Wenn man auf 2025 zurückblickt, muss man wohl deutlich konstatieren, dass es kein gutes Jahr für die Demokratie war. In den USA ist die Entwicklung besonders plakativ sichtbar, aber auch hierzulande hat eine starke Polarisierung Einzug in die politische Rhetorik gehalten. Grabenkämpfe zwischen verfeindeten Seiten sind jedoch nicht das, was eine erfolgreiche Demokratie auszeichnet. Der Grundgedanke, dass Menschen sich zusammentun, um gemeinsam um die besten Lösungen für das Gemeinwohl zu debattieren, wird von Lagerdenken und populistischen Feindbildern nur erschwert.
Und gerade Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Energiewende fallen unter den Tisch, wenn populistische Narrative die Oberhand gewinnen, wie wir aktuell bereits sehen. Was wir dagegen setzen müssen, ist eine Demokratie, die für Menschen funktioniert. Die Herausforderungen konkret angeht, im Verbund mit den Menschen vor Ort. Demokratie bedeutet mehr, als ab und zu mal zur Wahl zu gehen, sie lebt von der Gemeinschaft und vom Mitmachen.
Darum geht die diesjährige Weihnachtsspende der EWS in Höhe von 15.000 Euro an die Allianz der Gestalter:innen, getragen von ProjectTogether, Neulandgewinner, dem Netzwerk junger Bürgermeister:innen und vielen weiteren Partner:innen. Als Allianz haben sie 2025 die «Werkstatt der Mutigen» ins Leben gerufen – ein Format, das Gestalter:innen und Bundestagsabgeordnete verbindet, mit dem Ziel, lokal erprobte Lösungen in die Bundespolitik zu bringen. Wie genau das geht, erzählt Simon Dallner von ProjectTogether im Interview:
Interview
Simon, wie kam die Idee zustande, die «Werkstatt der Mutigen» abzuhalten?
Simon: Wir haben mit unserem Fonds «Vereint für Demokratie» bereits die Kategorie «Gestalter:innen vor Ort» gefördert. Dahinter stand die Überzeugung: Wenn wir unsere Demokratie erhalten und fördern wollen, müssen wir vormachen, wie Gestaltung und Lösungsfindung vor Ort aussehen kann. Wir haben uns auf die Suche gemacht nach Menschen, die über Parteigrenzen hinweg verbinden können und bei sich ein neues Miteinander und eine neue Aufbruchsstimmung schaffen. Wir haben da sehr spannende Menschen getroffen und gemerkt, dass es ganz viele tolle Beispiele gibt. Diese Menschen haben wir mit «Vereint für Demokratie» gefördert. Wir haben aber festgestellt, dass sie kaum untereinander vernetzt sind. Dabei gibt es in Deutschland 28 Millionen ehrenamtlich Engagierte. Aber für die gesamtgesellschaftliche Stimmung sind solche positiven Impulse wenig sicht- und spürbar.
Darum haben wir ein Austauschtreffen geplant. Und aus dieser Runde an regionalen Gestalter:innen ist die Idee entstanden, eine größere Allianz zu bilden – vom Dorfbürgermeister bis zum zivilgesellschaftlichen Verein, um gemeinsam mehr Sichtbarkeit und Handlungskraft zu entwickeln.
Die Idee war also, regionale Initiativen zusammenzubringen?
Ja. Und die andere: Das war ja die Zeit, wo gerade die Ampelkoalition zerbrochen ist. Da war schon klar, dass der anstehende Wahlkampf sehr aggressiv werden würde. Da gab es einen starken Wunsch aus der Runde der Gestalter:innen, diesem ständigen Gegeneinander die Kraft der konstruktiven lokalen Gestaltung entgegenzusetzen und ein neues Miteinander vorzuleben. Darum ging es sehr schnell von der ursprünglichen Idee Ende November 2024 bis zur ersten «Werkstatt der Mutigen» Ende Januar 2025. Das war ein Kraftakt, der getragen wurde von ganz vielen Gestalter:innen, aber auch von 20 Netzwerken aus der Zivilgesellschaft, die das gemeinsam realisieren wollten. Seither gibt es diese Allianz, die stetig wirkt und wächst.
«Dem ständigen politischen Gegeneinander wollten wir die Kraft des konstruktiven Miteinanders entgegensetzen.»
Ihr habt für eure bundesweiten Werkstätten der Mutigen auch Bundespolitiker:innen hinzugezogen. Welche Rolle haben diese gespielt?
Ein Thema, das bei den ersten Treffen der Gestalter:innen aufkam, war, dass es bundespolitische Hürden gibt, bei denen die Gestaltungsmöglichkeiten an gesetzliche Grenzen stoßen. Darum haben bei den Werkstätten hunderte Gestalter:innen aus der gesamten Republik gemeinsam mit Bundestagsabgeordneten konkret ihre Themen erörtert, von Leerstand über kommunalen Klimaschutz bis zu lokaler Gesundheitsversorgung. Diese konnten dann Impulse mitnehmen und in ihre Gremienarbeit einbringen. Gleichzeitig wurden auch Hürden besprochen, wie etwa, dass Förderprogramme sehr komplex strukturiert sind. Da hat sich in den Werkstätten jetzt eine Gruppe gefunden, die daran arbeitet, diese zu vereinfachen. Oder es geht darum, wie gut funktionierende Lösungen, wie Bürgerenergiegenossenschaften, verbreitet und gefördert werden können.
