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Übers Herz zum Handeln

EWS-Aufsichtsratsvorsitzender Thomas Jorberg und EWS-Vorstand Alexander Sladek im Gespräch mit Petra Völzing

Wir brauchen ein «Wir schaffen das» statt des vorherrschenden Fatalismus, um die schnelle Transformation hin zu Erneuerbaren Energien sicherzustellen.

Es muss sehr schnell vorangehen mit dem Ausbau der erneuerbaren Erzeugungskapazitäten. Wie das gehen kann und welche Rolle die Bürgerinnen und Bürger dabei spielen, darüber sprechen wir mit zwei langjährigen Akteuren der Bürgerenergiewende.

Die vielfach zitierte Zeitenwende, kulminierend in einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine und einer historischen Energiekrise, hat viele vermeintliche Sicherheiten nachhaltig erschüttert. Vor diesem Hintergrund ist die größte aller Gefahren, denen sich die Weltbevölkerung heute stellen muss, die schnell fortschreitende Klimakrise, politisch und gesellschaftlich tragischerweise stark aus dem Fokus geraten. Ihre wirksame und schnelle Bekämpfung ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Hier müssen alle gesellschaftlichen Kräfte gemeinsam anpacken, um diese große Transformationsaufgabe in den Bereichen Strom, Wärme, Verkehr und Effizienz gemeinsam zu bewältigen. Dabei ist klar: unverzichtbare Akteure sind und bleiben immer die Bürgerinnen und Bürger selbst. Je mehr sie in die Bewältigung der Klimakrise direkt einbezogen werden, desto schneller und effizienter kann die Transformation erfolgen.

Vor allem das erneuerbare Stromsystem wird sehr viel dezentraler organisiert und näher am Menschen sein, sodass die Partizipationsmöglichkeiten einer bürgergetragenen Energieerzeugung zu einem immer wesentlicheren Faktor werden, um die Menschen auf diesem Weg mitzunehmen. Denn es muss klar sein: Auch an den Häusern der Bürgerinnen und Bürger müssen letztlich die notwendigen Solaranlagen installiert und die Energieeffizienz verbessert werden. Darüber hinaus gilt es, Flächen für den Bau von bürgereigenen Solar- und Windparks bereitzustellen, sodass der drastisch beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren auch in der Breite gelingen kann. Die EWS gehen hier als bürgereigene Genossenschaft mit ihren Erzeugungsprojekten und dem Ausbau klimafreundlicher Nahwärmenetze trotz aller Hemmnisse beherzt voran.

Vor diesem Hintergrund kamen der Aufsichtsratsvorsitzende der EWS Thomas Jorberg (66) und EWS-Vorstand Alexander Sladek (44) am Rande einer Aufsichtsratsklausur im Schönauer Firmensitz zusammen. Sie sprachen darüber, welche Chancen und Herausforderungen im Umbau der Energiesysteme, in den eigenen Projekten und allgemein in einer bürgergetragenen Energieversorgung liegen. Darüber hinaus diskutierten sie, welche Konsequenzen dies für die Menschen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat.

 

Herr Jorberg, Herr Sladek, wir haben ja nur noch wenig Zeit, um das Ruder hinsichtlich der notwendigen Reduzierung von CO2-Emissionen herumzureißen. Da stellt sich doch die Frage: Können es die großen Konzerne nicht schneller und besser? Anders gefragt: Was ist an einem Bürgerwindpark besser als an einem RWE-Windpark?

Sladek: Wenn es um die Qualität geht, glaube ich erst einmal nicht, dass ein Bürgerwindpark besser oder schlechter ist als ein Konzernwindpark. In jedem Fall braucht es eine professionelle Projektentwicklung, dann macht auch die Geschwindigkeit der Realisierung keinen Unterschied. Wer nachher die Eigentümer sind, wer das Eigenkapital zur Verfügung stellt, wer daran partizipiert, ob es nachher nicht nur um die Rendite geht, sondern zum Beispiel auch um ein gesondertes Stromprodukt oder finanzielle Zuwendungen für die Kommunen, spielt unter diesem Gesichtspunkt keine Rolle. Dennoch denke ich, dass es vorteilhaft ist, noch stärker auf Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement zu setzen. Zum einen erhöht es natürlich die Akzeptanz der Anlagen und zum anderen öffnet ein solches Vorgehen auch den Zugang zu den notwendigen Flächen, die heftig umkämpft sind. Es macht sicherlich einen Unterschied, ob ich eine Fläche einfach nur von einem Flächeneigentümer pachte oder ob ich als Projektierer dem Eigentümer, zum Beispiel einer Kommune, auch die Möglichkeit gebe, in die Anlagen zu investieren. Das verändert dann noch einmal im positiven Sinn die Wahrnehmung des Projekts in den Kommunen.

