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Lecker, gesund und klimafreundlich

Ein Bericht von Constanze Wolk

Das Projekt «Klima- und energieeffiziente Küche in Schulen» (KEEKS) zeigt, wie bei der Schulverpflegung mehr für den Klimaschutz getan werden kann.

Freitags ist Pizzatag in der Mensa der Friedensburg-Oberschule in Berlin. Mit rund 300 ausgegebenen Portionen ist das einer der Tage, an denen es in der kleinen Schulküche schon mal richtig stressig werden kann. Genau wie an den Montagen – da steht Pasta auf dem Speiseplan. «Beides kommt hier besonders gut an», erklärt Murat Birdal, der die Mensa in Berlin-Charlottenburg seit vier Jahren betreibt. Unter der Woche bereitet er mit seinen fünf Mitarbeiterinnen täglich zwei warme Mittagessen zu und bietet darüber hinaus diverse kalte und warme Snacks an, wie frische Salate oder Wraps. «Alles handmade», betont Birdal.

Drei ältere Schüler essen Pizza aus der Hand.
Testessen: Pizza schmeckt auch in «klimafreundlich». Foto: Annette Etges

An diesem Freitag gibt es aber nicht einfach nur Pizza. Zur Auswahl stehen heute auch zwei klimafreundliche Varianten: klimafreundlich deshalb, weil die allein durch das, was drauf ist, für deutlich weniger Treibhausgasemissionen verantwortlich sind als die beliebte Pizza Salami. Kreiert wurde der klimatechnisch «verbesserte» Pizzabelag von der Klasse 10.11 im Fach Erdkunde, als sie sich vor ein paar Wochen intensiver mit dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und Ernährung beschäftigte.

«Die Auswahl der Zutaten ist ein entscheidender Faktor für die CO2-Bilanz eines Essens», erklärt Ralph Eyrich vom Berliner «Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung» (IZT). Er unterstützte die Jugendlichen bei ihren Recherchen im Rahmen des vom IZT koordinierten Projekts «Klima- und energieeffiziente Küche in Schulen», kurz: KEEKS. Gemeinsam entwickelten sie – den Vorlieben der Schüler entsprechend – je zwei klimafreundliche Pasta- und Pizzarezepte, die nun während einer speziellen «KEEKS-Klimawoche» in der Schulküche zubereitet und als Wahl-Mittagessen angeboten werden.

Wenn’s schmeckt, geht es doch eigentlich nur darum, Gewohnheiten zu ändern.

Murat Birdal, Mensachef der Friedensburg-Oberschule in Berlin

Umdenken nicht nur in der Küche

Die Rezepte der Schüler haben Murat Birdal und seine Mitarbeiterinnen gerne in den Speiseplan aufgenommen und sind gespannt auf die Resonanz. Als erste KEEKS-Schulküche in Berlin arbeiten sie seit Anfang 2018 daran, ihrem bisherigen Erfolgsrezept «gut, gesund und günstig» die Komponente «klimafreundlich» hinzuzufügen. Das bedeutet mit Blick auf die Zutaten: bewusst weniger Fleisch und tierische Produkte, dafür mehr Gemüse und beispielsweise Tofu oder Soja. «Sojagranulat statt Hackfleisch für die Bolognesesauce zu verarbeiten war für uns Neuland», sagt der Mensabetreiber. «Aber neue Herangehensweisen kennenzulernen und auszuprobieren finde ich immer wieder interessant. Und wenn’s schmeckt, geht es doch eigentlich nur darum, Gewohnheiten zu ändern.»

Die Herausforderung sieht Birdal deshalb auch nicht nur im Umdenken in der Schulküche, sondern darin, den Schülern den «Mehrwert» von klimafreundlichem Essen zu vermitteln, um sie mit neuen Rezepten überhaupt «zu erreichen». Dabei soll die Aktionswoche einen wichtigen Beitrag leisten. Denn da rühren die Zehntklässler für die von ihnen kreierten Gerichte nicht nur die Werbetrommel mit, sie erklären ihren Mitschülern auch, was Essen mit Klima zu tun hat und was Komponenten einer klimafreundlichen Ernährung sind.

 

Zwei Frauen stehen in der Küche und schnippeln Gemüse.
Pizzatag in der Friedensburg-Oberschule: In der Schulküche entstehen immer mindestens sechs verschiedene Pizzavarianten. Foto: Annette Etges
Verschiedene Zutaten in Schüsseln und auf einer Waage, bereit, auf dem vorbereiteten Pizzateig verteilt zu werden
Die «Klimapizza» wird nach dem Rezept der Schüler mit Mais und Paprika belegt. Im Vergleich zur Pizza Salami spart das pro Portion 200 Gramm Treibhausgasemissionen. Foto: Annette Etges
Auf einem Teller werden drei Sorten Pizza gereicht, in denen KEEEKS-Fähnchen stecken.
Altbekannte Salamipizza (links) versus zwei klimafreundliche Varianten Foto: Annette Etges
Im Vordergrund zwei jüngere Schüler, die einen Fragebogen vor sich liegen haben; im Hintergrund zwei ältere Schüler.
Feldforschung: Die Zehntklässler befragen Mitschüler, wie ihnen die klimafreundlichen Gerichte geschmeckt haben. Foto: Annette Etges

