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Fridays for Future: «Wir sind viele, wir sind laut!»

Ein Bericht von Isabel Metzger

Mit den Schülerstreiks drängt weltweit eine neue Generation auf die Straße. Auch Sophia aus Leipzig fordert konsequenten Klimaschutz – und zwar jetzt.

Sophia Salzberger hat keine Zeit. Schon einen Termin mit der 18-Jährigen zu vereinbaren ist an diesem Nachmittag schwierig. Auch auf WhatsApp antwortet sie nicht, und das will was heißen. Es ist Dienstag, Plenumstag für «Fridays for Future» in Leipzig. In wenigen Tagen steht die wohl größte Demo an, die sie bislang organisiert haben. Und bis dahin ist für die Jugendlichen viel zu tun. Bis zum Nachmittag hatte Sophia Unterricht. Danach musste sie noch zum Lager, Plakate holen. Kurz vor sechs steht sie vorm Plenum. Das Gesicht gerötet, vor Kälte, vor Anstrengung. Über der Schulter hängt eine Einkaufstüte im Umzugsformat, darin Dutzende von Plakaten. «Du kommst spät heute», sagt einer der Jugendlichen. «Wenn mir niemand beim Tragen hilft …», sagt Sophia. Früher bat sie manchmal ihren Vater, sie mit dem Auto abzuholen. Jetzt fährt sie nur noch Straßenbahn oder Fahrrad. Dabei hat sie oft genug zu schleppen.

Schulstreiks und Proteste für den Klimaschutz

Eine junge Frau sitzt in einem Klassenraum auf einem Tisch und schaut in die Kamera.
Sophia, 18, Schülerin aus Leipzig Foto: Hanna Lenz

Seit Dezember organisiert Sophia Demonstrationen für Fridays for Future in Leipzig. Gemeinsam mit Millionen von Schülern und Studenten weltweit geht sie für mehr Klimaschutz auf die Straße. Sie protestieren gegen den Kohleabbau, für die Reduzierung des CO2-Ausstoßes und für die Einhaltung des UN-Klimaabkommens. Das machen sie während des Unterrichts. «Streiken» nennen sie es. Die einen loben sie für den Mut. Nichts als Schulschwänzer, nörgeln die anderen. Klimapolitik sei eine Sache für Profis, schrieb FDP-Politiker Christian Lindner in einem viel kritisierten Tweet. Was treibt diese Jugendlichen an? Warum drängen sie so jung auf die Straße?

Angefangen hat alles mit einer einzigen Schülerin: Greta Thunberg, einem damals 15-jährigen Mädchen aus Schweden. Greta interessierte sich früh für den Klimaschutz. Die Politiker schienen ihr viel darüber zu reden. Aber taten sie auch etwas? Die Schülerin wollte nicht länger zusehen. Am 20. August 2018 stand sie zum ersten Mal vor dem schwedischen Reichstag, alleine. In der Hand trug sie ein Schild mit der Aufschrift «Skolstrejk för klimatet» («Schulstreik für das Klima»). Es war der erste Schultag nach den Ferien. Damals schien Greta kaum jemand ernst zu nehmen. «Glaubst du, du wirst etwas mit deinem Schulstreik erreichen?», fragte sie eine Reporterin der schwedischen Zeitung «Expressen». Auf dem Foto der Zeitung sieht man ein zartes Mädchen mit geflochtenen Zöpfen, im Hintergrund die wuchtigen Mauern des Parlamentsgebäudes. «Wenn sonst niemand etwas tut, ist es meine moralische Pflicht, zu tun, was ich kann», antwortete Greta.

Weltweite Solidarität mit Greta Thunberg

Heute ist Greta nicht mehr alleine. Innerhalb von wenigen Wochen schlossen sich erst Tausende, dann Millionen von Kindern und Jugendlichen weltweit ihren Protesten an. Allein in Deutschland gehen inzwischen mehr als 150 Ortsgruppen der Fridays-for-Future-Bewegung regelmäßig an Freitagen auf die Straße. Sie alle verbindet ein Ziel: Sie wollen Erwachsene daran erinnern, zu handeln. Sie fordern mehr Erneuerbare Energien, den Ausstieg aus der Kohleenergie. Und das möglichst schnell: Den Ausstieg bis spätestens 2030. Laut Kohlekommission liegt das Ziel für Deutschland bislang bei 2038.

