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Berlin: Stromnetz in Bürgerhand!

Christoph Rinke im Gespräch mit Sophie Schmalz

Nach 20 Jahren kommt das Berliner Stromnetz wieder in öffentliche Hand. Eine Genossenschaft ist nun kurz davor, die Teilhabe von Bürgern durchzusetzen.

Seit sechs Jahren kämpft die «BürgerEnergie Berlin» (BEB) für das Berliner Stromnetz in Bürgerhand. Christoph Rinke ist einer der Vorstände der BEB. Die Energiegenossenschaft will erreichen, dass die Berlinerinnen und Berliner durch eine direkte Bürgerbeteiligung mitbestimmen können, wie eine nachhaltige Energieversorgung aufgebaut werden kann und wohin die hohen Gewinne aus dem Netzbetrieb fließen. Nach 20 Jahren Netzbetrieb durch den schwedischen Konzern Vattenfall wurde im März 2019 die Konzession an einen landeseigenen Betrieb vergeben. Auch die BEB war Bieter in diesem Vergabeverfahren um das Netz – hat aber verloren. Nun könnte Christoph Rinke mit der BEB erst recht zum Zuge kommen: Im Gespräch mit dem Energiewende-Magazin erklärt Rinke, warum er und die Genossenschaft trotzdem jubeln, die Chancen für eine Beteiligung besser denn je stehen und was eine Rekommunalisierung den Menschen überhaupt bringe.

 

Ein junger Mann mit Dreitagebart sitzt, dem Betrachter zugewandt, in einer Kneipe auf dem Sofa.
Christoph Rinke, Vorstand der BEB Foto: Thomas Bruns

Herr Rinke, seit sechs Jahren kämpfen Sie mit vollem Einsatz um das Stromnetz in Berlin. Dafür haben Sie sogar einen gut bezahlten Job aufgegeben. War es das wert?

Ja, absolut. Das ist total irre: Was vor sechs Jahren noch eine verrückte Idee war – sich das Stromnetz zu erstreiten –, könnte auf einmal Realität werden. Unser Ziel, eine direkte Bürgerbeteiligung am Stromnetz zu erreichen, ist zum Greifen nah.

Aber Sie haben mit Ihrer Genossenschaft BürgerEnergie Berlin im Verfahren um die Stromnetzvergabe doch verloren? Der Zuschlag ging an das Land – nicht an Sie. Warum jubeln Sie trotzdem?

Das Stromnetz gehört in die öffentliche Hand – und in Bürgerhand. Als Genossenschaft wollen wir einen gemeinsamen Netzbetrieb mit dem Land Berlin verwirklichen. Nun ist der Zuschlag an den Landesbetrieb gegangen. Damit sind wir unserem Ziel einen wichtigen Schritt nähergekommen. Die rot-rot-grüne Landesregierung will, dass im Zuge einer Rekommunalisierung eine direkte Bürgerbeteiligung durch eine Genossenschaft ermöglicht wird – das steht im Koalitionsvertrag. Das ist eine gute Ausgangsposition, um mit dem Land in Verhandlung zu treten, und kann der Beginn für eine direkte Bürgerbeteiligung am Stromnetz sein. Unsere Chancen sind also so gut wie nie zuvor.

Das Stromnetz war die letzten 20 Jahre in privater Hand. War das so schlecht?

Wir können unseren Alltag, wie wir ihn kennen, nicht ohne Versorgung mit elektrischer Energie führen. Das Netz ist deshalb Teil der Daseinsvorsorge und dessen Bereitstellung eine öffentliche Aufgabe. Dieser Monopolbetrieb – denn es gibt ja nur dieses eine Netz in Berlin – wird finanziert aus Netzentgelten, die wir alle über unsere Stromrechnung zahlen. Der jährliche Gewinn aus diesem Netzbetrieb liegt für Vattenfall bei circa 100 Millionen Euro. Wir wollen einen Teil dieser Gewinne in eine nachhaltige und bürgereigene Energieversorgung investieren. Ein renditeorientiertes Unternehmen denkt dagegen eher an seinen Profit als an die Interessen der Bürger.

