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Ehrliche Strompreise: Chance vertan, Lobby wohlauf

Ein Kommentar von Peter Ugolini-Schmidt und Sebastian Sladek

Die Bundesregierung verhindert in Brüssel die Aufspaltung der deutschen Strompreiszone, um die Industrie im Süden vor steigenden Kosten zu schützen.

Der deutsche Strommarkt ist schon verrückt: Egal ob in Regensburg, Recklinghausen oder Rostock: Überall gilt der gleiche Preis, der Stromgroßhandelspreis. Das liegt daran, dass der Gesetzgeber so tut, als sei der bundesweite Strommarkt eine gigantische Kupferplatte. Als sei allein dank der Leitfähigkeit von Kupfer die jeweilige geografische Lage der beteiligten Akteure irrelevant. Als könne eine Erzeugungsanlage in der Oberpfalz jederzeit problemlos Verbraucher an der Ostsee versorgen und umgekehrt. Ein Land, eine Preiszone – alles im reibungslosen Fluss. Soweit die gesetzgeberische Theorie.

Es klemmt im deutschen Stromnetz

Die Praxis indes sieht anders aus, denn unser Stromnetz erlebt durchaus Engpässe, und zwar immer dann, wenn in einer Ecke des Landes mehr Strom entnommen werden soll, als dort vorhanden ist. Der vor Ort benötigte Strom müsste dann aus der Ferne durch den Flaschenhals vorhandener Leitungen fließen – was die Übertragungskapazitäten aber nicht hergeben. Dann hilft nur noch ein «Redispatch», ein spezieller Kniff der Netzbetreiber: Sie regeln Stromerzeuger vor dem Leitungsengpass ab, fahren Kraftwerke dahinter ersatzweise hoch und stabilisieren das Netz. Das kostet allerdings: seit 2015 zwischen knapp einer Milliarde und eineinhalb Milliarden Euro jährlich. Bezahlt wird diese Praxis – über die Netzentgelte – von den Endverbrauchern. Allerdings nicht von allen: Weitestgehend ausgenommen von der Zahlung der Entgelte sind die Automobil-, Chemie- und Elektroindustrie, und zwar ausschließlich aus Gründen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Ein-Zonen-Politik um jeden Preis?

Um die Engpässe zu beseitigen und Netzstabilisierungskosten einzudämmen, wirbt die Bundesregierung seit Jahren für einen massiven Ausbau der Übertragungskapazitäten. Ganz der Zentralisierungslogik der Großkonzerne folgend, verkündet deren Adlatus Peter Altmaier regelmäßig, dass die Stromautobahnen sowie der Erhalt der deutschen Preiszone für ihn höchste Priorität besäßen.
 
Doch um den Ausbau steht es nicht gut: Netzkapazitäten fehlen immer noch, vor allem in der Mitte der Republik. Und das wird durch den starken Zubau von Windenergie sowie die Kohlekraftwerke im Norden und Osten weiter verschärft. Gegen die Trassen, die den Strom aus dem Norden in den erzeugungsarmen Süden leiten sollen, regt sich seit Jahren Widerstand; nur ein Bruchteil der Leitungen konnte bisher gebaut werden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Bundesrepublik ihre großspurig proklamierten Netzausbauziele für 2025 klar verfehlen wird.
 
Deshalb sollte eine andere Lösung her. Ein absolut plausibler Vorschlag liegt schon lange auf dem Tisch – nämlich die Kupferplatten-Denke und mit ihr die einheitliche Preiszone endlich aufzugeben. Stattdessen sollte es mindestens zwei Zonen in Deutschland geben. Das fordert auch die Europäische Kommission, zuletzt bei den Verhandlungen zum europäischen «Winterpaket». Die Idee: eine Zone nördlich der Mainlinie, wo das Stromangebot weiterhin deutlich höher sein wird als die Nachfrage, und eine südlich davon, wo das Angebot mit dem Atomausstieg 2022 noch knapper werden wird.
 
EU Fahne weht vor dem Parlamentsgebäude in Brüssel
Winterpaket

Am 30. November 2016 veröffentlichte die Europäische Kommission das sogenannte Winterpaket mit neuen klima- und energiepolitischen Zielen bis 2030. Es besteht aus acht Verordnungen und Richtlinien und soll insgesamt dem europäischen Strombinnenmarkt neuen Schwung verleihen: Der soll grüner und marktwirtschaftlicher werden und die Verbraucher stärken. Alle EU­-Mitgliedsstaaten müssen das Winterpaket bis spätestens Mitte 2021 in nationales Recht überführen.

