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Rebellische Energie für alle!

Teil 6 der EWS-Geschichte von Bernward Janzing

Im liberalisierten Strommarkt wird die Glaubwürdigkeit der Schönauer Stromrebellen zum Erfolgsgaranten.

Was bisher geschah: Die Stromrebellen haben nach zwei Bürgerentscheiden und der Akquise von viel Bürgergeld das Stromnetz und die Versorgung in ihrer Stadt übernommen. Nun öffnet die Politik den bisher stark regulierten Strommarkt – was ungeahnte Chancen bietet.

Solares Spektakel zum Stromvertriebsstart

Sommer 1999: Der «einzig denkbare solare Störfall» erfasst Teile Süddeutschlands. Es ist der 11. August, als am Mittag eine totale Sonnenfinsternis den Solaranlagen der Region kurzzeitig ihre Energie raubt. Nach zwei Minuten völliger Dunkelheit ist der Höhepunkt des Naturschauspiels schon wieder vorbei. So harmlos fällt der Super-GAU der Solarwirtschaft aus.

Am Tag dieses solaren Störfalls ist Michael Sladek beim Solarunternehmen Paradigma in Karlsbad zugegen. Die Firma feiert ihr zehnjähriges Jubiläum. Firmengründer Alfred Ritter ist Mitinhaber der gleichnamigen Schokoladenfabrik im schwäbischen Waldenbuch und hat mit den Elektrizitätswerken Schönau insofern viel gemeinsam, als auch bei ihm die Strahlenwolke aus Tschernobyl ihre Spuren hinterließ. Denn im Frühsommer 1986 hatte er plötzlich Probleme, unverstrahlte Nüsse einzukaufen. «Das hat bei mir viele Denkprozesse ausgelöst», sagt er später.

So viel Gemeinsamkeit verbindet. Und während an jenem Sommertag 1999 in der Nähe von Karlsruhe die Sonne hinter dem Mond verschwindet, verkündet Sladek den Festgästen den Einstieg in den bundesweiten Verkauf von Ökostrom – «Rebellenkraft für alle» sozusagen. Ritter unterschreibt sofort. Er wird der erste EWS-Kunde außerhalb Schönaus. Für Michael Sladek ein spektakulärer Start ins junge Stromgeschäft – auch wenn er in diesem Moment nicht ganz sicher ist, ob das mit dem bundesweiten Verkauf tatsächlich immer so einfach funktionieren wird.

Gegenwind – und bundesweite Unterstützung

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Ursula Sladek, Mibegründerin der EWS, zur Strommarktliberalisierung

Zu Recht: Der Wettbewerb wollte nicht so richtig in die Gänge kommen, obwohl der Strommarkt bereits seit April 1998 liberalisiert war. Die Altmonopolisten blockierten die neuen Anbieter, wo immer sie konnten. Eine Aufsichtsbehörde für den Strommarkt gab es noch nicht, die hatte FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt erfolgreich verhindert. Und die Gerichte brauchten ihre Zeit.

Allen Schwierigkeiten, die sich damit nicht nur für die EWS, sondern für alle neuen Marktakteure ergeben, zum Trotz: Die Entscheidung für einen bundesweiten Stromvertrieb duldete keinen Aufschub mehr. Aus zwei Gründen: Zum einen waren mit der Marktöffnung Abtrünnige im eigenen Schönauer Netz zu befürchten. Was, wenn all die Gegner des Netzkaufs plötzlich den EWS den Rücken kehren sollten? Also galt es, bundesweit Kunden zu gewinnen, um einen möglichen Kundenverlust vor Ort kompensieren zu können.

Die Kunden haben uns nach der Liberalisierung auf diesen Weg getrieben.

Rolf Wetzel, EWS-Mitgründer

Der zweite Grund war schlicht die überrregionale Nachfrage. Ein Anrufer aus Hamburg hatte sich in den Wochen zuvor bereits in Schönau gemeldet und Interesse bekundet: «Ich finde das gut, was ihr macht, und möchte euren Strom kaufen.» Spätestens damit war den Stromrebellen klar: Die EWS müssen sich dem bundesweiten Markt öffnen. Rolf Wetzel sagt später: «Die Kunden haben uns nach der Liberalisierung auf diesen Weg getrieben.» 

