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Ein Kind, um ein Dorf zu erziehen

Ein Nachbericht zur EWS-Weihnachtsaktion 2016 von Lisa Rüffer

2.800 WADIs verhelfen den Menschen in Uganda zu sauberem Trinkwasser. Kinder werden dabei zu wichtigen Impulsgebern.

Bei jedem Schluck Wasser wusste Lucy Anuta, dass das Trinken gefährlich ist. Die 17-Jährige lebt im Soroti-Distrikt, einem Gebiet im Osten Ugandas. Anutas große Schwester war bereits vom Trinken krank geworden. Infektionen durch verschmutztes Trinkwasser sind weltweit die zweithäufigste Todesursache. 2015 starben daran 1,8 Millionen Menschen. Typhus-, Cholera- und Durchfallerkrankungen treffen vor allem Frauen und Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern. 

Als der Typhus bei Lucy Anutas Schwester diagnostiziert wurde, war es zu spät. Sie starb am 26. Februar 2016. Neben der Trauer blieb Lucy und ihrer Familie mit jedem Schluck Wasser die Angst, wen es als Nächstes treffen könnte.

Wenn Wasser Leben kostet

Ein Regal m Schulraum ist gefüllt mit Plastikflaschen voller Wasser.
Dank des solaren UV-Messgeräts WADI steht nun im Klassenzimmer sauberes Trinkwasser für die Schüler bereit. Foto: Annette Etges

Lucy ist eines von 14 Kindern. Ihre Familie hatte davon gehört, dass Wasser krank machen kann. Doch das Abkochen dauert lange und verbraucht wertvolles Feuerholz. Filter oder Desinfektionstabletten sind zu teuer, zumal letztere dem Wasser einen scheußlichen Geschmack verleihen.

In Uganda wechseln sich monsunartige Regen- und lange Trockenzeiten ab. Das Wasser kommt aus Brunnen, die oft nicht gewartet werden, aus Flüssen und Bächen, in denen auch die Notdurft verrichtet wird, oder aus Regenwassertanks, in denen das Wasser lange steht. Es liegt auch an den mangelnden Hygienekenntnissen der Bevölkerung, dass es voller Keime ist. Nur wenige Familien haben Latrinen oder wissen, dass man sich nach dem Toilettengang die Hände wäscht.

Kinder als Wissensträger

Das WADI wird deswegen von einem Schulungs- und Aufklärungsprogramm begleitet. In Uganda arbeitet das soziale Unternehmen Helioz seit drei Jahren mit der Water School Uganda zusammen, die mit Hilfe der WADIs Kinder zu Wissensträgern macht und in den Dörfern über die Gefahr des Wassers aufklärt. Sie vermittelt den Menschen, welche Hygienepraktiken essenziell sind – etwa die richtige Latrinennutzung mit anschließendem Händewaschen.

Heute ist Agnes Katazza, Trainerin der Water School, mit ihrem Kollegen Kennedy Wanyama in Onukai Village. Zuerst sprechen sie mit dem Dorfvorsteher Onebo John. Es ist wichtig, sein Vertrauen zu gewinnen, bevor sie ihr Training vor der Dorfgemeinschaft beginnen. Onebo John freut sich auf das Training, wobei Theateraufführung der passendere Begriff wäre. So etwas passiert hier nicht jeden Tag. Mit viel Körpereinsatz erklärt Kennedy alles auf Englisch, Agnes übersetzt in die lokale Sprache. «Gerade auf den Dörfern kommt unser Training gut an», sagt sie. «In der Stadt sind die Menschen weniger offen.» Der Besuch der Water School ist immer ein aufregendes und willkommenes Ereignis.

