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Luise Neumann-Cosel – Frau Merkel, das war's!

Ein Porträt von Caspar Dohmen

Große Bühne? Kein Problem. Als nächstes möchte Luise Neumann-Cosel das Berliner Stromnetz in Bürgerhand bringen.

Mit der Idee einer Übernahme des Hauptstadt-Stromnetzes durch Bürger hat die BürgerEnergie Berlin Furore gemacht, wie gewünscht. Es gibt engagierte Mitstreiter, wie erhofft. In einem hat sich Luise Neumann-Cosel, Vorstandsmitglied der Genossenschaft, jedoch gewaltig geirrt. «Ich habe mir anfangs den Kopf darüber zerbrochen, was wir tun, wenn eine Partei unsere Idee für sich vereinnahmt.»

Die Landesregierung will die Bürger vom Stromnetz fernhalten.

Luise Neumann-Cosel

Im Frühling 2016 sind noch drei Bewerber übrig für das 35.800 Kilometer lange Berliner Stromnetz: der bisherige Betreiber Vattenfall, die Berlin Energie, eine landeseigene Gesellschaft, und die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin. 2012 hat sie Neumann-Cosel gemeinsam mit Gleichgesinnten gegründet.

Die 30-Jährige erzählt nach vier Jahren immer noch begeistert von dem Plan, aber sie wirkt an diesem Aprilmorgen auch ein wenig erschöpft. Grau-schwarz trägt sie, was gut zu den ernüchternden Erfahrungen passt, die sie mit dem Politikbetrieb in der Hauptstadt gemacht hat. Die Zustimmung für die Bürgerbeteiligung am Netz sei in vier der fünf Fraktionen eigentlich groß, nur die CDU stelle sich quer, aus ideologischen Gründen. Trotzdem blocke der Senat aus SPD und CDU die Idee ab. «Die Landesregierung will die Bürger vom Stromnetz fernhalten – das ist offensichtlich.»

Für mehr Demokratie – und gegen den Klimawandel

Neumann-Cosel hat gute Argumente, warum sich die Bürger an dem Netz beteiligen sollten. Es gehöre zur Daseinsvorsorge und sollte deswegen demokratisch kontrolliert werden; die Gewinne aus dem Netzbetrieb könnten in der klammen Hauptstadt investiert werden, statt abzufließen. Außerdem könnte man auf diese Weise die Energiewende befördern. Wie stoppen wir den Klimawandel? Der Frage müsse sich ihre Generation stellen und eine Antwort finden, «sonst werden uns unsere Kinder fragen, was hast du eigentlich gegen diese Katastrophe für die Menschheit unternommen?»

Das Thema Klimawandel beschäftigt die studierte Geoökologin schon seit Längerem. Sie las sich ein, fuhr zu Konferenzen, bloggte. In Kopenhagen erlebte sie Ende 2009 das Scheitern des Klimagipfels, was bei ihr Zweifel an dem globalen politischen Prozess weckte.

Vollends desillusionierten sie Erlebnisse wie bei einer jener zwischen den Klimagipfeln abgehaltenen Konferenzen. Da hätten sich in einer Kleingruppe Delegierte aus Großbritannien und Argentinien gestritten; erst nach und nach habe sie begriffen, dass es nicht um das Klima, sondern die Falklandinseln ging, also jene Inselgruppe, um welche die beiden Länder in den achtziger Jahren Krieg geführt hatten. «Wie soll es mit dem gesamten Prozess vorwärtsgehen, wenn solche Konflikte bei Klimagesprächen eine Rolle spielen?»

Portrait von Luise Neumann-Cosel, der vielleicht anmutigsten Stromrebellin aller Zeiten.
Luise Neumann-Cosel Foto: Marc Eckardt

Widerstand als Profession

Sie war 16 Jahre alt, als eine Freundin sie mit zu ihrer ersten Demonstration nahm, gegen die Transporte von Atommüll nach Gorleben. Eigentlich wollte sie nach der Demonstration gleich zurück, aber sie blieb länger, so bewegt war sie von dem, was sie erfuhr. «Mir war vorher nicht bewusst, was da auf dem Spiel steht: Hoch radioaktiver Müll, die gefährlichste Substanz, die wir kennen, steht da in einer Kartoffelscheune».

Sie machte Abitur, studierte und protestierte weiter, erlebte den Druck des Staates ziemlich eindrücklich. «Es wurde spürbar, dass an der Stelle auch demokratische Rechte außer Kraft gesetzt wurden. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis.»

