Film ab für die Zukunft
Eine Reportage von Judith von Plato
Wie erklärt man Kindern das Thema Nachhaltigkeit? Berliner Schüler:innen beschäftigten sich eingehend damit und finden ihre ganz eigenen Antworten.
Mit lautem Knall fällt die Filmklappe vor ihrem Gesicht. Das Geräusch hallt durch den Saal des Kunstquartiers Bethanien, einst Krankenhaus, inzwischen längst etablierter Kunstraum in Berlin-Kreuzberg. «Und Action!» hört sie den Regisseur rufen. Billie atmet tief ein. Sie ist elf Jahre alt. Ihre langen roten Haare hat sie zusammengebunden, sie trägt eine weite Jeans und ein lockeres T-Shirt. Die Kamera ist auf sie gerichtet, das Mikrofon schwebt über ihrem Kopf. Das Licht leuchtet grell. Der Regisseur und die künstlerische Leiterin blicken sie gespannt an. Die anderen Kinder hinter Billie geben keinen Laut von sich, und dennoch weiß sie genau, dass sie da sind und warten – auf das, was sie zu sagen hat. Um ihrer aller Zukunft und die der Welt geht es, nicht mehr und nicht weniger.
Gemeinsam politischen Themen nachgehen
Billie und elf weitere Schüler:innen dreier Berliner Grundschulen sind fast an ihrem Ziel angelangt. Seit Beginn des Schuljahres engagieren sie sich gemeinsam mit anderen Kindern bei einem Filmprojekt des Berliner Vereins «sideviews». An diesem Tag drehen sie alle zusammen das letzte Video zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Jede Klasse widmete sich in einem mehrminütigen Video einem der Ziele – aus der Sicht von neun- bis zwölfjährigen Kindern. Und sideviews, ein Kollektiv aus Künstler:innen, unterstützte sie dabei. Als Verein, unterstützt von einem Bundesministerium, dem Berliner Senat und mehreren Stiftungen – ist das Kollektiv darauf spezialisiert, mit Kindern und Erwachsenen in Kunstprojekten politischen Fragen nachzugehen.
«Unser Ansatz ist partizipativ», erklärt Anja Scheffer, Regisseurin, Schauspielerin und künstlerische Leiterin des Vereins. Das heißt: Die Kinder stehen nicht nur vor der Kamera, sie haben gemeinsam mit sideviews für die Videos recherchiert, sich die Konzepte überlegt, Geschichten ausgedacht, Drehpläne geschrieben, Requisiten gebastelt und Kostüme zusammengesucht. Das Kollektiv hat geplant, Ideen besprochen, Unterstützung beim Schauspielen geleistet, den Kameramann gestellt und den Filmschnitt übernommen.
Die Erwachsenen verkacken richtig!
Bereits bei einem Vorgängerprojekt hatte das Kollektiv mit einer der drei beteiligten Grundschulen zu den Nachhaltigkeitszielen gearbeitet. Um diese bekannter zu machen, war 2022 die Idee für das Filmprojekt entstanden. Es passiere viel zu wenig in Sachen Nachhaltigkeit, finden die Schüler:innen. Oder um es in Billies Worten zu sagen: «Die Erwachsenen verkacken richtig!» Wenn sie redet, spricht sie laut und deutlich. «Es geht um unsere Zukunft. Wir wollen mitentscheiden», wird sie später ihre Motivation erklären.
Mittlerweile sind 16 Kurzfilme abgedreht. Ein Teil wurde bereits im renommierten Berliner «Haus der Kulturen der Welt» gezeigt. Jetzt fehlt nur noch ein einziger Film: die Nummer 17, «Partnerschaften zur Erreichung der Ziele» das letzte und übergeordnete Ziel, das 2015 von der Weltgemeinschaft festgehalten worden ist. Die Vereinten Nationen setzten sich damals 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, um weltweit Armut, Ungleichheit und Umweltzerstörung entgegenzutreten.
Wir sind hier, weil es so nicht weitergehen kann.
Hier oben in dem hohen, hellen Saal ist die Stimmung aufgeheizt. Von der Berliner Tristesse der kalten Jahreszeit draußen sickert nichts hinein. Seit rund einer Woche arbeiten die zwölf Kinder mit sideviews auf diesen Tag hin. Sie haben Ideen gesammelt, Videos geschaut, improvisiert, Notizkarten geschrieben. Sie haben sich mit Anja Scheffer und dem Regisseur Daniel Harder überlegt, wer was vor der Kamera thematisiert und wie sie das bildlich darstellen können. Ihre Redebeiträge sollen spontan wirken. Auswendig gelernt wird deshalb nichts. «Dann wirkt es natürlicher», erklärt Anja Scheffer, die in den Proben wieder und wieder mit den Kindern improvisiert hat.
