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«Die Energiewende muss verteidigt werden»

Die Energieökonomin Claudia Kemfert im Gespräch

Die Bundestagswahl im Herbst entscheidet darüber, wie ernst wir die Energiewende nehmen. Ein Interview von Benjamin von Brackel.

Die alte Energiewelt und ihre Mittelsmänner in der Politik blasen zum Angriff auf die Energiewende und versuchen, diese – auch mithilfe von Fake News – abzuwürgen oder gar in eine Energiewende der Großkonzerne umzuwandeln. Damit droht das einstige Bürgerprojekt seinen ursprünglichen Charakter zu verlieren. So sieht es Claudia Kemfert. Kaum jemand streitet auf so leidenschaftliche und polarisierende Weise für die Energiewende wie die Energieökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Im Interview erklärt sie, wie sich Großinvestoren als Fake-Bürgerenergiegenossenschaften tarnen, weshalb Winfried Kretschmann rückwärtsgewandt denkt und warum eine Koalition aus Grünen und Merkels CDU nach der Bundestagswahl für den Klimaschutz die günstigste Konstellation wäre.

 

Claudia Kemfert im Gespräch mit Benjamin von Brackel
Foto: Thomas Bruns

Frau Kemfert, Sie haben kürzlich ein Buch geschrieben mit dem Titel «Das fossile Imperium schlägt zurück». Darin behaupten Sie, dass sich die alte Energiewelt noch einmal aufbäumt und die Energiewende mithilfe der Politik erfolgreich ausbremst. Lassen Sie uns das doch mal prüfen: Wir haben aus den Programmen für die Bundestagswahl fünf Parolen entnommen, die Sie bitte der richtigen Partei zuordnen – ein kleines Quiz. Bereit?

Bereit.

Nummer eins: «Die großen Energiekonzerne wollen wir ablösen: saubere Energie in Bürgerhand.»

Ich denke, das haben die Grünen gesagt ...

Nicht ganz.

... oder die Linken.

Richtig.

Beide fordern eine dezentrale Energiewende, was ein sinnvoller Ansatz ist, weil die Ökoenergien dezentraler und kleinteiliger sind, weil viele Anbieter Wettbewerb schaffen und dafür sorgen, dass die Energiewende partizipativ und demokratisch abläuft. Deshalb ist es so problematisch, dass die Regierung die Rahmenbedingungen für die Bürgerenergiewende drastisch verschlechtert hat.

Ist das die Richtung, in die wir uns bewegen – hin zu einer Energiewende der Konzerne?

Wir sind auf dem Weg in eine Struktur, die eher den Großinvestoren und Konzernen hilft. Nehmen wir die Ausschreibungen für die großen Windparks in Nord- und Ostsee – die gewinnen die Großinvestoren. Bürgerenergiegenossenschaften haben weniger finanzielle Möglichkeiten mitzuhalten.

Die Regierung ist diesen doch mit Sonderregeln im Bieterverfahren entgegengekommen?

Durchaus, allerdings bergen Ausschreibungen grundsätzlich die Gefahr, dass sich Bieter strategisch verhalten – wenn man es nicht explizit unterbindet. Unternehmen können sich beispielsweise als Bürgerenergiegenossenschaften tarnen, um den Zuschlag zu bekommen. Genau so ist es in der jüngsten Ausschreibungsrunde nun passiert. Echte Bürgerenergien werden auf diese Weise benachteiligt.

Die Gewinner der ersten Ausschreibungsrunde für Offshore-Windparks kommen ohne staatliche Förderung aus. Ist das kein Erfolg?

Ich warne vor Euphorie. Der Park soll in acht Jahren ans Netz gehen. Die Anbieter spekulieren auf den völlig ungewissen Fall, dass sich die Börsenstrompreise in diesem Zeitraum mindestens verdoppeln und die Erzeugungskosten halbieren. Beides ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Es handelt sich also um ein hochriskantes und strategisches Manöver, vor allem mit dem Ziel, andere Wettbewerber auszustechen. Was aber passiert, wenn diese Bedingungen nicht eintreten und der Investor den Park gar nicht baut?

Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein?

Hoch. Wir kennen das aus anderen Ländern wie England, Frankreich oder auch Brasilien, wo weniger als die Hälfte der Projekte realisiert wurden.

Sollten wir uns nicht freuen, wenn die Energiekonzerne die Energiewende für sich entdeckt haben?

