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Heffa Schücking – Geht nicht, gibt es nicht

Ein Porträt von Petra Völzing

Mit ihren Kampagnen bringt Heffa Schücking Investoren dazu, die Finanzierung von umweltzerstörenden Großprojekten zu beenden.

Vor dieser Frau haben Banken und Großkonzerne Respekt. Denn sie packt sie da, wo es weh tut – an ihrem Ruf. Seit 25 Jahren deckt Heffa Schücking mit ihrer Organisation «urgewald» Investitionen von Großbanken und Konzernen in umweltzerstörerische und menschenrechtsverletzende Projekte auf. Sie verhinderte große Staudammprojekte und Atomkraftwerke, indem sie ansetzte, noch bevor diese verwirklicht werden konnten.  Aktuell bringt sie mit einer Kampagne Großinvestoren dazu, aus der Kohlefinanzierung auszusteigen. Waffenexporte und deren Finanzierung sind ein weiteres Thema. Ihre Kampagnen organisieren die Aktivisten von Heffa Schückings Heimatdorf Sassenberg aus, einer kleinen Gemeinde im Münsterland. Hier geht es beschaulich zu, vielleicht der richtige Ort für Menschen, die die Welt mit ihren Aktionen ein kleines bisschen aus den Angeln heben.

Porträt von Heffa Schücking vor Betonwand

Gegründet hat Heffa Schücking urgewald 1992. Damals war ihr zentrales Anliegen, die Zerstörung der Regenwälder zu verhindern. «Ich habe Biologie studiert, mein Forschungsfeld waren die Menschenaffen», erzählt sie. In den Regenwäldern Brasiliens erlebte sie hautnah, wie dort Lebensräume von Menschen und Tieren zerstört wurden. So begann ihr Engagement ganz nah an den Betroffenen. In ihrem «Rainbow Memorandum» von 1988 zeigte sie die Zusammenhänge zwischen dem Konsum der Industriestaaten und der Zerstörung der Urwälder auf. Damit trug sie wesentlich dazu bei, dass in Deutschland der Import von Tropenholz hohen Umweltanforderungen und strenger Kontrolle unterliegen. Illegal geschlagenes Tropenholz darf nicht mehr in die EU importiert werden. Mehr als 1.200 Kommunen verzichten heute auf den Einsatz von Tropenholz bei städtischen Bauprojekten. Ihr erster großer Erfolg, für den sie auch den «Goldman Environmental Prize» erhielt, eine von vielen weiteren Auszeichnungen.

Lobbyarbeit war damals bei den deutschen Aktivisten verpönt.

Heffa Schücking

Mit analytischen Geist und pragmatischer Herangehensweise arbeitet Heffa Schücking dort, wo wirklich etwas zu bewegen ist. «Ob etwas passiert, das hängt sehr stark vom Geld ab», sagt sie, deshalb setzt sie dort an, wo die Finanzströme fließen, bei den Großbanken und Unternehmen. Dabei hat sie viel von den Amerikanern gelernt. Eine ihrer wichtigsten Erfahrungen war die Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Berlin 1988. «Die deutschen Aktivisten haben eine große Demo organisiert, und natürlich war ich dabei», erzählt sie. Wirklich fasziniert hat sie aber die Arbeit der amerikanischen NGOs: «Die haben sehr gezielt Termine mit Exekutivdirektoren der Weltbank gemacht und dann Betroffene eingeladen, die berichtet haben, welche Auswirkungen ein Staudammprojekt auf ihre Lebenswirklichkeit hat.» Dieser völlig andere Ansatz hat Heffa Schücking beeindruckt.

