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Adieu Fessenheim

Jean-Paul Lacote und Axel Mayer im Gespräch mit Bernward Janzing

Das Uralt-AKW Fessenheim geht endlich vom Netz. An den länderübergreifenden Widerstand erinnern uns zwei altgediente Aktivisten.

Das Atomkraftwerk im französischen Fessenheim wird Ende Juni nach 43 Jahren abgeschaltet. Im Februar ging bereits Block 1 vom Netz, nun folgt Block 2. Das Kraftwerk unmittelbar an der Grenze zu Südbaden war seit Jahrzehnten vor allem auf deutscher Seite heftig umstritten, auch wegen Sicherheitsmängeln.

Im Gespräch äußern sich zwei langjährige Vertreter des badisch-elsässischen Atomwiderstands: Axel Mayer war schon vor 45 Jahren auf dem Bauplatz in Wyhl am Kaiserstuhl dabei, er war bis zu seinem Ruhestand Ende 2019 Geschäftsführer des «Bund für Umwelt und Naturschutz» (BUND), Regionalverband Südlicher Oberrhein. Jean-Paul Lacote ist seit Jahrzehnten bei der Umweltschutzorganisation «Alsace Nature» aktiv und hat tiefen Einblick in die französische Atomwirtschaft, unter anderem als Mitglied der Kontrollkommission «CLIS» des AKW Fessenheim.

Das Interview fand eine Woche vor dem Abschalttermin in den Räumen des BUND Südlicher Oberrhein in Freiburg statt. Das komplette Gespräch können Sie hier auch anhören

 

Herr Mayer, Sie sprachen mal von drei Flaschen Sekt, die Sie kalt gestellt haben. Für welche Gelegenheiten?

Axel Mayer: Die erste Flasche gibt es jetzt zur Fessenheim-Abschaltung. Aber damit sind die Probleme ja nicht vorbei. Die zweite Flasche sollte man noch etwas aufheben, weil die GAU-Gefahr so lange besteht, wie die Brennelemente in den Nasskühlbecken lagern – also noch drei bis vier Jahre. Und die dritte Flasche Sekt, die muss dann wirklich eine gute sein, die man auch ein bisschen aufbewahren kann, die trinken wir in einer Million Jahren. Also dann, wenn die radioaktiven Abfälle zerfallen sind.

Herr Lacote, ist das Ende des AKW Fessenheim auch ein Erfolg der grenzüberschreitenden Anti-Atom-Bewegung?

Jean-Paul Lacote: Ja, ich glaube, die deutsche Seite hat großen Anteil daran. Deren Widerstand war sehr groß und hat die Machthabenden gezwungen, diese Entscheidung zu treffen.

In Deutschland repräsentierte der Widerstand immer einen Querschnitt der Bevölkerung: Da waren alle politischen Strömungen vertreten. Auch waren Junge und Alte dabei, die Stadt- und die Landbevölkerung, Professoren, Studenten, die Winzer, die Landfrauen, alle. Wie war der Widerstand in Frankreich?

Jean-Paul Lacote: Der Widerstand gegen die Atomenergie war nach 1968 sehr groß. Aber er ging irgendwann nicht weiter – anders als in Deutschland. Präsident François Mitterrand versprach, die Bevölkerung zu fragen: Wollt ihr Atomenergie, ja oder nein? Obwohl er diese Frage aber nie wirklich gestellt hat, brach der Widerstand in sich zusammen.

Die gemeinsame Sprache hat bei dem Widerstand eine sehr große Rolle gespielt, das Elsässisch-Alemannisch.

