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Ehrenamtlich die Welt retten, die andere hauptberuflich zerstören? Hier erzählt uns Marit, wie sie Klimaaktivismus, Alltag und Mutterrolle vereinbart.

«Ich mag Menschen»

Auf der Suche nach einer Person, die uns etwas über den Alltag eines aktivistisch tätigen Menschen erzählen kann, hat sich Marit Schatzmann sehr spontan zu einem Interview bereiterklärt. Und tatsächlich hat sie in neun Jahren Klima-Engagement sehr viel Erfahrung gesammelt, an der sie uns hier teilhaben lässt. Vielen Dank dafür!

Interview

Wofür setzt du dich ein und in welchen Gruppen findet das statt? 

Ich sage immer, dass ich in der Klimabewegung zuhause bin, in der ja viele Gruppen miteinander vernetzt sind. Hauptsächlich engagiere ich mich bei den Parents For Future Berlin und den «Eltern gegen die Fossilindustrie». Das ist eine eher kleine, aber recht umtriebige Gruppe, die aus den Parents For Future entstanden ist und die ich auch mitgegründet habe. Wir waren ein paar Leute, die auch ungehorsame Elternaktionen machen wollten und zudem die Hauptverursacher der Klimakrise stärker in den Fokus rücken: die Konzerne und ihre Finanziers. Der Name selbst drückt das ja schon aus.

Wie bist du zum Aktivismus gekommen? Gab es da für dich einen Schlüsselmoment? 

So einen Moment gibt es nicht direkt, ich hatte schon immer ein gewisses Bewusstsein für Umweltthemen. Bei mir hat sich der Drang, aktiv zu werden, eher stufenweise verstärkt. Schon wie wir an der Uni im Rahmen meines Lehramtsstudiums über Themen wie Klimaethik gesprochen haben, hätte ich am liebsten viel direkter meine Meinung dazu ausgedrückt.

2015 habe ich angefangen, ehrenamtlich Klimabildungsarbeit über die BUNDjugend zu machen. Das war schön, hatte aber viele Konsumthemen behandelt – Handy, Mode, etc. Und mit Kindern über Mülltrennung zu sprechen, während der Staat Milliarden für fossile Infrastruktur ausgibt, das setzte für mich irgendwann am falschen Ende an. 

Ein anderer Moment war eine Bundestagsdebatte, in der ein eingeladener Klimawissenschaftler genau dargelegt hat, wie drastisch die Lage ist, aber immer wieder betont hat, er sei Wissenschaftler, er stelle keine Forderungen. Und ich hatte das Gefühl, da müsse einfach mehr Wumms in die öffentliche Debatte. Als ich dann mitbekommen habe, dass sich ein deutscher Ausleger von Extinction Rebellion gegründet hat, dachte ich: Wer sollte da mitmachen, wenn nicht Leute wie ich? 

Daneben hab ich auch in meinem Masterstudium zum Lehramt alles für den Klimaschutz rausgeholt, habe Unterrichtsreihen zu Themen wie ziviler Ungehorsam und Klimakolonialismus entwickelt. Danach hatte ich noch bei der Klimaliste mitgewirkt, mich für den Klima-Volksentscheid eingesetzt und war bei den Parents For Future gelandet, weil es mir wichtig war, in den Austausch mit anderen Eltern zu gehen. 

Das ist ganz schön viel. Wie schaffst du, das mit deinem Alltag als Mutter zu verbinden?

Wahrscheinlich waren die ersten drei, vier Jahre mit meinem Sohn recht unkonventionell für ein Familienleben. Es gab so 20/21 schon Phasen, wo mein Pensum ein bisschen irre war. Mir hilft, dass ich mich gut unterstützen lassen kann. So hat die erste Zeit, in der ich viel für die Klimaliste gemacht habe, eine gute Freundin von mir viel auf meinen Sohn aufgepasst. Sie macht das sehr gerne und die beiden haben heute eine sehr innige Freundschaft.

Ein weiterer Punkt ist, dass Klimaaktivismus und Elternschaft nicht getrennt voneinander stattfinden müssen, sondern sich auch verbinden lassen. Bei Aktionen der Mother’s Rebellion etwa, zu denen ich auch gehe, geht es naturgemäß sehr kinderfreundlich zu. Über die Parents und die Eltern gegen die Fossilindustrie habe ich mich mit weiteren Müttern angefreundet, unsere Kinder verstehen sich auch sehr gut. Wir gehen da zusammen auf Demos oder treffen uns zum Schildermalen und die Kinder springen dazwischen rum und malen mit … klar, das kann auch anstrengend sein, aber schon dadurch, dass wir diese Erfahrung teilen, stärken wir uns gegenseitig.

«Elternsein muss nicht den totalen Rückzug ins Privatleben bedeuten, sondern lässt sich auch mit Aktivismus verbinden.»

Mein Sohn kriegt über meinen Aktivismus sehr viel mit und kommt mit sehr vielen Menschen in Kontakt. Das kommt eigentlich dem Ideal näher, das ich von Mutterschaft habe. Elternsein muss nicht den totalen Rückzug ins Privatleben bedeuten.

Und wie hältst du mit deiner Kraft Haushalt?

Ich habe inzwischen auch gelernt, etwas loszulassen und kürzer zu treten. Mein innerer Anzeiger ist, ob ich den Satz «Ich mag Menschen» unterschreiben kann. Wenn ich diese Zugewandtheit, die mir Kraft gibt, nicht mehr fühle, weiß ich, dass es Zeit ist, mich etwas rauszunehmen. Ich finde, das Bewusstsein für Regeneration ist in der Klimabewegung auch recht ausgeprägt.

