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Wenn das Meer immer näher kommt

Ein Bericht von Christian Fahrenbach

Der steigende Meeresspiegel bedroht die Küsten von Long Island. Das kleine Volk der Shinnecock stemmt sich dagegen – mit ökologischen Maßnahmen.

Wer dem unaufhörlichen Trubel der Häuserschluchten New Yorks ostwärts entflieht, braucht gerade einmal anderthalb Autostunden, um das Ende der Insel Long Island zu erreichen. Hier liegen die Hamptons, eine andere Welt und ein Sehnsuchtsort der Superreichen, mit strahlend weißen Villen, oft kaum einsehbar hinter meterhohen und penibel gepflegten Buschreihen. In den Yachthäfen glitzern luxuriöse Boote, in den Innenstädtchen finden sich Edelboutiquen neben teuren Restaurants und auf Golfanlagen gegen die Langeweile der Millionäre klackern beim Abschlag laut die Bälle.

Bevor weiter im Südosten der Atlantik beginnt, umschließt eine schmale Landzunge die «Shinnecock Bay». Hier liegt mit der «Billionaire’s Lane» genannten Meadow Lane von Southampton eine der begehrtesten Immobilienlagen der Welt. Grundstücke, die für 50 Millionen US-Dollar und mehr den Besitzer wechseln, sind keine Seltenheit.

Gegenüber, am anderen Ende der Bucht und nur wenige hundert Meter entfernt, sieht die Realität ganz anders aus. Dort steht an einem drückend schwülen Augusttag Shavonne Smith in den Dünen. Sie gehört zu dem Volk der Shinnecock, den ursprünglichen Bewohnern dieser Gegend, und sie blickt zur Küstenlinie, wo das Meer leise über den Sand spült.

Ein kleines Reservat mitten im Land der Superreichen

Eine dunkelhäutige Frau steht mit einem weißhäutigen Mann in einem mit Gras bewachsenen Küstenstreifen deutet mit dem Finger Richtung Land.
Shavonne Smith mit dem Autor Foto: Annie Tritt

«Wir haben uns alte Luftaufnahmen angesehen und festgestellt, dass wir schon 50 Meter Land ans Meer verloren hatten», sagt die 44-Jährige. Sie deutet auf das sumpfige Marschland im Küstengebiet, in das sich der Ozean aufgrund der Klimakrise seit Jahrzehnten mehr und mehr hineinfrisst, wo manchmal Stürme über die Moorgebiete der Indigenen jagen und ihre bescheidenen Häuser verwüsten – und wo der steigende Meeresspiegel das wenige Land bedroht, das die Weißen den Shinnecock überhaupt noch zugestehen.

Smith leitet das «Shinnecock Nation Environmental Department» und ist seit vielen Jahren für die rund 700 Bewohner, die in dem 3,4 Quadratkilometer großen Reservat auf Long Island leben, Ansprechpartnerin in allen Umweltfragen. Hier in den Dünen spricht sie mit ausholenden Gesten und in sorgfältig formulierten Sätzen von ihrem Bemühen, Gegensätze in Einklang zu bringen: die Welt der Superreichen um sie herum mit den bescheidenen Mitteln ihres eigenen Volks, die schnellen Krisen-Behelfslösungen der Millionäre mit den auf Jahrzehnte angelegten Methoden der Shinnecock – Raubbau und Turbokapitalismus da draußen mit den Traditionen und dem Gemeinschaftsgefühl im kleinen Reservat. Und sie erzählt von ihrem Volk: Übersetzt bedeutet Shinnecock «Volk des steinigen Ufers», das mithilfe der Natur gegen die Bedrohungen der Klimakrise anzukommen versucht.

Wir wollten keine schweren Geschütze auffahren.

