Chinas klimapolitischer Spagat
Ein Gastbeitrag von Jana Ohlendorf
China will Vorreiter im Klimaschutz sein – bei weiter stark wachsender Wirtschaft. Kann dieser Spagat gelingen?
November 2017: Eine Weltklimakonferenz ist wieder zu Ende gegangen. Weiterhin gibt es Grund zur Sorge: Erstmals seit drei Jahren steigen die globalen CO2-Emissionen wieder. Die USA haben ihren Austritt aus dem Weltklimaabkommen erklärt, Deutschland verfehlt sein Klimaziel, und China verbrennt mehr Kohle als im Vorjahr.
Eine neue Führungsrolle?
Als Mitte Oktober in Peking der 19. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas in Peking tagte, propagierte Staatschef Xi Jinping eine neue Führungsrolle Chinas in der Welt. Nicht nur im visionären Sinne eines «Wiederaufblühens Chinas» in einer «neuen Ära» zur Verwirklichung des «chinesischen Traums», sondern eben auch ganz konkret, zum Beispiel bei der internationalen Klimakooperation.
Die Staatengemeinschaft müsse ihre Zusagen im Pariser Klimavertrag unbedingt einhalten. China selbst stehe für eine ambitionierte Umsetzung des Abkommens, würde mit gutem Beispiel vorangehen und habe Gelder in Milliardenhöhe für die Süd-Süd-Kooperation bereitgestellt. In der Kooperation stellen aufstrebende Länder des Südens in erster Linie Klimagelder für sich entwickelnden Ländern bereit.
Auch in Bonn zeigte sich die chinesische Delegation besorgt um das Weltklima und drängte auf konkrete Unterstützung armer Länder. Nach Aussagen von Li Shuo, Senior-Berater bei Greenpeace East Asia, befände sich die chinesische Regierung nun im Zugzwang, den Worten mehr Taten folgen zu lassen.
Wie ist dies vereinbar mit dem Umstand, dass China der größte Umweltverschmutzer der Welt ist und Jahr für Jahr nahezu so viel Kohle verbrennt wie alle anderen Länder zusammen? Immerhin ist Chinas Volkswirtschaft für mehr als ein Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich. Über eine Million Menschen sterben in China jährlich vorzeitig wegen Luftverschmutzung.
Ein kurzer Rückblick
Als im Jahr 1995 die erste Weltklimakonferenz in Berlin stattfand, ging in China die Amtszeit Deng Xiaopings zu Ende. Deng hatte das Land nach der Mao-Ära mit wirtschaftlichem Pragmatismus modernisiert: «Egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache, sie fängt Mäuse», hieß seine Devise, die hunderten Millionen Menschen zu einem besseren Leben verhalf.
Doch hinter dem starken Wirtschaftswachstum stand ein enormer Energieverbrauch. Niedrige Umweltstandards und geringe Umweltauflagen führten zu dramatischen Smogwerten, extremer Schadstoffbelastung in Seen, Flüssen und Küstengewässern sowie zur Verseuchung von Böden durch Pestizide und Industrieabfälle. Zwar war sich die Staatsführung der ökologischen Probleme bewusst, aber das Wirtschaftswachstum hatte Priorität.
Wandel als Konjunkturprogramm?
Seit der ersten Weltklimakonferenz 1995 in Berlin war die Haltung Chinas in Klimagesprächen meist konfrontativ. Anfangs stellte die chinesische Regierung die wissenschaftlichen Schlüsse des Weltklimarats (IPCC) sogar in Frage.
Erst in den vergangenen Jahren wendete sich das Blatt. Zum einen wurden Stimmen der Bevölkerung laut, die sich um den Zustand der Umwelt und um ihre Gesundheit sorgten; zum anderen versprach die Förderung neuer Technologien konjunkturellen Anschub.
So setzte die Zentralregierung auf eine massive Förderung von Erneuerbaren Energien und Elektromobilität und katapultierte das Land in eine neue Position mit guten Referenzen: Weltmarktführer in Erneuerbaren Energien (sowohl bei Inlands- als auch bei Auslandsinvestitionen), Vorreiter in der Elektromobilität, Fürsprecher für den Abbau eigener Kohlekapazitäten. Zuletzt war sogar davon die Rede davon, dass China eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen könnte. Doch wie realistisch ist das?
