Direkt zum Inhalt der Seite springen

Gegen die Klimakrise: Bürgerenergie für Afrika

Ein Gastkommentar von Bärbel Höhn

Nur wenn es gelingt, die Folgen der Klimakrise in Afrika durch Bürgerenergie und Entwicklung zu mildern, ist eine massenhafte Klimaflucht noch abzuwenden.

Zu Recht wurde «Heißzeit» zum Wort des Jahres 2018 gekürt. Wir erlebten da in Deutschland einen extremen Sommer mit Hitze, Dürre und schlechter Ernte. Doch Klimaextreme stellen längst keine lokalen Einzelfälle mehr dar: Weltweit hat sich die Schadenssumme für Naturkatastrophen seit 1980 verdreifacht. Mit 135 Milliarden US-Dollar wurden die Schäden von 2017 beziffert – und haben damit einen alarmierenden Rekordwert erreicht.

Die Klimakrise ist da – auf der ganzen Welt. Jetzt müssen wir schnell handeln und die wenige Zeit nutzen, die uns bleibt, um ihre Folgen zumindest abzumildern. Schon heute zahlen Menschen mit ihren überfluteten Häusern, mit Missernten, ja sogar mit ihrem Leben den Preis für eine Lebens- und Wirtschaftsweise, die Raubbau an unseren existenziellen Grundlagen betreibt.

Klimaflucht in Afrika

Seit November 2017 arbeiten Josef Göppel und ich als Energiebeauftragte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für Afrika. Das vom Ministerium aufgelegte Programm «Grüne Bürgerenergie» soll Menschen in ländlichen Regionen südlich der Sahara mit dezentralen Stromnetzen und lokalen Photovoltaikanlagen mit elektrischer Energie versorgen. So können endlich die Dieselgeneratoren abgeschafft werden, die erforderlich sind, um Wasserpumpen zu betreiben und Ernteprodukte zu kühlen, zu trocknen oder weiterzuverarbeiten.

Vor allem die mangelnde Versorgung mit Wasser ist für viele Regionen Afrikas zum existenzbedrohenden Problem geworden. Auf den Feldern vertrocknet immer häufiger die Ernte. Das Ausmaß dieser Bedrohung lässt sich am Beispiel der Tschadsee-Region beobachten: War der abflusslose Binnensee vor 60 Jahren noch so groß wie das Bundesland Brandenburg mit 30.000 Quadratkilometern, hat er heute mit 1.350 Quadratkilometern nur noch fünf Prozent seiner ursprünglichen Größe. Klimabotschafter haben uns erzählt, dass die Temperaturen dort zum Teil über 50, gar bis zu 60 Grad Celsius erreichen. Die sengende Hitze und das fehlende Wasser rauben Millionen von Fischern, Bauern und ihren Familien die Lebensgrundlage.

Unter diesen Umständen sehen die Menschen keine Perspektive mehr: Hunderttausende haben ihre Heimat verlassen und leben unter katastrophalen Bedingungen in einem der vielen Flüchtlingscamps in Afrika. Die Aussichtslosigkeit vieler verschafft auch terroristischen Gruppen wie Boko Haram großen Zulauf. Nicht nur die Armut, sondern auch der Terror breiten sich so immer weiter aus.

Doch Klimaflucht ist nicht nur in Afrika ein großes Problem: Laut UNO-Flüchtlingshilfe sind weltweit 68 Millionen Menschen auf der Flucht, 40 Millionen von ihnen innerhalb des eigenen Landes. Dabei drängen sie in Regionen, in denen es den Menschen auch nicht viel besser geht. Die Konkurrenz um das immer knapper werdende Wasser verschärft Konflikte – bis hin zu Kriegen. Noch erschreckender als diese Perspektiven sind die Prognosen der UNO-Flüchtlingshilfe. Bis 2070 werden zwischen 250 Millionen und einer Milliarde Menschen zur Klimaflucht gezwungen.

