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Syril Eberhart – der Energiewende-Beschleuniger

Ein Porträt von Petra Völzing

Mit seiner Idee, eine Genossenschaft für den Selbstbau von Photovoltaikanlagen zu gründen, löste Syril Eberhart in der Schweiz einen Solarboom aus.

Für die Energiewendebewegten in der Schweiz ist Syril Eberhart ein echter Glücksfall. Schließlich hat seine Idee, Photovoltaik nach dem Prinzip «Hilfe zur Selbsthilfe» auf die Dächer zu bringen, dazu beigetragen, Solaranlagen für viele Menschen erst erschwinglich zu machen.
 
Eigentlich steht die Schweiz mit ihrer Stromversorgung im Sinne des Klimaschutzes auf den ersten Blick ganz gut da, fast 60 Prozent der erzeugten Energie stammen aus Wasserkraft. Bei Strom aus Sonne und Wind sieht es allerdings eher mau aus: Dessen Anteil am Schweizer Strommix liegt noch unter fünf Prozent, mehr als 30 Prozent der Energie liefern immer noch die Schweizer Atomkraftwerke. Der Atomausstieg ist in der Schweiz zwar beschlossene Sache, aber die Umsetzung dauert. Das Interesse der Regierung am schnellen Ausbau der Solarenergie ist begrenzt, entsprechend schmal bemessen sind die staatlichen Förderungen.

Schneller greifbare Ergebnisse

Syril Eberhart ist heute 31 Jahre alt. Schon als als Jugendlicher hat er erkannt, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien schneller gehen muss. «Angesichts des fortschreitenden Klimawandels wollte ich einfach etwas Greifbares erreichen, und zwar in absehbarer Zeit», sagt der junge Mann mit dem schütteren Haar. «Ich bin wohl etwas ungeduldig», setzt er hinzu und lacht angesichts des Ernstes der Lage ziemlich unbekümmert. Für die zögerliche Politik der Regierung hat er kein Verständnis. Diese setzt in ihrer Energiestrategie bis 2050 für eine Übergangszeit auf Gaskraftwerke oder Stromimport. Syril Eberhart ist überzeugt, dass die Schweiz darauf verzichten könnte, wenn die Erneuerbaren schneller ausgebaut würden.

 

Ein Junger Mann vor einer dunklen Holzwand fotografiert
Foto: Marc Eckardt

Ich bin wohl etwas ungeduldig.

Syril Eberhart

Angefangen hat der Elektroingenieur bei der Genossenschaft «SpiezSolar» im Kanton Bern, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Ausbau von Solarenergie zu fördern. Bei Beratungsgesprächen hörte er regelmäßig, dass den interessierten Hauseigentümern die Installation einer Photovoltaikanlage zu teuer sei. Das liegt in der Schweiz vor allem an den hohen Stundensätzen der Handwerker. Da war es für Syril Eberhart naheliegend, dass man es eben günstiger hinbekommen muss: Die Idee, Anlagen im Selbstbau zu realisieren, war geboren. Zunächst einmal befähigte sich der Jungingenieur selbst und installierte 2012 auf dem Dach seines Elternhauses in Hondrich eine erste Anlage. «Mit dieser Erfahrung wurde mir klar, dass man es nicht alleine hinkriegen kann», erzählt er. So kam es zu der Idee, eine Genossenschaft zu gründen. Er fand Gleichgesinnte, und gemeinsam organisierten sie eine Veranstaltung in Spiez, bei der sie ihre Idee vorstellten – mit überraschend großer Resonanz.

Großes Interesse am Selbstbau von Solaranlagen

Auch zu den Folgeveranstaltungen kamen viele interessierte Menschen, was Eberhart ermutigte, bereits im Folgejahr mit sieben Mitstreitern die Energiewendegenossenschaft (EWG) zu gründen. Das Prinzip: Wer mit der EWG eine Photovoltaikanlage realisieren will, muss Mitglied der Genossenschaft werden. Die Anlage wird dann von einem Solarplaner der EWG konzipiert und unter dessen Anleitung im Selbstbau umgesetzt. Für die Installation einer Anlage mit zehn Kilowatt-Peak (kWp) rechnet die Genossenschaft mit 70 Arbeitsstunden.
 
