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Der Klimaschatz im Meeresgrund

Ein Bericht von Rebecca Hahn

Mangroven, Salz- und Seegraswiesen lagern riesige Mengen Kohlenstoff ein und dienen der Artenvielfalt wie dem Küstenschutz. Doch vielerorts sind sie bedroht.

Wo Menschen sich gegen die Naturgewalt des Meeres zu schützen versuchen, ziehen sie Flutmauern hoch und schütten Deiche auf. Doch die vorderste Schutzfront gegen Flutkatastrophen und Küstenerosion bildet häufig die Natur – ganz ohne unser Zutun: Feuchtgebiete an den Küsten, die Wellen abbremsen und sich bei Stürmen wie riesige Schwämme mit Wasser vollsaugen.

Solche Pufferzonen kommen weltweit an flachen Küsten vor. In den gemäßigten Breiten wie unseren finden sich Salzwiesen, die landeinwärts hinter den Wattflächen wachsen und nur noch gelegentlich überflutet werden. Im warmen Teil der Subtropen und in den Tropen gedeihen anstelle der Salzwiesen hauptsächlich Mangrovenwälder. Gemeinsam zählen beide Arten von Biotopen zu den «tidal wetlands», also zu den Feuchtgebieten, die im Gezeitenbereich der Meere vorkommen. Ihnen meerwärts vorgelagert schließen sich Seegraswiesen an, die an allen Küsten der Welt mit Ausnahme der Polarregionen vorkommen. Die Seegräser wachsen sowohl auf Wattflächen als auch auf sandigen Meerböden und sind in bis zu vierzig Metern Wassertiefe zu finden.

Eine Luftaufnahme zeigt eine Flussmündung mit Mangrovenwäldern und Seegraswiesen
Vor Durban an der Ostküste Südafrikas wachsen dichte Mangrovenwälder. Foto: Martin Zimmer / Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Ein Fischschwarm in einer Seegraswiese und zwischen Mangrovenwurzeln im flachen Wasser
Im lichtdurchfluteten Wasser gedeihen neben den Mangroven Seegraswiesen. Foto: damedias / Adobe Stock
Fische am Rande einer Seegraswiese
Seegraswiesen wachsen an allen Küsten der Welt. Manche Seegrasarten kommen jedoch nur in bestimmten Regionen vor – das Neptungras (Posidonia oceanica) zum Beispiel ist ausschließlich im Mittelmeer heimisch. Foto: Vincent Pommeyrol / Adobe Stock
Flaches Wasser im Wattenmeer, durchsetzt von dunkelgrünen Grasflächen bis zum Horizont
Seegräser können große Wiesen ausbilden, wie hier im Nordfriesischen Wattenmeer, einem Naturschutzgebiet bei der Insel Föhr. Foto: Tobias Dolch
Blick über eine weitläufige Küstenlandschaft, die mit Grasbüscheln bewachsen ist.
Auch unsere heimischen Küsten werden durch Feuchtgebiete geschützt, zum Beispiel durch Salzwiesen wie hier bei Dieksanderkoog in Schleswig-Holstein. Foto: Peter Müller / Universität Hamburg

Große Bedeutung für Artenvielfalt und Klimaschutz

Jedes Jahr schrumpfen die Küstenfeuchtgebiete durch Bauprojekte und Verschmutzung im Schnitt um ein bis zwei Prozent. Eine bedenkliche Entwicklung – denn Küstenstriche dieser Art schützen nicht nur vor Erosion, sondern spielen auch eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Artenschwund und den Klimawandel: Sie bieten unzähligen Tierarten Schutz und nehmen große Mengen Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf, den sie für Jahrhunderte im Sedimentboden speichern.

Küstenfeuchtgebiete speichern ungefähr die Hälfte des in den Ozeanen eingelagerten Kohlenstoffs.

Dr. Peter Müller, Ökologe an der Universität Hamburg

«Man hat lange sehr darauf geachtet, wie viel Kohlenstoff an Land und im Ozean eingelagert wird – aber Küstenökosysteme sind immer aus dem Raster gefallen», sagt Peter Müller von der Universität Hamburg. Der Ökologe forscht in Deutschland und den USA zur Kohlenstoffspeicherung in Salzwiesen und zu den Auswirkungen des Klimawandels auf diesen Prozess. Mittlerweile wisse man, dass in Mangrovenwäldern sowie Salz- und Seegraswiesen große Mengen Kohlenstoff gespeichert seien. «Obwohl Küstenfeuchtgebiete zusammen nur etwa ein Prozent der Ozeanfläche ausmachen, speichern sie etwa die Hälfte des Kohlenstoffs, der insgesamt in den Ozeanen eingelagert wird», sagt Müller. Das entspreche ungefähr der Menge an Kohlenstoff, die alle Wälder an Land zusammen speichern könnten.