Uns bleibt wenig Zeit, die Klimakrise abzuwenden

Wir, die die Klimakrise in großem Maße mit verursacht haben, sollten daher entschieden handeln: Denn wir haben nur noch ein sehr schmales CO2-Budget. Industrieländer wie Deutschland müssen daher ihre Industrie, die Strom- und Wärmeversorgung, den Verkehr und die Landwirtschaft klimaneutral umgestalten. Dafür haben wir nur noch wenige Jahre Zeit: Der Weltklimarat prognostizierte kürzlich, dass uns – wenn wir nicht schnell und drastisch CO2 reduzieren – nur knapp neun Jahre bleiben, bis wir das kritische 1,5-Grad-Limit erreichen.

Gleichzeitig benötigen die Länder Afrikas dringend Energie, um die Entwicklung in ihren Ländern voranzubringen. Das ist schlicht eine Frage der Gerechtigkeit. Aber diese Energie muss unbedingt CO2-neutral erzeugt werden.

Das ist eine der großen Herausforderungen: Über 600 Millionen Menschen in Afrika, also etwa die Hälfte, haben keinen Zugang zu Strom. 90 Prozent von ihnen leben in ländlichen Regionen. In fast allen afrikanischen Ländern ist zudem das Bevölkerungswachstum sehr hoch. So sind in dem westafrikanischen Staat Benin 50 Prozent der Bevölkerung jünger als 18 Jahre. Auch und gerade für diese junge Generation will das Programm «Grüne Bürgerenergie» Lösungen anbieten: in Benin, im Senegal, an der Elfenbeinküste, in Ghana sowie im Osten Afrikas: in Äthiopien, Uganda, Sambia und Mosambik.

Sonne und Wind statt Kohle

Wir setzen dabei auf Photovoltaik und Windkraft, denn mit Energie aus Sonne und Wind können wir die Ernteerträge in Afrika verbessern, Handwerksbetriebe gründen und so den Menschen in ihren Dörfern eine Perspektive geben.

Ein Beispiel aus abgelegenen Regionen in Sambia: Dort liefern kleine PV-Systeme mit Batteriespeicher Strom für die Beleuchtung. Die Menschen müssen für ein solches System nicht mehr Geld ausgeben, als sie es ansonsten innerhalb eines Monats für Licht aus Kerzen oder Petroleumlampen ausgeben müssten. Ein weiterer Beleg für die Machbarkeit von klimaneutraler Versorgung ist der Erfolg privater Unternehmen mit ihren «Solar-Home-Systemen», die vor Ort ausgesprochen gefragt sind. Den Durchbruch brachte ein Mietkaufmodell. So zahlen Menschen in Tansania drei Jahre lang monatlich 15 Euro und erhalten dafür ein Paket bestehend aus einer PV-Anlage, einer Batterie mit fünf bis sechs Stunden Leistung, einem internetfähigen Fernseher, drei Lampen, einem Radio und einer Ladestation für das Handy. Solar und dezentral erzeugte Energie, dazu Licht, Kommunikation und Zugang zu digitalen Medien – das ist ein riesiger Modernisierungsschub für die Menschen!

Derartige Modelle sind skalierbar. Die Entwicklung in Bangladesch zeigt, wie es gehen könnte: Zunächst wurden Millionen Solar-Home-Systeme installiert. Dann wurden nach einem ähnlichen Mietkaufmodell Gleichstromnetze verlegt. In einem solchen Stromverbundnetz kann jeder Energie beziehen und verkaufen. Der Erfolg des Systems beruht darauf, dass bei den Akteuren aus der Teilhabe an den Netzen ein großes Interesse an deren Funktionsfähigkeit entsteht.

Mehr als nur saubere Energie

Afrika hat, wenn derartige Programme in großem Umfang auf die Beine gestellt werden, die große Chance, der erste Kontinent zu sein, der das Kohlezeitalter überspringt. Doch dabei müssen wir die Länder Afrikas nach Kräften unterstützen.

