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Wasserstoffnutzung mit Vernunft

Ein Gastkommentar von Claudia Kemfert

Ob der Einsatz von Wasserstoff das Klima schont, hängt nicht nur von der Art der Herstellung ab, sondern auch davon, wo er verwendet wird.

Derzeit hat das Thema Wasserstoff Hochkonjunktur, allenthalben wird von seinen Einsatzmöglichkeiten geschwärmt. Dazu kommen üppige Förderungen für vielerlei Forschungsprojekte, die jetzt schon in Verteilungskämpfe münden. Doch Obacht vor zu viel Euphorie: Schon in den 1980er-Jahren gab es Kräfte, die eine «Wasserstoffgesellschaft» propagierten. War es damals die Atomwirtschaft, die mit der Umwandlung von Strom in Wasserstoff ihr Geschäftsmodell legitimieren und in die Zukunft fortschreiben wollte, so ist es heute vorrangig die Fossilindustrie.

Doch der Einsatz von Erdgas oder gar Kohle zur Herstellung von Wasserstoff – samt der Einlagerung des dabei entstehenden Kohlendioxids – verlagert das Problem nur, ist ein teurer Etikettenschwindel und muss zwingend ausgeschlossen werden. Denn damit würde der Umstieg hin zu einer echten klimaschonenden und nachhaltigen Energiewende erschwert statt erleichtert.

Dabei ist wirklich nachhaltiger, aus Erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff durchaus ein wichtiger Baustein der Energiewende – aber eben nur ein kleiner. Wasserstoff kann zwei Funktionen im Rahmen der Energiewende übernehmen: Zum einen könnte er uns auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energiewirtschaft als Langfristreserve dienen. So müssten beispielsweise Windkraftwerke nicht mehr abgeregelt werden, wenn die Netzkapazitäten erschöpft sind, sondern es ließe sich mit ihnen statt Strom einfach Wasserstoff produzieren und für Zeiten des Energiemangels speichern – was uns außerdem teure und in der Bevölkerung umstrittene Netzerweiterungen ersparen würde. Zum anderen kann Wasserstoff auch bei der lokalen Energiebereitstellung eine wichtige Rolle spielen – denn schließlich werden wir jede Menge grünen Wasserstoff benötigen, um unsere Industrie zu dekarbonisieren.

Auf die Erzeugung kommt es an

Wasserstoff ist kostbar. Er ist quasi der «Champagner» unter den Energieformen. Seine Herstellung erfordert drei- bis fünfmal so viel Energie, als wenn man Erneuerbare Energien direkt nutzen würde. Deshalb sollte man Wasserstoff vernünftigerweise nur dort einsetzen, wo es keine andere – vor allem elektrische – Möglichkeit gibt. Und wie bereits erläutert: Aus ökologischen wie ökonomischen Gründen darf Wasserstoff nicht aus Öl, Gas oder Kohle hergestellt werden, also sogenannter «grauer», «blauer» oder «türkisfarbener» Wasserstoff, sondern muss zwingend «grün», eben aus Erneuerbaren Energien, erzeugt werden. Ansonsten erreichen wir die Umweltziele, allen voran die des Pariser Klimaschutzabkommens, nicht – und das wird in jeder Hinsicht teuer.

Wer also von Wasserstoff träumt, muss in Erneuerbare investieren und diese deutlich schneller ausbauen als bisher – denn die Herstellung von Wasserstoff ist kostspielig und wird sich nur rechnen, wenn man überschüssigen und abgeschriebenen Strom aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung hat. Damit aus Wasserstoff und Erneuerbaren ein wirkungsvolles und zukunftsweisendes Team werden kann, müsste man zudem Energieproduzenten grundsätzlich erlauben, Wasserstoff auf Vorrat zu erzeugen, zu nutzen und zu verkaufen. Auch alle unnötigen Abgaben bei der Herstellung sollten entfallen.