Doch mit dem Proben ist Schluss, jetzt wird es ernst: Billie steht vor der Kamera. Zwar etwas aufgeregt, aber sie weiß, was dagegen hilft. Anja Scheffer hat es der Gruppe erklärt. Ihr Trick: Auf die Füße gucken, tief ein- und ausatmen. Dann hebt Billie den Kopf. «Wir sind hier, weil es so nicht weitergeht», sagt sie. Ihre Aufregung ist ihr nicht anzumerken. «Wenn es um unsere Rechte geht, kommt alles, was ich weiß, aus meinem Gehirn», wird sie danach erzählen. Ihr Blick ist weiter in die Kamera gerichtet. Wen genau sie so durchdringend anguckt, weiß sie in diesem Moment nicht. Aber sie hofft, dass es so viele Menschen wie möglich sind: Kinder an anderen Schulen, Eltern, Lehrkräfte und vielleicht sogar Menschen aus der Politik.
Einen kurzen Augenblick ist es still. «Und danke!», ruft Daniel Harder. Harder produzierte schon Werbeclips und Musikvideos für Peter Fox, Sido und die Beatsteaks, in den Neunzigern legte er in Berliner Clubs auf. Die Kinder klatschen und jubeln. Billie hat ihren ersten Auftritt geschafft. Gleich geht es weiter. An der Wand des Raums klebt der Drehplan voller Strichmännchen und Szenentiteln. In einer Ecke liegt eine aufblasbare Weltkugel aus Plastik. Sie wirkt winzig im eindrucksvollen Saal des Bethanien.
Ein Dutzend Kinder – ein Dutzend Expert:innen
Nach und nach kommen alle zwölf Kinder einzeln vor die Kamera. Jedes hat sich Expertise zu einem der grundlegenden Ziele angeeignet. Lou spricht über Sanitäranlagen, Kaya über die Abholzung des Regenwaldes und Richard über eine nachhaltigere Bauwirtschaft. Djamilo kritisiert Pestizide. Zoé, Billies beste Freundin, fordert einen besseren Meeresschutz. Carlotta geht es ebenfalls um Wasser: «Viele Menschen haben kaum sauberes Trinkwasser, und dann wird es ihnen auch noch von großen Firmen geklaut», sagt sie und fährt fort: «Wasser gehört uns allen!» Anuri beschäftigt sich mit Geflüchteten und fragt: «Wie könnt ihr nachts schlafen in dem Gedanken, dass ihr ihnen nicht helft?» Maia pocht auf die Zusammenarbeit von Globalem Süden und dem Norden. August wünscht sich mehr grüne Energie, und dann ist da noch Liv. Sie weist auf die vielen Kriege weltweit hin – und ruft zur Besinnung auf: «Wir sind eine große Gemeinschaft», sagt sie. In einer Pause erzählt sie, was sie zum Mitmachen motiviert: Liv wünscht sich, dass ihre Kinder noch mit Schnee aufwachsen.
«Erwachsene denken häufig, sie wüssten, was für Kinder verdaulich ist», sagt Anja Scheffer. Das hält sie auch für ein Problem an vielen von Erwachsenen produzierten Filmen, die den Klimawandel kindgerecht erklären sollen. Gleichaltrige seien aber viel besser dazu in der Lage, das gegenseitig zu vermitteln. «Kinder können auch harte Themen wegstecken, wenn man sie bespricht und ihnen Raum zum Verarbeiten gibt.»
Wir sind eine Erde. Wir müssen zusammenhalten.
Für manche der jungen Schauspieler:innen funktioniert Anja Scheffers Trick gegen Nervosität, andere überlegen sich ihre eigenen Strategien. Ileyna zum Beispiel. Sie ist zwölf Jahre alt, ihr dunkles Haar reicht ihr bis zum Kinn. Wenn sie groß ist, möchte sie vielleicht mal Ärztin werden, um Menschen zu helfen. «Oder ich werde Politikerin. Die sollen ja eigentlich auch Menschen helfen», sagt sie in der Pause. «Die machen das nur nicht.» Sie kann sich vorstellen, das zu ändern. «Nur vielleicht nicht als Bundeskanzlerin. Dann hätte ich gar keine Zeit mehr für mich.» Für den Moment vor der Kamera hat sie sich etwas gegen die Anspannung überlegt: «Ich tue so, als ob ich grummelig bin, und denke mir Schimpfwörter aus. So was wie ‹Kakaogebrochenes› oder ‹Traubenhirn›.» Heute klappt das nicht. Ihr will partout nichts einfallen. Das Thema ist ernst, vielleicht zu ernst für lustige Schimpfwörter.
