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Urbaner Klimaschutz par excellence

Ein Bericht von Petra Völzing

Im Berliner Bezirk Neukölln zeigen die EWS gemeinsam mit zwei weiteren Genossenschaften, dass Mieterstrom in großem Maßstab machbar ist.

Gemeinsam mit der BürgerEnergie Berlin (BEB) und der Wohnungsgenossenschaft Neukölln haben die EWS ein Mieterstromprojekt an den Start gebracht: Auf dem Dach einer großen Wohnanlage in der Fuldastraße, Ecke Ossastraße in Neukölln ging im September 2019 eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 99,8 Kilowatt-Peak in Betrieb, die 118 Haushalte mit dem vor Ort erzeugten Solarstrom versorgt. Einziger Wermutstropfen: Eigentlich wollten weitaus mehr Mieterinnen und Mieter mitmachen − eine erheblich größere Anlage wäre technisch umsetzbar gewesen −, doch die Gesetzgebung der Bundesregierung beschneidet Mieterstromprojekte in vielerlei Hinsicht empfindlich.

Ein Sommerfest mit neuer Sonnenkraft

Drei Frauen sitzen an einem Biertisch im Grünen und amüsieren sich.
Bewohnerinnen auf dem Sommerfest Foto: Paul Lovis Wagner

Zahlreiche Bewohner der Wohnanlage in Neukölln tummeln sich im Juli beim Sommerfest im Hof. Mit Kind und Kegel nutzen sie das Zusammensein zu einem gemütlichen Plausch unter Nachbarn. Auch Christian Rickerts, Berliner Staatssekretär für Wirtschaft, Energie und Betriebe, ist gekommen, um gemeinsam mit den Bewohnern, den Akteuren der EWS und der BEB die neue Mieterstromanlage gebührend zu feiern. Unter großem Jubel wird eine mit dem Bild der Photovoltaikanlage dekorierte Torte angeschnitten. EWS-Vorstand Sebastian Sladek würdigt den gemeinschaftlichen Charakter des Projekts: «Echten Klimaschutz können wir nur erreichen, wenn wir gemeinschaftlich daran arbeiten», sagt er – die hier erlebbar gewordene Zusammenarbeit sei dafür ein wirklich ermutigendes Beispiel.

Mit diesem Projekt habe ich als Mieterin endlich eine Möglichkeit, mich aktiv für den Klimaschutz einzubringen.

Ursula Syska, Bewohnerin der Wohnanlage

Wer die PV-Anlage genauer in Augenschein nehmen möchte, kann vom obersten Stockwerk durch eine schmale Luke auf das Flachdach klettern – so wie die Hausbewohnerin Ursula Syska. Die Logopädin bezieht schon lange Ökostrom und hat sich von Anfang an intensiv für das Projekt engagiert. Jetzt steht sie vor der Anlage in luftiger Höhe und erzählt voller Stolz: «Für mich ist die Energiewende ein sehr wichtiges Anliegen, und hier habe ich als Mieterin eine Möglichkeit, mich aktiv für den Klimaschutz einzubringen.» Zusammen mit einem Nachbarn hat sie alle Bewohner der Wohnanlage besucht, ihnen das Prinzip des Mieterstroms erklärt und für die Teilnahme an dem Projekt geworben, denn Mieterinnen und Mieter können frei entscheiden, ob sie an der Mieterstromversorgung teilnehmen wollen.

Aufgaben gemeinsam angehen

Bevor eine Mieterstromanlage Bewohner mit Strom versorgen kann, muss aufwendig geplant werden. «In einem Mieterstromprojekt steckt jede Menge Arbeit – umso wichtiger ist es, diese auf mehrere Schultern zu verteilen», sagt Christoph Rinke, Vorstand der BEB. Er hat Sami Natal, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Neukölln, auf einer Tagung kennengelernt und die Mieterstromidee ins Spiel gebracht. Mit den EWS als dritten Player hat das Genossenschaftsgespann die Rollen und Aufgaben sinnvoll verteilt. Die Wohnungsgenossenschaft stellte die Dächer zur Verfügung, die BEB plante das Projekt, finanzierte die Anlage und vergab deren Bau an einen Solarinstallateur. Als Stromversorger mieten die EWS die Anlage von der BürgerEnergie Berlin und übernehmen als Betreiber die Stromversorgung der Bewohner. Die BEB regelt die vertrieblichen Aufgaben vor Ort und steht als Ansprechpartner zur Verfügung.

