Status Quo des Klimajournalismus
Ein Gastbeitrag von Torsten Schäfer
Der Klimajournalismus hat sich im letzten Jahrzehnt rasant entwickelt. Doch wie sehr steht er inzwischen unter Druck? Ein Konferenzbericht zur Lage.
Der Klimajournalismus steht unter Druck. Wie sollte es auch anders sein? Politik und Gesellschaft wenden sich zusehends von Klima-, Umwelt- und Naturschutz ab, in Deutschland und international. Autoritäre, nationalistische und rechtsextreme Regierungen wischen grüne Themen ganz von der Agenda, ob in den USA, Italien oder Ungarn. In vielen Teilen der Welt rudern konservative Regierungen bei der Klimapolitik entschieden zurück. Darauf reagiert in Teilen auch die Medienlandschaft: So werden Klima- und Nachhaltigkeitsredaktionen ausgedünnt, Weiterbildungen im Umwelt- und Klimajournalismus reduziert. Der «Online Media Monitor» der Universität Hamburg zeigt, dass im Jahr 2024 die Klimaberichterstattung in 18 untersuchten Ländern trotz Rekordtemperaturen und extremer Wetterereignisse insgesamt zurückgeht.
Als Reaktion auf diese Gegenbewegung lud die Oslo Metropolitan University Ende August 2025 zur Konferenz «Klimapress – Climate journalism under pressure» ein. Rund 70 Klimajournalist:innen aus aller Welt nahmen teil, außerdem Forschende und Studierende. Es gab Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen. Der Zustand des Klimajournalismus ließ sich hier genau ablesen – solche Konferenzen besuche ich seit zwölf Jahren, seitdem Klimajournalismus mein Hauptthema geworden ist.
Der Gegenwind ist allgegenwärtig
Die Probleme, die in Oslo diskutiert wurden, sind vielfältig: In der Türkei gibt es bislang kaum Klimajournalismus – immerhin entstehen erste Ansätze für Förderprogramme, wie ein Medienforscher aus Ankara berichtete. Eine Kollegin aus Tunesien schilderte, wie schwierig es für freie Journalist:innen in der arabischen Welt sei, Klimageschichten zu verkaufen, das Interesse in Redaktionen fehle meist. In Grönland fehlt es den Redaktionen zunehmend an finanziellen Mitteln, um die stark gestiegenen Reisekosten in abgelegene Regionen der riesigen Insel zu stemmen und über Klimafolgen vor Ort zu berichten – wie eine Dozentin aus Nuuk kritisch anmerkte.
Unter Druck ist der Klimajournalismus auch in Schweden: Die renommierte TV-Journalistin Erika Bjerström gab nach fünf Jahren als erste internationale Klima-Korrespondentin des öffentlich-rechtlichen Senders SVT ihren Posten auf – aus Frust und Angst: Die anhaltenden Anfeindungen sowie Hass- und Drohnachrichten in den sozialen Medien und per E-Mail setzten ihr massiv zu. Ähnlich erging es einer Kollegin, die nach der Veröffentlichung ihres Buchs über die schwedische Forstwirtschaft von Mobbing und Versuchen, ihre Karriere zu zerstören, berichtete – unter anderem durch Gegenstudien, verfasst von einem zweifelhaften Thinktank.
Gewachsene Strukturen und Netzwerke
Gleichzeitig gibt es im Klimajournalismus aber auch Energie und Zuversicht – mehr, als die meisten in Oslo erwartet hätten. «Die Stimmung verbesserte sich bei der Konferenz von Diskussion zu Diskussion, das war überraschend. Der Klimajournalismus ist keineswegs überall in der Defensive», freute sich Andreas Ytterstad, der an der OsloMet als Professor für Klimajournalismus lehrt, forscht und die Konferenz mitorganisiert hat.
Zu robust sind offenbar die im letzten Jahrzehnt gewachsenen Strukturen, zumindest in Europa: Ein Geflecht aus Mediennetzwerken, Fachportalen, Stiftungen, Hochschulen und Initiativen fördert den Klimajournalismus und entwickelt ihn weiter. Zuversichtlich zeigte sich auch Katherine Dunn vom «Oxford Climate Journalism Network», das seit 2022 bereits 800 Journalist:innen aus 120 Ländern geschult hat. Schließlich belegen Studien, dass die Klimafrage in vielen Ländern – trotz des negativen klimapolitischen Umfeldes – weit oben rangiert, wenn bei Umfragen nach den Megathemen gefragt wird, die den Menschen Sorgen bereiten.