Eine besonders langfristige Kohlenstoffsenke

Eine spezielle Bedeutung kommt den Küstenfeuchtgebieten durch ihre Fähigkeit zu, Kohlenstoff über sehr lange Zeiträume einzulagern: Ein Baum könne während seines Wachstums zwar schnell Kohlenstoff speichern, so Müller, nach seinem Absterben werde dieser jedoch auch wieder frei. Küstenökosysteme hingegen könnten nahezu unbegrenzt Kohlenstoff aufnehmen und ihn in den Sedimentböden einlagern. Unter den sauerstofffreien Bedingungen darin bleibe er dort für lange Zeit gespeichert. «Wenn man über ein paar Jahrzehnte viel Kohlenstoff binden will, dann gibt es nichts Besseres, als Bäume anzupflanzen», erklärt Müller. «Wenn man sich aber für Zeiträume von Jahrhunderten interessiert, dann sind Feuchtgebiete, und vor allem Küstenfeuchtgebiete, unschlagbar.»

Logo auf einen Bild von Mangroven
The Blue Carbon Initiative

Die internationale «Blue Carbon Initiative» will darauf aufmerksam machen, wie wertvoll Küstenfeuchtgebiete für den Klimaschutz sind. Unter «blue carbon» versteht die Initiative den Kohlenstoff, der in Küsten- und Meeresökosystemen gespeichert wird. Angelehnt ist der Begriff an «green carbon», der den durch Ökosysteme an Land eingelagerten Kohlenstoff bezeichnet.

Um Küstenfeuchtgebiete zu schützen, ist es hilfreich, genau zu beziffern, wie viel Kohlenstoff das jeweilige Ökosystem speichert. «Dann kann man mit Kohlenstoffkrediten arbeiten, die als Gegenwert für den Schutz der Feuchtgebiete ausgegeben werden», sagt Müller, der sich im Rahmen seiner Forschung intensiv mit der «Blue Carbon Initiative» auseinandergesetzt hat. Mit einem ökonomischen Gegenwert lasse sich häufig mehr erreichen als etwa mit dem Argument der Artenvielfalt. Dabei ist der ökologische Wert der Küstenfeuchtgebiete keineswegs gering zu schätzen.

Die Lebensräume am Übergang zwischen Land und Meer beherbergen einige hoch spezialisierte Pflanzenarten. Seegräser etwa sind eigentlich Landpflanzen, die im Verlauf ihrer Entwicklung wieder den Weg zurück Richtung Meer gefunden haben. «Mit dem Gras an Land haben Seegräser nur entfernt etwas gemein», sagt Tobias Dolch vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Der Geograf forscht an der Wattenmeerstation auf Sylt zur Entwicklung der Seegraswiesen auf den Wattflächen in der Nordsee. «Tatsächlich sind Seegräser blütentragende Pflanzen, die im Meer wachsen», führt er weiter aus. Insgesamt gebe es etwa sechzig verschiedene Arten.

Unter den Mangrovenbäumen findet man ungefähr achtzig unterschiedliche Arten. «Verglichen mit den vielen terrestrischen Baumarten, die wir allein in den Tropen finden, ist das eine verschwindend kleine Zahl», sagt der Ökologe Martin Zimmer. Er leitet die Arbeitsgruppe «Mangrovenökologie» am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen und ist Mitglied in der «Mangrove Specialist Group», der Weltnaturschutzunion IUCN. Die ungewöhnlich geringe Artenzahl, so Zimmer, sei darauf zurückzuführen, dass Mangroven einen ganz speziellen Lebensraum bewohnen.

