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Klimalandschaften – Gewinn für uns und die Natur

Ein Gastkommentar von Ute Scheub und Stefan Schwarzer

Der Klimawandel sorgt auch hierzulande für Wassernotstände. Regenerative Land-, Forst- und Wasserwirtschaft bieten Lösungen.

Wenn wir uns die Erde als einen Gesamtorganismus vorstellen, dann sind Flüsse seine Adern, der Boden seine Haut und die Pflanzenwelt seine «Schweißdrüsen». Pflanzen schwitzen über ihre Blattöffnungen Wasser aus und sorgen damit für Verdunstungskühle, Wolken und neuen Niederschlag. Diese «kleinen Wasserkreisläufe» kühlen unsere Umgebung in enormem Ausmaß und halten in der Gesamtheit auch die großen Wasserkreisläufe in Gang. Doch großflächige Landschädigungen – Abholzungen, Versiegelungen durch Städte und Straßen und mehr – zerstören und zerstückeln die verletzliche Haut der Erde, die mit ihrer vergleichsweise hauchdünnen Humusschicht fast alles Leben auf unserem Planeten nährt. In Deutschland werden täglich rund 54 Hektar Land versiegelt. Dabei sollte es genau umgekehrt sein: Wir müssten jeden Tag mindestens genauso viele Hektar Boden renaturieren, wenn wir Dürren und Fluten verhindern und für Kühlung sorgen wollen.

Wasserknappheit durch Landschädigungen

Seit 2018 erleben wir einen Dürresommer nach dem anderen, mit Rekordtemperaturen rund ums Mittelmeer, in Nordamerika, China, England und bei uns. Zwar regnet es 2023 in Deutschland im Schnitt bislang mehr als 2022, aber der Boden in 1,80 Meter Tiefe ist in weiten Teilen des Landes immer noch deutlich zu trocken und das Grundwasser sinkt vielerorts bedrohlich. Manche Forscher sagen, es müsse monatelang durchregnen, um das Defizit wieder auszugleichen. Die Klimawissenschaft erklärt die Wassernot mit dem veränderten Jetstream, dem weltweiten Höhenwind, der durch den Temperaturunterschied zwischen den Polen und den Tropen entsteht. Weil sich der Nordpol schneller erwärmt als der Rest des Planeten, schwächelt der Luftstrom, mäandert und gabelt sich, was lang anhaltende Hochs, aber auch Starkregen und Stürme verursachen kann. Außerdem beginnt die Vegetationsperiode früher im Jahr, sodass das wachsende Grün dem Boden mehr Wasser entzieht, das im Sommer dann fehlt. Zudem führen höhere Temperaturen zu einer höheren Verdunstung.

Was die Klimawissenschaft jedoch größtenteils unterschätzt, ist die Rolle von Landschädigungen. Mittlerweile ist bereits die Hälfte der globalen Waldflächen verschwunden, Flüsse werden kanalisiert und eingedämmt, Feuchtgebiete als Ackerland genutzt. Monokulturen ohne Hecken und Bäume lassen Böden austrocknen. Das Wasser wird so schnell wie möglich über Drainagen, Entwässerungsgräben und die Kanalisation abgeleitet – letztlich in die Meere. Die Bodenfeuchte geht dadurch weltweit zurück, und weil ausgetrockneter Boden Regen kaum noch aufnehmen kann, verstetigen sich die Dürren weiter. So entsteht ein Teufelskreis: Weniger Wasser in der Erde führt zu weniger Verdunstung, sodass sich weniger Wolken bilden können und erneut weniger Niederschlag fällt. Dass der Sommer 2023 in Deutschland kühler ist als der letzte, ändert nicht das Geringste an diesem Problem, das sich mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad an globaler Durchschnittstemperatur verschärft. Weltweit war der Juli 2023 sogar der heißeste Monat seit Beginn der wissenschaftlichen Messungen.

