Energiepolitik

Am 15. April ist es endlich amtlich: Die letzten verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland gehen vom Netz. Doch die Nutzung von Atomenergie wird uns weltweit weiter beschäftigen.

Deutscher Atomausstieg: Ein wichtiger Schritt, aber kein Schlussstrich

Zunächst einmal dürfen wir uns sehr freuen, dass der deutsche Atomausstieg trotz einer kleinen Extrarunde nun komplett vollzogen ist. Kein Atomkraftwerk wird nach dem 15. April mehr am Netz sein. Zu verdanken haben wir das dem hartnäckigen jahrzehntelangen Einsatz der Anti-Atom-Bewegung. Auch die Anfänge der EWSsind eng damit verbunden. Alles begann 1986 mit dem schrecklichen Super-GAU in Tschernobyl: Von einem Tag auf den anderen war die Welt eine andere, das Risiko der Nutzung von Atomkraft wurde rund um den Globus offenbar.

GAUs führen zum Aus

Die Bewegung für saubere Energieformen bekam kräftig Aufwind - und die Schönauer Stromrebellen trugen entscheidend mit dazu bei, dass der Umstieg auf Erneuerbare Energien konkrete Formen annahm: mit dem Ökostrom aus der Steckdose. Doch die Atomlobby hatte einen langen Atem und schaffte es weiter, Politik und öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Die Katastrophe von Fukushima, die sich am 11. März zum 12. Mal jährte, rückte einmal mehr die hohen Sicherheitsrisiken der Kerntechnologie ins Bewusstsein von Politik und Gesellschaft und veranlasste die damalige Merkel-Regierung dank eines von der Anti-Atom-Bewegung erzeugten Handlungsdrucks dazu, den erst kurz zuvor herausgezögerten Atomausstieg auf das Jahr 2022 vorzuziehen. Niemand hätte sich damals wohl vorstellen können, dass eine Regierung unter Beteiligung der Grünen, die ja 2002 gemeinsam mit der SPD den Atomausstieg festgezurrt hatten, eine mehrmonatige Laufzeitverlängerung der letzten drei Atommeiler bis ins Jahr 2023 beschließt. Aber die im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ausgelöste Energiekrise führte dann zu dieser kontrovers diskutierten politischen Entscheidung. Nichtsdestotrotz ist der deutsche Atomausstieg nun endlich vollendet und es hat sich gezeigt, dass ein langer Atem auch Früchte tragen kann. 

Die alten Märchen halten sich

Doch damit ist das Thema noch lange nicht vom Tisch. Auch wenn es 100 gute Gründe gegen Atomkraft gibt und viele Fakten über die damit verbundenen Risiken und Kosten, wird immer mal wieder über die vermeintlichen Vorteile der Atomenergie debattiert. So geschehen bei der Sendung der ARD Tagesthemen vom 7. März 2023. Darin sprach sich Kerstin Palzer, Journalistin und Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio Berlin, mit fehlerhaften Aussagen für eine weitere Verlängerung der Atomlaufzeiten aus. Wir kommentierten diese in einem breit geteilten Thread auf Twitter:

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Ein (hoffentlich letzter) Anti-Atom-Frühling

Im Wissen darüber, dass der Atomausstieg kein Selbstläufer ist, haben .ausgestrahltund BUNDden Anti-Atom-Frühling ausgerufen, der seinen Höhepunkt am 15. April bei drei Anti-Atom-Demonstrationen am AKW Neckarwestheim, an der Brennelementefabrik Lingen und in München finden wird. Gefordert wird dabei auch eine Abschaltung der Atomanlagen in Gronau und Lingen und des Forschungsreaktors in Garching.

Hier zeigt sich bereits, dass weiter viel zu tun sein wird, um vor allem auch international aus der Atomkraft auszusteigen – eine Herkulesaufgabe. Denn weltweit gibt es noch hunderte Atomkraftwerke. Zudem wird Atomenergie ja auch militärisch unter anderem bei U-Booten genutzt. Und auch hierzulande wird uns die Frage der Endlagerung des Atommülls noch eine lange Zeit beschäftigen. Insofern ist der deutsche Atomausstieg kein Schlussstrich!

Es stimmt jedoch zuversichtlich, dass Deutschland nicht das einzige Land in der Welt ist, das sich gegen die Nutzung von Atomenergie ausgesprochen hat. In Dänemark, Griechenland, Italien, Irland, Kuba, Litauen, Neuseeland, Österreich und Palau ist das bereits Status Quo, während Taiwan (2025) und Spanien (2035) in den nächsten Jahren folgen werden. Außerdem nimmt der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung weiter ab.

Die Fakten sprechen gegen Atomkraft

Erst kürzlich hat das DIW Berlin eine lesenswerte Studieherausgegeben, in der aufgeschlüsselt wird, dass bis 2040 etwa 200 Atomkraftwerke vom Netz gehen werden, während im gleichen Zeitraum nach aktuellem Stand nur 53 Neubauprojekte (ca. 50 Gigawatt) anstehen. Darin heißt es auch, dass sich deren Entwicklung jedoch als langwierig erweist, abgesehen von 21 aktiven Ausbauprojekten in China. Zudem würden bei 26 der laufenden Neubauprojekte momentan Verzögerungen in der Planung, Genehmigung oder Fertigstellung auftreten - teilweise von mehr als 10 Jahren. Die Erneuerbaren Energien würden andererseits eine ungebrochene Dynamik im Ausbau erfahren und auch wegen der in der Zukunft zunehmenden Elektrifizierung den Anteil der Atomenergie im Strommix weiter verringern.