«Das ist zu spät für uns», sagt auch Sophia. Die Schülerin lässt sich auf einen der Stühle plumpsen, streicht sich feuchte Haare von der Stirn. Per WhatsApp hat sie für heute schon alles durchgeplant: Auf der Tagesordnung stehen der neue Forderungskatalog an Politiker, ein Bericht über eine Müllsammelaktion im Clara-Zetkin-Park. Außerdem das Malen von Plakaten für die nächste Demo. «Möglicherweise noch ein Transpi, Engelssmiley.» Sophia gehört in Leipzig zu den Gründern der Fridays for Future. Ein Profi ist sie nicht: 18 Jahre alt. Schülerin am Robert-Schumann-Gymnasium, Abiturjahrgang. Aber ihr Tagesablauf ist ähnlich durchgetaktet wie bei einem straff organisierten Bürojob.

Mindestens einmal pro Woche trifft sie sich mit Mitgliedern von Fridays for Future. Außerdem ist Sophia Landesvorsitzende der Jugendpresse Sachsen, sitzt im Jugendrat der Generationen Stiftung in Berlin, einer Interessensvertretung für junge Menschen. Im April hat sie ihre erste Abiturprüfung. Eigentlich würde sie gerne viel mehr machen. Ein «Freiwilliges Utopisches Jahr» zum Beispiel. Gemeinsam mit anderen jungen Leuten könnte sie dann in Denkfabriken Ideen zu einem besseren, nachhaltigeren Leben entwickeln. Aber: die Zeit.

Dieselbe junge Frau wie oben, steht in der Straßenbahn und schaut auf ihr Handy.
Für Sophia beginnt die Planung für die Freitagsdemo immer donnerstags, gleich nach der Schule. Foto: Hanna Lenz
Zwei junge Frauen sitzen in einem dunkeln und etwas chaotischen Büro an einem Schreibtisch.
Zusammen mit Freunden organisiert sie im Büro der Jugendpresse den Schülerstreik. Foto: Hanna Lenz
Dieselbe junge Frau hebt in einer Sofa-Ecke ein Demo-Plakat von einem ganzen Stapel hoch.
Auch alle Plakate und Transparente lagern hier. Foto: Hanna Lenz
Eine junge Frau klebt ein Plakat an eine kahle Hauswand.
Es gibt immer was zu tun – auch auf dem Nachhauseweg. Foto: Hanna Lenz

Rasant wachsendes Engagement

«Hey, mein Laptop mag gerade nicht!» In ihrer linken Hand hält Sophia ihr Smartphone, mit der rechten Hand hackt sie auf die Tastatur. Soziale Netzwerke sind das wichtigste Kommunikationsmittel für die Fridays for Future. Wie viele Nachrichten die Klimaaktivistin täglich bekommt, zählt sie nicht mehr. Alleine mit den Teilnehmern in Leipzig schreibt Sophia in fünf verschiedenen WhatsApp-Gruppen. Oder waren es sechs? Innerhalb von wenigen Wochen stiegen die Teilnehmerzahlen rasant in die Höhe. Noch vor Kurzem hatten sich die Jugendlichen in einem Jugendzentrum getroffen. Bis der Platz nicht mehr reichte und sie in ein größeres Büro umziehen mussten. Rund 50 Teilnehmer sind an diesem Abend gekommen. Bei den Demos in Leipzig nehmen inzwischen regelmäßig an die Tausend teil.

Darunter sind Schülerinnen wie Freya: Die 15-Jährige war früher wenig politisch aktiv. Dann kam der Hitzesommer 2018. Als sie über WhatsApp von der Gruppe in Leipzig hörte, schloss sie sich am 18. Januar zum ersten Mal einer Demo an, damals mit 500 anderen. «Wenn wir jetzt nicht handeln, gibt es keine Zukunft», war auf Schildern zu lesen. Hier sah Freya junge Menschen, die handelten, die etwas bewegten. Die Schülerin, ein ruhiges Mädchen mit schlichten, halblangen Haaren und fast schon erwachsen wirkendem Blick, ist keine, die nur aus Trotz protestieren würde. Reden halten vor Publikum sei nicht ihr Ding, sagt sie. In Sprachen und im Schreiben sei sie in der Schule eben nicht so gut. Sie will lieber handeln, auf der Straße ihr Gesicht zeigen. Denn dort, auf der Straße, sehe sie, was Klimawandel und Umweltschäden bedeuten können.