 

Vor einem großen Panoramafenster sitzen zwei Männer in entspannter Atmosphäre in einer Lounge-Ecke und sind ins Gespräch vertieft.
Alexander Sladek (links) und Thomas Jorberg Foto: Bernd Schumacher

 

Jorberg: Wenn wir auf die Entstehung der regenerativen Energien schauen, dann denke ich grundsätzlich: Es war ganz und gar entscheidend, dass Bürgerinnen und Bürger das gemacht haben, weil andere sich schlichtweg nicht darum gekümmert haben. Die Konzerne haben ja sogar dagegen angekämpft. Die haben gesagt: Das wird doch nie was! Insofern waren diese Bürgerinnen und Bürger, die sich daran beteiligt haben, die dieses Risiko eingegangen sind, der entscheidende Faktor. Hätten die das nicht einfach gemacht, dann wären wir heute niemals da, wo wir jetzt sind. Der Klimawandel, aber auch Ereignisse wie Tschernobyl und Fukushima haben Menschen die Augen geöffnet. Diese Menschen haben erst einmal den wirtschaftlichen Aspekt hintenangestellt und gesagt, wir müssen jetzt etwas unternehmen, koste es, was es wolle. Anders wäre es nicht gegangen, denn die Erneuerbaren waren zu diesem Zeitpunkt nicht rentabel. Das freiwillige bürgerliche Engagement hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, wo wir heute stehen. Und hier in Schönau hatten die Bürgerinnen und Bürger damals schon einen viel breiteren Blick, denn sie haben das Stromnetz übernommen und auf diese Weise Erzeugung und Verbrauch miteinander verknüpft. Ich will aber auch sagen: Viele Bereiche der Energiewende können durchaus von den Konzernen übernommen werden, zum Beispiel, wenn es um große Offshore-Windparks geht oder um den Ausbau der Netze. Aber die Bürgerinnen und Bürger bleiben unverzichtbar, um die Energiewende weiter voranzutreiben. Wir brauchen sie, um tatsächlich auf jede Dachfläche eine Photovoltaikanlage zu bringen. Wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die sagen: Ja, ich bin bereit, meinen Energiekonsum so zu verändern, dass er zur volatilen Erzeugung der Erneuerbaren passt und natürlich auch effizienter wird. Insofern werden die Menschen immer die entscheidende Rolle bei der Energiewende spielen.

Sladek: Ich nutze da gerne den Merksatz: Volatile Erzeugung braucht flexible Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich denke, es entsteht bei den Menschen ein höheres Bewusstsein für die Anforderungen eines erneuerbaren Energiesystems, wenn sie nicht nur verbrauchen, sondern auch an der Erzeugung der Energie beteiligt sind. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen an dieser Stelle eine neue Rolle. 

Ist denn genug bürgerschaftliches Kapital vorhanden, um die erforderlichen bürgergetragenen Projekte zu realisieren?

Sladek: Wir sollten den Fakt nicht unterbewerten, dass wir ein sehr reiches Land sind. Sehr viele Menschen haben Kapital und wollen es auch für die Energiewende einsetzen. Das sehen wir auch aktuell bei den EWS. Wir haben zum Jahresbeginn die Anteilsobergrenze bei der Beteiligung an unserer Genossenschaft erhöht, um beim Eigenkapital mehr Spielraum für erneuerbare Projekte zu bekommen. Diese Möglichkeit wird von unseren Mitgliedern rege genutzt und wir verzeichnen auch weiterhin einen starken Zuwachs bei Neumitgliedern. Dafür sind wir sehr dankbar. Das ist ein Vorteil von Genossenschaften. Ein Aktienkonzern kann nicht ohne Weiteres bei seinen Aktionärinnen und Aktionären Geld einsammeln.

Heißt das, dass die EWS jetzt den Erzeugungsprojekten noch stärkere Priorität einräumen?

