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Viel Kohle, wenig Klimaschutz

Ein Kommentar von Sebastian Sladek zum Abschlussbericht der Kohlekommission

Der Einstieg in den Ausstieg ist da. Die Kohlekommission befriedigt viele Interessen – doch für wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz reicht es wieder mal nicht.

Schon der Name der Kommission spricht Bände: «Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung». Genau das wurde von ihr erwartet: eine Lösung der Kohlefrage, bei der niemand zu kurz kommen sollte – ein einvernehmlicher Abschlussbericht als «eierlegende Wollmilchsau». Jetzt, da sich der weiße Rauch langsam verzieht, wird deutlich: Trotz des beachtlichen Umfangs von 336 Seiten lässt sich dem Bericht hinsichtlich Klimaschutz leidlich wenig entnehmen.

Der Kommissionsname selbst hatte das Thema ausgespart, aber ja: Es ging natürlich auch um Klimaschutz und den Beitrag, den die Energiewirtschaft mittels Ausstieg aus der Kohleverstromung zu liefern habe. Schließlich war es der Konsens über die Notwendigkeit eines Kohleausstiegs – vom ZDF-Politbarometer jüngst in einer Umfrage mit einer Zustimmung von 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bestätigt – der überhaupt erst die Einsetzung dieser Kommission begründet hatte. Sich dies zu vergegenwärtigen hilft bei der Lektüre des Berichts, da ansonsten die Wahrnehmung immer wieder dahingehend abzugleiten droht, es gehe vor allem um die prophylaktische Linderung jedweden diagnostizierten wie prognostizierten Schmerzes, den faktisch und behauptet in Mitleidenschaft Gezogene erleiden könnten.

Kein wirkliches Aufbruchssignal

Beginnen wir mit den zunächst erfreulich anmutenden Inhalten des Berichts: Bis 2022 sollen 12,5 Gigawatt (GW) aus der Kohleverstromung ausscheiden. Ein deutlicher erster Schritt – mehr aber nicht. Denn von den 12,5 GW scheiden alters- und netztechnisch bedingt in diesem Zeitraum sowieso 5,5 aus, das stand schon lange fest. Und für die Zeit danach gibt es lediglich einen äußerst vagen Abschaltplan; zudem ist das finale Ausstiegsdatum 2038 zweifellos zu weit entfernt, um eine den Umständen angemessene Klimaschutzwirkung entfalten zu können.

Die zusätzliche Abschaltung von 7 GW Kohlenmeiler bis 2022 ist ein erstes gutes Zeichen. Doch wird dieses «Aufbruchssignal» ohne eine zügige und konsequente Umsetzung von Folgeschritten nicht nur in seiner Klimaschutzwirkung verpuffen, sondern es besteht – von den Kosten wird noch zu sprechen sein – die Gefahr, dass es in der Öffentlichkeit zunehmend als «kostenintensives Strohfeuer» wahrgenommen wird und somit die Legitimation des Kohleausstiegs beschädigt.

 

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* 5,5 GW waren ohnehin geplant, hinzu kommen 7 GW ** evtl. bereits 2035, spätestens 2038 Quelle: Abschlussbericht der Kommission «Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung»

Ich könnte mich noch an den Empfehlungen auf den Seiten 80 und 81 des Berichts zur Fortführung der Energiewende erfreuen – und daran, dass der «Hambi» vielleicht erhalten bleibt. Damit wären allerdings auch schon alle nennenswerten Punkte in Sachen Klimaschutz aufgezählt.

Ansonsten ist der Bericht von der Angst vor der eigenen Courage gekennzeichnet und scheint zudem hauptsächlich das wohlbekannte Lamento der hiesigen industriellen Großverbraucher widerzuspiegeln. Glücklicherweise sind mit der großzügigen Befreiung von Entgelten und Umlagen erprobte Maßnahmen zur Hand, um die erneut (und regelmäßig) proklamierte Deindustrialisierung Deutschlands abzuwenden. Und damit es nicht wieder so unsolidarisch aussieht, der Bürger bei Laune gehalten wird und auch der Mittelstand einmal mehr als nur warme Worte bekommt, wird diesmal auch einem erweiterten Verbraucherkreis eine Energiekostenentlastung anempfohlen.

Koste es, was sie wollen

Auch die 40 Milliarden Euro für die zukunftsfähige Entwicklung ehemaliger Kohlereviere lesen sich vor allem als Nettigkeitsbezeigung: Nett sind sie für die Tagebau- und Kraftwerksbetreiber, nimmt sich doch endlich ein anderer der bis dato erfolgreich ignorierten sozialen Verantwortung an. Nett auch für die Landeshaushalte, denen über 20 Jahre erhebliche Mittel «zur freien Verwendung» in die Kasse gespült werden – und erfahrungsgemäß darf eine genau solche Verwendung als ausgemacht gelten. Und nett – für ansiedlungswillige Unternehmen, aber auch für die dort Wohnenden – wäre ohne Frage die Umsetzung der im Bericht dargelegten Empfehlungen zur Ertüchtigung der regionalen Infrastruktur. Bei so vielen Nettigkeiten geht die Frage, wer das bezahlt, fast völlig unter.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Dass der Starke den Schwachen unterstützt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Ebenso sollte ein Staat grundsätzlich auf eine solidarische Gemeinschaft seiner Staatsbürger vertrauen dürfen. Die finanzielle Unterstützung für die betroffenen Regionen, ebenso eine Vielzahl der ausgesprochenen Empfehlungen für den Strukturwandel, gehen für mich völlig in Ordnung. Jedoch dürfte nicht nur mein Vertrauen in eine effiziente Verwendung öffentlicher Gelder stetig weiter gelitten haben – ob bei der Bahn, dem BER-Projekt und der Bundeswehr bis hin zu den «blühenden Landschaften», mit denen wir uns beispielsweise in der Lausitz konfrontiert sehen. Klar muss sein: Wir brauchen kein weiteres Investitionsprogramm, das am Ende vor allem Beratungsgesellschaften und kurzfristige Vorteilsjäger «nett» finden. Denn genauso wenig, wie der globale Temperaturanstieg durch bloße Niederschrift auf 1,5 oder 2 Grad Celsius begrenzt werden kann, sind auch «Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung» durch das bloße Ausgeben von 40 Milliarden Euro zu erreichen.

