Stand: 25. August 2025
Die ersten 100 Tage hat die Regierung Merz nun hinter sich, und ihre Bilanz sorgt für bestenfalls gemischte Gefühle. Deutschland sollte «wieder nach vorne» gebracht werden und eine spürbar bessere Stimmung im Land herrschen, so war das Versprechen des Bundeskanzlers, doch nach den ersten Monaten mit dem neuen Kabinett muss man sich fragen, wessen Stimmung überhaupt gemeint war.
In der Erneuerbaren-Branche schwankt die Stimmung jedenfalls zwischen Irritation und ernsthafter Sorge, dass die Energiewende wieder politisch ausgebremst werden soll. Anlass dazu geben die Äußerungen der zuständigen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. In diesem Artikel erklären wir, um welche Befürchtungen es geht.
Fossile Rhetorik
Das Bekenntnis zu den deutschen Klimazielen hatte sich die schwarz-rote Koalition in den Vertrag geschrieben. Die ersten energiepolitischen Amtshandlungen, auch das soll nicht verschwiegen werden, setzten aus Sicht der Erneuerbaren durchaus positive Akzente: So wurde beispielsweise die EU-Richtlinie Renewable Energy Directive (RED) III in nationales Recht umgesetzt und damit Voraussetzungen für die Vereinfachung, Entbürokratisierung und Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren Energien geschaffen, etwa mit dem «Vergabebeschleunigungsgesetz». Beim Energy Sharing, ein lange gehegtes Herzensthema der EWS, gibt es mit einem entsprechenden Kabinettsentwurf endlich Bewegung. Die geleistete Facharbeit weist also durchaus in eine konstruktive Richtung.
Diese wird jedoch vor allem durch die Rhetorik von Katherina Reiche untergraben. Für das erste Stirnrunzeln sorgte die Ministerin schon drei Tage nach ihrem Amtsantritt, als sie ankündigte, mindestens 20 GW Leistung in Form von Gaskraftwerken zuzubauen. Im Koalitionsvertrag waren lediglich bis zu 20 GW festgelegt, ohne Vorgabe auf grünen Wasserstoff umzurüsten, wie noch von der Vorgängerregierung beabsichtigt. Ob dieses Ausmaß im Rahmen des EU-Beihilferechts überhaupt machbar ist, daran gibt es Zweifel. Für den Klimaschutz wäre so viel Erdgas jedenfalls Gift.
Doch Klimaschutz war für Katherina Reiche, die das Thema nach dem neuen Zuschnitt der Ministerien nicht mehr im Namen ihres Ministeriums führt, nach eigenem Bekunden sowieso in den letzten Jahren «überbetont». Sie wolle eine «Neuausrichtung der Energiewende» und kündigte einen «Realitätscheck» der «übertriebenen» Ausbauziele an. Diese Art der Wortwahl setzte sich in zahlreichen weiteren Äußerungen fort, in denen sie das Bild der Erneuerbaren Energien als Kostentreiber und Gas als Lösung für Versorgungssicherheit und Preisstabilität zeichnete.
Bremsung geplant, Argumente bestellt?
Im Juni gab Ministerin Reiche den Auftrag für ein Monitoring des zukünftigen deutschen Strombedarfs. Dabei umging sie die eigentlich zuständige unabhängige Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring und beauftragte das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln EWI, welchem eine erprobte Nähe zu fossilen Konzernen nachgesagt wird. Dabei setzt der Auftragstext den Schwerpunkt auf Kosteneinsparungen, nicht auf das Erreichen der Klimaneutralität.
Reemt Heuke, der für das EWS-Politik-Team das energiepolitische Geschehen fortlaufend beobachtet, kennt die Befürchtungen, die damit einhergehen: «Viele Fachbeobachter, wie die von Umwelthilfe, Germanwatch oder Epico rechnen damit, dass das beauftragte Monitoring einen geringeren Strombedarf in der Zukunft abschätzen wird als bisherige offizielle Szenarien. Dies lässt sich u.a. daran herleiten, dass dies eine im Auftragstext prominent genannte Studie annimmt und hierdurch hohe Kosteneinsparungen verspricht.
Tatsächlich ist die Elektrifizierung, also der Hochlauf von E-Mobilität, Wärmepumpen, Elektrolyseuren und Rechenzentren, langsamer vorangekommen als zuvor vermutet. Doch die Höhe des derzeitigen Stromverbrauchs einfach als gegeben anzusehen und lediglich zusätzlichen Bedarf durch weitere Elektrolyseure anzunehmen, ist unrealistisch und übersieht aktuelle Trends und die disruptive Dynamik dieser Technologien.»
Weniger Strombedarf – das bedeutete auch, dass die Erneuerbaren Energien weniger schnell ausgebaut werden müssten. Zudem gingen einige der Studien, die in das Monitoring mit einfließen, von nicht nachvollziehbaren Annahmen zu Kostensenkungen aus – zugunsten von Erdgas und «blauem» – also aus Erdgas gewonnenen – Wasserstoff. Die DUH kritisiert, dass einige der ausgewählten Studien ungeeignete Methoden aufweisen, unzureichende Transparenz bieten und nicht überzeugend belegen, wie die Klimaziele erreicht werden können.