Eine Kindheit mitten in der Klimakrise

Auf dem Weg zum Plenum läuft sie an diesem Nachmittag am Karl-Heine-Kanal von Leipzig entlang. Beinahe idyllisch schlängelt sich das Wasser durch die Stadt, vorbei an den historischen Fassaden von Plagwitz und Lindenau. Aber eben nur beinahe idyllisch: Die Ufer sind voller Müll, der Boden ist gepflastert mit Kronkorken. Am Rand liegt eine vollgesogene Matratze, ein paar Meter weiter eine leere Packung mit der Aufschrift «Filterbeutel». Freya mag den Kanal eigentlich, aber: «Es ist oft so schmutzig hier.» Die 15-Jährige erinnert sich, wie er in einem Winter vor ein paar Jahren noch zugefroren war. Einmal seien sogar Schwäne mit den Beinen festgeklebt, wegen der Kälte. «Früher konnte man hier Schlittschuh laufen», sagt sie. Früher. Wenn so ein Wort aus dem Mund einer 15-Jährigen kommt, dann klingt Klimawandel nicht mehr nach schmelzenden Eisschollen, irgendwo am fernen Nordpol. Sondern ganz nah.

Fragt man Sophia nach dem Klimawandel, dann spricht auch sie von Problemen vor der Haustür Leipzigs: von den Kohlegruben von Groitzsch, im Süden der Stadt. Sie redet schnell, rattert die Zusammenhänge in Schlagworten herunter. Sie spricht von Industriegeschichte, CO2-Emissionen, Generationenkonflikt. Im Tagebau Groitzscher Dreieck wurde schon ab 1974 Braunkohle gefördert. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist ein Teil stillgelegt. Ein anderer wird bis heute betrieben. Und es gibt Pläne zum Ausbau: Das Dorf Pödelwitz, so hatte die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft noch vor sechs Jahren angekündigt, solle 2018 weichen. Es kam zu Widerstand, Bewohner und Umweltschützer protestierten.

 

Zwölf junge Leute vor einem schwarzen Van, sortieren auf dem Boden liegende Demo-Plakate.
Die letzten Vorbereitungen für die Demo, gleich gehts los. Foto: Hanna Lenz

«Mangelhaft» für die Energiewendepolitik in der Region

Im März 2019 stellte sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dem Bürgerdialog. Sophia fuhr nach Groitzsch. Am Ende des Bürgergesprächs gab sie Kretschmer ein selbst geschriebenes Klimazeugnis – mit «Mangelhaft» als Note für das Fach Energiewende. «Die Landesregierung war stets bemüht, Konzerninteressen zu berücksichtigen und Politik auf Kosten von Klima und Menschen in strukturschwachen Regionen zu machen», so die Erklärung. «Kohleausstieg bis 2038 – und zuvor noch ein Ausbau von Groitzsch?», sagt Sophia. «Ich fühle mich bei so einer Klimapolitik verarscht.»

Wir Jugendlichen haben keine Zeit, auf die Zukunft zu warten.

Sophia, Fridays-for-Future-Aktivistin

Früher war Sophia stellvertretende Schülersprecherin. Schon damals fand sie die Prozesse umständlich; in der Politik dauert ihr vieles zu lange. Ihr Schlüsselerlebnis war ein Gespräch mit ihrem Opa. Einmal sprach sie mit ihm über den Klimawandel, die Rente, all diese Zukunftsprobleme. Irgendwann beendete ihr Opa das Gespräch mit den Worten: «Sophia, das machst du in Zukunft alles besser.» Da platzte ihr der Kragen. Warum hatte man Eltern? Die konnten doch etwas bewegen, durften wählen gehen? «Wir Jugendlichen haben keine Zeit, auf die Zukunft zu warten», sagt sie. Also beschloss sie, nicht länger zu warten – sondern etwas zu tun.

Wie organisiert man eigentlich eine Demo?