Jean-Paul Lacote, Mitglied der Umweltschutzorganisation «Alsace Nature»

Axel Mayer: Man sollte auch erwähnen, dass der Protest in Frankreich viel früher angefangen hat als bei uns. Wir erlebten 1975 den Höhepunkt der Anti-Atom-Bewegung, als das Atomkraftwerk in Wyhl verhindert wurde. Aber der Baubeginn in Fessenheim war früher, und auch dort wurde bereits protestiert. Es ist auch wichtig zu wissen, dass es nicht mit der Atomenergie angefangen hat, sondern mit einem extrem umweltgefährdenden Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim. Das war noch die «erschreckend gute alte offene ehrliche Umweltverschmutzung», so wie wir sie bis heute aus den hintersten Ecken Indiens kennen. In Marckolsheim gab es die erste Bauplatzbesetzung. Sie war stark französisch getragen und wir Deutschen haben sie unterstützt. So konnte das Bleichemiewerk 1974 verhindert werden. Und dann erst kam der Bürgerprotest von Frankreich nach Wyhl. In Deutschland haben wir immer nur diesen deutschen Protest wahrgenommen, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass wir manchmal etwas besser organisiert waren. Wir haben Banner hergestellt, wir haben Plakate gedruckt, wir waren optisch sichtbarer.

Jean-Paul Lacote: Die gemeinsame Sprache hat bei dem Widerstand eine sehr große Rolle gespielt, das Elsässisch-Alemannisch. Das Elsass ist germanisch – in den Köpfen vieler Franzosen. Da hatte es die französische Regierung immer schwer, die Hand drauf zu haben. Die eigene Sprache war eine Stärke für die Gegend.

Collage mit Transparenten, Plakaten und Stickern: alle mit dem Aufdruck Nai hämmer g'sait.
«Nai hämmer gsait» (mitunter auch «hanmer»): das erste, elsässische Banner (links unten) bei der Bauplatzbesetzung in Marckolsheim 1974/75. Das ikonische «Urplakat» (links oben) des Freiburger Grafikers Hubert Hoffmann wurde vielfach adaptiert. Quelle: mitwelt.org
Collage mit Bildern von frühen Protesten der beiden Protagonisten.
V.l.n.r.: Auch die Fischer vom Rhein waren dabei: Demo im August 1974 am Kaiserstuhl. Schon vor 45 Jahren in Aktion: Axel Mayer im Wyhl-Widerstand. Fest im Sattel, jederzeit: Jean-Paul Lacote. Foto (Mitte): Archiv Meinrad Schwörer, Quelle: mitwelt.org
Historisches schwarz-weiß Foto: ein Demozug mit zahlreichen Menschen steht französischen Polizisten, deren Rücken man sieht, gegenüber.
Grenzüberschreitender Protest am 6. Juni 1981: Atomkraftgegner aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz an der Brücke in Neuf-Brisach. Foto: Marcel Mochet / Getty Images
Auf einer Bühne stehen zwei ältere Herren, jeweils mit Mikrofonen in der Hand. Beide tragen T-Shirts mit der Anti-Atom-Sonne.
Ein eingespieltes Team – ob auf Französisch, Deutsch oder Alemannisch: Jean-Paul Lacote und Axel Mayer. Foto: Archiv Axel Mayer
Collage mit Fotos diverser Demo-Situationen.
Fast 50 Jahre Fessenheim-Protest: Die erste Demo fand im April 1971 in Fessenheim statt, später ging der Widerstand vermehrt von Deutschland aus. Fotos u. a. von Till Westermayer (2)

Das heißt, wenn es schon damals solche Sprachbarrieren gegeben hätte, wäre die Entwicklung der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen so nicht möglich gewesen?

Axel Mayer: Das glaube ich auch. Der grenzüberschreitende alemannische Dialekt spielte eine ganz wichtige Rolle auf den Bauplätzen. Da wurde Schwyzerdütsch, Elsässisch und Badisch gesprochen. Aber es war nicht nur die gemeinsame Sprache. Auch die alemannische Regionalkultur nahm damals einen Aufschwung. Das, was man «Kulturelite» nennt, war auf den Plätzen vertreten: Liedermacher, Künstler und Künstlerinnen aus der Region, aus den drei Ländern. Die haben einen wesentlichen Beitrag zum Protest geleistet. Es war einfach eine gute Mischung, der Widerstand war breit in der Bevölkerung verankert.