Bemerkenswerte Forschungsergebnisse

Ralph Eyrich, der neben der pädagogischen Arbeit auch das Küchenteam unterstützt, hofft indessen auf eine Vorbildwirkung weit über das Schultor der Friedensburg-Oberschule hinaus. Denn das vom IZT gemeinsam mit fünf Forschungspartnern (darunter unter anderem das «Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie», «Faktor 10 – Institut für nachhaltiges Wirtschaften» und das «Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg») konzipierte Projekt kann mittlerweile bemerkenswerte Forschungsergebnisse vorlegen. Eyrich meint: «Wenn man alle im KEEKS-Projekt ermittelten Potenziale zusammennimmt, lassen sich für jeden Schüler im Durchschnitt bis zu 400 Gramm Treibhausgas pro Mahlzeit einsparen. Das ist fast doppelt so viel, wie ein Flugzeug pro Person je geflogenem Kilometer verursacht.»

Hochgerechnet auf die bundesweit rund 2,82 Millionen Ganztagsschüler mit Anspruch auf ein Mittagessen ließen sich täglich rund 1.100 Tonnen Treibhausgas einsparen. Das entspricht der Klimawirkung von 2.960 Oneway-Flügen der Strecke Berlin – Palma de Mallorca in 20 vollbesetzten Chartermaschinen vom Typ Boeing 737-700 (laut CO2-Rechner der Klimaschutzorganisation «atmosfair»).

Modellrechnung im Praxistest

Eine Balkendiagramm zeigt die einzelnen Testergebnisse aus 22 Schulküchen.
Quelle: KEEKS-Projekt

Im Jahr 2017 wurden die Einsparpotenziale klimaschädlicher Treibhausgase an 22 Schulküchen des Trägers «Netzwerk e.V.» im Raum Köln untersucht. Dazu war in einer ersten Projektphase der Status quo der CO2-Bilanz erfasst und wissenschaftlich analysiert worden – von der Küchentechnik über die verschiedenen Arbeitsprozesse bis hin zu den einzelnen Menüs.

Anschließend optimierte das Forscherteam die Rezepte hinsichtlich der Zutaten und untersuchte dabei auch, wie sich zum Beispiel saisonal-regionale und Bio-Produkte oder das Abfallmanagement klimatechnisch auswirken. Zudem wurde genau errechnet, wie viel Energie bei der Küchentechnik gespart werden kann – sowohl durch Verhaltensänderungen, wie effizienteres Spülen oder Abschalten der Kühlgeräte während der Ferien, als auch durch Investitionen in energieeffiziente Geräte.

Auf Basis der Analysen konnten zusammen mit den Küchenchefs Lösungsvorschläge für einen geringeren Stromverbrauch und Empfehlungen für Menüs erarbeitet werden, die schülergerecht, gesund, kostengünstig und gleichzeitig klimafreundlich sind. Erste Praxistests wurden inzwischen abgeschlossen und ausgewertet. Die Ergebnisse belegen, dass sich die Treibhausgasemission im Idealfall – wenn also alle vorhandenen Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft werden können – um mehr als die Hälfte reduzieren lässt. «Das ist ein enormes Potenzial», erklärt Ralph Eyrich und prognostiziert: «Bei gleichem Erfolg wie bei KEEKS könnten deutschlandweit in den Mensen und Kantinen mehr als zwei Millionen Tonnen Treibhausgas pro Jahr eingespart werden.»

Schulküchen bundesweit Impulse geben

Wie weit die Schulküche in Berlin in Sachen Klima- und Energieeffizienz an den «Idealfall» herankommen kann, wird sich zeigen. Die bilanzierten CO2-Werte sollen hier auch nicht Gradmesser für die Erfolgsbilanz des Projekts, sondern Impuls für Mitstreiter sein. Denn die untersuchten Einsparmöglichkeiten zeigen sozusagen das maximal Erreichbare unter optimalen Bedingungen.

Von denen sind Murat Birdal und seine Mitarbeiterinnen im Bereich Küchentechnik in etwa so weit entfernt wie Deutschland von seinen Klimaschutzzielen. Denn als Pächter ist Birdal davon abhängig, was ihm das zuständige Bezirksamt in die Küche stellt. Für Investitionen in zum Beispiel energieeffiziente Kühlsysteme heißt das in Zeiten knapper Kassen erfahrungsgemäß: Fehlanzeige. «Das ist eine Sache, die wir auch auf politischer Ebene thematisieren werden», verspricht Eyrich. Zumal die Stromrechnung der Schule direkt aus der Stadtkasse bezahlt wird und die Pacht für den Mensabetreiber ein Pauschalbetrag ist – egal, wie viel Strom hier verbraucht oder gespart wird.