Das erste Mal streikte Sophia am Donnerstag vor Weihnachten. Andere kauften Geschenke. Sie hingegen ging zum Ordnungsamt und meldete eine Demo für den 21. Dezember an: einen Tag später. Danach überlegte die Aktivistin, wie das eigentlich funktioniert: «Versammlungsrecht». Am Freitagvormittag meldete sie sich bei ihrem Kumpel Micha. Er war politisch aktiv und hatte schon öfter Proteste organisiert.

What's App Dialog: Kannst du mir bei einer helfen? – Wann denn? – So in 10 Minuten? – Klaro

Gegen Mittag stand sie am Wilhelm-Leuschner-Platz, wenige Meter von den Leipziger Stadtwerken entfernt. Und wartete. Es nieselte. Der Deutsche Wetterdienst hatte zum Winteranfang Regenschauer angekündigt, Temperaturen bis zu sieben Grad. Viel zu warm für diese Jahreszeit, wie überhaupt das ganze Jahr 2018. In der Hand hielt Sophia zwei Stück Pappe, nicht wirklich groß. «Schulstreik fürs Klima» hatte sie auf eines geschrieben. Am Ende waren sie 27 Demonstranten. Parolen hatten sie keine. Nur die Pappe. Einer schrieb «Schulstreik». Die anderen: «Fürs Klima». «Es war die planloseste Demo, die ich je erlebt habe», sagt Sophia. Die Pappe hängt heute noch an ihrem Kleiderschrank. Im Regen hat sie Wellen geschlagen.

Inzwischen sind die Teilnehmer in Leipzig weitaus organisierter. In der Mitte des Sitzkreises liegen Stapel von Flyern, Stickern und Pappe, zwischen Rucksäcken, Sneakers und regenbogenfarbenen Strumpfhosen. Heute ist Aufgabenverteilung für den Freitag. Gesucht werden Ordner und zwei oder drei Leute, die die Demonstranten zählen. Die Presse erwarte um 14 Uhr erste Zahlen. «Bei der letzten Demo haben sich ein paar Leute beschwert, dass die Reden zu lang waren», meint Sophia. Ob man das nicht kürzer halten sollte, mit weniger Leuten? «Ich finde, das ist wie Zensur», sagt ein Mädchen. «Sollen nicht alle reden, dann aber nur zwei Minuten?» Die Jugendlichen diskutieren fast eine Viertelstunde, bis zur Abstimmung. Demokratisch, versteht sich, mit Handzeichen: Es sollen alle reden dürfen, die das möchten. Nur in Einzelfällen, und wenn jemand schon öfters gesprochen hat, solle man mit ihr oder ihm auch einmal verhandeln.

Wir sind viele, wir sind laut!

Slogan auf einer der ersten Fridays-for-Future-Demos

Bei ihren ersten Protesten wollten die Leipziger keine Autos. Wegen der Abgase. Auf einem Bollerwagen zogen sie ihren Lautsprecher durch die Straßen. «Wir sind viele, wir sind laut!» Später, sagt Sophia, hätten sich einige Demonstranten beschwert, dass das zu leise war und man sie kaum verstanden habe. Ein größerer Lautsprecher passte nicht auf den Wagen. Inzwischen fahren die Leipziger mit einem Transporter vor. Und mit großen Lautsprechern. Manchmal fragen Leute, ob das so okay ist, eine Demo für den Klimaschutz mit Auspuff. «Aber wenn wir anders nicht gehört werden?», entgegnet dann Sophia.

Ein Demo-Block mit sehr jungen Schülerinnen und Schülern hält ein großes Transparent mit der Aufschrift: Fridays for Future.
«Wir sind laut»: Das schreien an diesem Freitag die rund 2.500 Demonstranten. Foto: Di Havilland
Freya hält ein Megaphon in Arm und macht Spaß mit Freunden.
Freya feuert an: «1, 2, 3, 4, für das Klima laufen wir!», schallt es dann aus dem Megafon. Foto: Hanna Lenz
Der Demonstrationszug zieht durch die Altstadt. Foto: Hanna Lenz
Ein große Menschenmenge auf einem großen Platz in Leipzig.
Von 12 bis 16 Uhr im kalten Nieselregen: Schwänzen sieht anders aus. Foto: Di Havilland

Klimabremser einfach wegbassen!

