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Atomkraft – steuerfrei am Aus vorbei?

Ein Bericht von Armin Simon

Viele Atomkraftwerke sind längst unwirtschaftlich. Nur die Aussicht, dass die Brennelementesteuer Ende 2016 wegfallen könnte, hält sie noch am Netz.

Der CDU-Redner im Bundestag ist voll des Lobes. Es gehe um «Subventionsabbau» und darum, «die direkte Bevorzugung der Kernenergiewirtschaft zu beenden». Die geplante Brennelementesteuer sei dafür «der richtige Weg». Das war 2010.

Sechs Jahre später legen CDU und CSU den Rückwärtsgang ein. Nach ihrem Willen soll die Steuer, die sich nach der Menge an spaltbarem Uran und Plutonium in den Brennstäben bemisst, Ende 2016 ersatzlos wegfallen. Jedem Reaktor würde das pro Tag rund 500.000 Euro in die Kasse spülen – ein Milliardengeschenk an Eon, RWE und EnBW. Viele Meiler hält einzig die Aussicht auf diese erneute Subvention noch am Netz.

Börsenstrompreis im Keller

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Denn Atomkraft an sich rechnet sich nicht mehr. Der Zuwachs bei den Erneuerbaren Energien – sie liefern inzwischen jede dritte Kilowattstunde Strom –, der Preisverfall bei Gas und Steinkohle und die gigantischen Kraftwerksüberkapazitäten haben die Börsenstrompreise in den Keller purzeln lassen.

2011 kostete die Megawattstunde an der Europäischen Strombörse im Schnitt noch 52 Euro, 2016 gerade noch die Hälfte. Großhandelspreise um die 25 Euro pro Megawattstunde aber, so Eon-Chef Johannes Teyssen auf der Jahreshauptversammlung des Energiekonzerns im Juni, reichten auch für den Betrieb von Atomkraftwerken «dauerhaft nicht aus».

Steuerbefreiung – oder abschalten

Weil die AKW-Betreiber einen Großteil ihres Stroms bis zu drei Jahre im Voraus verkaufen, schlagen die aktuellen Börsenstrompreise nur verzögert bei ihnen durch. Ihre Einnahmen werden also weiter sinken. Sollte die Brennelementesteuer, die mit etwa 15 Euro pro Megawattstunde zu Buche schlägt, über 2016 hinaus erhoben werden und die Strompreise so niedrig bleiben, dürfte das für etliche Reaktoren das Aus bedeuten.

RWE-Chef Peter Terium erklärte schon im März recht unverblümt, dass sich AKW nur dann noch rechneten, wenn der Staat auf eine Besteuerung des Brennstoffs verzichte. Laufen lassen könne RWE seine Meiler bei den derzeitigen Großhandelspreisen zwar noch, sagte er damals dem Handelsblatt. «Ein Wechsel der Brennelemente lohnt sich aber nicht.»

Zum gleichen Schluss kam Eon beim AKW Grafenrheinfeld. Laut Atomgesetz hätte das bis Ende 2015 laufen dürfen. Dafür hätte es allerdings 2015 nochmal neuen Brennstoff benötigt, für den Steuer angefallen wäre. Eon schaltete den Meiler aus diesem Grund schon am 27. Juni 2015 ab.

CDU/CSU lehnen Verlängerung ab

Anders als sonst üblich haben Union und FDP die Brennelementesteuer bei ihrer Einführung auf sechs Jahre befristet. Eine Verlängerung bedarf einer kleinen Gesetzesänderung. Die lehnen CDU und CSU kategorisch ab: Die Steuer sei eigentlich nur zur Gewinnabschöpfung der einst geplanten AKW-Laufzeitverlängerung beschlossen worden.

Ein solches Junktim allerdings hatten sowohl Finanz- als auch Umweltminister 2010 im Bundestag vehement bestritten. «Geeinigt» mit den AKW-Betreibern, sozusagen als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung, hätte man sich lediglich auf mögliche Zahlungen an einen Energie- und Klimafonds, erläuterte Schäuble damals. Die Besteuerung des Atombrennstoffs hätte damit nichts zu tun.

Ich will in großer Ruhe und mit großer Klarheit sagen: Über die Kernbrennstoffsteuer, die Sache des Gesetzgebers ist, wird nicht verhandelt

Finanzminister Wolfgang Schäuble vor dem Bundestag, 2010

Gute Argumente für die Steuer

Inhaltlich nennt die schwarz-gelbe Regierung 2010 im Wesentlichen vier Gründe für die Einführung der Steuer:

  • Erstens die Haushalts-Konsolidierung, «besonders vor dem Hintergrund, dass sie (die Atomwirtschaft) in der Vergangenheit enorme Kosten für den Bundeshaushalt verursacht hat und auch in Zukunft verursachen wird.»
  • Zweitens die Gleichberechtigung mit fossilen Energieträgern, die durch den CO2-Emissionshandel betroffen sind.
  • Drittens die Chancengleichheit auf dem Strommarkt und den Abbau von Wettbewerbsvorteilen der AKW-Betreiber.
  • Und viertens, «weil gerade die Kosten für Endlagerung und für den Rückbau der Kernkraftwerke im Wesentlichen vom Steuerzahler in Deutschland getragen werden.»