Können die Bauwilligen die Zeit nicht selbst aufbringen, so greifen ihnen andere, bereits erfahrene Selbstbauer unter die Arme. Diese Stunden müssen sie dann wiederum bei nachfolgenden Selbstbauern abarbeiten. Ist das innerhalb von zwei Jahren nicht geschehen, werden von der Genossenschaft 50 Schweizer Franken pro Stunde in Rechnung gestellt, ein recht bescheidener Stundensatz. Die Genossenschaft übernimmt für ihre Mitglieder auch den Materialeinkauf und behält nur eine sehr kleine Marge, um die Kosten für die Administration der Genossenschaft zu decken.
 

Junger Mann vor dunkler Holzwand fotografiert
Foto: Marc Eckardt

«Wir sind in eine Marktlücke gestoßen», sagt Syril Eberhart, und es wirkt, als sei das für ihn eine Selbstverständlichkeit. Seine Unbekümmertheit lässt ihn Hürden mit Leichtigkeit nehmen, und sein analytischer Verstand hilft ihm dabei, ein Projekt effizient umzusetzen.
 
Dabei stellt sich der Energiewendeenthusiast auch ganz anderen Herausforderungen: «Ich hatte schon lange vor, eine Weltreise ohne Flugzeug zu unternehmen», erzählt er. So ist er noch 2013 aufgebrochen, um in acht Monaten auf dem Landweg nach Australien zu reisen. 2014 kam er zurück und startete mit der Energiewendegenossenschaft durch. Solarplaner wurden ausgebildet und ein Projekt nach dem anderen konnte somit realisiert. Um die erworbene Erfahrung für andere nutzbar zu machen, hat Eberhart gemeinsam mit drei Mitstreitern ein «PV-Selbstbau-Handbuch» geschrieben. Auch einen Solarkurs hat er entwickelt, um Selbstbauwilligen das notwendige Grundwissen zu vermitteln. Um seine Idee maximal zu verbreiten, hat er auch in den anderen Kantonen die Gründung von Selbstbaugenossenschaften angestoßen.

Ohne Ehrenamt geht es am Anfang nicht.

Syril Eberhart

Wie hat es der junge Mann geschafft, in so kurzer Zeit derart viele Menschen für seine Sache zu begeistern? Syril Eberhart ist ein passionierter Verfechter seiner Sache und versteht es, mit seiner direkten und humorvollen Art Menschen zu begeistern. Die EWG hat heute mehr als 300 Mitglieder, 270 Anlagen mit einer Gesamtleistung von vier Megawatt-Peak (MWp) wurden inzwischen realisiert, darunter auch ein Quartiersprojekt mit zehn Einfamilienhäusern, bei dem der Strom von allen Dächern über ein internes Netz gleichmäßig verteilt wird. Um seine Idee in anderen Kantonen zu verbreiten, suchte er sich in vielen Städten und Gemeinden Ansprechpartner und organisierte gemeinsam mit ihnen Infoveranstaltungen, bei denen er das Prinzip der Selbstbaugenossenschaft vorstellte.
 
«Meistens kamen sehr viele Leute», sagt er und lacht wieder unbekümmert. Im Nachgang zu einer solchen Veranstaltung gründe sich meist eine Gruppe vor Ort, die das Projekt vorantreibe und die er begleitet. «Natürlich kam es auch vor, dass es mal nicht so geklappt hat, aber ohne ein interessantes Gespräch bin ich eigentlich nie fortgegangen», sagt er. Schwierigkeiten gab es eher dabei, den großen Ansturm an Interessenten organisatorisch zu bewältigen. In Winterthur wollten viele von ihnen Anlagen installieren, aber niemand fand sich bereit, unbezahlt die Strukturen zu schaffen. «Ohne Ehrenamt geht es am Anfang nicht», meint Syril Eberhart lakonisch, inzwischen laufe es aber in Winterthur, auch ein Geschäftsführer sei nun gefunden.