Eine Illustration zeigt eine Küstenzone mit Mangroven (teils im Wasser), Seegras (unter wie über Wasser) und Salzwiesen (größtenteils an Land)
Küstenfeuchtgebiete liegen am Übergang zwischen Land und Meer. Illustration: Jana Evers
Die gleiche Illustration ist durch Textboxen und Kohlenstoffzeichen ergänzt, die erläutern, dass Pflanzen und Meerwasser Kohlenstoff in Form von CO₂ aufnehmen und ihn in anderer, gebundener Form im Boden speichern.
Sie sind der einzige Lebensraum, der über Jahrtausende kontinuierlich Kohlenstoff binden und speichern kann. Illustration: Jana Evers
Ein Grafik veranschaulicht anhand unterschiedlich großer Kreisflächen die Einlagerungsfähigkeit für Kohlenstoff von Salzwiesen, Seegras und Mangroven sowie von Wäldern in unterschiedlichen Klimazonen.
Küstenfeuchtgebiete nehmen zwar eine kleinere Fläche ein als die Wälder an Land. Pro Hektar können sie im Vergleich aber deutlich mehr Kohlenstoff speichern. Grafik: Jana Evers
Eine Karte zeigt mit gelben, orangefarbenen und grünen Linien die Küstenfeuchtgebiete der Welt, die vornehmlich in der südlichen Hemisphär liegen.
Seegraswiesen finden sich vor allen flachen Küsten der Welt. Mangroven hingegen kommen nur in den Tropen und Subtropen vor, in gemäßigteren Klimazonen findet man stattdessen Salzwiesen. Quelle: «The Blue Carbon Initiative»

Extrem überlebensfähig – trotz Salzwasser und Strömung

Sie haben sich, wie die Seegräser und die Pflanzengemeinschaft der Salzwiesen, an das Leben in der Gezeitenzone angepasst, das zwei große Herausforderungen birgt: «Da ist zum einen das Salzwasser, das für eine Buche oder Eiche aus einem mitteleuropäischen Wald absolut tödlich wäre», sagt Zimmer. «Der zweite Faktor ist der sehr geringe oder zum Teil gänzlich fehlende Sauerstoffgehalt im Sediment.» Um mit diesen Bedingungen zurechtzukommen, haben die Mangroven eine spezielle Wuchsform entwickelt: Sie stützen sich auf stelzenartige Wurzeln, die aus dem Wasser herausragen. «Über diese Luftwurzeln betreiben die Mangroven Gasaustausch mit der Atmosphäre», erläutert Zimmer.

Auch an den Salzgehalt haben sich die Bäume angepasst. «Manche Arten nehmen das Salz erst gar nicht auf», fügt er hinzu. Andere Arten täten dies zwar, würden das Salz dann aber wieder über die Blätter und die Borke ausscheiden. Auch die Pflanzen der Salzwiesen, vorwiegend Gräser und krautige Arten, zählen zu den «Halophyten», den salztoleranten Pflanzen. Vielfach verfügen sie zudem über besonders robuste Wurzeln, damit sie den Kräften des Wassers standhalten können.

Ein Eldorado der Artenvielfalt

So speziell und vergleichsweise artenarm die Flora der Küstenfeuchtgebiete ist, so vielfältig ist ihre Fauna. «Seegraswiesen stellen einen Lebensraum für eine Vielzahl von Organismen dar», sagt Tobias Dolch. Im Wattenmeer seien das zum Beispiel kleine Krebstiere, Würmer oder Muscheln. Außerdem gebe es viele Organismen, die zwischen den Seegrasblättern Schutz vor Fressfeinden fänden. «So eine Seegraswiese kann einen dichten Rasen ausbilden», schildert Dolch. «Da können sich zum Beispiel Jungfische wunderbar zwischen den einzelnen Pflanzen verstecken.» Einige Fischarten kommen deshalb extra in die Seegraswiesen, um dort ihren Laich an den Pflanzen anzuheften. Erst wenn die Jungfische groß genug sind, verlassen sie die schützenden Gefilde wieder.

Das Seegras stellt für einige Arten auch eine Nahrungsquelle dar. «Bei uns im Wattenmeer fressen zum Beispiel Zugvögel wie Ringelgänse oder Pfeifenten das Seegras», erzählt Dolch. Und in den Tropen täten sich etwa Seekühe und Meeresschildkröten an den Unterwasserwiesen gütlich.