Es geht nicht nur darum, Energie nach Afrika zu bringen; genauso wichtig ist es, mit der Energie Einkommen zu generieren und für Bildung zu sorgen. Wenn es gelingt, die Ernte dank Solarenergie zu kühlen, zu trocknen, zu lagern und sie damit zu konservieren, ist für die Ernährungssituation der Bevölkerung viel erreicht. Aber diese Anlagen müssen auch gewartet werden, weswegen wir bei unseren Projekten auch eine entsprechende Ausbildung fördern und Finanzierungsmodelle entwickeln, damit Rücklagen für Reparaturen gebildet werden können.

Der Beitrag deutscher Genossenschaften

Dass wir jetzt weltweit, insbesondere in den Schwellen- und sich entwickelnden Ländern, Photovoltaikprojekte so kostengünstig umsetzen können, ist eines der erfreulichen Ergebnisse der Energiewende, deren Siegeszug auch in Deutschland begann. Erst durch unser «Erneuerbare-Energien-Gesetz» (EEG) wurde die notwendige Technik schnell vorangebracht und damit die Preisreduktion ermöglicht. Eine entscheidende Rolle spielten dabei die Energiegenossenschaften, dank deren Engagement die Energiewende in die Fläche gebracht werden konnte.

Was wir von den deutschen Genossenschaften für Afrika übernehmen können, ist der dezentrale Ansatz und das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung. Damit wird die lokale Ebene gestärkt; gleichzeitig werden demokratische Strukturen aufgebaut. Es geht um mehr als Energie: Es geht auch um Demokratie und Teilhabe.

Deutsche Genossenschaften können sich an den Afrika-Projekten der «Grünen Bürgerenergie» beteiligen, indem sie beispielsweise Schulpartnerschaften übernehmen. Licht in der Schule schafft bessere Lernbedingungen. Lokale Unternehmen benötigen oft nur ein kleines Startkapital; doch können sie die hohen Zinsen der örtlichen Banken nicht zahlen. Daher wollen wir mit Crowdfunding-Modellen privates Kapital gewinnen. Auch hierbei gibt es Beteiligungsmöglichkeiten für deutsche Genossenschaften.

Die Partizipation vieler Bürgerinnen und Bürger war der Schlüssel zum Erfolg der Energiewende in Deutschland. Das geht auch weltweit! Es gibt viel zu tun, packen wir es gemeinsam an!

 

Porträt Bärbel Höhn
Bärbel Höhn

1952 geboren, hat in Kiel Mathematik studiert. 1985 wurde sie Mitglied der Grünen. Von 1990 bis 1995 war sie Abgeordnete des Landtags in Nordrhein-Westfalen, von 1995 bis 2005 Landesministerin für Umwelt, Raumordnung, Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Von 2005 bis 2017 saß sie als Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.

Privat unterstützt sie seit 2009 Klimaschutz- und Entwicklungsprojekte in Uganda. Seit 2017 arbeitet sie ehrenamtlich als Energiebeauftragte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für Afrika. 

Mehr zum Thema

  • Eine Gruppe Frauen, Kanister auf dem Kopf, ist auf dem Heimweg von einer Wasserstelle.

    Klimafolgen lindern – Klimaschutz stärken

    Durch den fortschreitenden Klimawandel leiden die Menschen in Uganda unter Dürren und Ernteausfällen. Ein umfassendes Programm von Projekten soll Abhilfe schaffen.

    Zum Bericht von Petra Völzing

  • Tobias Klaus hinter Kugelstosspendel

    Anstoß für Afrika

    Mit Bürgerprojekten zur dezentralen Energieversorgung möchte der Verein «afrisolar» in Afrika nachhaltige ökonomische Entwicklungen in Gang bringen.

    Zum Porträt von Constanze Wolk

20. Juni 2019 | Energiewende-Magazin