Importperspektive

Aktuelle Studien belegen: Der Import von Wasserstoff ist enorm teuer. Sowohl der Bau neuer als auch der Umbau existierender Erdgaspipelines ist kostenaufwendig. Der Transport per Schiff wird erst ab Entfernungen von über 4.000 Kilometern wirtschaftlicher als der durch Pipelines. Diese hohen Kosten machen den ohnehin schon nicht günstigen Wasserstoff nochmals teurer. Es spricht also alles dafür, den Wasserstoff hierzulande herzustellen – die Erzeugung in Deutschland sollte sogar oberste Priorität haben. Eine mögliche Wasserstoffproduktion in Kooperation mit anderen Ländern wie beispielsweise mit denen des Maghreb ist nicht falsch und kann auch im Rahmen von EU-Nordafrika-Kooperationen unterstützt werden. Doch sollte man unbedingt einen Schritt nach dem anderen machen und den Schwerpunkt auf die Inlandsherstellung von Wasserstoff legen – denn dies schafft zudem Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort.

In dieser Hinsicht wäre es sinnvoll, die Produktion von Wasserstoff aus Windenergie zu ermöglichen, statt Windkraftanlagen abzuregeln und trotz Widerstand aus der Bevölkerung Netze auszubauen. Doch erst, wenn darüber hinaus die vorhandenen Marktbarrieren abgeschafft werden, kann es zum erhöhten Einsatz von Wasserstoff kommen. Dies bedeutet vor allem, unnötige Abgaben und Umlagen zu streichen sowie Produktion, Transport und Handel auch durch Energieunternehmen zu ermöglichen. Ob und wann sich die Produktion von Wasserstoff rechnet, hängt jedoch entscheidend davon ab, wie schnell Erneuerbare Energien in Deutschland ausgebaut und die Rahmenbedingungen angepasst werden.

Grün, hierzulande erzeugt und sinnvoll eingesetzt

Grüner Wasserstoff ist also wichtig – doch in welchen Bereichen ist sein Einsatz überhaupt vernünftig? Wasserstoff als Treibstoff für Pkw ist zwar immer wieder im Gespräch, «Champagner» im SUV-Tank hilft aber weder dem Klima noch der Wirtschaft, sondern ist bloße Verschwendung oder eine simple Verlagerung der klimaschädlichen Emissionen von der Straße in die «blaue» Wasserstoffindustrie. Was wir stattdessen brauchen, ist eine aktive Verkehrswende. Dafür sollte man gezielt die Elektromobilität über den flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur fördern, ebenso den öffentlichen Personennah- und Schienenfernverkehr.

Nicht anders sieht es im Bereich der Wärmeversorgung aus. Denn auch der ebenfalls verschwenderische oder klimaschädliche Einsatz von Wasserstoff im Gebäudebereich sollte – und kann – verhindert werden: etwa durch die Förderung energetischer Gebäudesanierung oder den konsequenten Einsatz Erneuerbarer Energien zur Heizung und Warmwasserversorgung.

Wirklich sinnvolle Einsatzpotenziale für den kostbaren Wasserstoff finden sich am Ende vor allem im Industriebereich. Im Fokus stehen dabei besonders energieintensive Produktionsprozesse und Transportaufgaben, wie beispielsweise die Herstellung von Stahl oder die Bereiche Schwerlast- und Schiffsverkehr. Hier mit einem konsequenten Umbau neue Einsatzbereiche und Technologien für den wertvollen Energieträger zu ermöglichen, könnte gute Voraussetzungen für eine Wasserstoffnutzung mit Vernunft schaffen – also grün und effizient.

 

Eine Frau, blondes schulterlanges Haar, Brille, schwarze Bluse blickt vor blauem Hintergrund freundlich direkt in die Kamera.
Prof. Dr. Claudia Kemfert

Claudia Kemfert, 1968 in Delmenhorst geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften in Bielefeld, Oldenburg und Stanford. Seit 2004 ist sie Leiterin der Abteilung «Energie, Verkehr, Umwelt» am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und seit 2020 Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. 

Die mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin ist Ko-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen und zudem im Präsidium der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.

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21. Mai 2021 | Energiewende-Magazin