Direkt zum Inhalt der Seite springen

«Wenn wir in Schönau nicht glänzen, bleiben wir überall matt»

EWS-Vorstand Sebastian Sladek und Aufsichtsrat Wolf Dieter Drescher im Gespräch mit Petra Völzing

25 Jahre nach der Stromnetzübernahme sprechen wir mit zwei Zeitzeugen über Lust und Last der Rebellion – und darüber, wie das Unmögliche gelingt.

Vor bald einem Vierteljahrhundert, am 1. Juli 1997, ging das Schönauer Stromnetz vom damaligen Stromkonzern Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR) in den Besitz der Elektrizitätswerke Schönau über. Nach zehn Jahren der Auseinandersetzung und zwei Bürgerentscheiden war das ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Energiewirtschaft. Und näher betrachtet eine echte Herausforderung für die im politischen Kampf zwar schon erprobten Stromrebellen, die sich nun aber auch der unternehmerischen Verantwortung stellen mussten.

Ein guter Zeitpunkt, die Geschehnisse von damals bis heute aus dem Blickwinkel zweier Generationen Revue passieren zu lassen und vor allem zu fragen: Mit welchen Zielen sind die Stromrebellen damals angetreten – und haben sie diese erreicht? Wolf Dieter Drescher (63) war Mitinitiator der Schönauer Bürgerinitiative, aus der die EWS hervorgegangen sind, und ist dem Unternehmen seitdem eng verbunden, heute als Aufsichtsrat. Sebastian Sladek (44) ist der Sohn der bekanntesten Stromrebellen Ursula und Michael Sladek. Er hat die Stromnetzübernahme als Schüler erlebt und arbeitet seit 2008 für die EWS, zunächst als Trainee, später als Geschäftsführer und seit 2015 als Vorstandsmitglied der Genossenschaft. Treffpunkt des Gesprächs ist Tunau oberhalb von Schönau. Ein passender Ort, um die Dinge von einer höheren Warte aus zu betrachten.

 

Wenn ihr an den Tag zurückdenkt, als die Stromnetzübernahme vollzogen wurde: Was ist euch da besonders deutlich in Erinnerung geblieben?

Drescher: Naja, ein großes Ding war das eigentlich nicht. Wir haben uns am Trafohäuschen beim Schönauer Schwimmbad getroffen, gegenüber vom heutigen Betriebsgelände der EWS. Dort wurde ein Schalter umgelegt, aber ich glaube, das war rein symbolisch. Und dann gehörte das Stromnetz uns. Applaus gab es und am Abend natürlich eine Party, das war bei uns immer wichtig. Ein paar Fernsehsender waren wohl ebenfalls vor Ort …

Sladek: Was ich am deutlichsten in Erinnerung habe, ist ein größerer Stromausfall ein oder zwei Tage vorher, und dass wir hinterher gesagt haben: Gut, dass das nicht am 1. Juli passiert ist! Übrigens: Das Trafohäuschen steht heute noch da; es wurde zwar einmal versetzt, aber es ist immer noch dasselbe.

Drescher: Stimmt, es gab kurz vorher einen Stromausfall, der mit der Entflechtung zu tun hatte, aber der war nicht weiter gravierend. 

Wolf Dieter Drescher und Sebastian Sladek sitzen vor einem Kachelofen an einem weiß gedeckten Tisch, vor ihnen ein Aufnahmegerät.
Austausch in rustikalem Ambiente: Wolf Dieter Drescher (li.) und Sebastian Sladek in einem Dorfgasthaus bei Schönau. Foto: Christina Stohn

Was wurde denn genau «entflochten»?

Sladek: Solange sich das Stromnetz im Besitz der KWR befand, war es übergangslos in das umgebende Netz eingebunden. Nachdem wir das Netz übernommen hatten, musste es natürlich technisch aus dem Gesamtverbund herausgelöst werden. 

Drescher: Das war ziemlich aufwendig. Wir brauchten Übergabestellen mit Zählern zum umgebenden Netz der KWR, um messen und abrechnen zu können. Das war aber im Moment der Netzübernahme alles schon erledigt. 

