Portraitfoto Tilman Santarius von ECDF/PR/Felix Noak
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Digitalisierung – Fluch oder Segen fürs Klima? Beides, sagt Transformationsforscher Tilman Santarius. Im Interview legt er Chancen und Risiken dar.

«Wir müssen die digitalen Möglichkeiten richtig nützen»

Die fortschreitende Digitalisierung verändert unsere Konsumgewohnheiten. Was das für Umwelt und Klimaschutz bedeutet, ist nicht einfach zu sagen. Auf der einen Seite stehen klangvolle Nachhaltigkeitsversprechen durch gesparte Ressourcen und effizientere Prozesse. Auf der anderen Seite steht eine digitale Infrastruktur mit hohem Energie- und Rohstoffbedarf. Mit der Frage, welche Umweltauswirkungen die Digitalisierung hat, beschäftigt sich der Soziologe und Transformationsforscher Tilman Santarius. Er ist Professor für Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und am Einstein Centre Digital Futures Berlin. Wir haben mit ihm gesprochen.

Gerade wird viel über Energiesparen gesprochen. Dabei geht es viel um Heizungseinstellungen und Stand-By-Betrieb, aber an E-Mails, Smartphones und Filmstreaming denkt man bei diesem Thema allgemein kaum. Sie befassen sich beruflich mit den Klima- und Umweltauswirkungen der digitalen Welt – wie groß sehen Sie hier den Aufklärungsbedarf?

Prof. Santarius: Ich glaube, dass wenigen Menschen bekannt ist, wie viel Strom zuhause auf digitale Geräte entfällt, auf den Router, das Laden der Handys, die Apps und so weiter. Darüber besteht ja auch keine Transparenz. Allgemein denkt man sich ja, dass das Laden von so einem kleinen Smartphone nicht groß ins Gewicht fiele. Tut es – einzeln betrachtet ­– ja auch nicht. Aber Kleinvieh macht eben auch Mist. In der Summe entfallen circa sieben Prozent des CO2-Fußabdrucks eines durchschnittlichen Bundesbürgers auf die Digitalisierung.

Wie groß ist der Impact der Digitalwirtschaft aufs Klima?

Was wir aggregiert betrachten können, ist der Stromverbrauch des Internets, sprich aller Geräte. Dazu gehören nicht nur die Endgeräte, sondern auch die Rechenzentren etc. Ebenso wissen wir relativ gut Bescheid über den Energieaufwand bei der Herstellung der Hardware. Zusammengenommen könnte man das als den Fußabdruck des Internets bezeichnen, das macht etwa acht Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus, und ungefähr zwei bis vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Zum Vergleich: der Sektor Luftfahrt kommt auf etwa zweieinhalb Prozent, wenn man nur die Emissionen durch das Kerosin nimmt. Das ist schon signifikant. Im Vergleich zu den großen Treibhausgasquellen wie Wohnen, Industrie, Mobilität ist das zwar weniger, aber: Während die Emissionen in anderen Sektoren leicht zurückgehen, steigen sie im Bereich der Digitalisierung rasant an.

«Das Internet macht etwa acht Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus, und ungefähr zwei bis vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.»

Auf der anderen Seite sollen digitalisierte Prozesse ja auch Ressourcen schonen, etwa, indem der Papierverbrauch reduziert wird. Wird das durch den Energiebedarf der digitalen Infrastruktur wieder zunichte gemacht?

Grundsätzlich gibt es viele Beispiele, wo man im Einzelfall betrachtet durch digitale Dienstleistungen gegenüber den vorherigen, anlogen Vorläufern sparen würde. Beispielsweise wenn man ein E-Book und ein gedrucktes Buch gegenüberstellt, oder Online-Nachrichten gegenüber der Zeitung auf Papier, oder eine Leih-DVD gegenüber einem Filmstream. Hier gibt es relativ viele Studien, das Ergebnis ist immer das gleiche: Auf Ebene des einzelnen Films, des einzelnen Buchs spart man Energie. Aber, was häufig vergessen wird, ist erstens, dass diese Geräte erst einmal hergestellt werden müssen. Ein e-Book-Reader ist komplex. Es braucht 40 bis 60 nicht gelesene Papierbücher, bis die Einsparungen den Energieverbrauch aus der Herstellung kompensiert haben; erst dann fängt man also überhaupt an, mit dem E-Book Reader einzusparen. Und zweitens wird häufig vergessen, dass sich mit den neuen digitalen Möglichkeiten das Nutzerverhalten ändert. Es wird mehr konsumiert, weil es so einfach ist. Gerade bei Onlinenachrichten, Videostreaming und Musik ist das offensichtlich. Diese Mehrverbräuche, die durch die gestiegene Verfügbarkeit hervorgerufen werden, fressen das Einsparpotenzial häufig wieder auf. 

Also gibt es hier einen Rebound-Effekt?

Der gestiegene Komfort steigert die Nachfrage. Und mit den neuen technischen Möglichkeiten ergeben sich ja auch neue Verhaltensweisen. Man denke mal an den Kommunikationsbereich. Wir haben früher Briefe geschrieben, dann E-Mails. Was jetzt auf Social Media passiert, das ist ja nicht einfach ein Ersatz für den Brief, das sind komplett neue Kommunikationsgewohnheiten, die wir uns angeeignet haben.

«Die entscheidende Frage ist, wie die digitalen Mittel so genutzt werden, dass sie die analogen wirklich ersetzen und ihren Effizienzvorteil ausspielen können.»