Alle sind willkommen, die Energiewende voranzubringen – wenn sie es denn tatsächlich wollen. Das ist leider nicht immer der Fall, wie die PR-Kampagnen mit Gespensterdebatten um angebliche Kostenexplosionen durch die Energiewende beweisen. Oder Forderungen nach einem groß angelegten Netzausbau. Beides hat nur eines zum Ziel: das konventionelle Energiesystem möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Energieökonomin Claudia Kemfert im Gespräch

 

Ist es nicht genau andersherum: Die Energiekonzerne wollen sich inzwischen durchaus wandeln, aber der Einstieg in die neue Energiewelt fällt immer schwerer, weil das Fördersystem weiter runtergeschraubt und der Ökoenergieausbau gedeckelt wird?

In der Tat gibt es paradoxe Situationen: Großkonzerne haben durch ihre Kampagnen versucht, die alte Energiewelt so lange aufrechtzuerhalten, wie es geht. Viele Politiker haben sich daran orientiert und als Handlanger der Energiekonzerne deren Geschäftsinteressen durchgesetzt. Nur: Die neuen Rahmenbedingungen, die die Konzerne erkämpft haben, hindern sie jetzt daran, in die neue Energiewelt einzutreten. Die Konzerne haben sich ins eigene Fleisch geschnitten.

Kommen wir zur zweiten Wahlparole: «Konventionelle Energieträger müssen den Ausbau der Erneuerbaren Energien ergänzen.»

Das kommt von der CDU.

Zweiter Versuch?

Von der FDP?

Dritter Versuch?

Dann muss es die SPD sein!

Richtig.

Das zeigt ja, wie ähnlich sich diese Parteien in dieser Frage sind. Sie haben nicht verstanden, dass wir das alte System runterfahren müssen, um das neue System aufzubauen. Kohlekraftwerke passen nicht in eine nachhaltige Energiewende, sie stoßen zu viel Kohlendioxid aus und lassen sich nicht schnell genug hoch- und runterfahren, um als Puffer für die wechselhaften Ökoenergien infrage zu kommen.

Die SPD fordert zwar ein Klimaschutzgesetz, vom «Kohleausstieg» ist aber keine Rede im Programm. Warum brauchen wir überhaupt ein Kohleausstiegsgesetz? Die CO2-Emissionen im Stromsektor sind doch rückläufig. Erledigt sich die Sache nicht von allein?

Nein. Eigentlich sollte das ja der EU-Emissionshandel regeln. Aber die Verschmutzungszertifikate sind viel zu billig. 40 bis 60 Euro pro Tonne Kohlendioxid wären nötig, um eine Wirkung für den Klimaschutz zu entfalten. Derzeit liegen wir bei sechs Euro. Deshalb brauchen wir zusätzlich ein Kohleausstiegsgesetz.

Geplant ist bislang nur eine Strukturwandel-Kommission, die über die Zukunft der Kohleregionen beraten soll.

Das ist ein Anfang. Wir müssen dafür sorgen, zukunftsfähige Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen zu schaffen und den Beschäftigten in der Kohleindustrie eine Perspektive zu bieten. Sinnvoll wäre ein Kohleausstiegskonsens, ähnlich wie beim Atomausstieg.

Die SPD fordert außerdem einen CO2-Mindestpreis, sollte der Emissionshandel nicht wieder in Gang kommen. Wie realistisch ist es, dass solch ein Instrument kommt?

Die Briten haben ihn schon, die Franzosen werben dafür, selbst Amerika diskutiert darüber. Der Vorteil eines solchen Preises ist ja, dass er alle fossilen Energieträger gleichermaßen besteuert. Und mit den Steuereinnahmen ließen sich das Energie- und Verkehrssystem umbauen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Diskutiert wird der Ansatz seit über 25 Jahren, eine wirkungsvolle Steuer wurde aus machtpolitischen Gründen bisher nie irgendwo eingeführt – Beispiel Ökosteuer. Genauso werden leider auch keine ausreichend hohen CO2-Steuern kommen, die nötig wären, um die Klimaziele zu erreichen. Deshalb brauchen wir flankierende Maßnahmen, zum Beispiel Investitionsanreize für Gebäudesanierung und alternative Kraftstoffe im Verkehrssektor.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Benjamin von Brackel
Foto: Thomas Bruns

Stichwort Verkehr – die nächste Wahlparole: «Ab 2030 sollen nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden.»

Das ist einfach – das sind die Grünen!

Richtig. Über diese Forderung haben die Grünen heftig gestritten. Das sei ein «Schwachsinns-Termin», sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Hat er recht?