Fakt ist zudem, dass Atomkraft teuer und gefährlich ist. Das hat das DIW Berlin in einer weiteren Studiesehr gut herausgearbeitet.

«Atomkraft war niemals auf die kommerzielle Stromerzeugung ausgelegt, sondern auf Atomwaffen. Atomstrom war, ist und bleibt unwirtschaftlich. Darüber hinaus ist Atomkraft mitnichten sauber, sondern aufgrund radioaktiver Strahlung für über eine Millionen Jahre gefährlich für Mensch und Natur.»

Prof. Dr. Christian von Hirschhausen (Studienautor)

In der Publikation wird untermauert, dass Atomkraft mit erheblichen Umweltrisiken und nicht zu vernachlässigenden Emissionen über die Prozesskette hinweg verbunden ist. Da mutet es befremdlich an, dass die EU im vergangenen Jahr neben Erdgas auch die Atomkraft als nachhaltig einstufte. Damit wird dem Narrativ der Atomlobby von der sauberen Technologie Rechnung getragen. Diese kehrt gerne unter den Tisch, dass die Atomkraft zum einen nur mit sehr hohen und immer wieder aus dem Ruder laufenden staatlichen Milliardensubventionen genutzt werden kann. Und zum anderen muss die kosten- und zeitintensive Entsorgung bzw. Lagerung aufgrund des langsamen radioaktiven Zerfalls des Atommülls über viele 100.000 Jahre sichergestellt werden, damit Schäden für Mensch, Tier und Natur vermieden werden. Die aktuelle EU-Taxonomie ist also nichts anderes als Greenwashing. Zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang ein Gastkommentar von Mycle Schneiderim EWS Energiewende-Magazin.

«Die atomfreundliche Taxonomie wird am langsamen Untergang der Industrie nichts ändern. Vor 15 Jahren ging das letzte AKW in den 27 EU-Mitgliedstaaten in Bau, jenes in Flamanville. Seitdem ging nur ein neues AKW in Betrieb, im März 2022 in Finnland, nach 17 Jahren Bauzeit. 1989 waren 136 Reaktoren in der EU in Betrieb, heute sind es noch 103 – darunter 56 in Frankreich, von denen aber nur etwa die Hälfte Strom liefert.»

Mycle Schneider, Berater für Energie- und Atompolitik

Die Hintertür führt nach Russland

Unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung läuft übrigens eine kritikwürdige politische Maßnahme: Denn obwohl sich die westlichen Demokratien im Zuge des brutalen Angriffskrieges von Putin auf die Ukraine immer mehr aus der fossilen Abhängigkeit von Russland gelöst haben, wurde der Atomsektor von direkten Sanktionen ausgeschlossen. Auf diese Problematik machen beispielsweise der vom BUND herausgegebene Uran-Atlas 2022und das veröffentlichte Faktenblatt «Atomkraft und die Abhängigkeit von Russland» aufmerksam. Dabei rückt vor allem der ungebrochene Einfluss des russischen Staatskonzerns «Rosatom» auf die globale Atomindustrie in den Fokus. Der wohl größte Atomkonzern der Welt ist dem Kreml direkt unterstellt und dient diesem als politisches und wirtschaftliches Machtinstrument. Der Journalist Jürgen Döschner hat sich diesem Thema im EWS Energiewende-Magazinangenommen.

Für den russischen Umweltaktivisten Vladimir Slivyak, Träger des Alternativen Nobelpreises und Stromrebell 2022, und seine Organisation «Ecodefense» ist «Rosatom» schon lange der Erzgegner. Als er gemeinsam mit Anti-Atom-Initiativen aus dem Emsland und Münsterland im vergangenen Jahr mutmaßte, dass die Brennelementefabrik des französischen Unternehmens «Framatome» in Lingen im September 2022 eine Lieferung angereicherten Urans des russischen Atomkonzerns erwartete, um es zu Brennstoff für westeuropäische Atomkraftwerke weiterzuverarbeiten, war er sofort zur Stelle mit einer Protestaktion. Mit seinen Mitstreiter:innen fordert er die EU-Regierungen dazu auf, die Kooperation mit «Rosatom» sofort zu beenden und den Konzern zu sanktionieren.

Fazit

Die Geschichte der Atomkraft ist in Deutschland auserzählt, auf internationaler Ebene noch nicht. Auch die strahlenden Hinterlassenschaften in Form des Atommülls und AKW-Schutts werden uns noch jahrzehntelang beschäftigen. Die hohen Kosten und die Überalterung des Kraftwerksparks werden jedoch den Abwärtstrend der Atomkraft weiter beschleunigen. Die Zukunft ist Erneuerbar!