Doch zurück zu Abschlussbericht und Kohleausstieg: Erwartungsgemäß setzt die Kommission weiter auf die frei und zum Wohle aller wirkenden Kräfte eines europäischen CO2-Zertifkatehandels (ETS). Dagegen ringt sie sich nur mühsam dazu durch, die Prüfung eines CO2-Mindestpreises auch für die Sektoren Wärme und Verkehr zu empfehlen. Das ist bedauerlich, da einem Instrument klarer und effizienter Zielführung – wir erinnern uns, das Ziel war Klimaschutz – eine ordentliche Umsetzungsempfehlung mit Ausgestaltungsoptionen gutgetan hätte. Weiter lässt die Schwerpunktsetzung auf den Zertifikatehandel einen Kohleausstieg bis 2038 noch unambitionierter erscheinen, denn gesetzt den Fall, die Prognosen der Kommission bewahrheiteten sich und der ETS verkäme nicht vollends zur Farce, dürften sich die Kohlekapazitäten kostenbedingt ohnehin kaum länger im Markt halten können.

Vor diesem Hintergrund und obwohl sich die Frage nach Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber eigentlich nicht stellen darf – die Kosten verfehlter Unternehmenspolitik sollten nicht sozialisiert werden, gerade angesichts der «fetten» Jahrzehnte, die diese Unternehmen hatten –, bleibt mir bei diesbezüglichen Empfehlungen der Kommission die Spucke weg. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, hier würden mittels Auktionen, bei denen die jeweils geringsten Entschädigungsforderungen den Zuschlag bekommen, die Kosten so gering als möglich gehalten werden. Tatsächlich aber würden unrentable Kraftwerke so auch noch eine Abwrackprämie erhalten. Eine Art Abschiedsgeschenk. Und ja, bezahlt aus der üblichen Kasse.

Wo bleibt die Courage?

Gleichwohl sind das alles nur Empfehlungen, die in ein für 2019 geplantes Klimaschutzgesetz einfließen können, aber nicht müssen. Im weiteren Verfahren ist es daher notwendig, vor allem Verbesserungen für den Klimaschutz zu erreichen. Wenn es die Bundesregierung mit dem längst überfälligen Atomausstieg und dem nun beschlossenen Einstieg in den Ausstieg der Kohleverstromung wirklich ernst meint, dann müssen jetzt schnell deutlich wirksamere Schritte folgen.

Zwar benennen die wenigen Seiten des Berichts, die sich mit dem Fortgang der Energiewende befassen, zaghaft einige drängende Notwendigkeiten; mir fehlt jedoch auch hier eine der Herausforderung angemessene Courage. Für den Umbau unseres Energiesystems brauchen wir von allem schneller mehr. Mehr Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte, was wiederum zu mehr Akzeptanz der Bürger führen würde. Mehr dezentrale Verteilung von mehr Erzeugungsanlagen, mehr Netzausbau, mehr Kopplung mit den Sektoren Wärme und Verkehr, mehr Speicher, mehr digitale Steuerung bei garantierter Datensicherheit. Dann erst kann Deutschland deutlich mehr zum globalen Klimaschutz beitragen.

Nicht zuletzt gilt auch weiterhin, dass ein nationaler CO2-Mindestpreis mit klug konzeptioniertem Entwicklungspfad das Gebot der Stunde für mehr Klimaschutz ist. Die Zielführung würde wieder klar und eindeutig. Mittels sukzessiver Substitution anderer Energiesteuern ließe sich Kostenneutralität für die Privathaushalte herstellen. Im richtigen Rahmen eingehegt, könnten die viel gepriesenen Marktkräfte den Kohleausstieg und viele weitere Maßnahmen endlich ins Werk setzen – was wiederum eine kontinuierliche politische (Fehl-)Steuerung entbehrlich machen würde.

Einstweilen lässt sich lediglich festhalten: Für Optimisten ist dieser Bericht ein Anfang, wo zuvor nichts war. Zugleich strahlt der Bericht auch Ruhe und planvolle Besonnenheit aus – und bringt überdies die Gewissheit, dass hier keiner zu Schaden kommt. In Anlehnung an das Sprachbild der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg beurteile ich den Bericht allerdings zwiespältiger: Zwar herrscht unter den «Bewohnern» vordergründig Einigkeit darüber, «dass das Haus brennt». Doch von Entschlossenheit keine Spur! Das Drängen weniger zu sofortigen Löschmaßnahmen wird von einer Debatte zur Kostentragung der bei Löscharbeiten unweigerlich auftretenden Wasserschäden überlagert, während die dreistesten Diskutanten gar Entschädigung für die Brandstifter fordern. Immerhin ist es schön warm.

 

Portrait: Sebastian Sladek vor einer Holzwand

Sebastian Sladek

geboren 1977, ist in Schönau im Schwarzwald aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er studierte Klassische Archäologie in Freiburg und nahm 2008 seine Tätigkeit bei den EWS auf. Seit 2011 ist er dort in geschäftsführender Verantwortung und seit 2015 auch Mitglied des Vorstands.

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30. Januar 2019 | Energiewende-Magazin