«Lobbyarbeit war damals bei den deutschen Aktivisten verpönt», erinnert sie sich. An deren Protestaktionen fehlte ihr der konkrete Handlungsansatz. «Wenn die Aktion vorbei war, ging es an die Organisation der nächsten Demo. Ob sich wirklich was bewegt, hat keinen gekümmert.» Sie wollte aber nicht nur protestieren, sondern auch ganz gezielt Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen verhindern. Da steckt viel Arbeit dahinter. «Es dauert einige Jahre, bis man versteht, wie eine Institution wie die Weltbank funktioniert», sagt sie nüchtern – die sei wie ein anderer Planet. Aber dann lacht sie schon wieder: «Wenn man mir als Biologiestudentin gesagt hätte, dass ich mich mal mit Finanzen beschäftigen würde, dann hätte ich wohl recht ungläubig dreingeschaut – damals fand ich das natürlich unglaublich langweilig.»

Der Großvater erlebte drei Berufsverbote

Dass sie schon immer ein wenig gegen den Strich gedacht hat, macht sie an ihrer Familiengeschichte fest: «Mein Großvater hat drei Berufsverbote erlebt.» In der Kaiserzeit verlor er seinen Bürgermeisterposten, weil er ein Buch mit politisch fortschrittlichen Ideen veröffentlicht hatte, 1933 verlor er seine Zulassung als Rechtsanwalt, und während der Nazizeit wurde ihm dann auch verboten, in Sassenberg heimatgeschichtliche Artikel zu veröffentlichen. Heffa Schückings Vater desertierte als Wehrmachtssoldat am Ende des Krieges. Die Mutter kam aus Estland und hatte Flucht und Vertreibung am eigenen Leib erfahren. «Ich glaube, auch deshalb habe ich einen klaren Begriff von Heimatverlust und kann mir vorstellen, was es bedeutet, wenn Menschen wegen eines Staudammprojekts aus ihrem Dorf vertrieben werden.»

Als Außenseiterin dem eigenen Kompass folgen

Ihre Kindheit verbrachte Heffa Schücking in Texas, wo ihr Vater als Astrophysiker an der Universität arbeitete. Sie erlebte dort die Rassentrennung und den Beginn ihrer Überwindung durch den Civil Rights Act 1964. Politisiert wurde sie durch den Vietnamkrieg.  Die Polarisierung der US-Gesellschaft in den 1960er-Jahren bekam sie hautnah mit, als Hunderttausende gegen den Vietnamkrieg auf die Straßen gingen. Mit zwölf Jahren ging sie auf ihre erste Demo gegen den Vietnamkrieg. «Wir erlebten uns als Deutsche in den USA wieder als Außenseiter und haben gelernt, unserem eigenen inneren Kompass zu folgen», bilanziert sie.

Die Erfahrungen in den USA und auch die Geschichte ihrer Familie haben Heffa Schücking eine große innere Freiheit gegeben und sie stark gemacht. «Ich war einfach immer überzeugt, dass ich eine wichtige Botschaft habe, die gehört werden muss», sagt sie lächelnd. Traurig macht sie zu sehen, dass viele Menschen sich klein denken und ihr Potenzial nicht leben. «Ich wollte mal sehr schwungvoll durch eine Tür gehen, die war dann aber verschlossen», erzählt sie. Da habe ein Freund gesagt, hier zeige sich ihre tiefe Überzeugung, dass ihr alle Türen offen stehen. Die Erinnerung bringt sie ein weiteres Mal zum Lachen.

Porträt von Heffa Schücking vor Betonwand

Heute ist sie stolz darauf, wie viel sie mit ihrer kleinen Organisation erreicht hat, die inzwischen beträchtlich gewachsen ist. 16 Menschen arbeiten aktuell für urgewald. Auch drei Männer sind jetzt dabei, für urgewald durchaus ungewöhnlich, denn lange war es ein reiner Frauenverein. «Das hatte keine ideologischen Gründe», sagt Heffa Schücking. Nach ihrer Einschätzung ist Frauen bei der Arbeit die Sache wichtiger, bei Männern spielen oft auch Geld und Erfolg eine maßgebliche Rolle.