Wie habt ihr die Reaktionen aus der Bundespolitik erlebt?
Es war ja eine breite Bandbreite an Bundestagsabgeordneten da, von Thorsten Frei (CDU) über Christiane Schenderlein (CDU), Clara Bünger (Die Linke), Lars Castellucci (SPD), Kathrin Michel (SPD) bis hin zu Franziska Brantner (Bündnis90/Die Grünen). Wir haben gemerkt, dass es bei diesen eine große Lust gibt, in neuen Formaten, aufbauend auf einer sehr konstruktiven Gestaltungskraft, konkret an Lösungen zu arbeiten.
Und bei diesen Lösungen vor Ort merken wir ja, dass sie überhaupt keine Parteifarben haben. Der Großteil der Bevölkerung ist einfach daran interessiert, dass die Gesundheitsversorgung vor Ort funktioniert, oder dass es Kitaplätze gibt. Entsprechend waren auch die Bundestagsmitglieder sehr daran interessiert, zu erfahren, was es braucht, um die Rahmenbedingungen für die Lösungen vor Ort zu stärken.
Kannst du ein paar Beispiele nennen, wie diese Gestalter:innen vor Ort wirken?
Da gibt es zum Beispiel Fabian Stankewitz, Bürgermeister in einer kleinen Gemeinde in Sachsen-Anhalt. Diese hatte viel Leerstand und eine schwindende Einwohnerzahl. Der hatte die Bürger:innen aufgerufen, in einer gemeinschaftlichen Aktion Gebäude zu sanieren. Dadurch sind Menschen zusammengekommen, ein Verein hat sich gegründet, dieser hat Angebote für den Ort geschaffen wie den Tag des offenen Denkmals. Durch die Aktivitäten des Vereins hat sich eine Stimmung des gemeinsamen Anpackens entwickelt. Inzwischen hat sich der Trend des Einwohnerschwundes umgekehrt.
Oder es gibt Valentin Rühlmann in Altenburg, Thüringen, ein Ort, dem eigentlich die schlechtesten Zukunftsaussichten vorausgesagt werden. Der hat es geschafft, mit seinem Verein 800 Jugendliche zu aktivieren und einzubinden, damit sie ihre Umgebung sehr konkret selbst gestalten können, vom Bolzplatz bis zur Belebung der Innenstadt.
Oder Clara Schweizer in Nürtingen, die eine Klima-Taskforce gegründet hat und mit sehr konkreten Initiativen hilft, die sehr ehrgeizigen Klimaziele des Ortes zu erreichen. Dazu hat diese beispielsweise in Kooperation mit dem örtlichen Baumarkt eine Gebäudedämmungs-Initiative gestartet oder Tauschmärkte organisiert.
Das nur, um ein paar Beispiele zu nennen, auf unserer Website gibt es noch viele mehr.
«Lösungen vor Ort haben keine Parteifarbe.»
Wie unterstützt ihr solche Initiativen konkret?
Wir sind ständig dabei, unsere Allianz der Gestalter:innen zu erweitern. Menschen, die Lust haben, Lösungen vor Ort zu gestalten oder dies bereits tun, bekommen von uns ein Toolkit mit erprobten Formaten und Mobilisierungswerkzeugen, und auch eine kleine finanzielle Unterstützung, etwa für Snacks und Getränke für die Werkstätten. Zudem fördern wir den Austausch der Gestalter:innen untereinander, sodass bereits funktionierende Konzepte auch anderswo umgesetzt werden können. Das ist bereits mehrfach geschehen. Wer eine solche Werkstatt organisieren will, kann sich ganz einfach an uns wenden.
Wie ist deine Erfahrung: Helfen solche Projekte konkret gegen den grassierenden Rechtsruck und populistische Stimmungslagen?
Wir sehen einige sehr spannende Beispiele von Orten, wo Menschen über vorher bestehende Grenzen hinweg wieder ins gemeinsame Handeln kommen. Orte, wo wieder eine Stimmung des gemeinsamen Anpackens entsteht. Diese bringt mehr und mehr Menschen dazu, sich konstruktiv einzubringen und vermittelt ihnen wieder das Gefühl, dass sie sich im politischen System gestaltend beteiligen können.
Was steht im neuen Jahr bei euch an, und wie hilft euch die EWS-Weihnachtsspende dabei?
Die Spende hilft uns, die lokalen Aktivitäten auszuweiten und noch mehr Werkstätten durchzuführen und zu unterstützen. Zum anderen hilft sie, die Vernetzung der Gruppen noch besser auszubauen und diese bundesweite Bewegung der lokalen Demokratieinitiativen zu stärken. Wir haben 2026 sehr viel vor!
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich der Allianz der Gestalter:innen anzuschließen – was muss man dafür tun?
Auf unserer Website kann man ganz einfach Kontakt aufnehmen. Wir sind immer offen für Gestalter:innen und Initiativen. Wer keine Zeit hat, aber trotzdem unsere Mission unterstützen will, kann uns auch mit einer Spende weiterhelfen. Einfach «Werkstatt der Mutigen» als Betreff angeben!
Titelfoto: Marlene Charlotte Limburg