 

Eine Infografik zeigt dreimal die Landesumrisse Deutschlands, die von links nach rechts immer mehr von roter und gelber Farbe gefüllt ist.
Der tagesaktuelle Dürrezustand des Gesamtbodens (bis zu einer Tiefe von ca. 1,80 Meter) in Deutschland Quelle: UFZ-Dürremonitor/Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Es geht jetzt darum, nach Jahrzehnten der Naturzerstörung ein Zeitalter der Renaturierung einzuläuten.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen)

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat die Dringlichkeit des Handelns erkannt und das «Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz» aufgelegt. Damit sollen Moore, Wälder, Auen, Böden und Küsten renaturiert werden. Bis 2026 stehen dafür vier Milliarden Euro zur Verfügung, die ab Oktober vom neu eingerichteten «Kompetenzzentrum Natürlicher Klimaschutz» an Projekte in Kommunen und Regionen verteilt werden sollen. Das ist sehr zu begrüßen – und doch ist die Summe angesichts der gigantischen Aufgaben eher ein Sümmchen. Denn so vieles müsste getan werden!

Moore und Flusslandschaften wiederbeleben

So stünden an erster Stelle der Schutz und die Wiedervernässung der Moorflächen. Rund 95 Prozent davon sind hierzulande für Agrarland künstlich entwässert worden. Das setzt laut NABU jährlich etwa 44 Millionen CO2-Äquivalente frei, das entspricht rund fünf Prozent der deutschen Gesamtmenge an Treibhausgasen. Würden Moore wiedervernässt, könnten diese verkannten Aschenputtel zu Königinnen des Klimaschutzes aufsteigen – denn Moore speichern Unmengen von Kohlenstoff. Die Wiedervernässung schließt eine weitere agrarische Nutzung nicht aus. So könnten auf den Flächen Wasserbüffel weiden oder nachwachsende Baustoffe wie Schilf angebaut werden. Bisher gibt es dafür allerdings nur kleine Pilotvorhaben.

Auch die rund 150.000 Quadratkilometer umfassenden Einzugsgebiete deutscher Flüsse bergen ein Riesenpotenzial. Zwei Drittel der Flussufer könnten naturnäher gestaltet werden, ergab eine bundesweite Studie. An der Elbe bei Lenzen und an der Unteren Havel sind unter tatkräftiger Mithilfe der Umweltorganisationen BUND und NABU bereits wunderschöne Auenlandschaften entstanden – Labsal für gestresste Stadtmenschen und Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten wie Schwarzstörche, Adler oder Seerosen.

Das sind Projekte, in denen alle gewinnen: Auen speichern große Mengen an Wasser und CO2, puffern Hochwasser, mildern Dürre- und Klimaschäden, fördern einerseits die Artenvielfalt und andererseits die menschliche Gesundheit. Zudem sind sie oft unschlagbar preiswert. An der Unteren Havel sind es gerade einmal 30 Millionen Euro für die größte Flussrenaturierung in Europa – ein wahres Schnäppchen. Im Zuge des Bundesprogramms «Blaues Band Deutschland» sollen mehr Flüsse renaturiert werden – allein, es dauert viel zu lange! Zahlreiche Maßnahmen werden gar erst im Jahr 2027 ausgeschrieben. Viel zu viel Wasser wird noch die Flüsse hinunterfließen, bis diese Projekte dann in Jahrzehnten vollendet sein werden.

Abbildung des Covers des Buches Aufbäumen gegen die Dürre
«Aufbäumen gegen die Dürre»

Ute Scheub und Stefan Schwarzer blicken in ihrem Buch auf den Wassernotstand, den die Klimakrise zunehmend verschärft. Mitverursacht wird er durch massive Veränderungen der Landschaft, Bodenversiegelungen und gestörte Wasserkreisläufe. Scheub und Schwarzer zeigen, wie wir mithilfe des «Baumeisters Natur» dazu beitragen können, uns vor Dürre, Trockenheit und Wassermangel zu schützen. Das Buch ist 2023 im Oekom-Verlag erschienen.