Für die Initiatoren von KEEKS gilt es deshalb, alle beteiligten Akteure an einen Tisch zu bringen und für Schulküchen, wie die in Berlin, handfeste Anreize fürs klima- und energieeffiziente Kochen zu generieren. Denn das nächste Etappenziel des Projekts ist es, bundesweit möglichst viele Schulen und Schulträger als Partner zu gewinnen.

 

Die beiden Männer stehen in der Küche und unterhalten sich.
Ralph Eyrich (links) vom IZT berät den Mensa-Chef Murat Birdal regelmäßig. Foto: Annette Etges
Die Küchenchefin rührt im Kochtopf, ein Mann steht neben ihr und sieht zu.
Murat Birdal und Küchenchefin Ebru Gözalan sind ein eingespieltes Team. Foto: Annette Etges
Die Küchenchefin im Hintergrund schneidet Gemüse.
Für klimaeffiziente Essen sind die Zutaten die eine Sache – der Energieverbrauch eine weitere. Foto: Annette Etges
Ein Messgerät für den Energieverbrauch
Nachdem einen Monat lang der Energieverbrauch der Geräte dokumentiert wurde, zeigt sich: Energieeffiziente Kühlsysteme würden sich hier sehr schnell amortisieren. Foto: Annette Etges

Erfahrungswerte und Kreativität

Inzwischen wissen Murat Birdal und seine Mitarbeiterinnen, welche Zutaten sie einsetzen sollten, um klimafreundlich zu kochen. Gewohnheiten großartig ändern muss das Küchenteam da allerdings nicht. Denn schon vor der KEEKS-Projektpartnerschaft wurden die Mahlzeiten hier täglich mit frischen Produkten zubereitet. Und damit in der Abfalltonne am Ende des Tages kaum Essensreste zu finden sind, hat der Berliner Mensachef auch bereits ein Rezept parat: «Weil uns Frische sehr wichtig ist, kochen wir nicht so große Mengen.»

Für Küchenchefin Ebru Gözalan bedeutet das zwar, dass bei Bedarf nach der ersten Essenspause rasch für die zweite nachgekocht werden muss. Darauf ist sie aber immer vorbereitet. Zudem werden zwei Portionsgrößen angeboten: eine für den kleinen und eine für den großen Hunger. Und wenn dann doch einmal etwas in der Essensausgabe übrig bleibt, wird überlegt, ob sich daraus für den Folgetag ein neues Gericht kreieren lässt. «Pizza Bolognese kam super an», bestätigt Gözalan.

Erfahrungswerte und Kreativität seien entscheidend dafür, dass das, was hier auf den Teller kommt, auch aufgegessen wird, so Birdal. Er weiß auch aus dem eigenen, seinerzeit eher negativ geprägten Geschmackserlebnis mit Schulverpflegung: «Es nützen die besten Zutaten nichts, wenn das Abschmecken nicht stimmt.» Da die Empfehlungen von KEEKS «Würzfreiheit» lassen, stehen die Chancen gut, künftig auch mit weiteren klimatechnisch verbesserten Gerichten bei den Schülern punkten zu können.

Engagement, das Schule machen kann

Sojagranulat soll in jedem Fall auf der Einkaufsliste bleiben. Zumal das Ergebnis einer Umfrage zu den klimafreundlichen Gerichten der am Projekt beteiligten Zehntklässler zeigt: Die Bolognesesauce auf Sojabasis hat vielen Schülern geschmeckt. Und mit einem Treibhausgasemissionswert von nur rund 350 Gramm pro Portion – statt rund 870 Gramm bei der Rindfleischvariante – liegt auch der «Mehrwert» auf der Hand. Denn bereits ein ausgegebenes Essen gleicht die Autofahrt zum Großmarkteinkauf, was die Klimawirkung angeht, nahezu aus.

Mit der Bilanz ihrer «KEEKS-Klimawoche» können alle Beteiligten zufrieden sein: Nach Berechnungen von Ralph Eyrich konnten die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu einer normalen Woche um rund 42 Prozent reduziert werden. Die gute CO2-Bilanz freut das Küchenteam. Das Entscheidende für Murat Birdal und seine Mitarbeiterinnen ist aber, dass es den Schülern «wie immer» geschmeckt hat. Denn daran wird in der Schulküche letztlich auch für KEEKS der Erfolg gemessen.

 

Logo von Keeks: Teller mit aufgemalter Sonne und Wolken, rechts davon ein Messer und links eine Gabel

Das Projekt «Klima- und energieeffiziente Küche in Schulen» (KEEKS) wird im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative vom Bundesumweltministerium mit rund 1,4 Millionen Euro gefördert. Beteiligt sind sechs Forschungspartner. Interessierten Schulen, Schulträgern und Küchenchefs bietet KEEKS unter anderem kostenlose Workshops, Weiterbildungen und individuelle Vorortbetreuung an.

Weitere Informationen finden Sie auf der Projekt-Website.

03. Juli 2018 | Energiewende-Magazin