Ein Energiehunger, der schwer zu stillen ist
Mit seinen Zusagen von Paris verfolgt China zwei Ziele: Zum einen soll der CO2-Ausstoß des Landes möglichst vor 2030 seinen Höhepunkt erreichen. Zum anderen soll die Kohlenstoffintensität – das ist der Anteil von CO2-Emissionen pro verbrauchter Energieeinheit – bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent gegenüber 2005 sinken.
China kündigt hierbei einem Spagat an, der zur Entkopplung führen soll: Zum einen soll die Wirtschaft wachsen; zum anderen soll sie dabei weniger Emissionen ausstoßen. Im aktuellen 13. Fünfjahresplan der chinesischen Regierung (2016-2020) haben umweltfreundliche Industrien und eine saubere Energieversorgung einen hohen Stellenwert. Mit «Made in China 2025» und massiven Subventionen wird nicht weniger als die Weltmarktführerschaft in Schlüsseltechnologien angestrebt, zu denen auch Erneuerbare Energien und Elektromobilität gehören.
2016 lieferten regenerative Quellen knapp 25 Prozent des Stroms. Bis 2020 soll sich die Strombereitstellung aus Wind- und Solarstrom noch einmal verdoppeln. Außer Solar- und Windenergie setzt China auch auf Wasserkraft und Geothermie sowie auf Atomkraft und Gas.
Tortendiagramm: Chinas Strommix 2016 in Terrawattstunden ,
Kohle: 3.906 Terrawattstunden,
Gas: 188 Terrawattstunden,
Weitere Thermische: 302 Terrawattstunden,
Kernkraft: 213 Terrawattstunden,
Erneuerbare: 1488 Terrawattstunden.
Ausbau bei Atomkraft geplant
Atomkraft spielt eine immer wichtigere Rolle. 2016 waren in China 34 Reaktoren im Betrieb und 20 im Bau. Bis 2020 sind 42 weitere Anlagen geplant. Allein 2016 gab es eine Steigerung der installierten Leistung um acht Gigawatt, auf nunmehr 34 Gigawatt. Forschungsgelder fließen u.a. in die Entwicklung der Flüssigsalzreaktor-Technologie, denn in China gibt es kaum Uran, dafür aber praktisch unbegrenzt Thorium, das in Flüssigsalzreaktoren verwendet wird.
Auf der Suche nach Lösungen für die Atommüllentsorgung forscht das Land vor allem zu Brennstoffkreisläufen in Wiederaufbereitungsanlagen. Neue AKWs sollen auch außerhalb der Landesgrenzen entstehen – entlang der «Neuen Seidenstraßenrouten», die durch über 60 Länder führen werden.
Im Rahmen des Prestige-Projekts «Neue Seidenstraße» will China die langsamer wachsende Wirtschaft im eigenen Land ankurbeln, in dem es neue Wirtschaftskorridore entlang der alten Handelsrouten baut. Mit allem Drum und Dran: Häfen, Flughäfen, Schienennetze und Telekommunikation. Alles, was zur Infrastruktur gehört – wie auch die Energieversorgung.
Während viel Geld in Erneuerbare Energien fließt, fließt noch viel mehr Geld in Kohle, Öl und Gas: Laut einer Studie des «GEI China» (Global Environmental Institutes China) war China im Jahr 2016 bei 240 Kohlekraftwerksprojekten in 25 Seidenstraßenländern involviert. Mit weiteren 52 geplanten Projekten entsprechen die Vorhaben mit China-Beteiligung knapp 13 Prozent der weltweit geplanten Projekte.
Aus geopolitischer Sicht verspricht die Neue Seidenstraßeninitiative wirtschaftsstrategische Vorteile. Aus Energie- und Klimasicht droht eine Verlagerung der Emissionen ins Ausland.