Nein, keineswegs. Wenn wir uns heute nicht trauen, eine klare Richtung vorzugeben, gefährden wir nicht nur die Umwelt, sondern die Zukunft unserer Automobilindustrie. China und Kalifornien erschließen sich gerade einen gigantischen Zukunftsmarkt, indem sie Elektroautos in großer Menge auf den Markt bringen. Deutschland aber subventioniert indirekt weiter den Diesel, hält die Steuern künstlich niedrig und richtet alles aufs konventionelle Fahrverhalten aus.

Kretschmann argumentiert, dass sich bei den langen Ladezyklen für die Elektroautos Staus an der Tankstelle bilden würden.

Herr Kretschmann unterliegt hier zwei Denkfehlern: Elektrofahrzeuge werden genauso wie Batterien technologische Sprünge erleben, die Ladezyklen werden sich enorm verkürzen und Batterien lassen sich austauschen. Ausgerechnet in Baden-Württemberg wird mit Hochdruck daran geforscht.

Der zweite Denkfehler?

Herr Kretschmann geht wohl davon aus, dass Mobilität in Zukunft unverändert bleibt, man lediglich ein Dieselfahrzeug gegen ein Elektrofahrzeug tauscht. Das ist eine sehr rückwärtsgewandte Vorstellung. Der Verkehrssektor von morgen wird nichts mit dem von heute zu tun haben. Die Zukunftsmusik der Mobilität basiert auf dem Dreiklang: Verkehr vermeiden, verbessern und verzahnen. Elektromobilität gehört zweifelsohne dazu, aber auch klimaschonende Antriebstechnologien inklusive Öko-Wasserstoff und Power-to-Gas, die dann vor allem Schiffe und Flugzeuge antreiben.

In Berlin ist es kein Problem, auf ein Elektroauto umzusteigen oder ganz aufs Auto zu verzichten. Aber auf dem Land dürfte eine komplette Verkehrswende in zwölf Jahren nur schwer zu schaffen sein.

Ich bin viel in Baden-Württemberg unterwegs, und es gibt schon etliche ländliche Gebiete wie Schwäbisch Hall, Schönau oder Freiburg, wo man problemlos nur mit einem Elektroauto unterwegs sein kann. Statistisch gesehen fahren 80 Prozent der Deutschen weniger als 20 Kilometer am Tag mit dem eigenen Fahrzeug. Das heißt, sie können problemlos mobil bleiben. Zugegeben: Auf dem Land kommt der lückenhafte öffentliche Personennahverkehr als Herausforderung hinzu. Dort müssen wir viel mehr investieren.

Das fossile Kapital sucht sich seine Handlanger.

Claudia Kemfert, Energieökonomin

Kommen wir zum nächsten Wahlprogramm: «Kohlendioxid ist kein Schadstoff, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil des Lebens.»

Das kann nur die AfD sein.

Richtig. Sie fordert außerdem, mit der Klimapolitik Schluss zu machen, das Pariser Abkommen aufzukündigen und die Stromerzeugung auf Kohle- und Atomkraft umzustellen. Wie gehen Sie als Wissenschaftlerin mit diesem postfaktischen Denken um?

Wir Wissenschaftler sind gefordert, unsere Erkenntnisse in der Öffentlichkeit zu erklären und neuerdings auch zu verteidigen. Diese Skepsis wird populistisch genutzt, um rückwärtsgewandte politische Entscheidungen zu legitimieren. Das nutzt das konventionelle Energiesystem aus, das fossile Kapital sucht sich seine Handlanger. Das deutlichste Beispiel ist derzeit die USA, wo der Präsident Klimaskeptiker und ehemalige Ölmanager in Spitzenpositionen installiert hat. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden ignoriert und «Fake News» und «alternative Fakten» kreiert.

Was heißt das?

Wissenschaftler müssen 200 Jahre nach der Aufklärung wieder für die Freiheit der Wissenschaft eintreten und ihren Elfenbeinturm verlassen. In den USA werden Forscher drangsaliert – aus diesem Grund haben Wissenschaftler in aller Welt auf dem «Science March» für die Freiheit der Wissenschaft demonstriert. Ich selbst habe aus diesem Grund das Buch geschrieben: «Die Energiewende muss verteidigt werden.»

Selbst in der Union bezweifeln inzwischen ein paar Leute die Erkenntnisse der Wissenschaft zum Klimawandel. Solche Positionen rücken mehr in die Mitte. Wie kann jeder Einzelne damit umgehen?

Bei einfachen Antworten sollten die Alarmsignale schrillen: Wer verbreitet die Behauptungen? Welche Interessen stecken dahinter? Was sagt die Wissenschaft dazu? Denn die Welt ist alles andere als einfach.

Und wie sieht es mit Ignorieren aus? Das fordern Sie schließlich in Ihrem Buch.

