Energiewende verstehen

Eine Reportage des ARD-Magazins Plusminus befasst sich mit dem hochpotenten Klimagas SF₆ in Windkraftanlagen. Was ist da dran?

SF₆ – Klimakiller im Windrad?

Es klingt absurd: Ausgerechnet in Windkraftanlagen, die doch der Klimakrise Einhalt gebieten sollen, schlummert ein hochgefährliches Treibhausgas, das um ein Vielfaches stärker wirkt als CO₂? Mit dieser Geschichte machte das ARD-Magazin Plusminus vergangene Woche auf.

Tatsächlich ist diese angeblich verschwiegene Geschichte nicht wirklich neu: Schon 2019 schrieb der Focus einen ähnlichen Artikel. Auf politischer Ebene ist ein Verbot fluorierter Gase wie SF₆ schon seit zehn Jahren Diskussionsthema im EU-Parlament, wie aus dem Bericht hervorgeht. Doch wie gravierend ist dieses Problem wirklich? Schaden Windräder dem Klimaschutz mehr als sie nutzen? Das wollen wir uns genauer ansehen:

Was ist SF₆?

Schwefelhexafluorid, eine Verbindung der Elemente Schwefel und Fluor, ist ein äußerst reaktionsträges Gas. Diese Eigenschaft wird genutzt, um es zur Isolation von elektrischen Schaltungen einzusetzen und Lichtbögen zu verhindern. Wo in der Mittel- und Hochspannungstechnik elektrischer Strom verteilt wird, geschieht das meist in SF₆-gefüllten Kammern, wo dann kein Funke mehr überspringt.

Doch neben seiner perfekten Isolationswirkung hat Schwefelhexafluorid noch andere, sehr ungünstige  Eigenschaften: Es ist das potenteste bekannte Treibhausgas und wirkt circa 23.500 Mal(!) stärker als CO₂. Obwohl seine klimaaktive Wirkung bekannt ist, reichert es sich weiter in der Atmosphäre an. Und da SF₆ – wie gesagt – ein hoch inertes Gas ist, hat es dort eine Lebensdauer von 3.200 Jahren.

SF₆ wurde, bis es als Klimakiller bekannt wurde, bei etlichen Prozessen eingesetzt: Bei der Gewinnung von Magnesium oder in der Halbleitertechnologie, es fand sich als Füllgas in Autoreifen, als Trennschicht in Schallschutzglasscheiben und in den Sohlen von Turnschuhen. Aus ökologischen Gründen ist der Einsatz bei den drei letzteren inzwischen verboten.

Alternativen zu SF₆

In Schaltanlagen gibt es keinen 1:1-Ersatz, mit dem man SF₆ einfach substituieren könnte. Dennoch sind alternative Techniken zur Isolation elektrischer Schaltungen bekannt, etwa Fluorketon, Vakuumkammern oder gereinigte Luft. Diese Lösungen sind praktisch erforscht und werden bereits hergestellt, beispielsweise vom Unternehmen Nuventura, das in seinen Anfangszeiten von den EWS unterstützt wurde.

Das Umweltbundesamt hat in seiner Studie «Konzept zur SF₆-freien Übertragung und Verteilung elektrischer Energie» die Möglichkeiten von Schaltungen ohne das Gas untersucht. Angesichts der Klimawirkung plädiert das Amt schon seit 2002 für ein Verbot von SF₆. Der ARD-Bericht legt nahe, dass die Industrie gegen diese gesetzgeberische Maßnahme im Interesse der eigenen Kosten lobbyiert, da Schaltungen ohne SF₆ aufwendiger und größer sind.

Was hat das mit Windkraft zu tun?