Freya plant inzwischen, mit drei Freunden eine eigene Band für Fridays for Future zu gründen. Sie will den Bass spielen. Bei den Demonstrationen möchten sie gemeinsam für Klimaschutz Musik machen. Eine erste Probe hatten sie schon. Zu viert spielten sie den Song «Schrei nach Liebe», von der Band «Die Ärzte». Das schien irgendwie zu passen. «Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe», heißt es im Text. Aber stumm ist der Song beileibe nicht. Tatsächlich mehr ein Schrei. «Du hast nie gelernt, dich arti-zu-kulie-ren», dröhnt es aus den kleinen Lautsprechern. Im Musikvideo wird eine Gitarre zerschlagen. Freya findet es wichtig, laut zu sein. «Wir wollen, dass die Leute uns ernst nehmen», sagt sie. Der Name für ihre Band fehlt noch. Ein Zettel geht durch die Runde für Vorschläge: «Friday Strikers», «Sounds for Future». Sie knipst ein Foto vom Zettel, tippt auf ihrem Handy. Sie ist sich noch nicht sicher, ob die Namen passend sind. Schließlich will sie mit der Band andere Jugendliche mitreißen.

Nicht alle ziehen mit

Manchmal wird Freya von anderen Schülern komisch angeguckt. Nicht alle Jugendliche in ihrem Alter haben Verständnis für ihren Aktivismus. Manche verstehen nicht, warum sie so an der Natur hängt. Einmal ging sie mit einer Freundin und ihrer Schulklasse in den Wald. Zusammen sammelten sie Pflanzen für ein Herbarium. «Meine Freundin hatte Tüten um ihre Füße gebunden», sagt Freya. Wohl aus Angst vor dem Schmutz. Sie konnte das nicht verstehen. Für sie ist das kein Schmutz, sondern Erde. Sie mag das Gefühl, mit ihren Fingern in den Grund zu graben, sagt sie. «Schon meine Eltern haben mich naturbewusst erzogen.» Auch Sophia kennt schiefe Blicke. Sie isst meistens vegan, kauft Secondhandklamotten. Wenn sie ein Loch in ihrer Socke hat, dann stopft sie es. «Willst du dir nicht mal etwas Neues kaufen?», fragt ihre Mutter manchmal. «Trotzdem verstehe ich mich mit meinen Eltern», sagt sie. «Sie müssen nicht meinetwegen auch vegan leben.»

Manchmal aber gibt es auch echte Konflikte. Plakate werden in den Schulen oft abgerissen, sagen sie. Der sicherste Ort seien noch Toilettentüren. «Ich habe heute eine Person getroffen, etwa 15 oder 16, die plötzlich den Klimawandel leugnete», schreibt ein Mädchen im offenen WhatsApp-Chat. «Es gibt einige auch in unserer Generation, die das so sehen», antwortet ein anderes.

Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt.

Aus der Stellungnahme der «Scientists for Future»

Dabei stellen sich inzwischen Tausende Wissenschaftler weltweit auf die Seite der Fridays-for-Future-Bewegung. Im März veröffentlichten Forscher unter dem Namen «Scientists for Future» eine Stellungnahme zu den Protesten für mehr Klimaschutz. «Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt», heißt es dort. «Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus.» Das Klimaschutzabkommen 2015 könne sonst nicht eingehalten werden. Mehr als 23.000 Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichneten die Erklärung.

Stefan Rahmstorf
‏ @rahmstorf

«Die Klima-Profis sind klar auf Seiten der Schüler! Die Schüler gehen auf die Straße, weil die Politiker trotz schöner Worte die Klimaziele verfehlen. Greta Thunberg versteht mehr vom knappen Emissionsbudget und den Kipppunkten des Klimas als Herr Lindner.»

Freitag, kurz vor zwölf Uhr. Auf dem Richard-Wagner-Platz sammeln sich Dutzende Jugendliche. Einige mit Plakaten, ein paar mit Transparenten: «Unsere Zukunft ist uns wichtig!» ist dort zu lesen. Oder: «Karl der Käfer wurde nicht gefragt.» Es regnet leicht. «Wir sind nicht aus Zucker!», meint Sophia dazu. Mit ein paar Studenten heben sie zwei Lautsprecher auf den Transporter. Freya schaltet ein Mikrofon an. Sie ist heute für den Soundcheck eingeteilt. «Test, Test, warum ist das nicht lauter?!» Ein paar Minuten später eröffnet Sophia mit einer Rede: «Fridays! For! Future! Was macht das?» Die Menge antwortet: «Fridays for Future!» Und Sophia bemerkt, wie «crazy, crazy, supercool» viele Leute gekommen sind. Rund 2.500 Teilnehmer werden sie später zählen.