Aktuell im Fokus: Der Kampf gegen die Kohleindustrie

Aktuell konzentriert sich Heffa Schücking bei ihrer Arbeit auf die Kohleindustrie. Für sie liegt auf der Hand, dass dieser Industriezweig zurückgedrängt werden muss, weil er den Klimawandel vorantreibt. «Er trägt aber auch Verantwortung für Landschaftszerstörung und Menschenrechtsverletzungen», betont sie, denn diese Aspekte sind für ihre Arbeit immer gleichbedeutend. 2011 begann die NGO urgewald ihre Kampagne mit der Stoßrichtung, deutsche Banken zum Ausstieg aus der Kohlefinanzierung zu bewegen. «Die Banken haben uns damals für verrückt erklärt», erzählt Schücking. Mit ihrem Ansatz kamen sie erst mal nicht weiter, aber aufzugeben kam nicht infrage. «Wir haben uns damals dann überlegt, welcher Zwischenschritt sinnvoll wäre», sagt die lösungsorientierte Aktivistin.

Sie überlegten sich eine neue Strategie: Anhand eines besonders drastischen Beispiels machten sie die Problematik anschaulich und erlebbar. Sie wählten dafür den Kohleabbau in den amerikanischen Apalachen, wo aus Kostengründen einfach Bergkuppen abgesprengt werden. Der mit Schwermetallen belastete Abraum landet in den Tälern und vergiftet das Wasser. Hier entstanden starke Bilder der weitgreifenden Landschaftszerstörung. Gemacht hat sie der Fotograf Paul Corbit Brown, der aus der Gegend stammt. Auf der Aktionärsversammlung der RWE verschaffte urgewald ihm drei Minuten Redezeit. Er zeigte Fotos vom Ausmaß der Umweltzerstörung und ein Glas mit dreckigem Wasser, das aus den Wasserhähnen in der Gegend fließt. «Wollen Sie Ihre Kinder in solchem Wasser baden?», fragte er.

Solche Versammlungen sind für Heffa Schücking und ihre Mitstreiter eine wichtige Bühne, denn dort inszenieren sich die Konzerne und Banken, aber das Topmanagement ist auch gezwungen, den Aktionären zuzuhören. Urgewald liefert eine Gegeninszenierung, indem sie die Wirklichkeit sichtbar macht – eine hochwirksame Strategie. Als erste Bank zog sich die BNP Paribas aus der Finanzierung in den Apalachen  zurück. «Die Deutsche Bank hat 2016 nachgezogen, die braucht halt immer etwas länger», bemerkt Heffa Schücking schmunzelnd. Inzwischen sind die Erfolge weitreichender: Mehr als 15 Großbanken haben sich bis dato verpflichtet, keine neuen Kohleminen und Kohlekraftwerke zu finanzieren. Abgeschlossen ist das Thema für Heffa Schücking aber noch lange nicht. 2017 veröffentlichte sie unter coalexit.org eine Liste mit 120 Firmen, die weiterhin in Kohle investieren. In ihrer Kampagne «Schluss mit der Blutkohle» macht sie die schlimmen Bedingungen des Kohleabbaus in Kolumbien sichtbar, von wo auch die EnBW Kohle bezieht.

Mit Teamintelligenz kommt man letztlich weiter als mit charismatischen Einzelkämpfern.

Heffa Schücking

Heffa Schücking bleibt trotzdem auf dem Teppich. Urgewald recherchiert weiterhin beharrlich Fakten über Großprojekte und finanzielle Verflechtungen und stellt sie den Darstellungen von Banken und Konzernen entgegen. Dass sie zur Heldin und Vorkämpferin stilisiert wird, gefällt ihr ganz und gar nicht: «Ich bin ein Teil von urgewald und brauche auch das Korrektiv meiner Kolleginnen und Kollegen», betont sie. Wirklich stolz ist sie darauf, dass seit 17 Jahren kein Mitarbeiter urgewald verlassen hat. «Es hat sich ein tolles Team entwickelt, das sich gegenseitig stützt, respektiert und auch mal tröstet.» Sie hat gelernt: «Mit Teamintelligenz kommt man letztlich weiter als mit charismatischen Einzelkämpfern.»

26. Juli 2017 | Energiewende-Magazin