Und so wurden ja nicht nur das Bleichemiewerk und Wyhl verhindert, sondern – was gerne vergessen wird – auch ein Atomkraftwerk in Kaiseraugst in der Schweiz. Und was noch stärker in Vergessenheit geraten ist: Auch in Gerstheim im Elsass, in der Nähe von Straßburg, wurde durch eine Bauplatzbesetzung ein Atomkraftwerk verhindert. Zudem haben wir einen dritten und einen vierten Reaktor in Fessenheim verhindert, die ja ebenfalls noch geplant waren. Auch das ist ein Erfolg der Umweltbewegung am Oberrhein. Übrigens: Der Platz für die beiden zusätzlichen Reaktoren war auf dem Kraftwerksgelände in Fessenheim stets mit umzäunt – heute ist das ein wertvolles Biotop.

Eine solche Zahl von verhinderten AKW-Projekten gibt es nirgendwo sonst in Europa. Sind die Menschen hier im Dreiländereck besonders aufmüpfig?

Axel Mayer: Es gibt natürlich immer diese Rückbesinnung auf den «Deutschen Bauernkrieg» und auf die Revolution 1848. Aber ich denke, hier wird immer ein bisschen übertrieben. Wenn ich mir die Lage in Deutschland genauer anschaue, handelte es sich überall dort, wo gefährliche Atomanlagen verhindert wurden, um sehr konservative Regionen. Das war hier der Kaiserstuhl – kohlrabenschwarz politisch. Es war Wackersdorf, die Wiederaufarbeitungsanlage im tiefsten schwarzen Bayern. Es war Gorleben, auch in einer sehr konservativen Gegend. Ich denke, das liegt jetzt nicht nur an den Konservativen, sondern einfach daran, dass der Widerstand überall dort aufgeflammt ist, wo es die Regierenden geschafft haben, die Bevölkerung massiv zu erzürnen und gegen sich aufzubringen.

Die Bewegung am Oberrhein war auch ein Ja zu Europa.

Axel Mayer, langjähriger Geschäftsführer des BUND-Regionalverbands Südlicher Oberrhein

Am Oberrhein haben zwei Länder – oder vielleicht besser: zwei Regionen – zusammengefunden, die 30 Jahre vorher noch im Krieg gegeneinander waren. Welche Bedeutung hatte dieser gemeinschaftliche Widerstand für die europäische Einigung?

Axel Mayer: Die Bewegung am Oberrhein war auch ein Ja zu Europa. Es gab damals ein Lied von François Brumbt: «Mir keie d Grenze über de Hüff und danze drum herum.» Also: Wir werfen die Grenze über den Haufen und tanzen drum herum. Es war immer eine Bewegung auch für Demokratie. Es war eine Bewegung für Europa, für ein grenzenloses Europa. Heute gibt es zwar viele deutsch-französische und Deutsch-Schweizer Gremien, aber das sind meistens irgendwelche Institutionen oder Dinge, die von Europa mit Geld gepampert werden. Die grenzüberschreitende Umweltbewegung war stets unabhängig von europäischen Zuschüssen.

In Frankreich nahm die Atompolitik dann einen anderen Weg als in Deutschland …

Axel Mayer: Zu Anfang der zivilen Nutzung der Atomenergie stand gleichzeitig der Traum von ihrer militärischen Nutzung – auch in Deutschland unter Atomminister Franz Josef Strauß, der wie viele andere die deutsche Bombe wollte. Aber dann gingen die Entwicklungen in verschiedene Richtungen: Deutschland kam Gott sei Dank nicht in den Besitz der Atombombe, während Frankreich zum Atomwaffenstaat wurde. Dieser Zusammenhang zwischen Atombombe und Atomkraftwerken macht einen großen Unterschied der beiden Länder aus.

