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Warum wir ein Ökozidgesetz brauchen – jetzt!

Ein Gastkommentar von Peter Emorinken-Donatus

Fossilkonzerne agieren weltweit – und schädigen rücksichtslos Klima und Umwelt. Die Verantwortlichen müssen völkerrechtlich belangt werden können.

Am 13. Dezember 2023 endete die 28. Weltklimakonferenz (COP28) in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das Ergebnis ist ein fauler Kompromiss ohne klares Bekenntnis zum globalen Ausstieg aus fossilen Energien. Spätestens jetzt ist klar: Die mächtigen Lobbyorganisationen, Ölkonzerne und fossilen Abnehmerstaaten des Globalen Nordens geben weiter den Ton an, halten die Fäden fest in der Hand – und tun alles dafür, um den Fossilausstieg zu torpedieren. 

Wenn westliche Staaten nun die COP28-Abschlusserklärung kritisieren, betrachte ich das als Greenwashing, denn gerade sie treiben ja die Nutzung fossiler Energien in ihren Ländern rasant voran und investieren massiv in neue fossile Megaprojekte im Globalen Süden. Dabei könnten sie den Ausstieg aus eigener Kraft voranbringen. Doch wo es keine Nachfrage gibt, entsteht auch kein Angebot, so die alte Regel der freien Marktwirtschaft. Die fossilen Lieferländer hingegen benötigen meist dringend die Devisen aus den Fossilexporten, um ihre Auslandsschulden zu tilgen. Ein Teufelskreis. 

Und so viel ist gewiss: Zum einen ist durch die fossile Expansion die Intensivierung schwerster Umweltzerstörungen, sogenannter Ökozide, vorprogrammiert. Zum anderen wissen wir längst, dass solche Ökozide die Hauptverursacher der globalen Klimakatastrophe sind. Wollen wir also unseren Planeten retten, brauchen wir ein Ökozidgesetz auf völkerrechtlicher Ebene.

Dazu legte 2021 ein unabhängiges Expertengremium, das von der «Stop Ecocide Foundation» aus Amsterdam einberufen wurde, dem Internationalen Strafgerichtshof eine «Legaldefinition» des Verbrechens vor: Unter «Ökozid» sollen demnach «rechtswidrige oder willkür­liche Handlungen» fallen, «die mit dem Wissen begangen werden, dass dadurch eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht». Im Entwurf selbst wird eine dafür notwendige Erweiterung des Römischen Statuts – also der rechtlichen Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs – vorgeschlagen. Es wäre die erste Erweiterung des Vertragstextes, der 1998 in Rom verabschiedet wurde und seit 2002 in Kraft ist. 

Fossile Expansion – mitten in der Klimakrise

Derzeit läuft ein neuer, noch intensiverer Wettlauf um fossile Rohstoffe und Investitionen an – vor allem in Afrika, wo rund 200 überwiegend ausländische Unternehmen Großprojekte in 48 afrikanischen Ländern starten, neue Fossillagerstätten erkunden und Pipelines, LNG-Terminals, Gas- und Kohlekraftwerke planen. So das Megaprojekt «Nigeria-Morocco Gas Pipeline», das sich von Nigeria auf 7.000 Kilometer entlang der west­afrikanischen Küste nach Europa erstrecken soll. Oder die «Trans-Saharan Gas Pipeline», über 4.000 Kilometer lang, die von Nigeria über Niger und Algerien geführt werden wird. Die «East African Crude Oil Pipeline» wiederum soll von Uganda über Kenia bis zur 1.400 Kilometer entfernten Ostküste von Tansania verlaufen. Und im Kongo-Regenwald will man demnächst Unmengen an Öl und Gas fördern – genau dort, wo sich das vermutlich größte Torfmoor der Erde befindet, eine riesige und eigentlich um jeden Preis zu erhaltende Kohlenstoffsenke.

