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«In was für einer Welt wollen wir leben?»

Ein Bericht von Tom Jost

Alexander Sladek über aktuelle Herausforderungen der Energiewende und die Bestrebungen der EWS für mehr Nachhaltigkeit und Vernetzung.

An Herausforderungen hat es den «Stromrebellen» von Beginn an nie gemangelt: nicht in den 1990er-Jahren, als die Initiative von Schönauer Bürgerinnen und Bürgern, das lokale Stromnetz in die eigenen Hände zu nehmen, von den allermeisten Experten allenfalls belächelt wurde. Nicht, als es fortan darum ging, eine Energieversorgung ohne Atomkraft und Kohle aufzubauen. Oder die Bürgerinitiative als unternehmerische Keimzelle in ihrer Schwarzwaldgemeinde zu einer international bekannten Bürgerenergiegenossenschaft mit mittlerweile 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie über 200.000 Kunden zu entwickeln.

Nachhaltige Mobilität als wichtiges Handlungsfeld

Foto: Albert Schmidt

Heute – und vor allem für die Zukunft – gilt es erneut, sich einer Reihe von Herausforderungen zu stellen. Welche das sind, hänge von einer ganz zentralen Frage ab, sagt EWS-Vorstand Alexander Sladek: «In was für einer Welt wollen wir leben?» Seine Zuhörer beim 20. Schönauer Stromseminar nahm er mit auf eine Reise in die Energiezukunft, die eigentlich schon längst begonnen hat: «Stromgemeinschaften, E-Mobilität, Digitalisierung: Ich kann mir das gut vorstellen – und viele von Ihnen hoffentlich auch.»

Wenn man sich zum Ziel setze, klimaneutral und atomstromfrei zu werden, beginne die große Herausforderung damit, bereits bei der Stromerzeugung alle Energieträger durch Erneuerbare Energien – meist Sonne, Wind- und Wasserkraft – zu ersetzen. «Gegenwärtig», so Alexander Sladek, «haben wir in Deutschland einen Anteil von 40 Prozent erreicht. Aber das reicht bei Weitem nicht.» Denn nun gelte es, auch den Verkehr mit seinem gewaltigen Bedarf an Benzin und Diesel umzustellen. Dies würde einen erheblich gesteigerten Strombedarf mit sich bringen – entweder für das Laden von Autobatterien oder die Herstellung von synthetischen Treibstoffen. Letztere hält Sladek, zumindest für den Flugverkehr, für unumgänglich.

Neue Wege bei Wärme und Prozessenergie

Doch damit nicht genug: Auch der große Wärmemarkt würde künftig große Strommengen benötigen, denn mit Biomasse und Biogas allein sei der Bedarf nicht zu decken. Hier werden in Zukunft wohl Verfahren zum Einsatz kommen, die vor allem Windstrom in Wasserstoff oder Methan umwandeln. Ebenfalls zu betrachten wären die industriellen Fertigungsprozesse und deren Energiehunger, dem fossile Nahrung abgewöhnt werden müsse. Das Zwischenfazit des EWS-Vorstands: «Wir brauchen viel, viel mehr Stromerzeugung aus den Erneuerbaren, wahrscheinlich glatt das Fünffache. Aber je sparsamer wir sind, desto weniger benötigen wir auch.» 

Digitalisierung ist kein Selbstzweck.

Alexander Sladek, Vorstand der EWS

Das Handicap der Ökostromenergien besteht darin, dass sie in Zeitpunkt und Leistung oft nicht mit dem Bedarf übereinstimmen. Deshalb hält Alexander Sladek nicht nur große und kleine Stromspeicher für erforderlich, sondern auch die optimale Ausnutzung der vorhandenen Transportnetze. Es mache keinen Sinn, weiter «blind Kupferleitungen zu verlegen», sagt er – und meint damit teure Überlandtrassen, die vom hohen Norden in den tiefen Süden führen. Viel besser sei die regionale Abstimmung zwischen gesteigerter nachhaltiger Erzeugung, Speicherung und Verbrauch. Hier komme die Digitalisierung ins Spiel, allerdings mit Sinn und Verstand. Sie sei kein Selbstzweck, schaffe aber «den Werkzeugkasten» für die Verknüpfung.

Nachhaltige Erzeugung und Mobilität bei den EWS

Doch wie stellen sich die Elektrizitätswerke Schönau selbst diesen Herausforderungen? Indem sie beispielsweise Wind-, Photovoltaik- und andere Anlagen zur nachhaltigen Stromerzeugung bauen und betreiben: Ende 2018 umfassten diese eine Leistung von 22 Megawatt, mit denen 40,5 Millionen Kilowattstunden Ökostrom erzeugt wurden. Weitere Windparks sind geplant. Hinzu kommen über 2.000 Kleinanlagen bei Mitgliedern und Kunden, deren Errichtung im Laufe der Jahre durch «Schönauer Sonnencent» gefördert worden ist.