Jean-Paul Lacote: Ganz klar! Erst kürzlich gab es wieder entsprechende Äußerungen von Emmanuel Macron: Der französische Präsident bezieht seine Stärke aus der Atombombe, wenn er in Europa einen Machtanspruch äußert. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU ist Frankreich der einzige Staat in Europa, der die Atombombe besitzt. Und um sie zu besitzen, braucht Frankreich Atomreaktoren.

Kommen wir zur Schweiz: In Basel gibt es den «TRAS», den «Trinationalen Atomschutzverband». Welche Rolle hat die Eidgenossenschaft im Atomwiderstand der Region gespielt?

Axel Mayer: Der TRAS hat wirklich was ganz Eigenes. Es gibt auf der einen Seite die Gemeinden, die gegen Fessenheim sind. Denen gegenüber stehen die Bürgerinitiativen, die NGOs, der BUND, den ich immer vertreten habe, und die Parteien. Man hat dann aber etwas gesucht, was dazwischensteht – das ist der TRAS. Als in Frankreich ein «Schneller Brüter» gebaut werden sollte und letztendlich auch gebaut wurde, war der aus der Schweiz kommende Widerstand relativ stark. Damals gründete man schon eine ähnliche Organisation – einen Verband, der zur Finanzierung von Klagen und Gutachten von den Gemeinden Geld einsammelte. Der TRAS vertritt eine Million Menschen und hat es über die Jahre hinweg geschafft, dass immer wieder qualifizierte Einsprüche kamen. Er arbeitet auf wissenschaftlicher und juristischer Ebene. Beim TRAS, in dessen Vorstand ich bin, fasziniert mich immer wieder, mit welcher Schweizer Präzision die Sitzungen und Veranstaltungen ablaufen.

Collage verschiedener Demos, in der Mitte die Anti-Atomsonne beschriftet mit den Worten: Deutsch-französisch-schweizerische Freundschaft.
Gemeinsamer Widerstand im Dreiländereck Quelle: mitwelt.org

Wenn andere Bewegungen heutzutage versuchen, aus den Erfolgen am Oberrhein zu lernen, welche Erkenntnisse könnten sie mitnehmen?

Axel Mayer: Das ist natürlich eine ganz gefährliche Frage. Wir haben in Wyhl den Bauplatz besetzt, und da gab es dann ganz, ganz viele, die sagten: Wir imitieren das in Brokdorf oder Grohnde. Das hat aber alles nicht funktioniert. Umweltgeschichte, Erfolge und Revolutionen lassen sich nicht einfach übertragen. Zum Beispiel auch nicht auf «Fridays for Future», deswegen ist es gut, dass sie nicht so sehr auf uns hören. Sie sollen und müssen ihren eigenen Weg finden, und wir müssen sie dabei unterstützen.

Das Hauptthema ist nun die Schweiz – in Beznau steht das älteste Atomkraftwerk der Welt.

Axel Mayer, langjähriger Geschäftsführer des BUND-Regionalverbands Südlicher Oberrhein

Was sind nach Fessenheim nun die drängendsten Atomprobleme in der Region?

Axel Mayer: Das Hauptthema ist nun die Schweiz – in Beznau steht das älteste Atomkraftwerk der Welt, in Leibstadt steht ein Reaktor Typ Fukushima. Wir bekommen in der Schweiz in Grenznähe ein atomares Endlager, obwohl die geologischen Voraussetzungen dort im weltweiten Vergleich extrem schlecht sind. Aber das sind jetzt nur die regionalen Themen. International haben wir das große Problem, dass sonnenreiche Länder, wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei, Atomkraftwerke bauen wollen. Es geht ihnen um einen Machtzuwachs nach nordkoreanischem Vorbild. Ein weiteres großes Problem stellt natürlich auch die Frage der Endlagerung dar.

Herr Lacote, wie geht es in Frankreich weiter?