Keiner dieser Gründe ist heute weggefallen. Atomkraft profitiert noch immer von milliardenschweren indirekten Subventionen. So müssen AKW nur eine minimale Haftpflichtversicherung vorweisen. Die AKW-Betreiber können weiterhin über steuerfreie Rückstellungen von mehr als 20 Milliarden Euro verfügen. AKW erwirtschaften noch immer Zufallsgewinne, sogenannte «windfall profits», durch den Emissionshandel. Und einen großen Teil der zu erwartenden dreistelligen Milliardenkosten für die jahrtausendelange Lagerung des Atommülls sollen die Energiekonzerne nun ganz offiziell auf die Steuerzahler abwälzen dürfen.

Nullsummenspiel beim Atommüll-Risiko

Das Risiko steigender Atommüllkosten tragen – laut einem Gesetzentwurf der Bundesregierung – künftig nicht mehr die Verursacher des Mülls, sondern die Steuerzahler. Die AKW-Betreiber sollen dafür lediglich einen einmaligen «Risikozuschlag» von gut sechs Milliarden Euro bezahlen.

Diese Summe entspricht ziemlich genau den sechs Milliarden Euro, die sie bis 2022 bei einem Wegfall der Brennelementesteuer einsparen würden. Unterm Strich könnten sie sich so zum Nullpreis aus der Verantwortung für ihren Atommüll stehlen. Dem Bundeshaushalt dagegen drohen dadurch selbst nach Berechnungen im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums Belastungen von bis zu 58 Milliarden Euro.

Steuerschlupfloch kostet dreistelligen Millionenbetrag

In die Röhre schaut der Bundesfinanzminister auch schon heute. Einnahmen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro aus der Brennelementesteuer haben Schäubles Experten für 2016 angesetzt. Noch Ende Oktober beharren sie darauf – eine Luftnummer. Denn längst ist klar, dass dieses Geld niemals zusammenkommen wird: Wie schon 2010 nutzen die AKW-Betreiber gezielt ein Steuerschlupfloch, um den Fiskus um einen dreistelligen Millionenbetrag zu prellen.

Möglich macht dies ein Passus im Kernbrennstoffsteuergesetz. Demnach fällt die Steuer nicht etwa beim Erwerb des Brennstoffs an oder dann, wenn Uran und Plutonium im AKW gespalten werden. Erhoben wird sie vielmehr nur, wenn ein frisches Brennelement zum ersten Mal für eine selbsterhaltende Kettenreaktion genutzt wird – ob es anschließend sofort wieder ins Lagerbecken wandert oder jahrelang im Reaktorkern im Einsatz bleibt, spielt keine Rolle.

RWE fuhr deshalb 2010 kurz vor Weihnachten seine beiden Meiler im hessischen Biblis herunter, verschob etliche nur zum Teil abgebrannte Brennelemente ins Lagerbecken und bestückte die Reaktoren mit möglichst viel frischem Brennstoff – alles noch steuerfrei. Andere Betreiber folgten dem Beispiel vermutlich. Statt der veranschlagten 1,3 Milliarden Euro nahm der Fiskus 2011 so nur 922 Millionen Euro ein.

Gleiches Spiel 2016: Der Finanzminister fällt erneut darauf rein. Diesmal setzen alle AKW-Betreiber bei der turnusmäßigen Revision ihrer Reaktoren im Sommer im Schnitt sogar nur ein Drittel so viel frische Brennelemente ein wie sonst üblich. Anfang 2017 planen sie im Gegenzug zusätzliche «Tankstopps» – wie sie hoffen, dann steuerfrei. Diesmal würde der Trick den Fiskus sogar um die 700 Millionen Euro kosten.

Zusätzliche Strahlenspitzen

RWE räumt öffentlich ein, dass das «Nachtanken» des Reaktors Gundremmingen C allein dem Steuersparen dient. Damit jedoch widerspricht es dem Minimierungsgebot im Strahlenschutz. Denn beim Öffnen des Reaktordeckels schnellen die radioaktiven Emissionen regelmäßig um ein Vielhundertfaches nach oben. Diese Strahlenspitzen stehen im Verdacht, für die Häufung von Leukämiefällen bei Kindern im Umfeld von AKW verantwortlich zu sein.

Als die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt den Steuertrick und die Blauäugigkeit des Finanzministers öffentlich macht, sorgt das selbst unter Haushaltspolitikern von CDU und CSU für Unruhe: Die 700 Millionen Euro sind schließlich bereits eingeplant. Mehr als 220.000 Bürger fordern Schäuble Anfang November auf, das Steuerschlupfloch endlich zu schließen. Juristisch würde dafür schon eine kleine Verlängerung der Brennelemente-Steuer ausreichen, etwa um ein Jahr. Reagiert hat Schäuble bis dato allerdings noch nicht.

16. November 2016 | Energiewende-Magazin