Forstwirtschaft und Agrarlandschaften renaturieren

Bei der Renaturierung der Wälder geht es ähnlich langsam vorwärts. Dies ist jedoch nicht umständlichen Projektausschreibungen geschuldet, sondern schlicht der langen Zeit, die ein klimaresilienter Mischwald benötigt, um gen Himmel zu wachsen. Rund zwei Drittel der deutschen Wälder bestehen derzeit aus Plantagen, zumeist aus Fichten oder Kiefern, die billiges Holz liefern sollen und jetzt zunehmend Dürren, Waldbränden und dem Borkenkäfer zum Opfer fallen. Natürliche Mischwälder, in denen viel Totholz liegen bleibt und unzählige Lebewesen nährt, sind ähnlich wie Moore und Auen weit mehr als CO2-Senken – nämlich Schadstofffilter, Erholungsräume, Refugien für die Artenvielfalt, Wasserspeicher und Trinkwasserreservoirs.

Auch die Landwirtschaft könnte weitaus naturnäher und damit gesünder, tier- und klimafreundlicher gestaltet werden, ohne dass dadurch Fläche für die Ernährung verloren ginge, was der Deutsche Bauernverband – als bester Verbündeter der Chemieindustrie – fälschlicherweise einfach dreist behauptet. Das Gegenteil ist der Fall! Bisher werden hierzulande rund 60 Prozent der Agrarflächen für Tierfutter und Fleischproduktion benutzt und 15 Prozent für die Herstellung von Agrosprit, insgesamt also drei Viertel aller Agrarböden. Würden wir weniger Agrotreibstoff verfahren und weniger Fleisch essen, könnten wir riesige Landflächen von Monokulturen, Pestiziden und Kunstdünger befreien sowie tonnenweise Schadstoffe vermeiden, die Bodenleben töten, ins Grund- und Trinkwasser gelangen und riesige Todeszonen in den Meeren erzeugen. Die entstehen vor allem durch zu viel Nitrat, was die Algenblüte befördert und dem Wasser den Sauerstoff entzieht.

Zudem kann mit Biointensivkulturen und anderen Methoden der regenerativen Landwirtschaft auf kleineren Flächen deutlich mehr produziert werden als bisher. Humusaufbau, auch via Pflanzenkohle, speichert jede Menge CO2. Agroforstwirtschaft mit Hecken und Bäumen sorgt für Beschattung, mehr Bestäuber, Wasserrückhalt, Schutz vor Wind- und Bodenerosion sowie für neue Ertragschancen über Produkte wie Bauholz, Holzhackschnitzel, Beeren und Honig. Das Anlegen von Baumstreifen kostet an die 6.000 Euro pro Hektar. Die Bundesregierung subventioniert diese Win-Win-Win-Situation für Klima, Mensch und Natur jedoch nur mit 200 Euro, sodass Landwirte am Ende doch einen finanziellen Verlust zu erwarten haben.

 

Ein vom Sonnenlicht beschienener Acker mit Feldfrüchten
Allein die industrielle Landwirtschaft häuft hierzulande jährlich rund 55 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente an – vor allem in Form der besonders klimaschädlichen Treibhausgase Methan und Lachgas. Foto: Olaf Broders / LBV

Städte für Hitzesommer und Starkregen rüsten

Städte haben ebenfalls ein riesiges Renaturierungs­potenzial. Ein einziger großer Baum verdunstet im Sommer rund 400 Liter Wasser pro Tag und kühlt damit seine Umgebung wie zehn gleichzeitig laufende Klimaanlagen. Laut einer Studie der ETH Zürich von 2021, die rund 300 Städte in Europa untersuchte, sind urbane Orte mit vielen Bäumen und Parks um bis zu zwölf Grad Celsius kühler. Je grüner die Städte, umso niedriger die Temperaturen – das könnte in kommenden Hitzesommern Tausende Menschen vor dem Hitzetod retten.

Berlin, Hamburg und weltweit weitere Städte haben sich bereits zum «Prinzip Schwammstadt» bekannt: Perspektivisch soll aller Niederschlag direkt vor Ort versickern und verdunsten, statt wie bisher gegen hohe Entsorgungskosten in die Kanalisation abzufließen oder gar für Land unter zu sorgen. Dafür müssen die Städte allerdings gründlich umgebaut werden, mit Gründächern und Fassadenbegrünungen, Wasserrückhaltebecken in Parks und Grünanlagen, Frischluftschneisen, Regenspeichern an jedem Haus und Regenmulden unter jedem Baum.

