Portrait Jan Hegenberg
Energiewende verstehen

Jan Hegenberg aka Der Graslutscher hat ein Buch über Lösungen zur Klimakrise geschrieben. Denn die Technik ist da – jetzt muss sie eingesetzt werden.

«Wir wären verrückt, es nicht zu versuchen»

Wer Diskussionen in den Facebook-Kommentarspalten von Nachrichtenmedien verfolgt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit schon mal über einen seiner pointierten Kommentare gestolpert. Unter dem Namen Der Graslutscher bloggt Jan Hegenberg seit 2014 über Veganismus, Elektromobilität, Verkehrs- und Energiewende, und zerlegt populistische Scheinargumente mit Faktenreichtum und viel Humor. Nun erscheint sein erstes Buch «Weltuntergang fällt aus! – Warum die Wende der Klimakrise viel einfacher ist, als die meisten denken, und was jetzt zu tun ist». Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Interview

Inmitten einer Nachrichtenlage, die von Klimakatastrophe, Krieg und Mangel gezeichnet ist, kommst du daher mit dem Buchtitel «Weltuntergang fällt aus». Man würde das natürlich gerne glauben, aber was macht dich da so sicher?

Jan Hegenberg: Erst mal bin ich im Herzen Optimist. Zum anderen finde ich, dass die Medien gerade in puncto Energiewende und Klimakrise oft ein unnötig düsteres Bild zeichnen. Da wollte ich ganz bewusst einen Kontrapunkt setzen. Klar, hundertprozentig sicher bin ich auch nicht, vielleicht laufen wir bereits in die Kipppunkte rein, aber umso mehr sollten wir jetzt gegensteuern. Und ich denke, dass wir eine gute Chance haben, wenn wir das jetzt ernsthaft anpacken.

Das war demnach die Motivation für dein Buch – zu zeigen, was möglich ist, und was gegen die Klimakrise jetzt unternommen werden muss?

Genau. Es gibt ja schon sehr viele Angebote in den Medien, die recht gut erklären, was eine Welt jenseits zwei, drei Grad Erwärmung bedeuten würde. Ich hätte jetzt auch noch einmal darüber schreiben können, wie bedrohlich die Lage ist. Ich fand aber, dass da schon viel darüber geredet wird, aber viel weniger darüber, was wir jetzt dagegen tun können. Und wenn, ist da unheimlich viel Falschinformation dabei, und in den Kommentarbereichen wird dann wild durcheinander alles zerredet. Da wollte ich für etwas Aufklärung sorgen.

Diese Gespräche, was alles nicht geht, und warum, kennen wir wohl zu Genüge …

Richtig. In Deutschland ist man sehr gut darin, erst mal zu diskutieren, was alles schiefgehen könnte, anstatt sich vorzustellen, wie schön es wäre, wenn es funktioniert. Mir fällt keine große Errungenschaft ein, die von Anfang an 100 Prozent perfekt war, und Nachjustieren wird sicher auch bei der Energiewende nötig sein, aber vielleicht probieren wirs überhaupt erst mal?

Als könnte in einem Actionfilm der Protagonist die Bewohner mit dem Hubschrauber aus dem Katastrophengebiet fliegen, und er sagt «Ne, lass mal, in den Hubschrauber steigen is mir zu aufwendig, und zu laut und so unbequem.»

 

Was sind denn so typische Sätze, die du nicht mehr hören kannst?

Der Klassiker ist «Deutschland ist viel zu klein, um sich allein mit Sonne und Windkraft versorgen zu können». Und das hört man nicht nur aus der Atom- und Kohle-Bubble, sondern von vielen anderen. Und da muss ich immer fragen: Worauf fußt diese Aussage? Hast du das denn mal durchgerechnet? Weil wenn man das tut, kommt man zu dem Ergebnis, dass Deutschland doch sehr groß ist und mit Erneuerbaren unfassbar viel Strom erzeugen kann.

Und dann immer die Frage «Woher sollen die ganzen Rohstoffe kommen?». Hallo, wir sind gerade in einer massiven Öl- und Gaskrise, da müsste man doch sehen, dass das jetzige System komplett vor die Wand fährt, wenn auch nur ein Staat beschließt, die Rohstofflieferungen zu drosseln?

Du bist ja schon länger in Recherchen zu dem Thema. Gab es beim Schreiben etwas, was dich noch überrascht hat?