Jean-Paul Lacote: Die Regierung hat vor, den Anteil des Atomstroms von aktuell 75 auf 50 Prozent bis zum Jahr 2035 zu reduzieren. Das bedeutet, 14 Reaktoren müssen geschlossen werden. Jetzt steht die Frage im Raum, welche das sein werden. Die Entscheidung fiel auf Standorte, an denen mindestens vier Reaktoren stehen. Da will man dann zwei abschalten.

In Frankreich erzeugen die Atomkraftwerke derzeit deutlich weniger Strom als in den Vorjahren. Was sind die Gründe hierfür?

Jean-Paul Lacote: Es gibt Sicherheitsprobleme. Die Reaktoren werden alt und müssen instandgesetzt werden. Das geschieht normalerweise im Sommer, weil dann weniger Energie verbraucht wird als im Winter, wenn Frankreich viel Strom verheizt. Aber in der Zeit der Pandemie sind Revisionen kaum möglich, sie wurden immer wieder verschoben. Aber man kann sie nicht ewig herauszögern, deshalb müssen Reaktoren zeitweise abgeschaltet werden.

Eine Anekdote noch: Die Katastrophenschutzpläne für Fessenheim wurden einmal entführt. Erzählen Sie mal!

Axel Mayer: Das ist eine nette Geschichte: Früher waren die Katastrophenschutzpläne geheim, sie lagen in den Tresoren der Regierungspräsidien und durften nicht veröffentlicht werden. Aber in der Zeit der Inbetriebnahme von Fessenheim gab es Personen, die den Katastrophenschutzplan im Landratsamt Lörrach entwendet haben. Entwendet ist das falsche Wort: Sie haben ihn «entliehen» und fotokopiert, dann das Original zurückgegeben und das kopierte Exemplar der Presse zur Verfügung gestellt. Das war bundesweit der erste Katastrophenschutzplan, der je veröffentlicht wurde. Daher: Danke an die Leute, die sich damals so engagiert haben!

Mit dem Abschalten von Fessenheim geht eine scheinbar unendliche Geschichte nun doch zu Ende. Es gab neue Abschalttermine, immer wieder verstrichen sie. Wo war für Sie beide der Punkt, an dem Sie das Gefühl hatten: Dieses Mal ist es tatsächlich so weit?

Jean-Paul Lacote: Für mich waren das Äußerungen von Hollande …

Axel Mayer: Hollande?

Jean-Paul Lacote: Ja, François Hollande.

Axel Mayer: Tatsächlich? Damals schon hast du an die Abschaltung geglaubt?

Jean-Paul Lacote: Ich bin ja in vielen Gremien, und nach der Diskussion in diesen Gremien habe ich gemerkt, dass es möglich wird. Das war noch nicht die Entscheidung, aber ich habe gemerkt, es ändert sich was.

Axel Mayer: Glauben heißt nicht wissen. Ich habe eine Piccoloflasche Sekt geöffnet, als tatsächlich der erste Reaktor abgeschaltet wurde. Und die große Flasche Sekt wird aufgemacht, wenn der zweite Reaktor vom Netz geht. Dann erst glaube ich an die endgültige Abschaltung von Fessenheim.

Nahaufnahme zweier sehr alt aussehender Reaktorgebäude aus verwittertem Beton.
Auslöser für unzählige Demonstrationen: die beiden Blöcke des AKW Fessenheim am Rhein Foto: Bernd Lauter / Greenpeace
Blick über einen uralt anmutenden Betonzaun mit Stacheldraht, auf das Reaktorgelände.
Technik, die massiv bewacht werden muss: das Kraftwerksgelände in Fessenheim Foto: Christina Stohn
Ein Parkplatz, ein Fußweg, zwei Einfamilienhäuser, eine Anzeigetafel: alles sieht sehr neu und propper aus.
Herausgeputzt: Der Ort Fessenheim lebte jahrzehntelang vom Atomkraftwerk Foto: Christina Stohn
Ortsausgangsschild von Fessenheim, links im Bild große Strompylone.
Ende, aus und vorbei: Das Atomkraftwerk Fessenheim liegt hinter uns. Foto: Christina Stohn

Jean-Paul Lacote: Eindeutig war es für mich in dem Moment, da keine Revision mehr angemeldet wurde. Als wir gesehen haben, dass das AKW nicht den Antrag stellt für eine zehnjährige Revision, war klar: Die können nicht weitermachen.

