für die Finanzierung scheint es gute Ansätze zu geben: In den Niederlanden zum Beispiel gibt es ein Modell, in dem sich ethische und genossenschaftliche Banken zusammenschließen, um Projekte aus einem gemeinsamen Fonds zu finanzieren. Dieser Fonds wird von Energie Samen, dem niederländischen Bürgerenergienetzwerk, verwaltet. Ebenso sammeln Energiegenossenschaften dort Erfahrungen mit dem Einsatz von Großwärmepumpen, um aus Gewässern oder Abwasser Wärme zu gewinnen. Ein Thema, das die EWS auch umtreibt. 

Da könnten die Deutschen also noch was lernen?

Boris: Ja, auf jeden Fall. Auch wenn der Ausbau der Erneuerbaren hierzulande boomt, ist Deutschland in mancherlei Hinsicht hinterher. Der bürgernahen und dezentralen Energiewende liegen immer noch zu viele Steine im Weg, solange die fortschrittlicheren europäischen Regeln zur Bürgerenergie noch nicht vollständig umgesetzt sind. Auch beim Thema Digitalisierung der Stromnetze und Smart Metern. Da sind Spanien, Italien und Frankreich sehr viel weiter, weil sie erstmal auf einfachere Lösungen gesetzt haben.

Titelbild: REScoop.eu & CoopTech Hub

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