 

Mittelalter Mann auf der Bühne
Foto: Albert Schmidt

 

Alexander Sladek richtete den Blick auf eine lange Liste weiterer Maßnahmen, die eher hinter den Kulissen Wirkung entfalten. Sie stehen für den Anspruch der EWS, die Energiewende auf möglichst vielen Feldern – alleine oder mit Partnern –voranzubringen: So wird zeitgleich mit dem Neubau des Verwaltungsgebäudes, bei dem man auf eine elektrische Klimatisierung verzichtet, das gesamte EWS-Areal an der Friedrichstraße in Schönau an ein Nahwärmenetz angeschlossen. Elektrische Mobilität hat Einzug gehalten und den EWS die ersten fünf Elektroautos beschert – drei weitere sind bestellt. Die Ladeinfrastruktur wird von aktuell sechs auf 20 Stromtankstellen erweitert, eine Ladekarte ermöglicht Kunden zudem das Aufladen an 14.000 Stationen in Deutschland und Europa. Man schaffe auch Anreize für die klimafreundliche Mobilität der Mitarbeiter, berichtete Sladek: Dazu zählen die Förderung von «Job-Rädern» und «Job-Tickets» ebenso wie die Unterstützung von Fahrgemeinschaften.

Stromgemeinschaften in der Erprobungsphase

Weil Strom nach Möglichkeit lokal erzeugt und verbraucht werden soll, testen die EWS die Einrichtung von «Stromgemeinschaften», bei denen vernetzte Mitglieder und deren Solardächer oder Blockheizkraftwerke ein gemeinschaftliches Versorgungskonzept realisieren. Mit digitaler Steuertechnik und möglichst umweltfreundlichen Stromspeichern ausgerüstet, sollen lokal erzeugte Energiemengen dorthin gelenkt werden, wo man sie aktuell braucht. So kann im Sommer eine Photovoltaikanlage oft bequem den Nachbarn mitversorgen – und im Winter der Strom aus dessen Blockheizkraftwerk den umgekehrten Weg nehmen. «Das bedeutet eine höhere Transparenz der Energieflüsse», erläutert Alexander Sladek, «und ein Plus an Mitgestaltung der Bürger.» Zudem würden solche Gemeinschaften – deren Mitglieder sich ja meist bereits persönlich kennen – zu sozialem Austausch anregen.

Wir brauchen eine Schnittmenge zwischen dem Können und dem Müssen.

Alexander Sladek, Vorstand der EWS

Mit der Übernahme des örtlichen Stromversorgungsnetzes hat 1997 die aktive Geschichte der EWS begonnen. Auch dieses Netz erfährt eine digitale Modernisierung, wird mit neuer Messtechnik, Fernschaltung und -überwachung ausgerüstet. Erklärtes Ziel ist das frühzeitige Feststellen von Belastungsgrenzen und damit die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Einiges muss dabei in die IT-Sicherheit investiert werden, berichtet Alexander Sladek. Man setze dabei vor allem auf kabelgebundene Lösungen, um weniger sichere Steuerungen per Funk zu vermeiden.

Das ganze Paket an Herausforderungen stelle immer wieder neu die Fragen, in welcher Welt wir leben möchten, wie schnell und radikal solche Transformationen erfolgen sollen und was man den Menschen zumuten könne. «Wir brauchen eine Schnittmenge zwischen dem Können und dem Müssen», schlussfolgert Alexander Sladek. «Konzepte und Geld sind vorhanden. Aber wir müssen auch verhindern, dass Menschen bei der anstehenden Transformation zu Verlierern werden.»

 

Alexander Sladek

Nach dem Studium der Philosophie, Soziologie und Betriebswirtschaftslehre folgte Alexander Sladek den Spuren seiner Eltern und machte Energie zu seinem beruflichen Thema. Stationen auf dem Weg zur EWS waren eine kleine Beratungsfirma sowie ein mittelgroßes Stadtwerk im Süden Deutschlands. Seit 2011 ist er für die EWS tätig. Seit 2015 gehört er dem Vorstand der EWS eG an und ist Geschäftsführer der EWS Vertriebs GmbH.

Seinen Vortrag beim Schönauer Stromseminar 2019 finden Sie auf dem YouTube-Kanal der EWS.

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17. Juli 2019 | Energiewende-Magazin