Shavonne F. Smith, Leiterin der Umweltabteilung der «Shinnecock Indian Nation»

Ihr Wunsch sei gewesen, so Smith, keine großen Bollwerke einzusetzen. «Der Strand sollte so aussehen wie früher.» Während sich draußen der Stadtrat von Southampton für einen harten Eingriff mit naturfremden Beton-Wellenbrechern entschieden hat, versuchen die Indigenen in ihrem Reservat, ein ganzes Ökosystem aufzubauen, das auf natürliche Art ihr Küstengebiet schützt – vielfältige Maßnahmen als Antwort auf die Herausforderungen. Anders als die reichen Nachbarn, die oft nur saisonal die Hamptons bevölkern, kämpfen die Shinnecock das ganze Jahr über: nicht nur mit dem Rückzug der Küstenlinie, sondern auch mit dem Verschwinden ihrer dringend benötigten Fischereigründe oder einer steigenden Zahl von Stürmen und extremen Regenfällen, die die Aufnahmefähigkeit ihrer feuchten Moorböden zu überfordern drohen.

Eine Luftaufnahme zeigt zwei Halbinseln. Die im Vordergrund ist mit stattlichen Häusern im amerikanischen Landhausstil bebaut, auf der anderen wenige Häuser.
Auf einer Halbinsel gegenüber der Nobelvillen Southamptons liegt das 3,4 Quadratkilometer kleine Reservat der Shinnecock – nur durch einen schmalen Küstenstreifen vor der zerstörerischen Kraft des Meeres geschützt. Foto: Gavin Zeigler / Alamy Stock

Die Küste bewahren – mit Gräsern, Muscheln und Sand

Um dem entgegenzuwirken, haben die Shinnecock gemeinsam mit der «Cornell University» in Ithaca im Bundesstaat New York ein Renaturierungsprogramm mit zahlreichen Projekten entwickelt. So versenkten sie beispielsweise Hunderte Netzsäcke voller schwerer Austernmuscheln im flachen Küstenwasser. Die Muschelsäcke fungieren mit ihrer harten Oberfläche als Riff für junge Austernlarven – diese können sich daran festsetzen und groß werden. Das Riff wächst langsam und schützt die Küstenlinie vor der zerstörerischen Wucht der Wellen.

Eine weitere Maßnahme ist das Anpflanzen verschiedener Grassorten: Sie sorgen am «Cuffey’s Beach» mit ihren Wurzeln dafür, dass die Küste und die dahinterliegenden Moore erhalten bleiben. Seegras in der Bucht, Schlickgras im Morastbereich mit Ebbe und Flut und Strandhafer in den sandigen Abschnitten helfen, dass mehr als 20.000 Kubikmeter zusätzlich angekarrter Sand nicht weggeschwemmt oder weggeweht werden. Schließlich mildert noch schwerer Naturstein, direkt an der Küstenlinie aufgereiht, Überschwemmungen ab und schützt wiederum das Schlickgras. Anders als die Beton-Wellenbrecher vor der Küste sorgen diese Steine nicht dafür, dass der Strand ausgespült wird.

Shavonne Smith verantwortet diese Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen, die nur mit großem Aufwand umzusetzen sind – von deren Sinnhaftigkeit sie aber überzeugt ist: «Für uns geht es darum, die Veränderungen der Natur festzustellen, sie zu beobachten und uns dann anzupassen», sagt sie über das umfangreiche Monitoring der Shinnecock. «Es wird Dinge geben, die wir nicht ändern können. Das alles hier ist eine Gratwanderung, um gegen die Erosion der Küstenlinie und das Abwandern der Feuchtgebiete anzukommen, die uns bei Stürmen als Schwämme dienen, um das Wasser aufzunehmen.» Zu der Arbeit gehöre zudem viel Geduld: Allein die Sicherung eines etwa einen Kilometer langen Küstenabschnitts habe vier Jahre gedauert, erklärt sie.