Sladek: Dazu muss man noch anmerken, dass die KWR uns überhaupt nicht zugetraut hatten, dass wir das schaffen. Aber Martin Halm, der damals unser Betriebsstellenleiter war – heute ist er Geschäftsführer der EWS Netze GmbH –, hat die notwendigen Schaltstationen und vieles Weitere in kürzester Zeit organisiert. Die KWR haben jedenfalls große Augen gemacht.

1997 warst du 20 Jahre alt – warst du damals denn schon beteiligt?

Sladek: Da habe ich gerade Abitur gemacht. Der zweite Bürgerentscheid 1996 war das erste Mal, dass ich wählen durfte. Ich war mehr oder weniger noch Schüler und habe eher aus der «Kindperspektive» erlebt, was meine Eltern da so getrieben haben. Auf jeden Fall war ich altersbedingt in Partystimmung – und Partys gab es zu der Zeit viele.

War die Stromnetzübernahme eher ein Abschluss oder ein Anfang?

Drescher: Beides! Einmal war es ein «Wow, jetzt sind wir da, wofür wir seit Tschernobyl 1986 gekämpft haben» – oder konkreter seit 1990, denn da wurde die Netzkauf GbR gegründet. Gleichzeitig war uns auch sehr bewusst, dass wir jetzt in der Verantwortung stehen, die Stromversorgung für Schönau sicherzustellen. 

Sladek: Deswegen ging die Party am 1. Juli auch nicht ganz so lange.

Drescher: Aber da gab es auf jeden Fall einen großen Elan, diese Dinge auch anzupacken, und das war schon herausfordernd. Es fühlte sich an, wie wenn man eine Reise beim Preisausschreiben gewinnt: Du freust dich zwar – aber wie gut das Hotel ist und ob die Dusche funktioniert, findest du erst heraus, wenn du da bist. Die Bestandsaufnahme war wichtig, um sicherzustellen, dass die KWR auch das übergeben haben, was in den Verträgen stand.

Sladek: Und es gab gleich Schwierigkeiten. Zum Beispiel hat die Landesregulierungsbehörde gesagt: Ihr braucht drei Leute, um den Netzbetrieb auch im Notfall sicherstellen zu können. Die hatten wir aber nicht. Deswegen haben wir anfangs die Stadtwerke Waldshut-Tiengen als Dienstleister verpflichtet. 

Drescher: Stimmt, die ganze Bürokratie war wirklich lästig. Aber wir haben das gestemmt. 

Seid ihr denn auch mit einer Vision, mit Zielen, die ihr erreichen wolltet, angetreten – oder ging es erstmal bloß um den Netzbetrieb?

Drescher: Nein, natürlich nicht! 1997 hatten wir sehr konkrete Ziele. Wir wollten ja in unserem Netz unabhängig werden vom Atomstrom. Deswegen war geplant, in Schönau eine eigene dezentrale Versorgung aufzubauen, hauptsächlich mit Photovoltaik und hocheffizienten Blockheizkraftwerken, die Strom und Wärme erzeugen. Windkraft hat damals für uns noch keine so große Rolle gespielt. 

Ein junger Mann mit Bürstenhaarschnitt platziert ein neues EWS-Schild an einer Metalltür und schaut dabei in die Kamera.
Ein Meilenstein der Bürgerenergie: Der damalige Betriebsstellenleiter Martin Halm befestigt am 1. Juli 1997 das erste EWS-­Firmenschild an einer Schaltanlage. Foto: dpa
Ein historisches Foto zeigt Arbeiter auf einem steilen großen Dach, die PV-Module installieren.
Ein Pionierprojekt im Jahr 1988: Auf dem Dach der evangelischen Bergkirche wird eine Photovoltaikanlage installiert – unter dem Namen « Schönauer Schöpfungsfenster». Foto: EWS-Archiv
Ansicht des Ortes Schönau, im Zentrum die Kirche mit dem komplett mit PV-Modulen bestückten Dach.
Alles ausgeschöpft: Für das «Schönauer Schöpfungsfenster» wurde die gesamte sonnenzugewandte Dachfläche der Bergkirche belegt. Foto: EWS-Archiv

Das viel beachtete «Schönauer Schöpfungsfenster», also die PV-Anlage, die 1998 erstmal ohne Genehmigung auf dem Dach der evangelischen Kirche installiert wurde, war der erste Schritt. Was kam danach?