Sladek: Ja, das ist ein wichtiger Fokus. Wir sind ja jahrelang nur sehr langsam vorangekommen, weil die Projekte durch äußere Faktoren so zäh in der Entwicklung waren. Jetzt bewegt sich mehr. Wir haben etliche Projekte in der Realisierung und auch eine aktive Projektpipeline, die es rechtfertigt, mehr Genossenschaftskapital hereinzuholen. In Thomasburg in Niedersachsen haben wir im Frühjahr 2023 einen neuen Windpark ans Netz gebracht. Auch bei unseren regionalen Projekten im Schwarzwald am Zeller Blauen und am Hochblauen ist viel in Bewegung. In den beteiligten Kommunen am Zeller Blauen ist die Bereitschaft mitzumachen stark gewachsen. Am Hochblauen haben wir gemeinsam mit den Genossenschaften Bürgerwindrad Hochblauen und Bürger-Energie Südbaden nach langjährigem Engagement den Zuschlag für die Flächen erhalten. Auch mehrere Freiflächen-Solarparks sind in Planung beziehungsweise kurz vor der Realisierung.

Die Konzerne richten sich ja jetzt alle auch auf die Umsetzung der Energiewende aus und haben dabei sehr viel mehr Kapital als die bürgerschaftlichen Akteure. Sehen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Bürgerenergie nicht in Gefahr?

Jorberg: Es ist ja im Gespräch schon angeklungen: Wir haben nur noch sehr wenig Zeit, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wenn es überhaupt noch zu erreichen ist, wahnsinnig wenig Zeit! Wir werden das nur schaffen, wenn wir dieses System, das in der Vergangenheit, das ist ganz klar, irrsinnige Kollateralschäden produziert hat, als Ganzes nutzen. Wir brauchen die Dynamik, die Power und auch die Macht des ganzen Systems, sonst haben wir keine Chance. Und, ganz entscheidend: Wir brauchen vom Staat geeignete Rahmenbedingungen. Es muss wirtschaftlich attraktiver sein, regenerative Energien zu bauen, anstatt sich über Aktien an einem Ölkonzern zu beteiligen. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Wir brauchen Rahmenbedingungen, sodass sich regenerative Energien und, ganz wichtig, auch die Effizienz besser rechnen, dann wird sich die Entwicklung hin zu Erneuerbaren ungemein beschleunigen.

Sladek: Wir brauchen Marktbedingungen, die gewollte Technologien bevorzugt und ungewollte aus dem Markt treibt.

 

Ein Mann im mittleren Alter sitzt in einem Sessel und spricht an der Kamera vorbei, im Hintergrund eine Topfpflanze und eine große Fensterfront mit Blick in die Landschaft.
EWS-Vorstand Alexander Sladek Foto: Bernd Schumacher

 

Die notwendige Transformation ist ja nicht nur über wirtschaftliche Faktoren zu erreichen. Was brauchen wir noch, damit sie gelingt?

Jorberg: Es gibt da eine ganz wesentliche Unterscheidung, das ist die zwischen Konsument und Bürger. In der Transformation kann ich auf den Konsumenten nicht bauen. Dem traue ich nicht über den Weg. Auch dem Konsumenten in mir traue ich überhaupt nicht über den Weg. Er macht ständig Sachen, die der Bürger in mir empörend findet. Bildlich gesprochen sollte der Bürger Chef des Konsumenten sein. Das heißt, im größeren Rahmen ist es die entscheidende Funktion des Staates, den ja die Bürgerinnen und Bürger formen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich der Konsument richtig verhält.

Dann geht es letztlich um Selbstdisziplinierung?

Jorberg: Natürlich, Politik ist immer Selbstdisziplin. In einer funktionierenden Demokratie schaffen Regeln gesellschaftliche Selbstdisziplinierung. Das ist ein permanenter Prozess, insofern müssen wir immer bestrebt sein, den Bürger in uns zu stärken. Es ist also auch in Zukunft ganz entscheidend, dass sich der Bürger weiter beteiligt, weil er dann direkt betroffen ist.

Nicht alle Menschen haben ein Einkommen, das Investitionen ermöglicht, die über die reinen Lebenshaltungskosten hinausgehen. Können wir denn wirklich alle Menschen mitnehmen?