Stattdessen stellt sie sich vor, sie sei auf den Malediven. Und plötzlich sprudeln die Wörter nur so aus ihr heraus: «Die Gesundheit in der Klimakrise ist am Ende. Menschen, die unter Überschwemmungen und Trockenheit leiden, bekommen meist keine Hilfe», sagt sie. «Der Globale Norden muss dem Globalen Süden helfen. Wir sind eine Erde. Wir müssen zusammenhalten.» Die letzten Silben hallen nach.
Voll konzentriert bei der Arbeit
Zusammenhalt und Partnerschaften, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Für dieses 17. Ziel hat sideviews die beteiligten Klassen und Lehrkräfte des Projekts zusammengetrommelt. Noch nie in dem ganzen Projekt haben sie alle gemeinsam an einem Video gearbeitet, immer waren es einzelne Klassen. Jetzt sind sie alle hier, mehr als hundert Schüler:innen. Sie warten vor dem Saal, bis sie dran sind. Die Anspannung ist hoch. Eine Szene nach der anderen wird gedreht. Erwachsene wie Kinder legen sich ins Zeug, Schulklasse nach Schulklasse kommt herüber aufs Set. Es wird laut, die Luft stickiger. «Alle Sägen hierher», ruft Anja Scheffer. Die Sägen – das sind ein paar der Kinder. Andere sind Äxte, wieder andere Bäume, auf die es das Werkzeug abgesehen hat. Die Äxte und Sägen machen sich ans Werk. In Zeitlupe fällt ein Baum nach dem anderen zu Boden. Nicht nur einmal, sondern so oft, bis das Filmteam zufrieden ist.
Was würde sich verändern, wenn alle Reichen für einen Tag auf der Straße leben?
An der Seite stehen einige Lehrkräfte und beobachten gespannt das Geschehen. Eine von ihnen ist Anahita Würden. Die 36-Jährige ist Ileynas Klassenlehrerin an der Rosa-Parks-Grundschule, mit ihrer Klasse war sie in dem Projekt aktiv. «Die Filme sind wie ein Ventil, ein Sprachrohr für die Kinder, um ihre Ideen und Forderungen publik zu machen.» Sie selbst arbeitet schon mit den bereits fertiggestellten Filmen im Unterricht. «Andere Erklärfilme merken sich die Klassen weniger gut wie diese. Da bleibt viel mehr hängen», sagt sie. «Die Clips schaffen es, ganz dicht Informationen zu vermitteln, aber nicht theoretisch, sondern als Geschichten, erzählt von Gleichaltrigen.»
Anahita Würden weiß, wie schwer es mitunter fallen kann, Nachhaltigkeit im Unterricht zu behandeln. «Als Lehrkräfte haben wir vielleicht Angst, dass das Thema zu kompliziert ist.» An ihrer Schule ist das anders: Seit diesem Schuljahr ist freitags immer Projekttag, bei dem sich alles um die Umwelt dreht. Dabei kommen die bereits fertigen Filme zum Einsatz. «Die Videos sind ein Supereinstieg in das Thema», sagt sie, besonders geeignet seien sie für Kinder ab der dritten Klasse. Für jüngere Kinder sind sie hingegen noch zu komplex.
Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele
Als Kernstück ihrer «Agenda 2030» haben die Vereinten Nationen 2015 siebzehn Ziele verabschiedet, um allen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen und zugleich weltweit die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Die Ziele stützen sich auf drei Säulen: Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Das 17. Ziel ist besonders wichtig, weil eine «nachhaltige Welt» nur gemeinsam erreicht werden kann.
Noch bleiben fünf Jahre Zeit. Allerdings zog UN-Generalsekretär António Guterres im Mai 2023 zur «Halbzeit» ernüchternd Bilanz: Die Weltgemeinschaft sei weit davon entfernt, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Er forderte die Regierungen weltweit auf, «ihre Anstrengungen zur Umsetzung der Agenda 2030 umgehend und deutlich zu verstärken».