Ein paar junge Leute mit Demoplakaten an einer Straßenkreuzung, im Hintergrund die denkmalgeschützte Aluminium-Fassade des ehemaligen Konsument-Warenhauses am Brühl, Leipzig.
«We! Are! Unstoppable!» – eine von Freyas Lieblingsparolen. Foto: Hanna Lenz

Sophia weiß, dass sie als Jugendliche an Grenzen stößt. «Fakt ist: Ich kann nicht sagen, dass mein CO2-Ausstoß gleich null ist.» Vergangenen Winter fuhr sie mit ihren Eltern in den Skiurlaub. Sie glaubt, dass ihre Mutter sauer gewesen wäre, wenn sie nicht mitgefahren wäre. «Als Kind kann man nicht alles bestimmen», sagt sie. Einen Teil ihres Weihnachtsgelds gab sie deshalb für eine Aktion zur CO2-Kompensation aus. Freya dagegen muss wegen der Teilnahme bei Fridays for Future nicht ihr komplettes Leben umwerfen. Ihre Eltern hätten sie nun mal naturbewusst erzogen. Mit recycelten Möbeln, Zahnbürsten aus Holz. Sie spricht in gelangweiltem Ton, als sei das nichts Besonderes.

Eine Generation ohne Illusionen

Die Demonstranten bewegen sich durch die Innenstadt von Leipzig. Einige Passanten bleiben stehen, andere gehen vorbei. «Ihr lauft in die falsche Richtung!», rufen ein paar Jugendliche. Auch Freya schreit ins Mikro. «We! Are! Unstoppable! Another world is possible!» Ihre Stimme klingt heiser. Eine «andere Welt» wäre aus ihrer Sicht: weniger Abgase, weniger Müll. Sie glaubt, dass sie im Kleinen etwas tun kann. Mit anderen Teilnehmern will sie am Kanal in ein paar Wochen Müll sammeln. All die Kronkorken und Plastiktüten in einen Müllbeutel stopfen und vor das Rathaus stellen. Trotzdem lägen viele Entscheidungen bei den Erwachsenen. «Ich bin 15, ich kann nicht wählen», sagt sie. Vor dem Verwaltungsgericht, kurz vor Ende der Demonstration, lesen Vertreter der Scientists for Future ihre Erklärung vor: «Die enorme Mobilisierung der neuen Bewegungen zeigt, dass die jungen Menschen die Situation verstanden haben», sagen sie. «Nur wenn wir rasch und konsequent handeln, können wir die Erderwärmung begrenzen.» Drumherum stehen ein paar Erwachsene, Zuschauer ohne Transparente.

 

Ein junges Mädchen in einem T-Shirt mit dem Aufdruck: "FCK NZS" spielt auf einer akustischen Gitarre.
Bald will Freya bei Demos mit ihrer eigenen Band auftreten. Foto: Hanna Lenz

Ich bin 15, ich kann nicht wählen.

Freya, Fridays-for-Future-Aktivistin

Sophia ist inzwischen wieder unterwegs. Am frühen Nachmittag ist sie mit jungen Journalisten verabredet. Um 19:10 Uhr fährt sie mit dem Zug nach Berlin. Geplant ist ein Treffen mit dem Jugendrat der Generationen Stiftung. Danach will sie die nächste Demo planen. Vielleicht noch mit Leuten von «Parents for Future» sprechen. Sophia ist zufrieden, dass so viele Demonstranten gekommen sind: 2.500 Teilnehmer. Trotzdem zweifelt sie daran, dass sich die Klimapolitik so bald ändern wird. Von Ministerpräsident Kretschmer hat die Klimaaktivistin eine Einladung bekommen, erzählt sie. Er will mit ihr über Groitzsch sprechen, über die Zukunft des Kohleabbaus in Sachsen. Einen konkreten Termin aber habe er ihr noch nicht genannt. «Mal sehen, wann was von ihm kommt», sagt Sophia und grinst vielsagend.

 

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18. April 2019 | Energiewende-Magazin