An einem Strandpfad der von Gras gesäumt ist, liegen Säcke mit Muschelschalen.
Netzsäcke voller Austernmuscheln warten darauf, im flachen Küstenwasser versenkt zu werden. Foto: Annie Tritt
In einem Gewerbegelände ist der Boden ist mit Muscheln bedeckt und gestapelt stehen zahlreiche offene Körbe mit Muschelschalen.
Auf der Oberfläche der Muscheln sollen sich Austern ansiedeln, deren Kolonien helfen, die Wucht der Wellen zu bremsen. Foto: Annie Tritt
Angepflanztes Gras an einem Küstenstreifen hilft, die Erosion der Strände zu verhindern.
Eine weitere Maßnahme ist das Anpflanzen von Gräsern, deren Wurzelwerk den Boden bei Hochwasser vor Erosion schützt. Foto: Annie Tritt

Beunruhigende Prognosen für die ganze Region

Mit ihren Problemen sind die Shinnecock in der Region nicht allein. Eine im März 2021 erschienene Studie der «Rutgers University» in New Jersey kam zu dem Ergebnis, dass der Meeresspiegel an der US-Atlantikküste im 20. Jahrhundert nicht nur schneller stieg als in jedem anderen Jahrhundert der vergangenen 2.000 Jahre – der Anstieg war von 1900 bis 2000 zudem mehr als doppelt so hoch wie in den gesamten 18 Jahrhunderten zuvor.

Die «National Oceanic and Athmospheric Administration» (NOAA) – die Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA – hat berechnet, wo besonders viel Küste verschwindet, wenn der Meeresspiegel steigt: So sind auf Long Island gerade die Buchten an der dem Atlantik zugewandten «South Shore» bedroht. Schon 60 Zentimeter Anstieg wären demnach mit deutlich mehr Überflutungen, verschwindenden Stränden und vielen zerstörten Häusern verbunden.

Wir müssen darüber nachdenken, die Toten woanders hinzubringen.

Shavonne F. Smith, Leiterin der Umweltabteilung der «Shinnecock Indian Nation»

Der steigende Meeresspiegel würde in besonderem Maße die Küste im Bundesstaat New York bedrohen, erklärt Dorothy Peteet vom «Earth Institute» der «Columbia University». «Der Anstieg sorgt für den Verlust von Gezeitenmarsch, wobei gerade diese Schwemmlandschaften so wichtig sind. Sie schützen die Küste, filtern Wasser, sorgen für Biodiversität, bieten Lebensraum für Fische und Vögel und speichern langfristig Kohlenstoff.» Die Erosion der Marschen wiederum setze nicht nur Kohlenstoff, sondern auch die von Menschen in den vergangenen drei Jahrhunderten verursachten Schwermetalle frei. «Das verschärft damit nicht nur das Treibhausgasproblem und die Klimakrise», ergänzt Peteet. «Die giftigen Metalle können ins Grundwasser sickern und bedrohen die Nahrungskette sowie die Menschen.»

Die NOAA-Karte zeigt auch, wie in der Shinnecock Bay riesige Wassermassen das Reservat überfluten könnten. Das Land der Indigenen würde dadurch nicht nur weiter schrumpfen, sondern auch ein alter Friedhof nahe der Küste wäre bedroht, auf dem man seit Jahrhunderten Stammesmitglieder begräbt. Er würde überschwemmt werden, die Gräber freigelegt. «Der Friedhof könnte sich zum Sumpf entwickeln. Wir müssen darüber nachdenken, die Toten woanders hinzubringen», erklärt Smith, während sie von den Dünen aus auf den Friedhof deutet und darum bittet, aus Respekt vor den Toten keine Fotos der Stätte zu machen.

Ein Satellitenbild zeigt die Halbinsel des Shinnecock Reservats und die Shinnecock Bay, getrennt vom Atlantischen Ozean durch einen sehr schmaler Landstreifen.
Satellitenaufnahme: Das Shinnecock-Reservat aktuell bei mittlerem Tidehochwasser Quelle: NOAA / Sea Level Rise Viewer
Dasselbe Satellitenbild zeigt ein violett gefärbtes Meer und an der Küste hellblaue Gebiete, die vom Wasser bedeckt werden.
Beim Anstieg des Meeresspiegels um 60 Zentimeter würden – ganz ohne außergewöhnliche Hochwasserereignisse – Teile der Küste des Shinnecock-Reservats überflutet. Projektion: NOAA / Sea Level Rise Viewer
Noch einmal dasselbe Satellitenbild zeigt nun sehr große Flächen, etwa die Hälfte des Shinnecock Reservats, die vom Wasser bedeckt werden.
Diese Projektion für die 2050er-Jahre zeigt die möglichen verheerenden Überflutungen, die ein Jahrhundertsturm nach einem Meeresspiegelanstieg von «nur» 45 cm anrichten würde. Projektion: NOAA / Sea Level Rise Viewer