- Ziel 1: Armut in allen ihren Formen und überall beenden
- Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
- Ziel 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
- Ziel 4: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern
- Ziel 5: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
- Ziel 6: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten
- Ziel 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern
- Ziel 8: Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
- Ziel 9: Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
- Ziel 10: Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern
- Ziel 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen
- Ziel 12: Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen
- Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
- Ziel 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen
- Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern
- Ziel 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern
- Ziel 17: Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen
Anstöße zur Auseinandersetzung geben
Parallel zu den Filmen ist ein Kartenset entstanden, das Lehrkräfte und Schüler:innen der drei Grundschulen mit sideviews entwickelt haben – es kann auf der Website des Kollektivs, wo auch die Filme zu sehen sind, heruntergeladen werden. Texte und Grafiken erklären darauf die einzelnen Ziele. Andere Karten schlagen Diskussionsfragen zu den Videos vor. Wieder andere sind Anleitungen für Spiele und Gedankenexperimente. «Wenn alle Reichen für einen Tag auf der Straße leben, was würde sich verändern?», fragt eine Karte. Auf ihrer Vorderseite schläft ein Mensch mit Krone auf einer Parkbank. Für das Team von sideviews ist das Kartenset «ein echtes Herzensprojekt», so Anja Scheffer. «Wir haben selbst sehr viel gelernt.»
Wie selbstverständlich erklärt Billie im Bethanien, warum die Politik Jüngere bei der Lösung all dieser Probleme einbeziehen sollte. «Wir haben viele tolle Ideen, weil wir noch offener und kreativer als die Erwachsenen sind», sagt sie. «Weil wir noch nicht arbeiten müssen, können wir uns mit den Themen beschäftigen, die uns wichtig sind.»
«Jetzt dürft ihr mal machen, was euch die Erwachsenen sonst verbieten», ruft Anja Scheffer durch das Stimmengewirr. Streiten, schimpfen, drohen, obszöne Handgesten – den jungen Schauspieler:innen mangelt es nicht an Ideen. Zwei Gruppen stehen einander gegenüber, darunter auch Billie und Maia. Ihre Gesichter sind wutverzerrt. Sie heben die Fäuste, setzen zu stummen Schreien an, nähern sich und schlagen in Zeitlupe zu, bis sie alle zu Boden gehen. Für einen Moment herrscht Krieg. Billie, Maia und die anderen stellen ihn nur dar, aber sie wissen: Anderswo ist er Realität.
Sie leben nicht mehr in einer heilen Kinderwelt.
«Die Beschäftigung mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung macht die Wunden der Welt, der Gemeinschaften, unserer Lebensweisen oder einer persönlichen Situation sichtbar», warnen die beteiligten Klassen, Lehrkräfte und Künstler:innen in der Einführung zum Unterrichtsmaterial: Ungleichheitsverhältnisse, Gewalt oder Katastrophen würden thematisiert. Die Karten könnten Wunden aufreißen. Zum Beispiel bei Kindern, die mit ihren Eltern vor Krieg geflohen sind. «Bitte geht achtsam damit um und überlegt, was ihr wem wann zumuten möchtet», heißt es darauf. Anahita Würden ist klar, wie sensibel das Thema für betroffene Kinder sein kann. Dennoch sei die Behandlung im Unterricht elementar. Denn: Durch die Medien bekämen sie sowieso vieles mit. «Sie leben nicht mehr in einer heilen Kinderwelt.»
Die Filme haben mir gezeigt, wie viel wir zusammen erreichen können.
Nach zig Szenen und noch mehr Wiederholungen neigt sich der Tag dem Ende zu. Der große Saal ist bereits geschlossen, jetzt wird auf dem Platz vor dem Bethanien getobt. Ileyna, die angehende Ärztin oder Politikerin, freut sich über das, was sie geschafft haben: «Die Filme haben mir Hoffnung gemacht. Sie haben mir gezeigt, wie viel wir zusammen erreichen können», sagt sie. In den kommenden Wochen geht der Unterricht für die Gruppe wieder wie gewohnt weiter. Manche müssen Klassenarbeiten nachschreiben, die sie wegen des Projekts verpasst haben. Und alle müssen sich gedulden, bis sie ihren Film sehen können: Der Schnitt wird einige Zeit dauern.
Drei Wochen später ist es so weit – die Premiere des siebzehnten Films steht an. Draußen ist es dunkel, der Schulhof der Fichtelgebirge-Grundschule im Berliner Stadtteil Kreuzberg verlassen. Ganz oben in der Aula leuchten die Lichter. Einen roten Teppich gibt es nicht, dafür graue Bodenmatten. Die Klassen tummeln sich darauf. Die Älteren sitzen hinter ihnen auf Stühlen. Die Aula ist voll.
