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«Keine Zeit zur Resignation»

Ein Bericht von Tom Jost

Die Energiewende gleiche einer mühseligen Gipfelerstbesteigung, so Alexander Sladek. Um oben anzukommen, brauche man die Kraft und Ideen der Gemeinschaft.

Am liebsten hätte er ein Bild gemalt. Vielleicht so eines mit dunklen Wolken im Vordergrund und einem goldfarbenen Horizont. Vielleicht auch so, wie man’s von der Wanderstrecke kennt: «Sie stehen hier!» Aber die Generationenaufgabe «Nachhaltige Energieversorgung» taugt nicht zum Romantisieren. Und ein Wanderweg sieht irgendwie gemütlicher aus.

Alexander Sladek hat ein sprachliches Bild gewählt, um beim Schönauer Stromseminar 2018 zu verdeutlichen, weswegen trotz der manchmal entmutigenden Situation in Deutschland und der Welt «keine Zeit zur Resignation» bleibe. Grund dazu hätte man ja: Klimawandel oder Krise der Flüchtlingspolitik, Arm-gegen-Reich-Konflikte oder Knappheit von Wasser und Lebensmittel – alles komplex und miteinander verbunden. Sodass man zuweilen konsterniert fragen könne, wo denn überhaupt anzufangen sei?

Das Schönauer Ziel – mit nachhaltiger Energieversorgung die Klimaveränderung aufzuhalten – sei eines von vielen, sagt der EWS-Vorstand. Allerdings eines der besonders wichtigen, weil der Klimawandel beschleunigend hinter manch anderer Zuspitzung stehe. Und eigentlich sei die Strategie ziemlich klar: etwa auf Sonne, Wind oder Gezeitenkraftwerke zu setzen und alles, was an fossiler Energie in der Erde liege, dort zu lassen: «Was verbuddelt liegt, ist nicht die Lösung. Das Zeug wird irgendwann richtig, richtig teuer.»

Von saftigen Wiesen zum dunklen Hochwald

Alexander Sladel auf der Bühne
Foto: Albert Schmidt

Schönau liegt halbwegs nah zum Alpenrand, deshalb ist Sladeks Bild von der Energiewende als «Gipfelerklimmung» auch gar nicht so weit hergeholt. In mehreren Phasen beschreibt er den nötigen Weg als eine Art Erstbesteigung mit sehr unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Der Anfang habe darin bestanden, dieses Ziel überhaupt zu erkennen und «die Notwendigkeit, mit allen dort oben anzukommen.» Quasi vom Gipfelfuß aufwärts habe man Wege über saftige Wiesen gefunden, neue Energien entdeckt, ihre Effizienz gesteigert und die Kosten gesenkt.

Nun stehe man allerdings vor dem dunklen Hochwald. Der bedeute übersetzt: Die erneuerbaren Energieformen müssten hier vom «schmückenden Beiwerk» zur Systemverantwortung reifen. Gefragt sei jetzt ihre jederzeitige Verfügbarkeit über 24 Stunden am Tag und 52 Wochen im Jahr. Die bisherigen Zwischenerfolge – immerhin decken die Erneuerbaren mittlerweile ein Drittel der Stromerzeugung in Deutschland ab – reichten nicht aus.

Es gilt nun den Beweis anzutreten, dass die Versorgung mit erneuerbarer Energie rund um die Uhr funktioniert.

Alexander Sladek, EWS-Vorstand

In dieser wichtigen Etappe sei von der Politik freilich keine Hilfestellung zu erwarten. «Man hat uns die Wanderkarten weggenommen, die Richtungsmarkierungen entfernt und angelegte Wege wieder zuwachsen lassen. Alles, damit nicht noch mehr Leute hochwollen.» Das sei frustrierend, vor allem, wenn eine zündende Idee fürs Weiterkommen fehle und womöglich auch die Kraft. Deshalb brauche man jetzt wieder Pioniere, die im dunklen Wald vorangingen: «Pfadfinder finden vorhandene Wege, aber Pioniere legen sie an.» Menschen und Gemeinschaften eben, die mit neuen Initiativen auch ins Risiko gingen, statt sich auf gesicherte Einnahmen oder Zuschüsse zu verlassen. «Mit der Energiewende reich werden ist eine Illusion, die wir schnell abschütteln sollten.»

Mögliche Betätigungsfelder gäbe es genug

So ließen sich Nahwärme und Stromversorgung beispielsweise hervorragend koppeln, Speicher und flexible Steuerungen gehörten ausgebaut. Wenn etwa zeitweise weniger Strom erzeugt werde, so Alexander Sladek, könne man bestimmte industrielle Prozesse oder Verbraucher ebenso zeitweise abschalten, ohne dass Schaden entstehe. «Beim Kühlhaus ist auch nach zwei Stunden ohne Strom die Kühlkette noch nicht unterbrochen.» Umgekehrt könne man es bei nächtlichem Stromüberschuss auch einfach über Bedarf vorkühlen.

Die wichtigste Erkenntnis bestehe jedoch darin, nicht allein am Waldrand zu stehen. Wer nach links und rechts schaue, finde Mitstreiter, denn nachhaltige Energieversorgung werde nicht von Einzelnen realisiert, sondern von einer Gemeinschaft: «Wir sind eine Bewegung, die sich selbst bewegt und die die Welt bewegt.» Deshalb sei es wichtiger denn je, sich auszutauschen, zu vernetzen, mit den Nachbarinnen und Nachbarn Projektideen zu diskutieren: «Vielleicht hat der eine ein Dach, das besser taugt, vielleicht will der andere auch einen Stromspeicher einsetzen. So kriegen wir die Energiewende voran – in der Straße, im Quartier, im Stadtteil.» Der Abschluss der Expedition, über Hochalmen, Felsen und Geröll zum Gipfel, sei dann zwar noch keine Formsache. Aber in greifbarer Nähe.

Ein spitzbübisch aufgelegter Zuhörer hat Alexander Sladek hernach gefragt, wie es denn nach dem Gipfelsturm weitergehe. Logischerweise ja mit einem Abstieg, egal in welche Richtung? Oder mit einer aufregenden Gratwanderung? Alexander Sladek antwortete schmunzelnd: «Wenn nur genug Leute mit uns auf dem Gipfel ankommen … dann wird der quasi mit den Füßen abgetragen und eingeebnet. Und dann ist da gar kein Berg mehr.»

 

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25. Juli 2018 | Energiewende-Magazin