«Der Monitoringbericht droht zur selbsterfüllenden Prophezeiung für das Ausbremsen der Energiewende zu werden, statt zur Grundlage für die Behebung ihrer Schwachstellen.»
Energieexperte Tim Meyer urteilt in seiner Kurzstudie für Germanwatch: «Das BMWE scheint die Rolle eines Beobachters der Transformation einnehmen zu wollen, nicht eines Gestalters. Der Monitoringbericht droht so zur selbsterfüllenden Prophezeiung für das Ausbremsen der Energiewende zu werden, statt zur Grundlage für die Behebung ihrer Schwachstellen.»

Angriff auf die Solarenergie
Für noch mehr Aufregung sorgte die Ministerin dann im August, als sie in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen die bislang geltende Einspeisevergütung für Photovoltaik infrage stellte. «Neue, kleine PV-Anlagen rechnen sich schon heute im Markt und bedürfen keiner Förderung», so ihre Begründung.
Doch das ist nur bedingt richtig. Zwar sind die Preise für Photovoltaikanlagen und Speicher tatsächlich stark gesunken – wie übrigens auch der garantierte Vergütungssatz –, doch wie das Portal finanztip vorrechnet, würde sich die Anschaffung einer PV-Anlage ohne Vergütung nur noch für Haushalte mit hohem Eigenverbrauch finanziell rechnen. Die Vermarktung des überschüssigen Stroms aus der Dachanlage auf dem Strommarkt ist bislang für Normalbürger keine Option: Die Regeln sind kompliziert, Smart Meter fehlen.
Der abrupte Wegfall der Einspeisevergütung hätte also ein absehbares Einbrechen des Photovoltaikmarktes zur Folge. Eine Umfrage unter Solarinstallateuren ergab, dass sich ohne eine Förderung nur noch vier von zehn Kunden eine PV-Anlage anschaffen würden. Entsprechend alarmiert ist die Solarbranche, die immerhin 150.000 Arbeitsplätze sichert.
«Photovoltaik in Bürgerhand und Bürgerenergieprojekte sind Herzstücke der Energiewende: Sie machen Klimaschutz zum Gemeinschaftsprojekt, stärken regionale Wertschöpfung und sichern Akzeptanz. Eine Streichung der EEG-Vergütung würde Ausbau und Beteiligung massiv bremsen.»
EWS-Vorstandsmitglied Sebastian Sladek findet deutliche Worte zu derartigen Gedankenspielen:
«Photovoltaik in Bürgerhand und Bürgerenergieprojekte sind Herzstücke der Energiewende: Sie machen Klimaschutz zum Gemeinschaftsprojekt, stärken regionale Wertschöpfung und sichern Akzeptanz. Eine Streichung der EEG-Vergütung würde Ausbau und Beteiligung massiv bremsen und das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Verlässlichkeit der politischen Rahmenbedingungen untergraben. Statt überhasteter Kürzungen braucht es verlässliche Anreize, um das notwendige PV-Wachstum für unsere Klimaziele und Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten zu erreichen.»
Fazit
Noch hat sich der von der Wirtschaftsministerin gesetzte Ton nicht in konkrete Beschlüsse niedergeschlagen. Doch allein die getätigten Äußerungen haben die Erneuerbaren-Branche und die Klimaschutzbewegung in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Das von Reiche geschaffene Klima der Unsicherheit darüber, was in Zukunft noch wie gefördert wird, sorgt jetzt schon für Zurückhaltung bei Investitionen – eine Situation, die in einer globalen Notlage wie der Klimakrise nicht hinnehmbar ist.
Unstrittig gibt es bei der Energiewende noch Baustellen, wie beispielsweise den verschleppten Netzausbau. Doch die Antwort darauf kann nur lauten, diese entschieden anzugehen, und nicht, den Erneuerbaren-Zubau zu verlangsamen und solange die Abhängigkeit von der «Brückentechnologie» fossiles Gas zu fördern.
Der Monitoringbericht erscheint dem Zeitplan nach Anfang September und wird uns wahrscheinlich weiter beschäftigen.
Titelfoto: picture alliance/Geisler-Fotopress/Bernd Elmenthaler
Quellen und weiterführende Links
- Die Energiewende nimmt Fahrt auf, die Wirtschaftsministerin sucht die Bremse – Christian Stöcker, Kolumne auf Spiegel.de
- Reiches Angriff auf die Solarenergie – Yves Venedey, steady
- Private Solaranlagen: Reiche zieht den Stecker – Augsburger Allgemeine
- Energie-Geist zum Gruseln, Biomasse für sichere Versorgung und Wissenschaft als Randnotiz – Sebastian Sladek in seiner Kolumne im klimareporter°