In Windkraftanlagen sind Mittelspannungsanlagen verbaut, die SF₆ enthalten – so weit, so richtig. Solche Schaltanlagen kommen jedoch auch an vielen anderen Stellen, an denen Strom verteilt wird, zum Einsatz – sprich: in so gut wie jedem Trafohäuschen (sofern es keine SF₆-freie Technik verbaut hat). Windkraftanlagen sind also nicht die einzigen und nicht die größten Einsatzbereiche von SF₆. Für eine Windkraftturbine werden unter 3 Kilo des Klimagases verwendet, für ein Umspannwerk mehrere Tonnen.

Ebenfalls darf nicht unterschlagen werden, dass das Gas in diesen Schaltanlagen verbleibt. Beim Befüllen, Betreiben und Recycling sind den Herstellern dieser Anlagen hohe Standards gesetzt, um ein Entweichen des Gases in die Atmosphäre zu verhindern. Die «schlummernde Gefahr» (laut Beitragstitel) schlummert also in aller Regel recht ungestört.

Natürlich sind Leckagen nie ganz auszuschließen. In Sachen Emissionen rückt die Untersuchung des Umweltbundesamts jedoch einen ganz anderen Übeltäter ins Zentrum als das ARD-Magazin: Beim Entsorgen von Schallschutzfenstern entweicht das eingeschlossene Gas ungehindert und macht den Löwenanteil der SF₆-Emissionen aus. Einen Artikel in der «jungen Freiheit», der davon schwadroniert, dass der SF₆-Ausstoß deutscher Windräder besonders hoch sei, darf man getrost als Mumpitz bezeichnen.

Der Wissenschaftler Stefan Holzheu weist auf Twitter darauf hin, dass selbst dann, wenn die 3kg SF₆ einer Windkraftanlage vollständig entweichen, aufs Jahr gerechnet eine Klimabelastung von 3,4 Tonnen CO₂-Äquivalenten entstünde, die immer noch den 10.000 Tonnen CO₂ gegenübersteht, die sie im selben Zeitraum vermeidet.

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Mangelhafte Einordnung

Das Isolationsgas SF₆ ist also kein spezifisches Windkraft-Problem. Warum die Reportage dennoch Windkraftanlagen und nicht etwa das deutsche Hochspannungsnetz ins Zentrum der Geschichte rückt? Die Antwort liegt wohl im erhofften Effekt: Windkraft polarisiert und verspricht emotionale Reaktionen, besonders, wenn man vom Widerspruch des vermeintlichen Klimaretters als Umweltfrevler erzählen kann. Das Muster ist bekannt und bewährt: Freunde des Verbrennungsmotors prangern den schmutzigen Rohstoffabbau an, sobald das Material für Elektroautobatterien verwendet wird, und Vogelschutz ist so manchem immer genau dann wichtig, wenn dieser als Argument gegen neue Windkraftanlagen herhalten kann.

So wirkt auch die Geschichte von Tagesschau und Plusminus: Hier wurde ein existierendes Problem aufgeblasen, ein neuer Kontext konstruiert, die Einordnung muss hinter der attraktiveren Erzählung zurückstehen. Mit dem gewünschten Effekt, wie man an den oben dokumentierten Reaktionen sehen kann. Diejenigen, die schon immer gegen Windkraft waren, nehmen diese argumentative Schützenhilfe sicher gerne in Anspruch.

Fazit

Schwefelhexaflourid/SF₆ ist ein hoch wirksames Treibhausgas, dessen Emission in die Atmosphäre schnell gestoppt werden muss, so wie die aller Treibhausgase. Es wird in elektrischen Schaltanlagen eingesetzt, die unter anderem in Windkraftanlagen gebraucht werden. Weder in Sachen Menge noch in Sachen Emissionen machen die Windräder dabei einen besonders relevanten Teil aus. Die Klimagefahr durch SF₆ taugt daher nicht als Argument gegen den Windkraftausbau. Bei Geschichten wie der genannten von Plusminus werden die Proportionen zugunsten der Erzählung verzerrt - eine solche mediale Berichterstattung erweist Klimaschutz und Energiewende einen Bärendienst.