Neben deinem Aktivismus muss ja auch noch irgendwie Geld zum Leben reinkommen …

Mir ist die Zeit, die ich für den Aktivismus aufwenden kann, so ein unglaublich wertvolles Gut, dass ich sie über das Materielle stelle. Ich bin noch im Masterstudium, und weil mir mein Engagement gegen die Klimakrise so wichtig ist, habe ich für mich entschieden, diese Phase noch etwas zu strecken. Das fühlt sich für mich glaubwürdiger an, als straight durchzustudieren und dann gleich in den Vollzeitjob zu wechseln. Bis September gibt mir das BAFÖG noch Struktur.

Darüber hinaus habe ich mir immer wieder selbstständig mit Bildungsarbeit etwas dazu verdient. Seit Januar arbeite ich jetzt 12 Stunden die Woche in der Grünen-Bundesgeschäftsstelle und unterstütze den Europawahlkampf, weil ich deren Arbeit im Europaparlament sehr überzeugend finde und glaube, dass mehr Verbindung von außer- und innerinstitutionellem Engagement gerade wichtig ist.

Grundsätzlich haben mein Partner und ich uns als Team organisiert. Und wir leben nicht auf großem Fuß, die Sachen für meinen Sohn habe ich zum allergrößten Teil über Verschenk-Gruppen organisiert.

Ich habe festgestellt, dass der persönliche Begriff von Sicherheit viel ausmacht. Menschen, die sich für Klimaschutz engagieren, begreifen sich oft als Teil eines großen Netzes und wollen das Gemeinwohl verbessern, um selbst sicher zu sein. Aber bei Straßengesprächen merke ich, wenn für Menschen die Sicherheit wirklich nur am eigenen Kontostand hängt und null an den planetaren Grenzen, ist bei diesen in Sachen Klimabewusstsein nicht viel zu erreichen.

Alleine fühlt man sich ja angesichts der Dimension der Klimakrise meist ziemlich machtlos. Wie wichtig ist für dich das Organisieren in der Gruppe? Und wie findet man die richtige Gruppe für sich?

Das ist natürlich sehr wichtig. Die Gruppe hat eine zweifache Funktion: zum einen für den Impact, zum anderen auch, eine Community zu finden. Ich habe erst im Rahmen meines Engagements gegen die Klimakrise festgestellt, dass ich nicht so in der Mitte der Gesellschaft stehe, wie ich das immer gedacht hatte. Da hat es gutgetan, Leute zu finden, die meine Sorgen teilen. Aus dieser Erfahrung kann man die Ohnmacht überwinden und die Kraft daraus ziehen, immer weiterzumachen. Wichtig ist auch modulares Arbeiten, Kooperation und sich Vernetzen, sodass die Aufgabenlast auf viele Schultern verteilt werden kann.

Der Einstieg in so eine Gruppe kann über viele verschiedene Wege gehen. Wer sich engagieren will, wird schnell Wege finden. Am besten einfach die Augen offenhalten und bei Interesse anschreiben. Selbst wenn nicht gleich eine Antwort kommt, gehe ich immer von einem grundsätzlichen Wohlwollen aus – das sind Leute, die das im Rahmen ihrer Möglichkeiten ehrenamtlich machen. In der Regel wird man mit offenen Armen empfangen und hat schnell eher zu viele als zu wenige Aufgaben.

«Briefe schreiben ist eine sehr wirksame Protestform.»

Wie kann sich jemand engagieren, der schon sehr stark in seinen Alltag eingebunden ist und nicht die Zeit für regelmäßige Treffen oder Aktionen hat?

Ich finde die großen Demos wie etwa den nächsten Klimastreik am 1. März nach wie vor wichtig und berechtigt. Gerade die Aktion «Wir fahren zusammen» mit den Gewerkschaften verbindet Kämpfe, die auch zusammengehören.

Dann: Briefe schreiben an Zeitungen, Institutionen und Politiker:innen. Ich habe neulich gehört, dass die AfD darin sehr gut und aktiv ist. Diese Briefe schaffen sogenannte anekdotische Evidenz im Kopf, sodass eine Geschichte von einem Menschen das wahrgenommene Bild der Wirklichkeit prägt. Das ist sehr wirksam, da gibt es echte Erfolgsgeschichten wie etwa der Erhalt von Spielstraßen in Berlin. Und bevor Rechte diese Methode nutzen, sollte die Klimabewegung das tun.

Und auch wenn es abgedroschen klingt: Auch als Konsument:innen haben wir Wirkmacht. Darum haben wir uns zum Beispiel auch ans Quartier Zukunft der Deutschen Bank geklebt, deren Greenwashing-Palast. Da kann man seine verdammten Weinkorken zum Recyceln abgeben, während der Konzern seit dem Pariser Abkommen 81 Milliarden in die fossile Infrastruktur investiert hat! Natürlich wollten wir auch Menschen dazu bewegen, ihr Konto zu wechseln.

Am Ende ist jeder Mensch ein Multiplikator. Das Wichtige ist, die richtigen Geschichten zu verbreiten, im persönlichen Umfeld, in Gesprächen, auf Social Media oder wo auch immer: wie viel besser und gerechter die Welt sein könnte.

Klimagerechtigkeit jetzt!

Der Kampf gegen die Klimakrise ist untrennbar mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit verbunden. Wir wollen gemeinsam erfahren, wie wir die Klimakrise sozial und gerecht eindämmen können. Zehn Wochen haben wir uns in einem wöchentlichen Newsletter mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen dem Thema genähert. Alle Inhalte können Sie jederzeit nachlesen, -sehen und -hören. 

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