In der Pandemie sind ja die weltweiten Emissionen etwas zurückgegangen, die Videokonferenzen haben oft Dienstreisen ersetzt. Damals hieß es, dass sich hier ein klimafreundlicherer Trend etablieren könnte. Allerdings ist der Treibhausgasausstoß schon wieder auf Vorkrisenniveau. War die Hoffnung verfrüht?

Grundsätzlich ist das ein positiver Trend. Ich sehe in der Digitalisierung zwei Möglichkeiten, die langfristig helfen könnten, das Klima zu schonen. Das sind zum einen Effizienzsteigerungen, zum anderen die Substitution, beispielsweise der Ersatz von klimaschädlichen Reisen durch Videokonferenzen. Wenn die Gesellschaft diese Substitution von Mobilität durch Videokonferenzen so radikal durchziehen würde wie im ersten Lockdown, wäre das netto eine sehr positive Bilanz. Das ist ja auch durch Untersuchungen belegt. Während die Verkehrsströme auf der Straße im Lockdown um mehr als 40 Prozent gesunken sind, gab es einen Anstieg bei Videokonferenzen um 141 Prozent. Bei einer Videokonferenz zwischen z. B. Berlin und Stuttgart spare ich mehr als 99 Prozent Emissionen gegenüber dem Flugzeug und 90 Prozent gegenüber der Bahn – da ist die Nettobilanz positiv.

Das Problem sind jetzt wieder die Rebound-Effekte. Warum sind trotz der Videokonferenzen, die wir alle machen, die Verkehrsströme wieder grob auf dem Niveau vor der Pandemie? Die gesparte Zeit oder die Mittel werden offenbar in andere Fahrten oder gar Fernreisen investiert. Und Digitalisierung führt insgesamt zu einer Beschleunigung des Lebenstempos.

Die entscheidende Frage ist also, wie die digitalen Mittel so genutzt werden, dass sie die analogen wirklich ersetzen und ihren Effizienzvorteil ausspielen können. Welche Politik, welche Maßnahmen brauchen wir dafür? Das ist wichtig.

Aufzuhalten ist die fortschreitende Digitalisierung ja ohnehin nicht. Wie könnte sie nachhaltiger gestaltet werden? 

Zum einen muss, wie schon gesagt, der ökologische Fußabdruck der Herstellung der Geräte verkleinert werden, da müssen wir auch in die Produktionsländer schauen. Und sie müssen möglichst mit Erneuerbaren Energien laufen. Die Bundesregierung plant, dass alle ab 2027 neu gebauten Rechenzentren klimaneutral laufen sollen. Wir brauchen jedoch ebenfalls Maßgaben, dass auch die bestehenden nach und nach auf erneuerbaren Strom umsteigen.

Zweiter Punkt: Wir brauchen eine viel stärkere politische und gesellschaftliche Gestaltung der Digitalisierung. Sie muss so gestaltet werden, dass die Innovationen wirklich einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Und dass die energieintensiven Konsumweisen eingehegt werden. Ein Beispiel: Im ersten Lockdown haben die großen Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon prime freiwillig die Videoauflösung herabgesetzt und damit die Datentransfers verringert, damit es nicht zu Engpässen kommt. So könnte man es immer machen: die sparsame Version als Standard festlegen, und wer die Auflösung höher haben will, muss sie selbst einstellen.

Das dritte: In allen Sektoren, also auch im Verkehr, Agrarwesen, Bausektor und so weiter, sollten Politik wie auch wir Konsument:innen darüber nachdenken, welche digitalen Lösungen Nachhaltigkeit fördern, und welche eher kontraproduktiv sind. Nur dann schaffen wir es auch, Potenziale zu heben. Auch da gibt es viele Beispiele: Dass etwa Suchmaschinen und E-Commerce-Plattformen die umweltfreundlichsten Varianten markieren und ganz oben anzeigen und so nachhaltigkeitsbewusste Konsumentscheidungen unterstützen.

«Wenn ein durchschnittliches Smartphone nur zwei Jahre genutzt wird, entfallen 80 Prozent des Energiebedarfs auf die Herstellung und nur 20 Prozent auf die Nutzung.»

Was kann der oder die Einzelne tun, um die Klimaauswirkungen seines digitalen Konsums ein bisschen zu verringern? 

Immer mal wieder digital detox betreiben, mit der Frage: Wie viel Social Media, wie viel Onlineshopping brauche ich wirklich, um ein gutes und zufriedenes Leben zu führen?

Zweitens: Ökostrom beziehen. Weiterhin langlebige und reparierbare Geräte kaufen und diese möglichst lange nutzen. Wenn ein durchschnittliches Smartphone nur zwei Jahre genutzt wird, entfallen 80 Prozent des Energiebedarfs auf die Herstellung und nur 20 Prozent auf die Nutzung.

Und drittens: die vielen tollen Websites und Apps benutzen, mit denen wir unser Leben nachhaltiger gestalten können: Beispielsweise Foodsharing und Essensretter-Apps, um zu vermeiden, dass Lebensmittel weggeworfen werden. Es gibt lokale Netzwerke, mit denen wir Sharing in der Nachbarschaft organisieren können und Sachen ausleihen statt zu kaufen. Da bietet das Internet ja sehr viel, und wenn wir unsere Weihnachtsgeschenke jetzt alle gebraucht kaufen statt neu, dann ist das auch ein großer Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit.

Vielen herzlichen Dank für das Interview!
 

Fotos: Titelfoto von Felix Noak © ECDF/PR,  Chris MontgomeryJonas Leupe auf Unsplash

Buch

Steffen Lange, Tilman Santarius: Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit (2018). Oekom Verlag ISBN: 978-3-96238-020-5. Softcover

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