Gegen die Lehrsätze der Ökonomie

Nach gängiger Lehre war der Versuch der EWS, mit den großen Konzernen im Stromhandel zu konkurrieren, reichlich vermessen. Denn zwei Regeln galten im jungen Strommarkt als unumstößlich. Erstens: Nur wer groß ist, überlebt. Und zweitens: Am Anfang des Erfolgs steht ein angemessener Werbeetat.

In einem solchen Wettbewerb hätten die EWS eigentlich keine Chance haben dürfen. Denn ein großes Unternehmen waren sie wahrlich nicht. Und Geld für Werbung hatten sie noch viel weniger. Die EWS waren nach allen Lehrsätzen der Ökonomie in dieser frühen Marktphase ein typischer Übernahmekandidat: arbeitsintensiv, teuer, ineffizient.

Doch die reine Lehre kann irren. Die EWS agieren am Markt plötzlich erfolgreicher als viele jener Anbieter, die Millionen in Anzeigen, Fernsehspots und Plakatwände stecken. Den EWS gelingt, was sich jeder Stromversorger im Kampf um Marktanteile wünscht: Sie halten ihre Kunden im angestammten Versorgungsgebiet und sie gewinnen neue Kunden von außerhalb hinzu. Ende 1999 haben die EWS bereits 2345 Kunden – 567 mehr als ein Jahr zuvor. Selbst drei gewerbliche Kunden haben bis Jahresende auf «Rebellenstrom» umgestellt.

Ein lupenreines Angebot für preiswerte, klimaschonende und atomstromfreie Energie!

Aktions-Website einer Berliner Weinhandlung, 2000

So erweist sich der jahrelange Kampf gegen die Atomkraft nun als Wettbewerbsvorteil. Während viele Versorger sich nachsagen lassen müssen, ihre grünen Stromangebote seien nicht mehr als ökologische Feigenblätter, wurden die EWS durch ihr jahrelanges ökologisches Engagement als besonders vertrauenswürdig wahrgenommen.

Der Schönauer Ökostrom war plötzlich in der ganzen Republik gefragt; zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen verbreiteten die Schönauer Idee und unterstützen damit auch den Stromvertrieb.

Rund 5000 neue Kunden jährlich gewannen die Elektrizitätswerke Schönau in der folgenden Zeit. Im Jahr 2004 überschreitet der Stromabsatz die Marke von 100 Millionen Kilowattstunden. Denn nicht nur Privatkunden wechseln zu den EWS, sondern auch Firmen. Die Expansion der EWS erfordert bald auch neue Geschäftsräume. Im Mai 2004 zieht das Unternehmen in ein altes Fabrikgebäude an der Friedrichstraße.

Auch Schönau profitiert

Die vielen Befürchtungen, die zu Zeiten des Netzkaufs die Menschen in Schönau bewegt hatten, haben sich offenkundig nicht erfüllt: Weder ist es in Schönau zu Stromausfällen gekommen, noch hat sich die Netzübernahme als unternehmerisches Fiasko erwiesen. «Heute sind die EWS eines der umsatzstärksten Unternehmen», stellt im Jahr 2008 auch Schönaus Bürgermeister Bernhard Seger fest. Und das macht sich natürlich auch bei der Gewerbesteuer bemerkbar, die in die Stadtkasse fließt.

Die Vorgängerin, die Kraftübertragungswerke Rheinfelden, hatte einst per Flugblatt gewarnt: «EWS wird die Stromversorgung in Schönau wirtschaftlich nicht betreiben können.» Sie lag, wie man heute weiß, massiv daneben: Der Jahresüberschuss des Bürgerunternehmens beläuft sich zwei Jahrzehnte nach Gründung auf rund drei Millionen Euro. Wobei diese Zahlen freilich nicht mehr alleine aus dem Netzbetrieb in Schönau resultieren.