Ja, ständig. Wenn man sich das bestehende System betrachtet, und da etwas weiterrechnet, dann erfasst man erst die Dimensionen, wie unsinnig und ineffizient es ist. Wir sehen das nur nicht, weil wir es als normal erlernt haben. Zum Beispiel: 40 Prozent aller Frachtschiffe, die unterwegs sind, schippern fossile Brennstoffe umher. 40 Prozent, nur für Kohle, Öl und Gas!

Auf der anderen Seite fand ich krass zu sehen, wie viel Strom eine Windkraftanlage pro Fläche erzeugt, und welche Steigerungen es da in den letzten zehn, zwanzig Jahren gab. Ein befreundeter Entwickler bei einer Offshore-Anlage hat mir da mal die Leistungsdaten gegeben. Und wenn man sich das runterrechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass so ein Ding mit einer einzigen Umdrehung zwei deutsche Haushalte den ganzen Tag mit Strom versorgen könnte. Und sowas ist dann schon … mindblowing.

Die zentrale Aussage deines Buches ist also, dass die technischen Lösungen durchaus vorhanden sind, jetzt muss man sie «nur noch» umsetzen …

Ich setze das «nur noch» selbst in Anführungszeichen, natürlich ist mir bewusst, dass das ein Riesenprojekt ist. Und wir werden in den nächsten Jahren sicher noch Probleme bekommen, weil das so lange verschlafen wurde, weil nicht genügend Fachkräfte da sind, das weiß ich alles. Aber verglichen mit einer Situation, in der wir die technische Lösung nicht hätten, sind wir schon einen Riesenschritt voran. Und es zeigt ja auch, wie verrückt wir wären, es nicht zu machen. Als könnte in einem Actionfilm der Protagonist die Bewohner mit dem Hubschrauber aus dem Katastrophengebiet fliegen, und er sagt «Ne, lass mal, in den Hubschrauber steigen is mir zu aufwendig, und zu laut und so unbequem. Warten wir lieber, vielleicht fällt uns ja noch was Besseres ein, bevor die Lava bei uns ist». Klingt vielleicht etwas dramatisch, aber genau so haben wir uns gesamtgesellschaftlich in den letzten Jahren verhalten. Ja, es ist ein Riesending, aber machbar. Außerdem haben wir früher auch schon Riesendinge gestemmt. Irgendwann wurde beschlossen, das Land mit einem Eisenbahnnetz zu durchziehen, und juhu, jetzt haben wir eins.

Dabei wird es aber vor allem darauf ankommen, die Menschen mitzunehmen. Wie ist deine Erfahrung: Wie lassen sich Menschen von der Notwendigkeit einer Veränderung überzeugen?

Genau das ist die entscheidende Frage. Deswegen hab ich mir aber auch zugetraut, dieses Buch zu schreiben, obwohl ich nicht Energiewirtschaft oder Ähnliches studiert habe. Aber was ich gut kann, ist kommunizieren. Ich komme ja aus der veganen Szene und ich habe auch schon viel über Verkehrswende und Elektromobilität diskutiert, und bei all diesen Themen besteht dieselbe Herausforderung: Die meisten Argumente sprechen sehr dafür, rein sachlich, auch ohne Tränendrüseneinsatz. Aber wenn man sich hinstellt und sagt «So, Leute, ich hab die Wahrheit, alle anderen sind doof, also macht, was ich sage» – damit erreichst du eher das Gegenteil. Darum hab ich mich auch entschieden, das etwas salopp zu formulieren, «Weltuntergang fällt aus». Ich schreibe das Buch in sehr lockerem Ton, sehr unterhaltsam und mit viel Humor, um auch Leute bei der Stange zu halten, die sich so etwas sonst nicht durchlesen würden. Leute, die bereits in der Erneuerbaren-Branche sind, werden in dem Buch wahrscheinlich nicht viel Neues erfahren.

Es ist hauptsächlich für die Menschen geschrieben, die unentschlossen sind, weil sie beides hören: dass wir jetzt loslegen müssen, aber von der anderen Seite kommt das Geraune über Blackouts und hohe Kosten, blabla. Das ist so die Hauptzielgruppe, von der ich hoffe, dass ich einige davon auf «unsere» Seite ziehen kann. Das klingt jetzt so, als wäre ich in irgendeiner Interessenvertretung, wobei unser Interesse «Fortbestehen der Menschheit» ja an sich schon überzeugend genug sein sollte. 

Titelfoto: Simon Hegenberg

Buch

Jan Hegenberg: Weltuntergang fällt aus! Warum die Wende der Klimakrise viel einfacher ist als die meisten denken und was jetzt zu tun ist. Komplett Media Verlag, 200 Seiten, 22 Euro. ISBN: 978-3-8312-0604-9