Sie machte aus ihrer Überzeugung einen Beruf, wurde Pressesprecherin bei den Atomkraftgegnern, bei dem Netzwerk ausgestrahlt.de und der Anti-Castor-Kampagne X-tausendmal quer. Sie, die zur Enkelgeneration der Atomkraftgegner gehört, gewann schnell den Respekt der Altvorderen. Nach der Katastrophe von Fukushima stand sie bei einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor auf der Bühne, redete entschieden, bewegend und souverän: «Frau Merkel, das war's. Die Atompolitik ist am Ende.»

Neue Chancen, neue Ziele

Bald beschloss die Bundesregierung tatsächlich den Atomausstieg. Auch Neumann-Cosel traf eine Entscheidung: Statt weiter den globalen politischen Prozess als Kommentatorin zu begleiten, beschloss sie, sich lokal und konkret für den Wandel zu engagieren. Die Gelegenheit ergab sich, als sie erfuhr, dass die Konzession für das Stromnetz ihrer Heimatstadt neu ausgeschrieben würde, was nur alle zwanzig Jahren der Fall ist. «Hey, wäre es nicht eine tolle Sache, wenn Bürger das Stromnetz erwerben?», dachte sie sich.

Gedacht, gesagt, getan. Sie diskutierte mit Freunden, gemeinsam beschlossen sie, es zu versuchen. Ein Vorbild gab es auch, die Bürger in der Schwarzwaldgemeinde Schönau, die ihr Stromnetz zurückgekauft hatten. Eine Schlüsselrolle hatten Ursula und Michael Sladek.

Bald saß Luise Neumann-Cosel mit dem Arzt Michael Sladek, einem der Initiatoren des Schönauer Netzkauf zusammen. Der bohrte immer und immer wieder nach, wie sie sich das eigentlich vorstelle und ob sie überhaupt die richtigen Leute beisammenhätte? Ein wenig wütend sei sie gewesen, erinnert sie sich, aber dann habe sie gemerkt, dass es ihm um die Sache gegangen sei und um echte Hilfestellung. Heute ist ihr das noch viel klarer, nachdem sie mit vielen anderen Unternehmern gesprochen hat, bei denen sie für ihr Projekt geworben hat: «Die meisten fragen immer nur, was bringt das für mich?»

Portrait von Luise Neumann-Cosel
Foto: Marc Eckardt

Nicht ich bin die Stromrebellin – wir sind die Stromrebellen!

Luise Neumann-Cosel

Dann ging es schnell. Die «Grünschnäbel», wie Neumann-Cosel die Gruppe der Initiatoren heute nennt, holten sich erfahrene und aufgeklärte Menschen in den Aufsichtsrat, den Umweltjuristen Hartmut Gaßner, den Grünen-Mitbegründer Lukas Beckmann und eben Michael Sladek. Gemeinsam gründeten sie die BürgerEnergie Berlin.

Das öffentliche Echo war groß – und bald saß Neumann-Cosel in der Talkshow bei Maybrit Illner, mit zwiespältigen Gefühlen. «Mein Problem mit solchen Sendungen ist, dass man da eine Rolle verpasst bekommt, aus der man kaum ausbrechen kann. Ich hatte die Rolle der Aktivistin, der Emotionalen, der Empörten. Dass ich auch Zahlen im Kopf habe und einen Wirtschaftsplan durchrechnen kann, das passt dann nicht», erzählte sie. Aber man könne auf diese Weise eben viele Menschen erreichen. Also ging sie hin – und konnte in der Sendung gleich Peter Altmaier als Genossen gewinnen.

Mittlerweile hat die Genossenschaft rund 3.000 Mitglieder und elf Millionen Euro Kapital. Rund 50 Genossen arbeiten aktiv mit, ehrenamtlich. «Sicher bin ich das Gesicht der Aktion – aber wir sind ein Team», betont Neumann-Cosel. Deswegen sei auch die Auszeichnung als Stromrebellin durch die EWS Schönau für sie zwiespältig: «Nicht ich bin die Stromrebellin – wir sind die Stromrebellen.»

Ist der Zug für die Bürgerenergie in Berlin abgefahren? «Nein», sagt Neumann-Cosel. Sie hofft auf die Wahlen. Wenn die große Koalition ihre Mehrheit verliere, könnten die Karten neu gemischt werden. Vielleicht werde es dann doch klappen mit dem Stromnetz in Bürgerhand und man könnte sagen: «Wir machen hier was wirklich Aufregendes, etwas, das man eben nur in Berlin hinbekommen kann.»

30. Juni 2016 | Energiewende-Magazin