Man muss nicht alle Diskussionen führen, insbesondere wenn klar ist, dass es sich um absurde und fiktive Geschichten handelt. Für manche mag es spannend sein, sich mit falschen Theorien zu beschäftigen, wichtiger ist es aber, konstruktive Lösungen zu finden

Das nächste Wahlprogramm: «Vor allem die Energieerzeugung durch Windkraftanlagen stößt bei immer mehr Menschen auf Widerstand.»

Die FDP.

Genau. Die Liberalen fordern, eine Pause beim Ausbau der Erneuerbaren einzulegen. Sollten wir das tun?

Die Energiewende ist kein Fußballspiel. Ziel ist es, bis 2050 den Ökostromanteil auf mindestens 80 Prozent zu erhöhen. Da wäre es absurd, einen Stopp einzulegen. Leider trägt diese kontraproduktive Forderung schon Früchte: Das alte EEG wurde abgeschafft und durch Ausschreibungen ersetzt. Gleichzeitig wurde der Ausbau gedeckelt, was uns noch vor erhebliche Probleme stellen wird.

Die Erneuerbaren decken inzwischen ein Drittel des Strombedarfs. Seit drei Jahren bewegt sich der Ausbau der Windenergie in Deutschland auf Rekordniveau. Nennen Sie das «abwürgen»?

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist gut gestartet, wir sind im Zeitplan. Vergangenes Jahr wurde beschlossen, den Ausbau massiv zu deckeln. Damit werden wir die Ausbauziele und die Ziele der Energiewende insbesondere bei der Wärme- und Verkehrswende nicht erreichen.

Im CDU-Wahlprogramm – dem letzten fehlenden Wahlprogramm – heißt es: «Strom muss langfristig für alle Unternehmen und Betriebe sowie privaten Verbraucher bezahlbar bleiben. Dafür setzen wir die marktwirtschaftliche Heranführung und Systemintegration der erneuerbaren Stromerzeugung konsequent fort.»

Verklausuliert suggeriert man so, dass die Erneuerbaren Energien Kostentreiber und allein für die Strompreissteigerungen verantwortlich seien, um so die weitere Vollbremsung bei der Energiewende rechtfertigen zu können. Die Ausschreibungen mögen die Kosten transparent machen, sie helfen aber nicht, die Ökoenergien ins System zu integrieren. Sie führen zu einer Ausbremsung der Energiewende, das ist ja auch die Intention. Wenn man wirklich die Strompreise für Verbraucher von unnötigen Kosten befreien wollte, müsste man dafür sorgen, dass niedrige Strombörsenpreise bei den Haushalten ankommen, dass man unnötige Kosten durch das zu lange Festhalten vermeidet, indem man den Kohleausstieg einleitet und so Kosten durch Kohleabwrackprämien und überdimensionierten Netzausbau vermeidet.

Die FDP argumentiert: Erst den Netzausbau vorantreiben, dann den weiteren Ausbau der Erneuerbaren.

Das ist einer der Mythen zur Energiewende. Fakt ist: Wir brauchen keinen groß angelegten Netzausbau für die Energiewende. Unser Netz reicht völlig aus. Ein Ausbau der Übertragungsnetze verfestigt im Gegenteil nur die Strukturen der konventionellen Energie.

Wie das?

Der Anteil von Kohlestrom liegt noch immer bei über 40 Prozent. Und das, obwohl die Erneuerbaren immer mehr Strom liefern. Die Folge ist, dass wir gigantische Überkapazitäten haben. Netzengpässe gibt es, weil die inflexiblen Kohlekraftwerke nicht in ausreichendem Maße runterfahren. Wir sind Stromexportweltmeister. Je mehr Stromleitungen, desto mehr Kohlestrom im System, desto höher die Emissionen – das zeigen alle empirischen Studien. Je früher der Kohleausstieg kommt und je mehr dezentrale Erneuerbare Energien es im Süden gibt, desto weniger Stromleitungen sind notwendig.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Benjamin von Brackel
Foto: Thomas Bruns

Umfragen sehen derzeit eine Mehrheit für Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl im September. Was würde das für die Energiewende bedeuten?

Nordrhein-Westfalen zeigt, was uns im Fall von Schwarz-Gelb blühen würde: Dort will die neue Regierung das Klimaschutzgesetz kippen, den Ausbau der Erneuerbaren drosseln und investitionsfeindliche Mindestabstandsflächen für Windanlagen festlegen. Für die Energiewende auf Bundesebene wäre das eine Vollbremsung, dabei stottern wir jetzt schon über die Kreuzung.