Auch die Mangrovenwälder sind artenreiche Ökosysteme, in denen gleichermaßen Land- wie Meeresbewohner Platz finden. Man kann sich diese Wälder wie ein dreigeschossiges Mietshaus vorstellen: Oben unter dem Blätterdach tollen Affen herum, Faultiere hängen in den Ästen und Vögel stürzen sich von dort ins Wasser, um Fische zu fangen. Im mittleren Stockwerk, wo der Wasserstand mit Ebbe und Flut schwankt, leben Insekten, aber auch Frösche, Schlangen und Echsen. Auch Salzwasserkrokodile fühlen sich in den Wäldern wohl – und bei Ebbe zieht es auf dem indischen Subkontinent selbst Königstiger in die Mangroven. In der untersten Etage der Mangrovenwälder, die dauerhaft von Wasser überflutet ist, tummeln sich die meisten Bewohner: Fische, Krebse, Schnecken, Muscheln, Schwämme, Algen und eine Vielzahl von Würmern suchen hier Schutz zwischen den Wurzeln der Bäume.

Ein kleines braunes Pelztier sitzt auf einer Magrovenwurzel.
In Panama ruht sich ein Faultier auf Mangroven­­wurzeln aus. Foto: dam@seaphotoart.com / Adobe Stock
Zwischen Mangrovenwurzeln tummelt sich ein Schwarm Fische.
Unter Wasser flitzt ein Schwarm Schnapper zwischen den Wurzeln herum. Foto: Images & Stories / Alamy Stock
Nahaufnahme einer Schildkröte am Meeresgrund, die an Seegras knabbert
Für viele Meeresbewohner, wie die Grüne Meeresschildkröte, sind Seegraswiesen eine wichtige Nahrungsquelle. Foto: P. Lindgren / Wikipedia
Eine Krabbe im nassen Sand.
Andere Tiere suchen in den Feuchtgebieten Schutz – wie dieser Krebs, der sich im Schlamm zwischen den Mangrovenwurzeln eingegraben hat. Foto: Martin Zimmer, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Ein rot und pink leuchtender Seestern in einer sattgrünen Seegraswiese.
In Seegraswiesen tummeln sich verschiedenste Meeresbewohner – hier vor Sansibar der Gehörnte Seestern. Foto: Dieuwke Hoeijmakers / Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Ein kleiner brauner Vogel sitzt auf einem Schilfstängel.
Salzwiesen mit ihren vielen Würmern und Muscheln locken auch Vögel wie die Spitzschwanzammer an. Foto: Bri Benvenuti / USFWS

Gefährdete Rückzugsräume

Viele Arten sind auf die Küstenfeuchtgebiete als Rückzugsräume angewiesen – doch diese verschwinden zusehends. «Im letzten Jahrhundert haben wir grob die Hälfte der Salzwiesen und Mangrovenflächen verloren, und die Tendenz ist weiter sinkend», sagt Peter Müller. Auch die Fläche der Seegraswiesen gehe jedes Jahr um etwa eineinhalb Prozent zurück. Von ihrer einstigen Ausdehnung habe sie Schätzungen zufolge bereits ein knappes Drittel eingebüßt.

Zu viele Nährstoffe wirken auf Seegras regelrecht toxisch.

Dr. Tobias Dolch, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven

Einer der Gründe für den Rückgang der Küstenfeuchtgebiete ist die Verschmutzung von Gewässern. Gelangt beispielsweise eine zu große Menge an Nährstoffen aus der Landwirtschaft ins Wasser, setzt das den empfindlichen Seegräsern zu. «Zu viele Nährstoffe wirken auf Seegras regelrecht toxisch», sagt Tobias Dolch. In überdüngten Gewässern könne es außerdem zu einem verstärkten Algenwachstum kommen. Dicke Schichten großer Algen würden das Seegras dann unter sich ersticken.

Auch der Klimawandel kann den Seegraswiesen indirekt zusetzen. Durch den steigenden Meeresspiegel nehmen die Strömungsgeschwindigkeiten in den Ozeanen zu. Außerdem kommt es häufiger zu Sturmfluten. «Seegras braucht aber unbedingt strömungsberuhigte Bereiche», sagt Dolch. Diese jedoch würden wahrscheinlich immer seltener.

Der Temperaturanstieg durch den Klimawandel bereitet den Küstenökosystemen nur teilweise Probleme. Seegrasarten, die an kühlere Bedingungen angepasst seien, könnten seltener oder durch andere Arten verdrängt werden, sagt Martin Zimmer. «Die Mangroven scheinen bei der Erwärmung tatsächlich eher zu den Gewinnern zu gehören.» In den letzten Jahren habe man beobachtet, dass sich die Verbreitungsgrenzen bereits weiter nach Norden und teilweise auch weiter nach Süden ausgedehnt hätten.