Impulse für Preisgerechtigkeit und Klimaschutz

Was bringt die Aufteilung? Zunächst einmal einen Wohlfahrtsgewinn von bis zu einer Milliarde Euro, wie kürzlich eine Studie nachwies. Denn viele der teuren und umstrittenen Trassen würden überflüssig, Netzstabilisierungsmaßnahmen wie Redispatches entfielen, womit wiederum die Netzentgelte sinken könnten.

Durch die Aufteilung würde zudem der Strompreis im erzeugungsstarken Norden sinken. Im erzeugungsarmen Süden wiederum wäre mit einem höheren Stromgroßhandelspreis zu rechnen, was endlich die überfälligen marktwirtschaftlichen Anreize für den dezentralen Ausbau der Erneuerbaren im Süden – und damit für mehr Klimaschutz – setzen würde. Für die kleineren Verbraucher im Süden blieben die Auswirkungen vernachlässigbar, weil die Entwicklungen beim Stromgroßhandelspreis, mit denen zu rechnen wäre, für deren Tarifkonditionen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Außerdem würden Kleinabnehmer durch die sinkenden Netzentgelte entlastet, welche ja immerhin ein gutes Viertel ihres Endverbraucherpreises ausmachen.

Klingt eigentlich prima. Bleibt nur die Frage, warum es diese Impulse setzende Idee letztlich doch nicht in das finale Gesetzespaket der EU geschafft hat.

Ein weiteres altmaiersches Armutszeugnis

Die Antwort ist so naheliegend wie ermüdend: Weil die Industrielobby wieder einmal ganze Arbeit geleistet hat. Denn für die Kosten der energieintensiven Großverbraucher südlich der Mainlinie, die ja ihren Bedarf in der Regel direkt an der Strombörse decken, wäre die Erhöhung des Marktpreises nun einmal ein zentraler Faktor. Und von den sinkenden Netzentgelten hätten sie nichts – sie zahlen ja ohnehin keine. Weil sie nun die zusätzlichen Kosten um jeden Preis verhindern wollten, drohten sie – wen wird’s überraschen? – mit Abwanderung und Arbeitsplatzverlusten. Umso größer ist bei ihnen nun die Freude, dass Minister Altmaier unbeirrt an der Kupferplatten-Ideologie festhält – und damit an der indirekten Subventionierung der Südindustrie. Gar zu herb wäre wohl die Enttäuschung ausgefallen, wenn ausgerechnet Altmaier in Brüssel dafür gesorgt hätte, dass endlich diejenigen, die viel Strom verbrauchen, auch den angemessenen Marktpreis dafür bezahlen.

Dass dem nun nicht so ist, läuft einerseits den Interessen aller kleinen Verbraucher diametral zuwider und ist andererseits auch ein echter Rückschlag für die bürgernahe Energiewende. Statt sich auf eine gerechtere Kostenverteilung und auf eine ernsthafte Diskussion über die Vor- und Nachteile eines dezentralen Strommarkts einzulassen, statt die Chancen einer regionalen Preisbildung im Hinblick auf eine effizientere und systemverträglichere Stromversorgung mit Erneuerbaren in Betracht zu ziehen, lässt diese lobbygetriebene Politik dem ressourcenblinden Irrsinn des Strommarkts weiter freien Lauf. Danke, Herr Altmaier – für nichts.

 

Portrait Sebastian Sladek und Peter Ugolini-Schmidt

Sebastian Sladek (links), 1977 geboren und in Schönau aufgewachsen, studierte Klassische Archäologie in Freiburg und nahm 2008 seine Tätigkeit bei den EWS auf. Seit 2011 ist er dort in geschäftsführender Verantwortung und seit 2015 auch Mitglied des Vorstands.

Der 1981 geborene Peter Ugolini-Schmidt (rechts) lebt in Berlin. Als studierter Politik- und Wirtschaftswissenschaftler arbeitet er seit über zehn Jahren im Bereich Energie- und Klimapolitik. Seit 2018 ist er energiepolitischer Sprecher der EWS.

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27. Mai 2019 | Energiewende-Magazin