Viele Initiativen, viel Bewegung
Auch die Referent:innen des norwegischen Rundfunks NRK, der sich eine investigative Klimaredaktion und ein Klimanews-Team mit 15 Journalist:innen leistet, waren positiv gestimmt. Denn ihre Klimareportagen klicken sich im Netz besser und stoßen im Fernsehen messbar häufiger auf Interesse als andere Inhalte. In Finnland kann sich mit «Long Play» hintergründiger Klimajournalismus über ein Abomodell finanzieren. Und andernorts formieren sich neue Teams – auch ressortübergreifend wie beim britischen «Guardian», was dort das Klimainteresse etwa der Wirtschaftsjournalist:innen erhöht und den Klimareporter:innen neue Themenfelder eröffnet. In Dänemark ist gerade ein weiteres Netzwerk für Klimajournalismus entstanden und in Portugal ist eines geplant – inspiriert von Beispielen aus Österreich und Deutschland.
Auch anderswo bewegt sich was: Orientiert an Lehrkursen aus Norwegen und Deutschland gibt es nun im pakistanischen Lahore ein erstes Klimajournalismus-Seminar. Auch Gäste aus Uganda, Kenia, Indien und Bangladesch erzählten in Oslo von ihren Bemühungen, den Klimajournalismus sowohl an Universitäten als auch außerhalb zu stärken – oftmals als Einzelkämpfer:innen unter schwierigen Bedingungen in ihren Heimatländern.
Die vielseitigen Berichte zeigten deutlich die Ambivalenz der aktuellen Situation: Der Klimajournalismus leidet zwar, weil weniger berichtet wird oder Redaktionen schließen. Aber an anderer Stelle lebt er weiter, im Schatten, in kleinerem Gewand – auch durch die globalen Lerneffekte, die neue Klima-Medien, Initiativen, Programme, Lehrgänge, Preise und Netzwerke im Klimajournalismus angestoßen haben.
Fehlende Zeit für Recherchen und Hintergründe
Strukturell erscheint das Geflecht des Klimajournalismus also widerstandsfähig. Doch die Qualität der Klimaberichterstattung ist kaum untersucht. Eine der wenigen Studien kommt vom Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund. Dort lief über mehrere Jahre das Projekt «Medien-Doktor Umwelt», in dem anhand von dreizehn Qualitätskriterien die Umweltberichterstattung deutscher Medien begutachtet wurde.
Die Analyse der 50 Beiträge zeigt, wo genau es klemmt: Umweltprobleme werden zwar recht selten aufgebauscht oder verharmlost, außerdem fanden sich auch nur in sechs Artikeln klare Faktenfehler wie etwa falsche Zahlen. Jedoch versäumen es Journalist:innen häufig, verschiedene Sichtweisen zu berücksichtigen – Tendenzen zur Einseitigkeit sind erkennbar.
Das größte Problem ist laut Medien-Doktor Umwelt aber der fehlende Kontext: 42 von 50 Zeitungsartikeln, Radioanalysen und Online-Beiträgen berichteten nur «linear» über Klima- und Umweltprobleme und setzten sie nicht weiter in Bezug zu wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Hintergründen. Dahinter dürfte, so die Studie, ein ungenügendes Sachwissen zum Klimawandel stehen. Zudem fehle eine Kernressource: Zeit. Zeit für Recherche und Nachrecherche, für Wissenserwerb und Weiterbildung. Dies gilt insbesondere für kleinere und regionale Medien, weshalb umfangreicher Klimajournalismus mit hohem Rechercheaufwand dort oft an Grenzen stößt. Umso wertvoller ist das aktuelle Projekt von «Correctiv.Klima», das über 1.000 Lokaljournalist:innen in ganz Deutschland vernetzt, um den Klimawandel durch gemeinsame Recherchen regional sichtbar zu machen – und zu vermitteln, wie die Klimakrise das Leben der Menschen vor Ort konkret beeinflusst.
Einfachere Sprache, neue Narrative
Defizite zeigen sich auch bei formalen Aspekten: Ajit Niranjan, Umweltkorrespondent des «Guardian», forderte seine Zunft dazu auf, «die Sprache radikal zu vereinfachen, um ein breiteres Publikum zu erreichen». Man müsse verstehen, wie wenig Informationen Menschen aufnehmen und wie kurz Sätze tatsächlich sein sollten, damit sie wirklich ankommen. Zudem brauche es Formate, die den Gewohnheiten der Menschen entsprechen, von sozialen Medien bis hin zu Videos. Gleichzeitig fehle ein Angebot, das auch ältere Generationen anspricht. «Ein 25-jähriger Journalist, der ihnen im Video etwas erklärt, ist vielleicht nicht der Richtige», so Niranjan.