Zudem gilt es, leere Gebäude und brachliegende Flächen zu nutzen, um Neubauten auf der «grünen Wiese» weitestgehend zu vermeiden. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in Bonn schätzt, dass knapp 100.000 Hektar für bis zu vier Millionen Wohnungen umgewidmet werden können. Und wo Neubau nicht zu vermeiden ist, kann er mit Holz und anderen CO2-speichernden Materialien erfolgen. Das alles wäre vergleichsweise leicht zu realisieren – wäre nur die Baulobby nicht so stark und so gut vernetzt und würde sie nicht ganz andere Interessen verfolgen.

 

Ein mit vielen bunten Blumen blühendes Brachland in einem Industriegebiet. Im Hintergrund sind Fabrikgebäude zu sehen.
Blühende Wiese im Augsburger Industriegebiet: Brachen können wert­volle Lebensräume schaffen und die Grundwasserneubildung befördern. Foto: Eberhard Pfeuffer / LBV

Klimalandschaften vernetzen – Akteure stärken

Moor- und Flussrenaturierungen, Waldumbau, regenerative Landwirtschaft, Bodenentsiegelung und Stadtumbau – zusammengenommen könnte dies tatsächlich schon einen Großteil der angestrebten ­Klimaneutralität Deutschlands ausmachen. Dabei entstünden miteinander vernetzte «Klimalandschaften»: klimaresiliente, kleinteilig strukturierte, artenreiche, multifunktionale Landschaften, die sich in ihren Funktionen gegenseitig unterstützen – Wälder, Wiesen, Äcker, Feuchtgebiete, Ortschaften. Dazu noch Küsten, Algen und Seegraswälder. Alles zusammen würde Wasserkreisläufe regenerieren, Kohlenstoff speichern, die Erde kühlen, die Artenvielfalt erblühen lassen, Erholung und wertvolle Räume für alle Lebewesen schaffen.

Zivilgesellschaftliche Pilotprojekte dazu gibt es bereits – etwa im Fläming (Brandenburg), im Lassaner Winkel (Mecklenburg-Vorpommern), im Harzvorland und in der Bodenseeregion. Doch diese vorwiegend ehrenamtlich getragenen Ansätze benötigen bezahlte Kümmerer mit Kompetenzen, um ob der vielen anstehenden Aufgaben nicht im Burn-out zu landen. In jeder Gemeinde, in jedem Wassereinzugsgebiet müssten diese Kümmerer alle wichtigen kommunalen Akteure wie Gremien, Verbände und Vereine an runde Tische laden und Aktionen koordinieren. Es ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe – auch weil sie mit vielen Emotionen und mit Vertrauensbildung zu tun hat –, Akteure mit Partikularinteressen dazu zu bringen, das bisherige Gegeneinander in ein Miteinander zu verwandeln und eine verbindende und verbindliche Kultur der Gemeinsamkeit zu schaffen. Ob das «Kompetenzzentrum» des Bundesumweltministeriums ab Oktober solche Strukturen entwickeln kann, steht noch in den Sternen. Ein Ministeriumssprecher, dazu befragt, gab sich wortkarg: «Der Prozess beginnt erst.»

 

Zwei Porträtfotos, das eine mit einer lachenden älteren Frau und das andere mit einem freundlich dreinblickenden älteren Mann im roten Pullover.

Ute Scheub war Mitbegründerin der taz. Die promovierte Politikwissenschaftlerin arbeitet als freie Journalistin in Berlin und hat rund 25 Bücher mit den Schwerpunkten Ökologie und Demokratie verfasst. Sie sieht sich selbst als «Geburtshelferin für ökosoziale Projekte und Geschichten des Gelingens» und engagiert sich in verschiedenen Initiativen.

Stefan Schwarzer ist Physischer Geograf und Permakultur-Designer im Ökodorf Schloss Tempelhof. Er hat lange für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen gearbeitet und ist Organisator von Tagungen und Webinaren zur aufbauenden Landwirtschaft und zu Klimalandschaften.

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11. Oktober 2023 | Energiewende-Magazin