Eine Piste zieht sich bis zum Horizont.
Eine Hauptverkehrsstraße im Soroti-Distrikt. Foto: Annette Etges
5 Hütten stehen verteilt um einen Platz, im Vordergrund hängt Wäsche auf einer Leine.
In diesen Strohhütten lebt eine zehnköpfige Familie. Aus mehreren solcher Ansammlungen setzt sich ein Dorf zusammen. Foto: Annette Etges
Portrait Agnes
«Ich bin dankbar für die Kooperation. Wir können damit so viele Menschen vor Krankheit und Tod bewahren», sagt AgnesAgnes Katazza, Trainerin der Water School Uganda. Foto: Annette Etges
Das Dorf hat sich im Schatten eines Baumes versammelt.
Agnes Katazza hat zusammen mit Kennedy Wanyama eine Schulung organisiert. Das ganze Dorf kommt zusammen. Es geht um das WADI und um Hygieneaufklärung. Foto: Annette Etges
Vor dem versammelten Dorf machen die beiden Schulungsleiter vergnügt ihre Demonstration.
Agnes simuliert die Mauer um die Latrine, Kennedy den Toilettengang. Foto: Annette Etges
Kennedy schüttelt den Dorfbewohner die Hand.
Im Anschluss Händeschütteln – ohne Händewaschen, um den Anwesenden die Weitergabe von Keimen anschaulich zu machen. Foto: Annette Etges
Kennedy zeigt einem alten Mann das Wadi.
Alle haben die Gelegenheit, das WADI genau anzuschauen und dessen Funktion zu verstehen. Foto: Annette Etges
Ein Junge wäscht sich die Hände an einem Wasserkanister.
Wie er es gerade gelernt hat: Nach dem Verlassen der Latrine wäscht sich der Junge die Hände. Foto: Annette Etges
Der Arzt spricht mit einem Jungen.
Arzt Omoding Paul hat viele Patienten – zu viele, um jeden einzelnen über Hygiene aufzuklären. Foto: Annette Etges

Entscheidend ist jedoch die Arbeit mit den Kindern in den Grundschulen der Region. Denn sie bringen das Wissen nach Hause und geben es in die Großfamilie weiter. Der langfristige Effekt ist groß. Jedes WADI, das von einem Kind nach Hause gebracht wird, erreicht im Durchschnitt sechs bis sieben Personen.

Als die Schönauer WADIs aus der Weihnachtsaktion im April 2017 auf dem Weg zu Lucy und den anderen Kindern sind, ist das Mädchen krank: Der Typhus hat sie erwischt. Zwei Wochen kann Lucy nicht zum Unterricht und muss in der Krankenstation behandelt werden. Doch sie wird gesund und lernt – zurück in der Schule – wie das WADI funktioniert und welche Hygieneregeln wichtig sind. Vier Schulen umfasst das Projekt und erreicht insgesamt mehr als 3.000 Haushalte.

WADI vor PET-Flaschen

SODIS-Methode und WADI
SODIS steht für «solar water disinfection». Diese Methode ist der einfachste Weg, Wasser frei von Bakterien, Viren und anderen Krankheitserregern zu bekommen. Es wird in durchsichtige PET-Flaschen gefüllt und in die Sonne gelegt, die UV-Strahlung tötet Keime, Viren und Einzeller im Wasser ab. Die simple Methode bringt ein Problem mit sich: Die Menschen glauben nicht an sie. Hier setzt das WADI an. Es macht den Desinfektionsvorgang sichtbar. Ein UV-Sensor misst die Sonneneinstrahlung und zeigt an, wann das Wasser in der PET-Flasche keimfrei ist – nach zwei bis sechs Stunden erscheint ein lachender Smiley. Die Methode ist von der WHO und UNICEF anerkannt.

Solar zu sauberem Wasser

Schulleiter Wabwire Charles Benardi kann viele Geschichten vom Schulalltag vor dem WADI erzählen. In den Reihen seiner Schülerinnen und Schüler klafften ständig Lücken. Die kranken Kinder verpassen viel Unterricht und behinderen das Lerntempo. Zudem mussten alle in den Trinkpausen nacheinander an der Quelle trinken – auch das kostete Unterrichtszeit. Und immer wieder starben Schülerinnen und Schüler an den Folgen des verunreinigten Wassers.

Seit sie im Frühjahr das WADI bekommen haben, sind die Krankheitsfälle deutlich zurückgegangen. Nachdem die Water School die Kinder geschult hat, ist jeden Tag eine andere Gruppe für die Reinigung des Wassers verantwortlich. 