Drescher: Wir waren natürlich auf das Bürgerengagement angewiesen. Da gab es richtige Überzeugungstäter, die sich damals PV-Anlagen aufs Dach gesetzt haben, obwohl sich das noch gar nicht rentierte. Und im Keller der Sladeks wurde das erste Blockheizkraftwerk installiert. Wirklich entscheidend für die EWS war aber 1998 die Liberalisierung des Strommarkts. Deshalb mussten wir die Stromerzeugung, den Netzbetrieb und den Stromvertrieb voneinander trennen. Das hat den Fokus bei uns sehr stark verschoben. 

Das musst du uns genauer erläutern!

Drescher: Man kann sagen, die Liberalisierung war für die EWS Fluch und Segen zugleich. Zu den Monopolzeiten hatten wir nur Kunden in unserem Netzgebiet, nun war es über Nacht möglich geworden, auch welche im ganzen Bundesgebiet zu gewinnen – was wir dann ja auch gemacht haben. Ohne die Liberalisierung wären wir wohl heute noch ein regionales Kleinunternehmen mit vielleicht drei oder vier Angestellten. Wir hätten uns auf den Ausbau der Erneuerbaren konzentriert und wären heute – siehe Ukraine-Krieg – in Schönau bei der Eigenversorgung. Mit der Liberalisierung ging der Fokus weg vom Ausbau der Erneuerbaren in Schönau – und hin zur Gewinnung von Kunden in ganz Deutschland. 

Es wollten dann viele Menschen von den EWS ihren Strom beziehen. Hattet ihr damit gerechnet?

Sladek: Ganz unerwartet kam das nicht. Wenn du so willst, haben das damals die Kunden für uns entschieden. Das ging los mit einem Anruf aus Hamburg. Der Anrufer sagte: «Ich habe gerade im Fernsehen gesehen, dass man sich jetzt den Stromanbieter frei aussuchen kann – und ich will meinen Strom von euch!» Wir waren damals durch die Störfall-Spendenkampagne, mit der wir unser Stromnetz finanziert hatten, bundesweit recht bekannt. 

Wie viele Kundinnen und Kunden habt ihr in der Anfangszeit gewonnen?

Sladek: Das waren Waschkörbe voll mit Verträgen. In den ersten drei bis vier Monaten haben wir an die 7.500 Kundinnen und Kunden gewonnen. Die Euphorie war riesig. Ich erinnere mich daran, dass Alfred Ritter, Chef der «Ritter Sport»-Schokolade, auf einem Event anlässlich der Sonnenfinsternis 1999 im Beisein meiner Eltern einen Blankovertrag unterschrieben hat. Die Botschaft war: Ich will euren Strom, koste es, was es wolle! 

Wie habt ihr mit drei oder vier Angestellten den Kundenansturm bewältigt?

Drescher: Alle, und allen voran Ursula Sladek, haben richtig geschuftet. Zum Glück gab es damals aus der Bürgerinitiative noch viele Freiwillige, die mitgeholfen haben. Ohne diese unbezahlte Unterstützung wäre das alles nicht möglich gewesen, Geld war ja erstmal keins da. 

Sladek: Meine Mutter war jahrelang ehrenamtliche Geschäftsführerin – mit allen Risiken und Pflichten. Was man auch sagen muss: Es gab natürlich Reibereien. Für Martin Halm war das nicht einfach: Er baute gerade den lokalen Netzbetrieb auf – und dann wurden wir von Kundenanfragen aus ganz Deutschland überschwemmt.