Klimafreundlich die Welt entdecken

Im Herbst 2017 bricht er dann zu einer zweiten Reise ohne Flugzeug um die Welt auf. Neben seiner Passion für den Klimaschutz treibt ihn auch eine große Neugierde auf die Welt in all ihren Facetten an. Die Geschäftsführung der Energiewendegenossenschaft übergibt er seinem Kollegen Niels Mahler. Diesmal zieht es ihn durch Russland ins tiefste Sibirien bis an den Polarkreis, dann über Japan nach Zentralamerika. Von dort reist er weiter, nach Südamerika durch das Amazonasgebiet an die Küste Brasiliens und mit einem Containerschiff zurück nach Spanien.

 

Junger Mann vor dunkler Holzwand fotografiert
Foto: Marc Eckardt

 

Die Netzgemeinde lässt er an seinen Erlebnissen teilhaben. Auf seinem Blog footprintless.org und auf Facebook berichtet er von seinen Erlebnissen, zeigt Fotos und Filme: Man sieht ihn mit Rentiernomaden, die im eisigen Polarkreis in Zelten leben. Er verbringt Tage auf einer einsamen Insel vor Panama und fährt mit einem Einbaum durch gefährliche Amazonasgefilde. Einmal tritt er sogar im russischen Fernsehen auf und plaudert mit den Moderatoren locker auf Russisch. «Auch bei der Reise ist es mir wichtig, anderen zu zeigen, dass man die Welt auch klimafreundlich entdecken kann. Ich möchte niemanden bekehren, aber andere zum Nachdenken anzuregen und Vorbild zu sein, das gefällt mir.»
 
Im Sommer 2018 erreicht ihn in Japan die Kunde, dass er zum Schönauer Stromrebellen gekürt wurde. Am Abend der Preisverleihung ist er aus einem Hotel in Panama über Skype live in Schönau dabei, um den Preis per Internet entgegenzunehmen. Von der riesigen Leinwand aus bedankt er sich und erzählt EWS-Vorstand Sebastian Sladek und allen Stromseminarteilnehmern von seinen erstaunlichen Erlebnissen und den eindrücklichen Begegnungen auf seiner Reise.

Nächster Fokus: Klimafreundliche Mobilität

Drei Monate später als geplant, im Dezember 2018, ist er wieder zurück in der Schweiz. Die EWG hat ihren Sitz mittlerweile nach Bern verlegt und ist im gesamten Kanton aktiv. Syril Eberhart arbeitet wieder als Solarplaner. Viel Zeit verbringt er auch damit, Solarkurse zu geben, denn mit Menschen im Kontakt zu sein und seine Erfahrungen weiterzugeben macht ihm immer noch viel Spaß. Zudem arbeitet er weiter an der Verbreitung der Selbstbaugenossenschaften in der Schweiz. Inzwischen sind in fast allen Kantonen Genossenschaften gegründet worden, die das Selbstbauprinzip übernommen haben. Nur das Tessin steht noch aus.
 
Syril Eberhart ist zufrieden mit der jetzigen Situation: «Mir ist es sehr wichtig, flexibel zu bleiben», sagt er. In die Ferne will er erstmal nicht mehr – aber Zeit haben für sportliche Aktivitäten in der Natur wie wandern, klettern und Mountainbike fahren. Außerdem hat er für sich ein weiteres Handlungsfeld entdeckt: die klimafreundliche Mobilität. «Ich habe in vielen Gesprächen rausgehört, dass das ein wichtiges Anliegen ist», sagt er. Sein Plan ist es, in der Schweiz Urlaubstouren mit dem Elektrofahrrad anzubieten. Und da er wie immer mit viel Überzeugungskraft bei der Sache ist, stehen die Chancen gut, dass er auch für seine Idee, klimafreundliche Mobilität zu verbreiten, viele tatkräftige Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden wird.

 

11. Juli 2019 | Energiewende-Magazin