Sladek: Da möchte ich erst einmal vielleicht etwas provokativ einwerfen: Energiepolitik ist nicht Sozialpolitik. Das muss man, denke ich, in einem ersten Schritt auseinander halten. Wir fokussieren uns auf den Klimaschutz, das heißt aber in einem zweiten Schritt natürlich nicht, dass wir Menschen mit niedrigen Einkommen abhängen wollen. Die Energiepreise werden in Deutschland insgesamt steigen, das ist natürlich für viele Menschen belastend. Die Entwicklung hat aber auch einen positiven Effekt, denn so kann zum Beispiel die Notwendigkeit erkannt werden, Häuser besser zu dämmen, um Energiekosten zu sparen. Auf der anderen Seite sagt das Grundgesetz, dass die Daseinsvorsorge eine Aufgabe der öffentlichen Hand ist. Das heißt, der Staat muss diejenigen, die das finanziell nicht stemmen können, unterstützen.

Jorberg: Das nötige Geld ist im System volkswirtschaftlich gesprochen sicherlich vorhanden. Am Geld wird es definitiv nicht scheitern. Wir haben kein Geldproblem, sondern ein Verteilungsproblem. Zur sozialen Frage würde ich sagen: Die Energieversorgung wird unweigerlich teurer werden, und zwar hauptsächlich deshalb, weil wir auch die Reparatur der entstandenen und entstehenden Klimaschäden mitrechnen müssen. Damit müssten wir auf der volkswirtschaftlichen Ebene jetzt schon anfangen. Wirklich sozial ist nach meiner Auffassung, etwas einzuführen, das ich Transformationsgeld nennen würde. Auf diese Weise können Menschen mit wirklich geringem Einkommen an der Transformation teilhaben. Das sollte aber wirklich nur diesem Teil der Bevölkerung zugutekommen.

 

Ein älterer Mann in dunkler Strickjacke spricht gestikulierend an der Kamera vorbei, im HIntergrund die helle Holzwand des Raums.
Thomas Jorberg, Aufsichtsratsvorsitzender der EWS Foto: Bernd Schumacher

 

Sladek: Das sehe ich auch so. Wir dürfen nicht weitermachen mit dem Gießkannenprinzip. Der Tankrabatt im letzten Jahr, die Entlastungsgelder und Preisbremsen, von denen alle profitieren, das ist der falsche Weg.

Jorberg: Ich würde sagen, das ist sogar kontraproduktiv. Es nimmt dem eigentlichen Ziel die Wirkung, denn es vermindert den Anreiz zur Verhaltensänderung. Das heißt nicht, dass der Staat auch zielgerichtete Maßnahmen, wie zum Beispiel die Dämmung der Häuser, fördern sollte. Aber Preise insgesamt nach unten zu bringen, das ist wirklich Unsinn.

Auf politischer Ebene ist seit dem Regierungswechsel 2021 zumindest auf dem Papier schon viel geschehen, um Klimaschutz und auch der Bürgerenergie eine höhere Priorität einzuräumen, auch wenn Krieg und Krise dies in den Hintergrund gerückt haben. Gibt es noch Handlungsfelder, in denen die Politik nachlegen muss?

Jorberg: Aus meiner Sicht sind das im Wesentlichen zwei Aspekte: Zunächst einmal müssen die Preise die Wahrheit sprechen. Das bedeutet, wir brauchen eine CO2-Abgabe, die die verursachten Kosten auch wirklich beinhaltet. Insofern brauchen wir für die CO2-Emissionen eher Mindestpreise als Kappen. Das ist das A und O. Dann rechnen sich auch die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen. Zum Zweiten brauchen wir dieses Transformationsgeld, von dem wir schon gesprochen haben.

Sladek: Ich setze noch zwei Aspekte drauf. Grundsätzlich brauchen wir klare Ziele, da hat die Politik einige vorgegeben und die sind nicht verkehrt. Aber wir brauchen auch einen guten Werkzeugkoffer, um diese Ziele erreichen zu können. Viele Werkzeuge sind noch unbrauchbar. Es gibt weiterhin zu viele Hemmnisse. Die Regulierungen zum Beispiel und die viel zu langwierigen Verwaltungsverfahren. Der zweite Punkt ist in meinen Augen eine glasklare Rollenverteilung und ein Akteursbewusstsein. Wir brauchen ein «Wir schaffen das» statt des vorherrschenden Fatalismus. Wir brauchen mehr Gemeinschaftsgefühl, indem wir gemeinsam sagen: «Stopp, wir ruinieren unseren Planeten». Hier würde ich mir mehr glaubhaftes, emotionales Engagement von der Politik wünschen, nicht nur die Ziele vorzugeben, sondern auch aktiv zu steuern und zu motivieren. Übers Herz zum Handeln!

 

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23. Juni 2023 | Energiewende-Magazin