Das Logo der BürgerEnergie Berlin

Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern will die «BürgerEnergie Berlin» eine nachhaltige und bürgereigene Energieversorgung in Berlin etablieren. Neben dem Stromnetzkauf ist die Energiegenossenschaft dafür in den Bereichen Ökostrom, Energiesparen und Ausbau Erneuerbarer Energien zur Direktversorgung aktiv.

Die Genossenschaft hat derzeit mehr als 1.000 Mitglieder; der Mindestbeitrag beträgt 100 Euro. Darüber hinaus finanziert sie den Stromnetzkauf über Treugeber, deren Beiträge erst in Genossenschaftsanteile münden, sobald die BEB am Netz beteiligt wird. Laufende Kosten finanziert die BEB über Förderbeiträge, die Kampagnen organisiert zum großen Teil ein ehrenamtliches Team von rund 15 Personen, das den Vorstand unterstützt.

Jetzt kommt das Stromnetz in öffentliche Hand. Warum braucht es dann auch noch eine direkte Bürgerbeteiligung?

Der Netzbetrieb ist ein wichtiger Baustein für die Umsetzung von Energiepolitik. Deshalb halten wir dort direkte Teilhabe und Mitbestimmung für unerlässlich. Denn zum einen benötigen wir das Netz für den Ausbau der Erneuerbaren und wollen wir diesen Ausbau als Betreiber aktiv unterstützen. Zum anderen wurde das Stromnetz in den 1990er-Jahren aufgrund der knappen öffentlichen Kasse an Vattenfall verkauft. Wir wollen dafür sorgen, dass das nicht noch mal passiert – und zwar über tagespolitische Interessen hinaus.

Was ist ein «aktiver Netzbetreiber»?

Der Betreiber sollte seine zentrale Stellung im Energiesystem im Hinblick auf eine nachhaltige Energiewirtschaft nutzen. Er ist beispielsweise beim Ausbau Erneuerbarer Energien ein besonders wichtiger Akteur: Er kann sich einbringen, um Hürden für nachhaltige Energieprojekte abzubauen, und Gewinne reinvestieren.

In der Hauptstadt kauft sich die öffentliche Hand gerade nicht nur das Stromnetz zurück. Wird Zurückkaufen jetzt zum Trend?

Ja, das ist definitiv Trend: Zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge werden wieder verstärkt an das Land gebunden. Die drei Energienetze – für Strom, Gas und Fernwärme – will der Berliner Senat zurückbekommen. Für das Strom- und Gasnetz sind wir auf einem sehr guten Weg. Aber auch über die Energienetze hinaus ist der Trend spürbar: Die Berliner Wasserbetriebe sind schon länger rekommunalisiert, und auch im Wohnungssektor tut sich einiges.

Klappt das am Ende auch, dass der Senat seine Energienetze zurückbekommt?

Beim Gasnetz habe ich Hoffnung: Die Rekommunalisierung wurde mit der Vergabe der Konzession an das Land Berlin 2014 eingeleitet. Dagegen hat die Gasag als Netzbetreiber, die übrigens auch zu einem Drittel Vattenfall gehört, geklagt. Die juristische Überprüfung läuft seitdem. Das Fernwärmenetz ist leider noch immer fest in privater Hand – hier gibt es derzeit keine passenden juristischen Hebel dafür, das Netz von Vattenfall zurückzubekommen. Das Stromnetz wurde Anfang März mit der Entscheidung der Vergabekammer, die für die öffentliche Auftragsvergabe des Landes Berlins zuständig ist, rekommunalisiert …

… die Stromnetz Berlin GmbH, eine Vattenfall-Tochter, muss damit nun das Stromnetz an das Land Berlin zurückgeben.

Genau. Zwar muss das noch juristisch bestätigt werden, aber es ist ein fantastischer Zwischenerfolg für eine direkte Bürgerbeteiligung am Stromnetz.