Profiteure endlich in die Pflicht nehmen

Ob im Amazonas oder im Niger-Delta, in Lützerath oder in der Lausitz, ob Shell, Chevron, Wintershall Dea oder RWE, ob Ökozid-Finanziers wie die Deutsche Bank, die Commerzbank oder die Allianz – die Profitgier von Unternehmen und das Fehlen von Rechtsgrundlagen zur Verfolgung der entstehenden Schäden führen zur weiteren Zerstörung von Ökosystemen, berauben Menschen ihrer Lebensgrundlagen und treiben sie in die Flucht. Nach Schätzungen des UN-Umweltprogramms und von Interpol verursacht Umweltkriminalität jährlich Schäden von 91 bis 258 Milliarden US-Dollar. Und sie treibt die Klimakrise voran! Seit Jahrzehnten fordern daher Juristinnen und Juristen, indigene Gemeinschaften und Umweltverbände die Kriminalisierung von Umweltverbrechen – samt Kompensationszahlungen für die Opfer und der Pflicht zur Sanierung verseuchter Gebiete. 

Das Freiwilligkeitsprinzip, auf das manche so gerne verweisen, ist eine Fata Morgana – und war es schon immer. Nationale Umweltgesetze und bisherige internationale Abkommen sind völlig unzureichend, um absichtliche und fahrlässig herbeigeführte Schädigungen an Ökosystemen effektiv zu bekämpfen. Daher müssen Ökozide zum fünften Kernverbrechen gegen den Frieden erklärt werden, neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. 

Das Römische Statut etablierte die individuelle Verantwortung. Es werden also nicht Staaten oder Unternehmen bestraft, sondern die Personen, die dahinterstehen. Die verantwortlichen CEOs, Finanziers, Politiker und Regierungsbeamten müssen für ihr zerstörerisches Handeln vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden können – und zwar mit hohen Freiheits­strafen, die weh tun und abschrecken. Denn nur so kann das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als eigenständiges Menschenrecht effektiv durchgesetzt, können die neokoloniale Ausbeutung und die Fluchtursachen konsequent bekämpft werden. 

Europa muss jetzt Führung zeigen

Im November 2023 einigten sich das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten auf eine neue Richtlinie zur strafrechtlichen Verfolgung von Umweltkriminalität innerhalb der Europäischen Union, die für Umweltverbrechen Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren festlegt. Ökozid – auch wenn dieser Rechtsbegriff im Einigungstext fehlt – soll EU-weit als neuer Straftatbestand eingeführt werden. «Zu lange haben Kriminelle von schwachen Sanktionen und mangelnder Durchsetzung profitiert», erklärt EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Nun müssen das Parlament und die Mitgliedstaaten die Richtline noch förmlich annehmen, damit sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden und zwanzig Tage später in Kraft treten kann. 

Das EU-Ökozidgesetz wäre ein echter Push für die globalen Kämpfe um eine völkerrechtliche Kriminalisierung des Ökozids – und es könnte den Weg für die Erweiterung des Römischen Statuts bereiten. Hierfür ist eine Zweidrittelmehrheit der 123 Mitgliedstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs erforderlich. Eine solche Zustimmung ist möglich, aber keineswegs sicher. Die EU-Mitgliedstaaten, die über mehr als zwei Dutzend der Stimmen verfügen, müssen daher nun Führung zeigen und mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln darauf drängen, dass auch Nicht-EU-Länder der Erweiterung zustimmen. Diese Chance darf nicht ungenutzt verstreichen – denn ein Ökozidgesetz auf völkerrechtlicher Ebene wäre ein wichtiger, tabubrechender und geradezu revolutionärer Schritt hin zu einer nachhaltigen, selbstbestimmten Entwicklung und zu einer globalen Umwelt- und Klimagerechtigkeit. Die Welt braucht dieses Ökozidgesetz. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Porträtaufnahme: Ein Mann mit Glatze, Kinnbart und Brille blickt freundlich in die Kamera.
Peter Emorinken-Donatus

Der Preisträger des taz-Panter-Preises 2022 wurde 1966 in Nigeria geboren. Er arbeitet unter anderem als freier Journalist und Bildungsreferent in Köln und gilt als eine der bekanntesten deutschen Stimmen für Umwelt- und Klimagerechtigkeit aus dem Globalen Süden. Emorinken-Donatus ist Initiator, Mitbegründer und Sprecher der Bewegung «Bündnis Ökozidgesetz».

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08. Februar 2024 | Energiewende-Magazin