Die stolze Anita erläutert inmitten der Schülergrupe stolz das soeben Gehörte.
Lucy Anuta wiederholt, was Trainerin Agnes den Kindern gerade erklärt hat. Foto: Annette Etges
Porträt von Anuta mit einer Flasche Trinkwasser.
Lucy hat wie jedes Kind ihre Trinkflaschen erhalten. Foto: Annette Etges
Fünf Kinder stehen am Brunnen und zapfen Wasser.
Das Wasser wird an der Quelle in Kanister gefüllt, ... Foto: Annette Etges
Eine Gruppe Kinder tragen Wasser in Kanistern auf dem Kopf.
... zu den Tischen getragen ... Foto: Annette Etges
Die Kinder füllen an einem Tisch mit zahlreichen Wasserflaschen Wasser ab.
... und in die Flaschen umgefüllt. Foto: Annette Etges
Im Vordergrund lagern abgefüllte Wasserflaschen auf Tischen, während im Hintergrund Schulkinder spielen.
Mehr Zeit zu Spielen und zu Lernen, während die SODIS-Methode wirkt. Foto: Annette Etges
Die fünf Kinder stehen an dem Tisch mit den Wasserflaschen und blicken vergnügt in die Kamera.
Heute ist diese Gruppe von Kindern für das Trinkwasser verantwortlich. Foto: Annette Etges
Portrait des Schulleiters
Schulleiter Wabwire Charles Benardi ist froh, dass seine Schüler nicht mehr ständig fehlen. Sie sind jetzt seltener krank. Foto: Annette Etges
Anuta zeigt ihrer Familie das WADI.
Lucy bringt das WADI mit nach Hause und erklärt ihren Eltern und Geschwistern, wie es funktioniert. Foto: Annette Etges
Gruppenportrait der Familie vor einer strohgedeckten Hütte.
Hoffentlich bleibt Luca und ihrer Familie ein weiterer Schicksalsschlag durch verunreinigtes Trinkwasser erspart. Foto: Annette Etges

Die Kinder füllen an der Quelle Wasser in die PET-Flaschen und breiten sie auf langen Holztischen in Reih und Glied unter dem freien Himmel aus. Dann starten sie ihr WADI. Wenn das lachende Gesicht erscheint, verteilen sie die Flaschen in eigens angefertigten Regalen in den Klassenzimmern.

Der 13-jährige Ebangu Benard ist stolz auf seine Aufgabe. Das WADI ist ein leicht verständlicher Helfer. Und abgesehen davon, dass sie jetzt immer gesundes Wasser zur Verfügung haben und nicht lange an der Quelle warten müssen, tragen Benard, Lucy und die anderen Kinder eine große Verantwortung. Manchmal braucht es eben nur ein einziges Kind, um ein ganzes Dorf zu erziehen.

EWS-Weihnachtsaktion 2016

Im November vergangenen Jahres widmeten die Elektrizitätswerke Schönau ihre Weihnachtsaktion dem WADI-Projekt. Von Mitte November bis Anfang Januar flossen für jeden Neukunden 25 Euro an das soziale Unternehmen Helioz in Wien. Ihr Team entwickelte das WADI – ein Messgerät für solare Wasserdesinfektion. Die Resonanz auf die Aktion war groß. Manuela Kräuter, Geschäftsführerin von Helioz, erzählt: «Wir hatten mit 30 bis 40 Tausend Euro gerechnet.»

Am Ende kamen rund 100.000 Euro zusammen. Damit konnten 2.800 WADIs und die Planung und Organisation ihrer Verbreitung im Projektgebiet finanziert werden. Das bedeutet für die Region insgesamt nicht nur sauberes Wasser für 3.000 Familien und damit 80 Prozent weniger Krankheiten, sondern auch 30 Prozent mehr Unterricht an Schulen und 60 Prozent weniger Feuerholz, das sonst für das Abkochen von Wasser gesammelt werden müsste.

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13. November 2017 | Energiewende-Magazin