Der Umweltschooner
Eine Reportage von Daniel Hautmann
Cornelius Bockermann wollte die Umweltverschmutzung auf hoher See nicht mehr hinnehmen und gründete eine Ökoreederei. Heute setzt Käpt’n Connie Segel.
Dass auf der «Avontuur» ein anderer Wind weht als auf gewöhnlichen Frachtschiffen, das kann man sogar hören: Das Schiffshorn der Avontuur ist eine Südseemuschel. Und nur wenige an Bord des Segelschiffes können ihr den charakteristischen, tiefen Ton so gut entlocken wie Bootsmann Peter Lüsch.
Frachtsegler wie die Avontuur waren früher die schnellste Art, Waren und Menschen zu transportieren. Sie verbanden Kontinente. Legendär sind die «Tea Clippers»: lange, schmale Segler, die ihre Ladung, meist Tee, binnen weniger Wochen aus den britischen Kolonien nach England brachten. Der Seehandel wurde immer effizienter. Für Romantik war bald kein Platz mehr auf den Weltmeeren: Weiße Segelschiffe wichen stählernen, dampfenden Riesen, die mit ihren dröhnenden Motoren die See durchpflügten.
Heute sieht man kaum noch Frachtsegler. Moderne Handelsschiffe fahren mit Schweröl – und verpesten die Umwelt in ganz großem Stil. Doch allmählich flaut der Wind wieder auf für die Segler. Die Avontuur ist dabei so etwas wie die Gallionsfigur einer neuen, umweltbewussten Art des Seehandels. Menschen, die biologisch und fair angebaute Produkte kaufen, interessieren sich zusehends auch für den Transport ihrer Ware. Sie wollen die Lücke zwischen umweltbewusstem Anbau auf dem einen Kontinent und Bioladen auf dem anderen schließen. Sie wollen einen sauberen Seehandel und sind bereit, dafür auch mehr zu bezahlen.
Wir wollen mit unserem Schiff eine Botschaft in die Welt tragen.
Umweltschonenden Seehandel voranbringen – das treibt Cornelius Bockermann an: «Wir wollen die Menschen für die gigantische Umweltverschmutzung auf den Weltmeeren sensibilisieren. Das ist unsere Mission.»
Bockermann steht im roten Arbeitsoverall an Deck der Avontuur. Auf den ersten Blick vermutet man gar nicht, dass der braun gebrannte Kerl hier das Sagen hat, er könnte genauso gut Matrose sein. Doch bereits nach seinem ersten Kommando, «All hands on deck!», ist klar, wer hier der Käpt’n ist.
Noch liegt die schneeweiße Avontuur ruhig in Bremerhaven. Gemächlich plätschern die Wellen an den stählernen Rumpf. Die beiden Masten ragen in einen wolkenlosen Himmel. 600 Quadratmeter Segelfläche, verteilt auf acht Segel, lassen sich an ihnen befestigen. «Gaffelschoner» nennt man diesen Schiffstyp. Zwar sind die Segel nicht gehisst, doch schon bald wird die Reise weitergehen, ins Oldenburger Land, nach Elsfleth, in den Heimathafen der Avontuur.
Bockermann freut sich auf Elsfleth. Seit über einem Jahr war sein Schiff nicht mehr zu Hause. Die halbe Welt hat die Avontuur in der Zwischenzeit besegelt. Vor La Palma lag sie, in Honduras machte sie fest, in Kanada war sie. Ein paar Tage zuvor lag sie noch fest vertäut im Hamburger Hafen. Dort wurden 17 Tonnen Kaffee, Kakao und Kardamom, die die Mannschaft in Nicaragua, Honduras und Mexiko geladen hatten, gelöscht. Und zwar in Handarbeit: Freiwillige Helfer packten kräftig an und hievten die bis zu 70 Kilogramm schweren Säcke per Seilwinde aus der Ladeluke der Avontuur. An Land übernahmen dann die Jungs mit den Lastenrädern und verteilten die Waren in der Stadt. So belieferte die Avontuur zum Beispiel den Kaffeeröster «El Rojito» oder die Marke «Yogi Tea».