Blick über ein Flachdach, auf dem viele PV-Module installiert sind.
Leere Dachflächen sinnvoll nutzen: Die neue PV-Anlage hat knapp 100 Kilowatt-Peak. Foto: Silke Reents

Technisch ist ein Mieterstromprojekt ziemlich anspruchsvoll. «Entscheidend ist, dass wir das Stromnetz der versorgten Gebäude bis auf eine Schnittstelle vom öffentlichen Netz abtrennen», sagt Julian Kolbe, Mieterstromexperte der EWS. So entstand eine aus technischer Sicht zusammenhängende Anlage, in der nun der Sonnenstrom vom Dach direkt zu den Mietern gelangt. Wenn die Sonne nicht scheint, fließt Ökostrom von den EWS. Bei der Wohnungsgenossenschaft wird 60 Prozent des erzeugten Sonnenstroms vor Ort verbraucht, der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist und über die EEG-Umlage vergütet. Weil es nur eine Schnittstelle zum öffentlichen Netz gibt, fallen für den erzeugten Sonnenstrom keine Netzentgelte an, auch die Stromsteuer und einige Umlagen und Abgaben entfallen, sodass der Strom zu einem günstigen Tarif angeboten werden kann.

Energieversorger als Ratgeber bei der Selbstversorgung

Die EWS hatten als Betreiber zudem die komplexe Aufgabe, die energiewirtschaftlichen Prozesse mit dem zuständigen Netzbetreiber abzustimmen. Dafür müssen spezielle Verträge geschlossen und alle Mieterstromkunden beim Netzbetreiber gemeldet werden. «Für das Betreiben einer Mieterstromanlage ist die energiewirtschaftliche Erfahrung eines Energieversorgers hilfreich, wenn nicht gar notwendig», so Sebastian Sladek. Auch sei das komplexe Messkonzept, für das Julian Kolbe von den EWS verantwortlich ist, ohne professionelle Hilfe kaum zu stemmen gewesen.

Wir bieten günstige Stromtarife und tragen gleichzeitig zum Klimaschutz bei.

Sami Natal, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Neukölln
Auf einem Flachdach steht ein Mann mittleren Alters. Er hält mit der linken Hand  sein Smartphone hoch, um ein Selfie zu schießen.
Sami Natal ist begeistert von der ersten großen Mieterstromanlage. Foto: Paul Lovis Wagner

 

Für Sami Natal, seit 20 Jahren Vorstand der Wohnungsgenossenschaft, ist das Mieterstromprojekt ein weiterer wichtiger Schritt auf der Klimaschutzagenda. «Gebäude können sehr viel zum Klimaschutz in der Stadt beitragen», erläutert er. Schon vor Jahren hat die Genossenschaft deshalb begonnen, ihre Häuser energieeffizient zu sanieren – durch Dämmung und den Einbau von neuen Fenstern. Wo es möglich war, wurden die Häuser an das Fernwärmenetz angeschlossen, um auch die Wärmeversorgung effizienter zu gestalten.

Spielräume für Privathaushalte und Stromgemeinschaften

Die Einführung des Mieterstromgesetzes 2017 hat für die GW Neukölln neue Spielräume eröffnet. «Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass der Mieterstromtarif zehn Prozent unter dem Grundversorgertarif liegen muss», so Natal. «Das ist für uns ideal, denn so können wir attraktive Stromkonditionen anbieten und gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.» Den aktuellen gesetzlichen Rahmen sieht Sami Natal allerdings durchaus kritisch. «Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass Photovoltaikanlagen mit einer Leistung über 100 Kilowatt-Peak nicht gefördert werden», sagt er. Daher konnte nicht die gesamte Dachfläche mit Modulen belegt werden und konnten nicht alle Interessenten zum Zuge kommen. «Wir müssen jetzt ein Jahr warten, bis wir das Projekt fortsetzen können, das ist schon absurd.»

Mieterstromprojekte sind für viele Privatbesitzer, Genossenschaften und Eigentümergemeinschaften realisierbar.