Und wie geht es grundsätzlich weiter mit der Atomkraft?

Axel Mayer: Es gibt heute längst nicht mehr nur die ökologischen Argumente dagegen. Vor 45 Jahren waren die Aspekte des Umweltschutzes, des Menschenschutzes und der Ökologie auf unserer Seite, jetzt auch die Ökonomie. Zwischenzeitlich ist Strom aus Wind und Sonne wesentlich kostengünstiger als Strom aus neuen Atomkraftwerken. Die Aktie der «Électricité de France» ist im Keller, das Unternehmen ist wahnsinnig verschuldet.

Jean-Paul Lacote: Ich sage das auch immer – in Paris und überall. Und viele gestehen es inzwischen ein: Atomenergie kann nicht gegen Erneuerbare Energie konkurrieren.

Jetzt steht der Tag des Abschaltens in Fessenheim an – was ist da konkret geplant?

Axel Mayer: Ursprünglich war ein großes Fest in Freiburg geplant, das vom TRAS und von Bürgerinitiativen organisiert und von der Stadt Freiburg unterstützt werden sollte. Aber das ist aus Corona-Gründen nicht möglich. Deswegen gibt es jetzt eine Vielzahl von kleinen, dezentralen Veranstaltungen. Es finden Aktionen in Frankreich statt. Auf der deutschen Seite wird am Abschalttag der TRAS seine Jahreshauptversammlung haben und hinterher eine kleine Kundgebung um 18 Uhr in Freiburg durchführen. Es gibt bei der Mahnwache in Breisach, die tapfer gekämpft hat, kleine Aktionen. Ebenso in Endingen, wo es auch eine Mahnwache gab. Solche dezentralen Aktionen passen auch gut zu unserer Geschichte.

Jean-Paul Lacote: Abschalttag – du sprichst vom 30. Juni.

Axel Mayer: Ja, genau.

Jean-Paul Lacote: Aber Fessenheim wird schon am 29. Juni um 23.30 Uhr abgeschaltet.

Axel Mayer: Deswegen feiern wir am 30. Dann wissen wir ganz genau, dass es wirklich vorbei ist.

Herr Mayer, Herr Lacote, vielen Dank für das Gespräch.

 

Auf einer Brücke steht ein Mann mit grauem Rauschebart und blinzelt in die Kamera.

Jean-Paul Lacote, geboren 1945 in Roanne an der Loire, ist seit 1968 in der französischen Anti-Atom-Bewegung aktiv, unter anderem in Fessenheim. Der gelernte Schauspieler und Fliesenleger ist Mitglied von «Alsace Nature» und seit 1994 Mitglied der Überwachungskommission Fessenheim. Zudem ist er Vizepräsident der ANCCLI (Dachorganisation der Kontrollkommission französischer AKWs). Inzwischen lebt er in Südbaden und sieht sich gleichermaßen als Elsässer wie als Markgräfler.

Portrait eines älteren Mannes, auf auf einer Brücke stehend.

Axel Mayer, geboren 1955 in Teningen bei Emmendingen, ist seit der Bauplatzbesetzung im elsässischen Marckolsheim 1974 im regionalen, grenzüberschreitenden Natur- und Umweltschutz sowie in der Friedensbewegung aktiv. Von 1992 bis zum Beginn seines Ruhestands Ende 2019 war der gelernte Vermessungstechniker Geschäftsführer des BUND-Regionalverbands Südlicher Oberrhein. Seit 1992 ist er Kreisrat für die Grünen im Landkreis Emmendingen, hat sich als kritischer Geist aber nie in eine politische Schublade stecken lassen.

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29. Juni 2020 | Energiewende-Magazin