So reibungslos wie im Hamburger Hafen geht das Be- und Entladen der Avontuur aber nicht immer vonstatten. Als die Besatzung auf der Karibikinsel Marie-Galante Rum laden sollte, musste sie feststellen, dass sie den Steg nicht nutzen kann. Also wurde improvisiert: Kurzerhand baute die Mannschaft aus den Rumfässern ein Floß und paddelte damit zum Schiff, wo die Fässer per Winde an Bord der Avontuur geholt wurden.
Die ist nun, nach fünf Monaten auf hoher See, wieder in heimischen Gewässern unterwegs. Bremerhaven hat sie verlassen. Langsam schiebt der Hilfsmotor die Avontuur jetzt auf der Weser gen Süden. Käpt’n Connie beobachtet durch seine dunkle Sonnenbrille das Geschehen. Hin und wieder dreht der 59-Jährige eine Runde über das Deck und sieht nach dem Rechten. Es ist ungewöhnlich heiß. Über 30 Grad. So liebt er es. Was ihm gar nicht schmeckt: Kaum ein Lüftchen regt sich.
Individualisten setzen Segel
Der Wind ist Bockermanns Motor. Er ist sein Antrieb. Trotz der Minibrise lässt er die Segel setzen. Die Kommandos an Bord der Avontuur kommen auf Englisch: «All the way up. Fasten it.» Schon wuselt die Mannschaft los. Die Crew setzt sich aus Freiwilligen aus aller Welt zusammen. Da ist die zierliche Rosa, die an Bord alle nur «Rose» nennen. Die Berlinerin ging in Brasilien an Bord, wo sie ein Praktikum machte. «Nachhaltige Landwirtschaft». Nach Hause zu fliegen ging ihr gegen den Strich – zu viele Emissionen. Als sie hörte, dass die Avontuur bald von Südamerika nach Europa segeln würde, wusste sie: Das ist mein Schiff. Jetzt hängt sie im Gurtzeug am Bug der Avontuur und passt auf, dass das Segel sauber aufgezogen wird. Jake, der US-Amerikaner, der mit seiner wilden Mähne und den funkelnden Augen gut in einen Piratenfilm passen würde, hängt sich mit aller Kraft ins Tau, um das Segel nach oben zu ziehen. Lennart und Kai aus Deutschland packen mit an.
Allmählich blähen sich die weißen Segel auf. Wo man als Laie bei so vielen Segeln schnell den Überblick verlieren könnte, hat Käpt’n Connie immer alles im Blick auf seinem Schiff. Gebaut wurde es 1920 und ist mitterweile fast 100 Jahre alt. Das sieht man ihm kaum an. Die alten Nieten halten den Rumpf noch immer in Form. Ein bisschen Rost hier und da, aber ansonsten ist der 44 Meter lange Frachter bestens in Schuss.
Zu viel Diesel
Behäbig treibt der Wind die Avontuur nun über die Weser. Connie ist zufrieden, so verbraucht er kaum Diesel. Weniger Diesel verbrauchen – das ist der Grund, warum er seine Ökoreederei «Timbercoast» gegründet hat. Zuvor hatte er auf großen Containerfrachtern und Schleppern so ziemlich alle Weltmeere befahren. Dann lernte er seine Frau kennen, wurde Vater – und ging an Land. Genauer gesagt nach Lagos, Nigeria. Dort arbeitete er zwölf Jahre für eine Baufirma und verdiente gutes Geld. 2002 kam er zurück nach Deutschland und hatte prompt wieder Sehnsucht nach Salzwasser. Mit einer Schlepperreederei in Wulsbüttel bei Cuxhaven machte er sich selbstständig. Doch das war es auch nicht – zu viel Diesel. Die hochmotorisierte Seefahrt stank ihm immer mehr.
Ich hatte irgendwann keinen Bock mehr, diesen ganzen Dreck mitzumachen.
2013 zog er kurzerhand ans andere Ende der Welt: nach Australien. «Ich dachte, dort wäre alles viel toller.» Doch als er sah, wie kaputt das Great Barrier Reef – das größte Riff der Welt – ist, entschied er: «Da musst du was tun. Ich habe dann selbst die Initiative ergriffen und machte eine Ökoreederei auf.»