Das Licht erlischt. Es wird ruhig. Die Blicke sind auf die Leinwand gerichtet. Billie zuckt zusammen, als ihr übergroßes Abbild den Erwachsenen einheizt. «Wir sind hier, weil es so nicht weitergeht», hört sie sich selbst sagen. Knapp fünf Minuten später ist der Film zu Ende. Das Publikum klatscht und klatscht. Eltern, Filmteam und Lehrkräfte geben Feedback. «Da steht man als gestandener Filmemacher, und die Kinder haben Ideen, auf die kommst du als Erwachsener einfach nicht», sagt Daniel Harder. Eine Lehrerin ist gerührt. «Ich bin überwältigt. Ihr könnt so stolz auf euch sein!», sagt sie.
Ich hoffe, dass die Filme etwas bewirken.
Billie hat gemischte Gefühle: «Andere halten mich vielleicht für eine Rampensau, weil ich gerne vor Publikum rede, aber mich selbst auf der Leinwand zu sehen ist etwas anderes», sagt sie. Dennoch möchte sie mehr Filme wie diesen machen. Ihre beste Freundin Zoé, die sich in dem Clip für Meeresschutz starkgemacht hat, ergänzt: «Es hat mega Spaß gemacht. Ich bin traurig, dass es jetzt vorbei ist.» Auch Carlotta, die eben noch auf der Leinwand auf die Bedeutung von sauberem Trinkwasser hingewiesen hat, wollte unbedingt das Ergebnis sehen. Gefallen hat es ihr sehr, zudem hofft sie, «dass die Filme etwas bewirken».
Wenn Kinder zu Lehrenden werden
Die Hauptpersonen und ihr Publikum unterhalten sich noch etwas in der Aula, dann gehen sie nach Hause. Morgen früh ist wieder Schule. Doch ganz ist das Projekt noch nicht vorbei. Alle 17 Filme sind zwar abgedreht, es soll allerdings weitergehen – wenn es nach Anja Scheffer, Daniel Harder und den Kindern geht. Sie wollen ein «Peer-to-Peer-Projekt» auf die Beine stellen. Das bedeutet: Gleichaltrige bilden Gleichaltrige weiter. Die Wissensvermittlung innerhalb der eigenen Altersgruppe kann bei komplexen Themen von Vorteil sein, da die Kinder über einen ähnlichen Erfahrungshorizont verfügen.
«Die Filme sollen jetzt raus in die Welt. Wir möchten mit den beteiligten Kindern, die Lust haben, an Schulen gehen und das Unterrichtsmaterial vorstellen», erzählt Anja Scheffer. Auch Fortbildungen für Lehrkräfte sind geplant. Ob das umsetzbar ist, steht und fällt mit der Finanzierung. Gefördert wurde das Filmprojekt von der Europäischen Union, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Doch die Hauptstadt hat zuletzt massive Kürzungen beschlossen, insbesondere im Kulturetat. Viele künstlerische und pädagogische Initiativen, aber auch zahlreiche Institutionen geraten dadurch in massive Schwierigkeiten oder stehen vor dem Aus. Angesichts dessen ist die Weiterfinanzierung der geplanten Anschlussprojekte noch unklar.
Die Kinder lassen sich davon nicht unterkriegen. «Ich wünsche mir, dass die Videos Leuten helfen zu erkennen, wie viel gerade schiefläuft», sagt Billie. Daniel Harder und Anja Scheffer ist es besonders wichtig, dass die Filme und die Unterrichtsmaterialien zu den Nachhaltigkeitszielen in möglichst vielen weiteren Schulen genutzt werden. Schon jetzt konnten sie einiges bewegen. «Ich habe so oft zugeschaut, wie sich Kinder die Filme angucken und gleich selbst etwas machen wollen», sagt sie. «Die Filme sind ansteckend.» Und bevor Zoé und Billie gemeinsam die Aula verlassen, fasst Zoé noch einmal das Wichtigste zusammen: «Die Situation auf der Welt wird zwar schlimmer, aber immer mehr von uns checken es auch.»
Die gesamten 17 Filme zu den Nachhaltigkeitszielen können hier angeschaut werden: Get together now!
Zudem hat das Kollektiv sideviews gemeinsam mit Kindern und Lehrenden als weiterführendes Lernmaterial ein Kartenset entwickelt. Es ist gedacht für Kinder, Eltern, Schulen und alle, die sich mit den Zielen auseinandersetzen wollen und ist unter dem obigen Link ebenfalls frei zugänglich.
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