Drescher: Und in dieser Dynamik sind dann aus meiner Sicht wichtige Wege nicht weiterverfolgt worden. Für mich ist immer noch schlimm, dass wir in Schönau ein Wasserkraftwerk direkt vor der Tür haben, das uns nicht gehört. Hier zuzugreifen haben wir versäumt, weil der Fokus so verrutscht ist. 

Sladek: Naja, wir hatten einfach kein Geld und zudem sehr viel zu tun. Das Kraftwerk wurde dann von jemandem aus Villingen-Schwenningen übernommen. Der hat 15 Jahre gebraucht, bis er alle Genehmigungen beisammen hatte, um das Kraftwerk in Betrieb nehmen zu können. 

Drescher: Wären wir damals gezwungen gewesen, unseren lokalen Stromverbrauch zu decken, dann hätten wir auch Lösungen gefunden – davon bin ich nach wie vor überzeugt. Ich bin bis heute derjenige, der in den Aufsichtsrats-Vorstandssitzungen damit nervt, wie es um den lokalen Ausbau in Schönau steht, wenn es zum Beispiel um das Modellprojekt zur Bürgerenergie in Schönau geht. 

Sladek: Ja, das muss man zugeben: Das Modellprojekt ist heute ein Projekt von vielen, und ich kann sehr gut verstehen, dass die lokale Energieverteilung und -erzeugung bei den «Urgesteinen» der Initiative weiterhin einen hohen Stellenwert haben. Auch für mich ist der lokale Ansatz weiterhin extrem wichtig, weil er einfach zur DNA der EWS gehört. 

Auf einem historischen Foto sitzen eine Frau und zwei Männer auf einer Parkbank, alle sind etwa in den Vierzigern.
Warnte schon früh vor den Folgen des Klimawandels, gerade auch für den Schwarzwald: der Klimaforscher Hartmut Graßl (re.) Anfang der 1990er-Jahre mit Ursula und Michael Sladek. Foto: EWS-Archiv

Nach der Katastrophe von Tschernobyl ging es zunächst hauptsächlich darum, aus der Abhängigkeit von Atomstrom rauszukommen. Hat denn Klimaschutz damals auch schon eine Rolle gespielt?

Drescher: Auf jeden Fall! Ich erinnere mich an einen Vortrag des Klimaforschers Hartmut Graßl in den 1990er-Jahren bei uns in Schönau. Er hat damals vorausgesagt, dass man bald im Schwarzwald nicht mehr Ski fahren könne, weil es keinen Schnee mehr gebe. Leider hat er recht behalten.

Sladek: Für uns war Klimaschutz immer wichtig, in der Öffentlichkeit damals nur lange nicht so präsent wie heute. Angesichts der Klimakrise ist der Klimaschutz Dreh- und Angelpunkt unseres unternehmerischen Handelns.

Der Unterstützerkreis von Menschen in Deutschland, die sich als Mitstreiterinnen und Mitstreiter der EWS empfinden, ist ja bis heute noch sehr groß. Spielt das weiterhin eine Rolle?

Drescher: Die Kundenzahlen sind immer kontinuierlich gestiegen. Das ist nach meiner Einschätzung tatsächlich bis heute zu einem Großteil der Mund-zu-Mund-Propaganda geschuldet. Eine wichtige Rolle haben aber auch bestimmte Ereignisse gespielt. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hatten wir zum Beispiel einen immensen Kundenzuwachs. 

Andersherum gedacht: Die EWS haben ja in ihrer Geschichte sehr viel Unterstützung erfahren. Gab es da nicht auch das Bedürfnis, der Gesellschaft oder den Menschen etwas zurückzugeben?

Drescher: Die EWS haben immer auch anderen Initiativen geholfen. Wir haben ja unser Förderprogramm «Sonnencent», mit dem wir bis heute Menschen unterstützen, die für Energiewende und Klimaschutz aktiv sind. Aber das ging auch weit darüber hinaus: So unterstützten wir Gemeinden, die ihr Stromnetz zurückkaufen wollten. Michael und Ursula Sladek sind jahrelang in der Republik herumgereist, um Vorträge zu halten und Gruppen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, auch mit Geld. Es gab viele Menschen, die uns einfach als Vorbild gesehen haben. Denen haben wir Mut gemacht und mit ihnen zahlreiche gute Ideen erarbeitet. 