Bockermanns Idee war es, Ladung entlang des Great Barrier Reef zu segeln. «Als Protest gegen die Umweltzerstörung», wie er sagt. Auf der ganzen Welt suchte er nach einem geeigneten Schiff. 2014 fand er schließlich in den Niederlanden die Avontuur. Auf Niederländisch heißt das passenderweise «Abenteuer». Als Bockermann dann nach einer Werft für den Umbau suchte, führte ihn das Schicksal ausgerechnet in die Nähe des Ortes, an dem er seine Kindheit und Jugend verbrachte: nach Elsfleth bei Bremen.
Zwei Jahre Handarbeit
Zwei Jahre lang werkelten insgesamt 160 Männer und Frauen an der Avontuur. Sie tauschten verrostete Bleche am Rumpf aus, erneuerten die Elektrik, sie schliffen, malten, lackierten. Auch Peter Lüsch, der Muschelbläser, war schon bei der Restaurierung der Schiffes dabei. Die Freiwilligen erhielten für ihre Arbeit keinen Lohn, sondern erarbeiteten sich die Tage an Bord der Avontuur.
Jetzt steht Peter Lüsch also an Deck und bläst dreimal hintereinander kräftig in die Muschel. Gerade quert eine Fähre die Weser kurz vor Elsfleth und begrüßt die Avontuur mit drei lauten Huptönen. Man kennt sich, man hupt sich zu – die einen drücken dazu auf einen Knopf, die anderen nehmen die Südseemuschel.
Bockermann hat Australien längst wieder verlassen und ist in seine alte Heimat zurückgekehrt. Seine Pläne mit der Ökoreederei gehen auf: Zum dritten Mal hat der Segelfrachter den Atlantik überquert. Zum ersten Mal kommt er voll beladen zurück. Kapitän Cornelius Bockermann schaut stolz über die Weser, während er das Steuer der Avontuur in Händen hält. Es sind die letzten Meter einer langen Reise: 11.200 Seemeilen liegen hinter Schiff und Mannschaft.
Endlich wieder im Heimathafen
Als sich der Segelfrachter im Juni 2018 allmählich an die kleine Pier in Elsfleth schiebt, jubeln, klatschen und pfeifen Dutzende Menschen an Land. Es sind Freundinnen und Freunde der Avontuur, die ein kleines Willkommensfest arrangiert haben. Angehörige der Besatzung. Menschen, die wissen, was es bedeutet, so lange auf See zu sein.
Mit dem stählernen Rumpf schiebt sich auch die Gallionsfigur der Avontuur an die Pier in Elsfleth: eine Frau, die in eine Südseemuschel bläst. Auch sie wurde ganz in der Nähe geschnitzt und kommt gewissermaßen gerade nach Hause.
Die Reise der Avontuur ist hier vorerst vorbei. Bald kommt sie ins Dock, ein paar Reparaturen sind fällig. Erst Ende des Jahres geht es wieder über den Atlantik. Die Zeit bis dahin nutzt Käpt’n Connie für Finanzierungsgespräche. Denn seine Reise ist noch lange nicht beendet: Sein Traum ist es, einen großen Frachtsegler zu bauen und damit ganze Containerladungen klimafreundlich über die Weltmeere zu segeln. Die Pläne für das Schiff hat er bereits in der Schublade.
Weitere Schiffe auf Umweltkurs
Neben der Avontuur kreuzen auf allen Ozeanen mittlerweile Frachter auf, die zeigen, dass es auch ohne giftiges Schweröl geht. Sie nutzen den Wind, sauberes Gas, Brennstoffzellen, Batterien oder die Kraft der Sonne.
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Wie Pech und Schwefel
Schweröl ist eigentlich Sondermüll, der auf Land entsorgt werden müsste. Dennoch werden 90 Prozent aller Waren auf dem Seeweg von Frachtschiffen transportiert, die Unmengen todbringender Abgase emittieren.