Christoph Rinke, Vorstand der BürgerEnergie Berlin
Auf dem Flachdach hockend, zeigt und erläutert ein junger Mann zwei daneben stehenden Frauen ein PV-Modul.
Christoph Rinke erklärt interessierten Bewohnerinnen die neue PV-Anlage. Foto: Paul Lovis Wagner

Christoph Rinke, der das Projekt angestoßen hatte, ist überzeugt, dass weitaus mehr Hauseigentümer, seien es Genossenschaften, Privatbesitzer oder Eigentümergemeinschaften, Mieterstromprojekte umsetzen könnten. «Wichtig ist nur, sich die richtigen Partner zu suchen», sagt er. Er selbst hat sich tief in die komplexe Materie eingearbeitet. Sein Wissen gibt er gerne weiter, um anderen den Projektstart zu erleichtern. «Sich eine erste Orientierung zu verschaffen, ist gar nicht so schwer», sagt Rinke und zeigt eine App, mit der man auf der Grundlage von Satellitenbildern Dachflächen virtuell mit Solarmodulen belegen und die mögliche Leistung der Anlage berechnen kann. Auf diese Weise können Interessierte vorab grob abschätzen, ob die Dachfläche für ein Mieterstromprojekt geeignet ist. Gemeinsam mit Sami Natal ist Christoph Rinke bereits dabei, die nächsten Mieterstromanlagen zu planen und weitere Dächer für eine mögliche Nutzung genauer in Augenschein zu nehmen.

Dennoch wünschen sich die drei Partner eine schnelle Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für Mieterstrom. «Die neue EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien gibt dem bürgerschaftlichen Engagement im Energiesektor mehr Gewicht», berichtet Sebastian Sladek. Gerade große Mieterstromprojekte tragen mit ihrer Vor-Ort-Bereitstellung erheblich zur Dezentralisierung der Stromversorgung bei. «Auf diese Weise werden die öffentlichen Netze erheblich entlastet», so der EWS-Vorstand. Selbst einige der umstrittenen Stromtrassen könnten bei konsequenter Dezentralisierung so eingespart werden. Vor diesem Hintergrund sollte nach Ansicht der Projektpartner die Deckelung der Förderung auf 100 kWp schnellstmöglich wegfallen. Zudem sei die Förderpraxis mehr als kompliziert, was den administrativen Aufwand extrem erhöht.

Hohe Fixkosten für den Anlagenbau

Vor einem Mikrofon steht ein Mann mit Bart und spricht, im Hintergrund mehrere Zuhörer.
EWS-Vorstand Sebastian Sladek beim Sommerfest Foto: Paul Lovis Wagner

Die Rentabilität von Mieterstromprojekten speist sich nur noch zu einem kleinen Anteil aus der Förderung. Wichtiger sind die Einsparungen bei der Stromsteuer, den Umlagen und den Netzentgelten. Nach Auffassung der Projektpartner ist es aber unverzichtbar, auch weiterhin Förderungen für Mieterstromprojekte aufrechtzuerhalten, weil diese wegen der hohen Fixkosten für die technische Einrichtung immer an der Rentabilitätsgrenze kratzen.

Nach Ansicht von Christoph Rinke müssen im Mieterstromgesetz noch weitere Hürden aus dem Weg geräumt werden: «Nicht nur die maximale Größe der geförderten Anlagen ist zu klein angesetzt, auch die Anzahl der Haushalte, die durch eine zusammenhängende Anlage versorgt werden dürfen, ist begrenzt.» Unangemessen findet der BEB-Vorstand auch, dass eine Pflicht zur Direktvermarktung des Stroms besteht, weshalb der erzeugte Sonnenstrom über einen Zwischenhändler an der Börse verkauft werden müsse. «Dieser Aufwand ist zu hoch und macht ein Mieterstromprojekt unrentabel», so Rinke.

Das Projekt ist ein ermutigendes Beispiel für gemeinschaftlichen Klimaschutz.

Sebastian Sladek, EWS-Vorstand

Die EWS planen, ihre Rolle als Energiepartner in Mieterstromprojekten weiter auszubauen. «Die Arbeitsweise entspricht voll und ganz unserem Selbstverständnis, die Energiewende als Gemeinschaftsprojekt voranzutreiben», so Sebastian Sladek.

Auf das Neuköllner Dach haben sich neben Ursula Syska viele weitere Bewohner, aber auch Interessierte gewagt, um die Anlage zu bestaunen und den Ausblick zu genießen. Von hier oben zeigt sich auch das riesige Potenzial für Mieterstrom, denn die anderen Dächer sind noch überwiegend «leer» und warten nur darauf, von engagierten Bürgerinnen und Bürgern für eine zukunftsfähige Stromerzeugung genutzt zu werden.

 

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13. September 2019 | Energiewende-Magazin