Angela Merkel hat zuletzt betont, mit Klimaschutz ernst machen zu wollen, sollte sie wieder Kanzlerin werden. Wie glaubhaft ist das?

Angela Merkel ist nicht das Hauptproblem. Auf der Weltbühne hat sie viel für den Klimaschutz getan. Sie sieht auch die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende und hält tapfer gegen all diejenigen, die das Gegenteil behaupten. Sie alleine würde das schon steuern. Aber zusammen mit der FDP wäre es schwer. Auch die CSU stellt ein Problem dar. Am günstigsten für die Energiewende wäre es, wenn die Grünen allein mit der CDU die Regierung bilden würden.

Zeichnen Sie nicht ein etwas zu rosiges Bild von Frau Merkel? Im Ausland steht sie gut da, im eigenen Land ist die Bilanz, sagen wir, durchwachsen.

Ihre Glaubwürdigkeit leidet in der Tat durch den hohen Kohleanteil im eigenen Land. Persönlich versagt hat sie als Klimakanzlerin aber vor allem im Bereich Verkehr. Der Diesel-Skandal hat mittlerweile die Dimension einer Staatsaffäre. In Brüssel hat sie sich erfolgreich gegen strengere Schadstoffgrenzwerte für Diesel und Benziner eingesetzt. Es fehlt komplett ein Konzept für eine nachhaltige Verkehrswende, das ist Politikversagen pur.

Immerhin fordert die CDU in ihrem Programm nun: «Wir erwarten von den betroffenen Städten, dass sie auch die Fahrrad-Mobilität fördern, ähnlich wie dies in den Niederlanden oder in der Stadt Münster der Fall ist. Gerade junge Menschen sind häufig bereit, auf Fahrräder umzusteigen. Der Bund wird den Fahrradverkehr und den Radwegebau weiter fördern. Wir starten ein Programm zur Förderung von Radschnellwegen, die unabhängig von vorhandenen Bundesstraßen verlaufen.»

Grundsätzlich gesehen ist es richtig, dass man Fahrradverkehr fördert. Doch man muss auch dafür sorgen und Anreize setzen, dass die Städte Emissions-, Lärm- und Feinstaubfrei werden und Klimaschutz aktiv umsetzen. Die blaue Plakette wäre ein richtiges Instrument, um den Dieselverkehr in Städten einzudämmen, zudem muss die indirekte Dieselsubventionierung aufgehoben werden. Insgesamt fehlt eine Strategie für eine nachhaltige Verkehrswende, da nützt die Fahrradwegeförderung allein wenig.

Sind Sie eigentlich optimistisch oder pessimistisch, was die Zukunft der Energiewende angeht?

Sowohl als auch. Optimistisch stimmt mich, dass der Ausbau der Ökoenergien global weitergeht. Der Markt entwickelt sich, die Kosten für Wind- und Solarenergie sinken und die Investitionen fließen. Die Konventionellen müssen inzwischen mit sehr harten Bandagen kämpfen.

Und warum pessimistisch?

Vor allem wegen der aktuellen Entwicklungen in den USA. Das fossile Kapital findet, wie gesagt, immer mehr Handlanger und der Klimaschutz leidet. Dabei haben wir keine Zeit mehr. Die Emissionen müssen rasch sinken, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden.

Was kann jeder Einzelne tun, um die Energiewende voranzubringen?

Die Energiewende muss verteidigt werden, überall, auch auf der Straße. Jeder kann etwas tun: Solarmodule aufs Dach oder den Balkon schrauben, Bürgerenergieprojekte unterstützen, den Bankberater fragen, was mit den eigenen Geldanlagen passiert.

In Ihrem Buch listen Sie auch Ratschläge für die Beschäftigten der Erneuerbare-Energie-Branche auf …

Ja, sie sollten aus den Puschen kommen und sich organisieren. Ein Problem ist, dass man sie gar nicht wahrnimmt – außer als Subventionsnehmer. Aus dieser Rolle kommen sie nur raus, wenn sie endlich die Vorteile der Erneuerbaren herausstellen und offen dafür einstehen.

 

Thomas Jorberg lehnt an einer Fensterfront

Claudia Kemfert wurde 1968 in Delmenhorst geboren und lebt heute in Oldenburg und Berlin. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Bielefeld, Oldenburg und Stanford wurde sie neben ihren Lehrtätigkeiten 2004 Leiterin der Abteilung «Energie, Verkehr, Umwelt» am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Seit 2009 ist sie außerdem Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin, 2016 wurde sie in den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) berufen. Im April 2017 erschien ihr neues Sachbuch «Das fossile Imperium schlägt zurück».

26. Juli 2017 | Energiewende-Magazin