Dank ihrer einmaligen Geschichte sind die EWS weiter gewachsen. 2009 wurde das Unternehmen in eine Genossenschaft umgewandelt. Wie kam es dazu?

Drescher: Angesichts der Größe, die die EWS 2009 angenommen hatten, war die Genossenschaft einfach die modernere und bessere Unternehmensform – weil sie eine demokratische und gerechte Art und Weise der Mitbestimmung garantiert. 

Sladek: Dazu muss man sagen, dass schon die GbR nach genossenschaftlichen Grundsätzen strukturiert war. Wer austrat, bekam zum Beispiel nur die eigene Einlage zurück, keinen Anteil am Wertzuwachs. Meine Mutter hat derartige Ansinnen als «kapitalistisches Gedöns» bezeichnet. Das Problem bestand aber darin: Das war nicht rechtssicher. Niemand wusste, wie es ausgehen würde, sollte jemand dagegen klagen – was nie passiert ist. Auf jeden Fall war es schon sehr beeindruckend, dass am Ende die rund 600 Gesellschafter dieser Umstellung zustimmten, denn damit haben sie persönlich auf Gewinne verzichtet.

Inzwischen hat die Genossenschaft mehr als 10.000 Mitglieder und 230.000 Kundinnen und Kunden. Wie viel ist noch übrig von den EWS von vor 25 Jahren?

Drescher: Unsere Grundwerte sind immer noch dieselben: Wir setzen uns gegen Atomkraft ein, für eine erneuerbare und sozial gerechte Stromversorgung und für eine dezentrale und bürgernahe Stromerzeugung. Inzwischen sind viele Geschäftsfelder dazugekommen und der wirtschaftliche Aspekt steht mehr im Vordergrund. Aber zum Beispiel Beteiligungen an einem Windpark, an dem auch ein Atom- und Kohlekonzern mit im Boot ist: Das ist für uns weiterhin ein No-Go. Sauber zu bleiben war uns von Anfang an wichtig. Und wird es auch weiterhin sein. 

Sladek: Natürlich müssen wir uns eingestehen, dass wir mittlerweile nicht mehr so spontan agieren können wie vor 25 Jahren. Bei unserer Unternehmensgröße haben wir jetzt eine ganz andere Verantwortung, auch für die Mitarbeitenden. Heute müssen wir uns schon etwas mehr Zeit nehmen, bevor wir eine Sache angehen, als meine Eltern damals. Mein Vater war ja immer eher ein freies Radikal.

Drescher: Ich finde, es ist auch in gewisser Weise von Nachteil, wenn das Unternehmen ständig wächst. Man ist sehr viel mit dem Nachziehen der Strukturen beschäftigt. Da bleibt wenig Freiraum für unkonventionelle Ideen.

 

Auf einer Bank in der Höhe sind Drescher und Sladek im Gespräch, unter ihnen erstreckt sich das Tal, in dem der Ort Schönau liegt.
Wolf Dieter Drescher und Sebastian Sladek an einem Aussichtspunkt oberhalb von Schönau Foto: Christina Stohn

 

Nicht nur die EWS, auch die Zeiten haben sich geändert: Vor 25 Jahren war Klimaschutz ein Außen­seiterthema, heute ist es im Mainstream angekommen. Was sollten die EWS eurer Meinung nach als Nächstes in Angriff nehmen?