Fast 400 Jahre zwischen Armut und Enteignung

Als die ersten Eroberer aus England kamen und im Jahr 1640 mit Southampton auf Long Island ihre erste Siedlung im heutigen Bundesstaat New York errichteten, stießen sie auf die Shinnecock. Es begann ein inzwischen fast 400 Jahre andauernder Konflikt darüber, wo genau die ursprünglichen Bewohner bleiben sollen – und wie sie ihr Land nutzen dürfen. Die Engländer und Niederländer besetzten weite Teile der Shinnecock-Gebiete. Besonders im 19. Jahrhundert fielen zahlreiche Stammesmitglieder den aus Europa eingeschleppten Seuchen zum Opfer. Das zähe Ringen der Überlebenden um mehr Anerkennung und gegen die Unterdrückung hörte nie wirklich auf.

1978 stellten die Shinnecock schließlich den Antrag auf die damals neu ermöglichte staatliche Anerkennung als «Indian Nation». Es sollte ganze 32 Jahre dauern, bis der Staat New York ihn endlich bewilligte. Damit war 2010 der stets finanziell bedrohte Stamm rechtlich den großen Reservaten im Westen der USA gleichgestellt und konnte sich endlich um staatliche Mittel für Schulen, Gesundheitszentren und eine eigene Polizei bemühen. Doch nach wie vor müssen die Shinnecock um Reparationszahlungen kämpfen – und darum, dass ihnen einstige Stammesgebiete wieder zuerkannt werden.

Oft bedeutet eine solche Anerkennung auch die lukrative Möglichkeit, ein Casino zu bauen. Die reichen Bewohner in Southampton lehnen das allerdings aus Sorge vor zu viel Trubel vehement ab, dabei könnten die Shinnecock das Geld dringend brauchen: Das Durchschnittseinkommen der Bewohner des Reservats liegt bei etwa einem Drittel des Einkommens im umliegenden Landkreis «Suffolk County». Jeder Fünfte lebt unterhalb der Armutsgrenze, oft beengt in kleinen Häusern oder Trailern, während auf der anderen Seite der Bucht die teuren Villen reicher New Yorker in der Sonne glänzen.

Eine Brutanstalt für die Muscheln der Bucht

Zum Geldverdienen verlassen viele Shinnecock deshalb das Reservat und arbeiten beispielsweise in Schulen und Gesundheitseinrichtungen der Region. Aber auch die Fischerei im Reservat sorgt für Einkommen. Einige wenige arbeiten im sogenannten «Hatchery», einem Brutplatz für Muscheln, ein paar hundert Meter von den Dünen entfernt an der Küste. Schon Ende der 1970er-Jahre begann dort die Arbeit, erklärt Shavonne Smith, während sie uns über ein Feld voller hartkantiger Muschelschalen führt und schließlich Amar Gardner und Rahshii Smith vorstellt, zwei Mitarbeiter, die an diesem Tag etwas wortkarg an Drahtkäfigen für Muscheln bauen.

Zwei Männer sitzen in sommerlicher Kleidung im Schatten eines Baumes und fertigen große und kleine Drahtkörbe an.
Geduldsarbeit: Hier enstehen Käfige für Muscheln, an denen sich später junge Austern ansiedeln sollen. Foto: Annie Tritt
Shavonne Smith ist von hinten an einem großen Wassertank zu sehen, wie sie einen Sack mit Muscheln heraushebt.
Shavonne Smith überprüft, ob sich bereits Jungausternustern an den Muschelschalen festgesetzt haben. Foto: Annie Tritt

Smith durchbricht das Schweigen und erzählt von ihrem eigenen Leben im Reservat und von ihrer Laufbahn. Aufgewachsen ist sie im Reservat, seit 2006 arbeitet sie für ihre Gemeinschaft, habe zwei Töchter, 13 und 21 Jahre alt, und ihre 94 Jahre alte Großmutter lebe auch im Reservat. 2011, nach der Anerkennung als «Indian Nation» gründete sie in der Selbstverwaltung des Reservats die Umweltabteilung und leitet nun eine Handvoll Mitarbeiter.