Ein Erfolgsmodell findet Aufmerksamkeit

Die Schönauer Erfolgsgeschichte wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht: Bereits 1996 war Michael Sladek von der Umweltstiftung WWF Deutschland und dem Wirtschaftsmagazin Capital zum «Ökomanager des Jahres» gekürt worden, im Jahr 2003 bekamen Ursula und Michael Sladek zusammen den «Europäischen Solarpreis». 2004 schließlich wurde das Ehepaar stellvertretend für die Schönauer Energie-Initiativen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Weitere Auszeichnungen sollten folgen: im Herbst 2006 der «Preis der Arbeit» des Forums Zukunftsökonomie e. V., im Sommer 2007 der «Deutsche Gründerpreis», die bedeutendste Auszeichnung für Jungunternehmen in Deutschland. 2011 erhielt Ursula Sladek den amerikanischen «Goldman Environmental Prize» – einen der weltweit renommiertesten Umweltschutzpreise.

Mit den Preisen wächst auch das Renommee, und so verkauft sich der Schönauer Strom in allen Teilen der Republik rasant. Die Nachrichten sind es, die Kunden zum Umstieg bewegen. Dazu zählt zum Beispiel die mitunter unbekümmerte Art der Betreiber im Umgang mit Störfällen in ihren Atomreaktoren und die ungeklärte Entsorgung des Atommülls. Dazu zählt auch die Debatte um den Klimaschutz. Und ebenso bewegt die Unzufriedenheit der Kunden mit den Großkonzernen sie zum Anbieterwechsel.

Auch filmischen Niederschlag findet die Geschichte der Stromrebellen. 2007 beauftragte der Schönauer Förderverein (FuSS), eine der Keimzellen der EWS, einen Film über den bisherigen Weg der Schönauer Energie-Initiativen seit Tschernobyl. Dokumentarisches Filmmaterial aus der Vergangenheit, angereichert mit Interviews mit Initiatoren, Mitarbeitern und Wegbegleitern, belegt, was Bürger trotz größter Widerstände gemeinsam erreichen können und vermittelt bald im ganzen deutschsprachigen Raum das «Schönauer Gefühl» – so auch der Titel des 2008 veröffentlichten Films.

Genossenschaft als Grundlage für Partizipation und Expansion

Längst haben die EWS erheblich expandiert. Dafür musste das Unternehmen auch seine Strukturen anpassen: Im September 2009 wurde aus der historisch gewachsenen Netzkauf GbR die EWS Elektrizitätswerke Schönau eG. Die großen Umsätze, das vielfältige Geschäft und die damit verbundenen unternehmerischen Risiken machten diesen Schritt erforderlich. Zumal keine Rechtsform besser zu diesem Bürgerunternehmen passt als eine Genossenschaft. Zudem sollten auch die Bürger, speziell die Stromkunden, Teilhaber ihres Versorgers werden können – als Vollendung des partizipativen Gedankens, der von Anfang an eine wichtige Rolle bei allen Aktivitäten der Stromrebellen spielte.

Heute ist das Unternehmen in verschiedensten Geschäftsbereichen tätig: Es liefert Strom, Gas und regional auch Nahwärme, erzeugt zunehmend selbst Strom, erbringt Dienstleistungen für Kommunen und realisiert Mieterstromprojekte. Heute sind die EWS die größte Energiegenossenschaft Baden-Württembergs. Die EWS-Gruppe, die über die Dachgesellschaft EWS Elektrizitätswerke Schönau eG rund über 13.000 Genossenschaftsmitgliedern gehört, ist ein mittelständisches Unternehmen geworden – und dabei ein politisches Unternehmen geblieben.

Portrait Bernward Janzing

Bernward Janzing, geboren 1965 in Furtwangen im Schwarzwald, studierte zunächst Geografie, Geologie und Biologie in Freiburg und Glasgow. Heute ist er einer der bekanntesten Energiejournalisten Deutschlands. Für seine Arbeit erhielt er 2009 den «UmweltMedienpreis» der Deutschen Umwelthilfe e. V. Sein 2008 publiziertes Buch «Störfall mit Charme» beschreibt den Widerstand der «Schönauer Stromrebellen» gegen die Atomenergie. Zur Website von Bernward Janzing.

12. November 2017 | Energiewende-Magazin