Eine Frau und ein junger Mann halten gemeinsam eine Torte.
«Öffentliche Hand & Bürgerhand» – das Motto der BürgerEnergie Berlin für den zukünftigen Betrieb des Stromnetzes. Foto: Paul Lovis Wagner
Ein junger Mann wird vom RBB interviewt.
Nach Bekanntgabe der Vergabeentscheidung feiert die BEB das Ergebnis vor dem Roten Rathaus. Christoph Rinke informiert die Reporter zu den Chancen der Beteiligung. Foto: Paul Lovis Wagner
Demonstranten mit Transparenten, in Nahaufnahme eine Frau in winterlicher Kleidung
Mit Transparenten und Plakaten: Die BEB fordert die direkte Bürger­beteiligung am Berliner Stromnetz. Foto: Paul Lovis Wagner
Die Torte wird angeschnitten. Auf der Torte die Aufschrift: «Öffentliche Hand und Bürgerhand – Berliner Stromnetz»
Zur Feier des Tages: Torte für Alle! Foto: Paul Lovis Wagner

Wie könnte so eine Beteiligung aussehen?

Wir wollen uns als Genossenschaft wirtschaftlich am landeseigenen Netzbetreiber beteiligen. Schließlich wollen wir nicht nur schmückendes Beiwerk in irgendeinem Beirat sein, sondern durch die wirtschaftliche Beteiligung eine fest verankerte Teilhabe der Bürger umsetzen.

Wie genau?

Wir streben einen Sitz im Aufsichtsrat an und wollen mit weiteren Beteiligungsplattformen zusammenarbeiten, um über unsere Genossenschaft eine wirklich demokratische Mitbestimmung zu ermöglichen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit, die wir jetzt mit dem Land Berlin aushandeln möchten. Wir werden nicht lockerlassen, bis das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt ist.

Die Konzession für das Stromnetz ist bereits 2014 ausgelaufen. Warum fällt die Entscheidung erst jetzt?

Das hat mehrere Gründe: Das Verfahren wurde nach der Entscheidung zum Gasnetz 2014 gestoppt und überarbeitet. Zudem hat Vattenfall in den letzten eineinhalb Jahren ein zentrales Element, den Kriterienkatalog, juristisch erfolglos angefochten. Während dieser Verzögerung lag das Verfahren still, Vattenfall konnte das Netz weiterbetreiben und damit Jahr für Jahr Millionengewinne einfahren.

Vattenfall kann so ein Verfahren einfach ausbremsen, um abzukassieren?

So ein Verfahren ist äußerst komplex – vor allem bei einem so großen Netz wie in Berlin. Weil mit dem Netz großer energiepolitischer Einfluss verbunden ist. Daher wird sich natürlich gestritten – um die Vergabekriterien, um die Entscheidung und anschließend um den Kaufpreis. Als bisheriger Betreiber hat Vattenfall da eine privilegierte Stellung.

Ist der Streit jetzt vorbei?

Noch nicht ganz. Wir gehen davon aus, dass Vattenfall alles tun wird, um die Entscheidung infrage zu stellen. Das wird etliche Monate dauern. Ob die Entscheidung noch gekippt werden kann, ist schwer einzuschätzen. Die Vergabe muss nun erst einmal rechtssicher festgestellt werden.

Warum sind Genossenschaften für eine Bürgerbeteiligung wichtig?

Uns geht es um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger – und die lassen sich über Genossenschaften hervorragend vertreten. Jedes Mitglied hat bei uns eine Stimme, unabhängig von der Höhe der finanziellen Beteiligung. Die ideellen Ziele der Menschen haben für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland schon von Beginn an, sprich seit 20 Jahren, eine ganz zentrale Bedeutung. Das zeigt sich an der Geschichte der Energiegenossenschaften.

Warum brauchen wir Genossenschaften für die Energiewende?

Der Ausbau Erneuerbarer Energien wurde seit dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 wesentlich von Bürgern gestemmt: Privatpersonen, landwirtschaftliche Einzelunternehmer und Bürgerenergiegenossenschaften investieren seither einzeln oder gemeinsam in Energieanlagen. Die bis 2016 installierte Leistung Erneuerbarer Energien geht zu rund 40 Prozent auf Bürger zurück. Die Energiekonzerne hatten zu Beginn kein wirtschaftliches Interesse am Ausbau – sie hatten ja ihre großen und rentablen Kohle- und Atomkraftwerke.

 

Junger Mann steht mit seinem Fahrrad auf dem weiten Tempelhofer Feld
Foto: Thomas Bruns

 

Vor allem bei Jüngeren ist die Idee der Energiegenossenschaft nicht besonders bekannt – warum?