Drescher: Aus der Vogelperspektive, also aus großer Flughöhe betrachtet, würde ich sagen: Es ist das Allerwichtigste, dass wir uns voll und ganz auf den Klimaschutz konzentrieren und so viel CO2 reduzieren wie nur möglich. Und jetzt komme ich wieder nach Schönau zurück: Hier sollten wir anpacken. Schönau klimaneutral zu machen, das sollte unser nächstes Ziel sein. Als Erstes müssen die EWS selbst schneller klimaneutral werden. Wir könnten zudem die Betriebe in Schönau mit Beratung dabei unterstützen, ebenfalls klimaneutral zu werden. Diese Beratung ließe sich auf weitere Industriebetriebe ausdehnen, um so dazu beizutragen, viele Tonnen CO2 einzusparen. Auf diese Weise könnten wir in der Transformation eine neue, wichtige Position einnehmen. Von einem bin ich schon immer überzeugt: Wenn wir in Schön­au nicht glänzen, dann bleiben wir überall matt.

Sladek: Ich denke auch, wir sollten es wieder stärker zu unserer Aufgabe machen, andere zum Handeln anzustiften. Ich habe es oft bedauert, dass das System des EEG ausschließlich über finanzielle Vorteile getriggert wurde. In den letzten Jahren ist immer weniger zugebaut worden – natürlich auch, weil die Förderungen immer mehr zurückgingen. Jetzt ist es umso wichtiger, die sozial-ökologische Rendite stärker in den Vordergrund zu stellen. Wenn man die Menschen von vorneherein anders motiviert hätte, wäre es vielleicht nicht so gekommen. Und finanzielle Rendite stand auch bei den EWS nie im Vordergrund. 

Drescher: Richtig – schon in der Satzung der GbR stand ausdrücklich, dass wir kein gewinnorientiertes Unternehmen sind. Aus meiner Sicht müssen wir gerade in dieser Krisenzeit deutlich mehr Mut haben und vielleicht mal richtig viel Geld in die Hand nehmen, um Industrieunternehmen klimaneutral zu stellen, ohne dass dabei unbedingt Gewinn rausspringt. Der Gewinn muss letztlich im Klimaschutz liegen, beim Einsparen von CO2 im großen Stil. 

Schwingt da der Anspruch mit, beim Klimaschutz weiterhin Vorbild zu sein?

Sladek: Ich erlebe immer noch, dass die EWS als Wertegemeinschaft wahrgenommen werden, und da kann ich voll und ganz dahinterstehen. Mit der Vorbildrolle habe ich so meine Schwierigkeiten. Das hat etwas sehr Abgehobenes. Ich will viel lieber konkret mit anderen zusammenarbeiten und gemeinsam etwas bewegen. 

Drescher: Jetzt müssen wir eben Klimaschutz umsetzen, und zwar schnell, effizient und in großem Maßstab. Wenn ich auf die derzeitige Situation blicke, wie Robert Habeck in Katar Gas einkauft und in Afrika Wasserstoffprojekte geplant werden, dann denke ich, wir müssen wieder lauter darauf drängen, dass stattdessen eine lokale, dezentrale und bürgernahe Energieversorgung der richtige Weg ist, Klimaschutz umzusetzen. Das ist der günstigste, gerechteste Weg und macht uns zudem unabhängig. Aus meiner Sicht war unsere Netzübernahme immer nur Mittel zum Zweck – das eigentliche Ziel bestand von Anfang an darin, unseren Enkeln eine lebenswerte Erde zu hinterlassen. Dieses Ziel verfolgen wir weiter mit allen Maßnahmen, die uns sinnvoll und möglich erscheinen. Allerdings ist es jetzt aus meiner Sicht wieder an der Zeit, schier Unmögliches in den Blick zu nehmen. 1990 schien es undenkbar, ein Stromnetz zu kaufen. Dennoch haben wir es einfach gemacht. 

Sladek: Richtig, genau diesen Mut brauchen wir auch heute. Che Guevara hat das mal so zusammengefasst: «Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.» 

 

Mehr zum Thema

  • Die ersten Mitstreiter der Stromrebellen versammeln sich an einem Wohnzimmertisch.

    Energie in Bürgerhand!

    Mit ihrer Stromnetzübernahme wurden die «Schönauer Stromrebellen» 1996 bekannt. Begonnen hatte ihre Geschichte bereits 1986 – nach Tschernobyl.

08. Juni 2022 | Energiewende-Magazin