Wir arbeiten daran, unsere Kultur und unser Erbe zurückzuerlangen.

Shavonne F. Smith, Leiterin der Umweltabteilung der «Shinnecock Indian Nation»

Ständiges Vermitteln bestimmt Smiths Arbeit, beispielsweise wenn sie sich um Förderung durch staatliche Stellen bemüht, mit lokalen Initiativen kleinere Umweltprojekte umsetzt oder Konferenzen zum Austausch über die Umweltaktivitäten anderer Stämme besucht. Ihre Arbeit beschäftige sich mit vielen Aspekten der globalen Umweltkrise, sagt sie. «Klimawandel, Luftqualität, Recycling, Aquakulturen – um all das geht es.»

Gleichzeitig sei sie immer auch bestrebt, die seit Urzeiten bestehende Eigenständigkeit der Shinnecock direkt vor Ort zu stärken. So hat Smith unter anderem einen großen «Community-Garden» initiiert, der dabei helfen soll, dass sich die Bewohner des Reservats autark ernähren können. «Wir arbeiten daran, unsere Kultur und unser Erbe wieder zurückzuerlangen – all das, was durch die Kolonialisierung verloren gegangen ist», fasst sie die Aktivitäten zusammen.

Mit Naturlösungen gegen die Krise

Im «Hatchery» haben derweil Smiths Mitarbeiter Muscheln und Austern in große Wassertanks geschüttet. Wenn die Austern sich dort an den Muschelschalen festgesetzt haben, werden die Jungorganismen im Meer ausgesetzt, wo sie zu einem Riff weiterwachsen und so eine natürliche Strömungsbarriere bilden können. «Das zieht Fische und Seehunde an, eigentlich startet man damit eine ganze Nahrungskette», sagt Smith. Kraniche und andere Wildtiere seien bereits in die geschützten Sumpfgebiete zurückgekommen, die Vögel liebten die Fische als Nahrung, erklärt sie begeistert. Allerdings dauere alles seine Zeit: rund 18 Monate, bis die Austern groß genug sind, und sogar zwei bis drei Jahre, bis sie sich in ausreichender Anzahl im Riff anlagern. Ökologen wie Dorothy Peteet beschreiben das Vorgehen der Shinnecock als «naturbasierte Lösung». «Der Kontrast dieses Planungsansatzes zu den Betonwällen in East Hampton ist sehr groß», sagt sie. «Die wurden zwar oft verbaut, sind aber langfristig weder effektiv noch besonders attraktiv.»

Die Restaurierung durch die Shinnecock scheint sehr resilient zu sein.

Prof. Dorothy M. Peteet, Paläoökologin an der «Columbia University», New York City

Der Arbeit der Shinnecock stellt Peteet dagegen ein gutes Zeugnis aus. «Sie haben mit Buchtsand, Austernschalen und den stärkenden einheimischen Gräsern exzellente Lösungen auf Naturbasis gefunden – und die Restaurierung scheint bisher sehr resilient zu sein.» Ob das aber ausreicht, um die Folgen des rasanten Klimawandels und des schnell steigenden Meeresspiegels wirklich zurückzuhalten? Die Paläoökologin ist sich da nicht sicher: Die menschengemachte Krise könnte schlicht zu schnell voranschreiten.

Das sehen auch die Autoren eines 2019 veröffentlichten Berichts der Beratungsfirma «Anchor QEA» so. Diese für die Shinnecock und ein weiteres regionales Umweltprogramm erstellte Analyse listet die Bedrohungen für die Shinnecock Bay und die nördlich davon gelegene Peconic Bay auf. Wieder seien der steigende Meeresspiegel sowie immer häufigere Stürme und Überflutungen und sogar Veränderungen von Ebbe und Flut Grund zur Sorge: Das kleine Landstück der Shinnecock könnte schlicht verschwinden. Selbst mittlere Voraussagen gehen für Long Island davon aus, dass bis zu den 2050er-Jahren der Meeresspiegel um 40 Zentimeter im Vergleich zum Jahr 2000 steigen könnte – zehn Zentimeter seien bereits jetzt erreicht, ein beschleunigter Anstieg ist zu befürchten.