Wie Genossenschaften funktionieren und wofür sie da sind, wird selten in der Schule oder an Universitäten vermittelt. Das Verknüpfen von wirtschaftlichen mit ideellen Zielen – und dass man sich zusammenschließt, weil man etwas alleine nicht schafft – ist in Deutschland kaum Lehrinhalt.

Ist die Zeit der Bürgerenergiegenossenschaften nicht eher vorbei?

Die Bürgerenergie wächst nicht mehr so stark wie noch vor einigen Jahren, das stimmt. Der Gründungsboom der Genossenschaften, der mit dem Beginn der Erneuerbaren vor rund 20 Jahren angefangen hat, nimmt ab. Das liegt vor allem daran, dass das EEG komplexer geworden ist. Für genossenschaftliche Projekte, die häufig ehrenamtlich funktionieren, ist das zunehmend schwieriger zu stemmen. Große Konzerne haben es da deutlich leichter. Zudem steigt der wirtschaftliche Druck, weil die Einspeisevergütung abgesenkt wurde. Für eine erfolgreiche Energiewende benötigen wir aber vor allem von Bürgern getragene Projekte. Und die lassen sich über Genossenschaften sehr gut organisieren. Durch Bürgerenergie kann außerdem die gesellschaftliche Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren steigen. Wenn wir den Klimaschutz erfolgreich meistern wollen, muss es für die Menschen auf dem Land und in der Stadt einfacher werden, eigene Energieprojekte umzusetzen.

Meinen Sie damit auch, dass Menschen eigene Energieprojekte aufbauen sollten, um sich selbst zu versorgen?

Ja. Der Ausbau Erneuerbarer Energien mit dem Ziel der Direktversorgung ist ein wesentliches Element der Energiewende. Wir wollen einen möglichst hohen Direktverbrauch in Berlin erreichen: Strom, der dort produziert wird, wo er auch verbraucht wird – ohne dass er vorher durchs Netz gehen muss. Das ist für Eigenheimbesitzer einfacher umzusetzen als für Mieter, die ja kein eigenes Dach haben. Unser Ansatz ist hier, auf Dächern von Mehrfamilienhäusern Solaranlagen zu bauen, damit sich Mieter im Rahmen von Mieterstromprojekten mit Strom versorgen können. Falls das nicht geht, können Balkonmodule installiert werden, mit denen die Mieter den Strom direkt erzeugen und verbrauchen.

So ein paar Dachflächen reichen doch nicht aus, um eine Stadt wie Berlin mit Strom zu versorgen, oder?

Es gibt enormes Potenzial! Und das ist kein Wunsch gedanke – hierzu existieren genug Studien. Und trotzdem resultieren 36 Prozent der CO2-Emissionen in Berlin aus dem Stromverbrauch. Damit der Senat sein ambitioniertes Ziel erreicht, die CO2-Emissionen bis 2050 um mindestens 85 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren und Berlin zur «Solarcity» zu machen, müssen nicht nur irgendwelche Unternehmen, sondern auch die Berlinerinnen und Berliner mitmachen. Dafür bieten wir als Genossenschaft die Plattform.

Je mehr Menschen, desto besser?

Ja. Je mehr Menschen hinter uns stehen und Mitglied unserer Genossenschaft werden, desto wirkungsvoller können wir agieren. Denn deren Unterstützung hilft uns nicht nur bei Verhandlungen mit dem Senat für die direkte Bürgerbeteiligung am Netz, sondern auch beim Ausbau einer bürgereigenen und nachhaltigen Energieversorgung. Denn Klimaschutz geht nur gemeinsam.

 

Kopfportrait eines Jungen Mannes vor weißem Hintergrund
Christoph Rinke

Christoph Rinke, geboren 1983, erfuhr 2013 von der Genossenschaft «BürgerEnergie Berlin» (BEB). Die Idee, sich das Stromnetz zu erstreiten, faszinierte ihn. Der gelernte Wirtschaftsinformatiker mit zusätzlichem Magister in Philosophie, Literatur und Geschichte war zunächst im ehrenamtlichen Team der BEB aktiv, seit 2018 ist er gemeinsam mit Angela Baldini im Vorstand.

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27. Mai 2019 | Energiewende-Magazin