Neben der Sprache und den verschiedenen Formaten rückten in der Debatte aber auch neue Narrative in den Blick: Gerade ökologische Bewegungen, die derzeit wachsen und wissenschaftlich hohe Aufmerksamkeit genießen, könnten solche Geschichten prägen, etwa die Initiativen zu den Rechten der Natur, bei denen Flüsse oder Wälder zu Rechtspersonen werden – und daran anknüpfend ökologisch inspirierte Gerichtsurteile auf der ganzen Welt. Auch die Idee des «Rewilding» – der großen Rückgabe von Landschaft an die Natur, die viele Organisationen und Vereine vorantreiben – eröffnet ein weites Feld für viele neue Geschichten.
Empathie und subjektive Perspektiven
Mehr Perspektiven, Lebendigkeit und Sinnlichkeit – dafür steht «Nature writing» als Anspruch an den Journalismus. Dieses Erfolgsgenre der Gegenwartsliteratur eröffnet die Möglichkeit, Natur präzise, empathisch und subjektiv zu beschreiben und unmittelbare Erfahrungen zu vermitteln: Welches Schauspiel vollführen Bussarde, wenn ich mich mit ihnen in die Lüfte aufschwinge? Wie geht es Flüssen, wenn ich untertauche? Solche Fragen stellen sich die Autor:innen des «Nature writing», unter denen auch einige journalistisch tätig sind. In Oslo wurde das Genre intensiv diskutiert. Die Werke verbinden umwelt- und wissenschaftsjournalistische Beschreibungen mit essayistischer Reflexion und poetischen Gedanken zu einer eigenen, insbesondere im angelsächsischen Raum verbreiteten Stilform. Nun scheint das Interesse auch hierzulande zu wachsen: Studien zu literarischem Journalismus belegen, dass sich gerade große Medien wie die «Zeit» oder die Süddeutsche Zeitung in den vergangenen Jahren geöffnet haben und mutiger zeigen, was neue Erzählformen anbelangt. 2023 veröffentlichte etwa die taz den Text «Mein Ökosystem wird zu McDonald’s», in dem der Rhein von seinem Schicksal spricht.
Neue Ideen braucht der Klimajournalismus auch für seine Grundlage: die Finanzierung. Gerade bei kleinen Redaktionen und lokalen Medien fehlt häufig das Geld. Auch hier lohnt der Blick nach Norden. Denn in Skandinavien gibt es erfolgreiche Systeme der öffentlichen Medien- und Presseförderung durch unabhängige Räte, die staatliche Gelder meist an kleinere Regionalmedien geben, um explizit die publizistische Vielfalt in der Provinz zu sichern. Das hat bislang gut funktioniert und dazu beigetragen, ein Zeitungssterben auf dem Land – wie etwa in Deutschland – zu verhindern.
Kontexte und Klimaeinflüsse erzählen
Gerade dort, auf dem Land, sollte auch der Klima- und Umweltjournalismus genauer hinsehen, konkreter werden, noch aufmerksamer zuhören und die Geschichten der Menschen erzählen, die nah dran sind an den Klimafolgen und den Umweltverlusten. Die unter Trockenheit und Dürre oder extremen Regenfällen und Stürmen besonders leiden oder damit zu tun haben, aber auch mit dreckiger Luft, vollen Straßen, Wiesen ohne Insekten, Monokultur-Äckern ohne große Nährstoffreserven, Flüssen voller Nitrat und Wäldern mit sterbenden Bäumen: Denn all diese Geschichten stehen in enger Verbindung mit Klimathemen – und es ist wichtig, das auch so zu kommunizieren.
Es gibt – das war die klare Botschaft der Konferenz – vielerlei Ansätze, dem unter Druck geratenen Klimajournalismus neue Stärke zu verleihen: voneinander lernen, sich vernetzen, mit neuen Formaten und empathischerer Ansprache experimentieren. Dass damit viel zu erreichen ist, darin waren sich die Klimajournalist:innen und Fachleute in Oslo einig. Sie betonten ebenso, wie wichtig es ist, die Berichterstattung zugänglicher und verständlicher zu gestalten sowie die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kontexte der Umwelt- und Klimakrise angemessen auszuleuchten.
Bild oben: Collage von Katrin Schoof, unter Verwendung der Klimastreifen.
Torsten Schäfer
1977 in Darmstadt geboren, ist Autor, Wildnispädagoge und seit 2013 Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Klimajournalismus und Sprachökologie. Sein aktuelles Forschungsprojekt für beziehungsreiches Erzählen «Talking Salmon» basiert auf Forschungen in Lappland. Schäfers Buch «Wasserpfade» erschien 2021.
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