Balkendiagramm: Kohleprojekte entlang der Neuen Seidenstraße, mit chinesischer Beteiligung, Installierte Leistung Kohlekraftwerke in Megawatt, MW, nach Ländern,
Indien: 129540 MW,
Indonesien: 31336 MW,
Mongolei: 17525 MW,
Vietnam: 16594 MW,
Türkei: 14745 MW,
Russland: 9320 MW,
Bangladesch: 7040 MW,
Pakistan: 5900 MW,
Philippinen: 4381 MW,
weitere Länder: 14673 MW,
Ehrgeizige Pläne im Kohlesektor
In der Volksrepublik selbst macht die Kohle noch immer zwei Drittel des gesamten Energieverbrauchs aus. Ihr Anteil im Energiemix soll bis 2020 von 64 Prozent (2016) auf immerhin noch 58 Prozent zurückgefahren werden und sich bis 2050 halbieren. Die jährliche Kohleförderung soll bei 3,9 Milliarden Tonnen gedeckelt werden – was immer noch gigantische Größenordungen sind. Deshalb wird auch zur effizienteren Nutzung der Kohle geforscht und zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid.
Zuletzt wurden immer wieder Kohle- und Stahlkapazitäten zurückgefahren – 2016 ging der Anteil der Kohle am Energieverbrauch zurück – aber in 2017 steigt der Kohleverbrauch mehr als erwartet und lässt die Emissionen um 3,5 Prozent ansteigen.
Chinas klimapolitischer Spagat
Auf der Klimakonferenz in Bonn sagte Chefunterhändler Xie Zhenhua, dass China hoffe, seine Energieversorgung weiter zu verbessern, aber natürlich sei ökonomisches Wachstum immer mit Unsicherheit behaftet.
Wang Zhongying, Vizedirektor des «China National Renewable Energy Centre» (CNREC) hingegen unterstrich die Notwendigkeit ambitionierterer Ziele für erneuerbare Energien und für ein größeres Engagement im Abbau fossiler Kapazitäten. Um die Klimaziele zu erreichen, müsse der nichtfossile Anteil am Energiemix im Jahr 2020 nicht 15 sondern 26 Prozent betragen.
Tatsächlich sind die Herausforderungen bei der Transformation des chinesischen Energiesektors enorm. Kohleregionen erfahren einen massiven Strukturwandel, und Millionen von Kohlearbeitern brauchen neue Jobs. Erneuerbare Energien werden so schnell ausgebaut, dass der Ausbau der Netze nicht hinterherkommt. Der Strommarkt ist noch nicht liberalisiert und kann erneuerbare Energien nicht effizient integrieren. Und in den weit von Peking entfernten Regionen sind Umweltauflagen in erster Linie ein wirtschaftliches Risiko – hier ist weiterhin mit dem Widerstand von Lokalregierungen zu rechnen.
Pilotprojekte und Investitionen in die Zukunft
Ein Emissionshandel könnte dabei helfen, die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch voranzutreiben. Sieben Pilotprojekte gibt es bereits. Ein landesweiter Handel mit Verschmutzungsrechten ist für Anfang 2018 vorgesehen.
China blickt bei der Umsetzung seiner Energiewende auch nach Deutschland, vor allem wenn es um die Integration Erneuerbarer Energien geht und um den Stromhandel. Die nationale Energieagentur Chinas will das Einspeiseproblem bis 2020 lösen. Also wird in Speicher und Netze investiert.
Fakt ist, dass die Begrenzung der globalen Klimaerwärmung maßgeblich von China abhängt. Fakt ist auch, dass sich China seiner Rolle bewusst ist. Symbolisch, wirtschaftlich, und auch zum Wohle der Umwelt und der propagierten «Ökologischen Zivilisation». Fakt ist aber auch, dass China bei allen bisherigen Erfolgen seine Anstrengungen noch weiter intensivieren muss, so wie auch Deutschland, um den ehrzgeizigen Umbauzielen gerecht zu werden. Jedes Vergehen gegen die Natur räche sich irgendwann, so Staatschef Xi Jinping – und es liegt in seinem ureigenen Interesse, sein Land davor zu bewahren.
Jana Ohlendorf studierte Chinawissenschaften, Erneuerbare Energien und Internationale BWL und arbeitet als freie Beraterin für deutsch-chinesische Projekte im Energie- und Umweltbereich.
Sie war u.a. für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) e.V. in Berlin tätig, für das «Institute for European Environmental Policy» (IEEP) in Brüssel und für die «Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit» (GIZ GmbH) in Peking.