 

Aufgewühltes Meer hat den Strand bis direkt an eine Häuserzeile an der Küste überspült.
Der Supersturm «Sandy» traf am 29. Oktober 2012 New York – einhergehend mit einer Sturmflut, die auch über die direkt neben dem Reservat gelegenen «Hampton Bays» hereinbrach. Foto: Lucas Jackson / picture alliance

Auch weiterhin dringend auf Förderung angewiesen

Untätig wollen das weder die Shinnecock noch die Einwohner Southamptons hinnehmen. Kein Ereignis hat hier allerdings mehr Bewegung in die Debatte gebracht als der für die Region besonders verheerende Hurrikan «Sandy» im Jahr 2012, bei dem allein in den USA über 150 Menschen starben und ein geschätzter Schaden von mehr als 70 Milliarden Dollar entstand. Die Obama-Regierung trieb danach die Wiederaufbau- und Präventionsarbeit voran, 2015 erhielten die Shinnecock Fördermittel von rund 3,5 Millionen Dollar.

So konnte die vor Jahrzehnten aufgenommene Pilotarbeit mit der Cornell University ausgebaut werden – mit Aquakulturforschung zu Krustentieren, die auch deren Bestandsschutz und Gesundheit sowie die generelle Profitabilität untersucht. Die Kombination aus Fördermitteln und wissenschaftlicher Unterstützung boten Smith und den Shinnecock die Chance, ihre eigenen Aktivitäten auf eine solidere Basis zu stellen. «Für unsere Gemeinschaft ist die Umwelt sehr wichtig», erklärt Shavonne Smith mit Blick auf die sie umgebenden Tanks und die Muscheln. «Viele Menschen leben immer noch vom Meer, von Fischen oder Krabben.»

Smith beobachtet ein wachsendes Interesse an ihrer Arbeit: Internationale Fernsehteams und Forscher seien bereits für Berichte und gegenseitigen Austausch da gewesen. An einer nahe gelegenen Mittelschule gebe es inzwischen ausführliche Unterrichtseinheiten zu den Shinnecock. Und viele junge Shinnecock würden sich inzwischen mehr als früher für die Geschichte und die eigenen Wurzeln interessieren, berichtet sie.

Ich bin eine unverbesserliche Optimistin – bei allem.

Shavonne F. Smith, Leiterin der Umweltabteilung der «Shinnecock Indian Nation»
Eine dunkelhäutige stattliche Frau blickt nachdenklich selbstbewusst Richtung Himmel und hält ihre Brille in den Händen.
Foto: Annie Tritt

Und doch blickt sie zum Abschluss ihrer kleinen Führung auch mit gemischten Gefühlen auf die jüngsten Veränderungen in der Gegend, ausgelöst durch die vielen Menschen, die wegen der Pandemie aus New York nach Long Island geflohen sind. «Die Dynamik in Southampton hat sich sehr stark verändert. Jeder kannte jeden, jetzt ist da dieser Zustrom neuer Leute. Die ganze Stadt ist verstopft», beklagt sie sich. Danach gefragt, ob ihr gerade die Veränderungen durch die Pandemie und die immer düstereren Klimaprognosen nicht zusetzen würden, lächelt sie. «Ich bin eine unverbesserliche Optimistin – bei allem.» Ihr Volk habe viele Herausforderungen gemeistert, bekräftigt sie. «All unser Wissen existiert nach wie vor. Wir müssen uns nur daran erinnern», sagt Smith resolut, nimmt ihre Brille ab und sagt nicht ohne Stolz: «Ich muss einfach nur weitermachen.»

Titelfoto: Annie Tritt

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14. Januar 2022 | Energiewende-Magazin