Küstenerschließung und Aquakulturen versus Feuchtgebiete

Auch mit dem Meeresspiegelanstieg könnten die Feuchtgebiete des Gezeitenbereichs laut Zimmer zurechtkommen. «Es gibt erste Beobachtungen und Modellrechnungen, die zeigen, dass Mangroven und Salzmarschen mit dem Meeresspiegelanstieg Schritt halten», sagt der Ökologe. «Theoretisch sind sie in der Lage, sich landwärts auszubreiten.» Häufig fehle ihnen dafür allerdings der Platz: Die Küsten sind oft zu dicht besiedelt, als dass sie den Feuchtgebieten Ausweichmöglichkeiten bieten könnten. Zum Teil werden die Ökosysteme auch direkt gerodet oder ausgebaggert, um Platz für Infrastruktur wie Hafenanlagen zu schaffen. Bauprojekte an den Küsten zählen dadurch neben der Gewässerverschmutzung zu den Hauptgründen für den Rückgang der Küstenfeuchtgebiete.

Im Fall von Mangroven kommt noch eine weitere Bedrohung hinzu: «Auf die Gesamtfläche gerechnet tragen Aquakulturteiche wahrscheinlich am stärksten zur Rodung von Mangroven bei», so Zimmer. «In denen werden dann zum Teil Fische, vor allem aber Riesengarnelen gezüchtet, die auch bei uns in Mitteleuropa gerne auf der Pizza oder in der Pasta gegessen werden.»

Eine Luftaufnahme zeigt zahlreiche riesige, künstlich angelegte Wasserbecken in einer tropischen Küstenlandschaft.
Um Platz für Aquakulturteiche zu schaffen, werden in manchen Regionen große Mangrovenflächen gerodet. Foto: Jirapatch Iamkate / Alamy Stock

Feuchtgebiete erhalten und gleichzeitig nutzen

Natürlich gebe es regionale und lokale Unterschiede, ob und wie stark die Küstenfeuchtgebiete gefährdet seien, erklärt der Ökologe. Es sei auch nicht realistisch, Bau- und Aquakulturprojekte an den Küsten zu stark einzuschränken. Zimmer und sein Team versuchen stattdessen, eine nachhaltige Nutzung der Ökosysteme voranzutreiben. «Wir arbeiten an der sogenannten ‹Integrierten Mangroven-Aquakultur›», erzählt er. «Dabei halten wir die Garnelen- oder Fischteiche kleiner und fällen um die Teiche herum nach Möglichkeit keine Mangroven oder pflanzen sie nachträglich wieder auf.» Es gebe erste Hinweise darauf, dass die Erträge aus der Integrierten Mangroven-Aquakultur sogar höher seien. Außerdem könne man so auch weiterhin von den positiven Effekten der Mangrovenwälder profitieren – zum Beispiel beim Küstenschutz.

Es gibt ein großes Interesse daran, Feuchtgebiete als natürlichen Hochwasserschutz zu nutzen.

Dr. Siddharth Narayan, Küsteningenieur an der «University of California» in Santa Cruz

Wie wertvoll Mangrovenwälder als Küstenschutz sind, zeigte sich unter anderem 2004 nach dem katastrophalen Tsunami in Sri Lanka. In den Gebieten, wo die Mangroven noch intakt waren, gab es weniger Todesopfer und Schäden als dort, wo kaum noch Mangroven vor der Küste wuchsen.

Als im Jahr 2012, acht Jahre später, Hurrikan Sandy an der Ostküste der USA wütete, wollte Siddharth Narayan es noch genauer wissen: Der Wissenschaftler erforschte an der «University of California», welchen Beitrag Feuchtgebiete und Korallenriffe weltweit zum Küstenschutz leisten und wie zerstörte Küstenökosysteme wiederhergestellt werden können. «Es gibt großes Interesse daran, Feuchtgebiete als natürlichen Hochwasserschutz zu nutzen. Dafür müssen wir aber genau abschätzen können, wie hoch ihr ökonomischer Wert ist.»

Überraschend effektiver Schutz vor Sturmschäden

Narayan und seine Kollegen untersuchten deshalb, wie groß die Sturmschäden nach Hurrikan Sandy in Gebieten mit und in Gebieten ohne Küstenfeuchtgebiete waren. Der Bundesstaat New Jersey hatte durch Bauprojekte bereits ein Viertel seiner Salzwiesen verloren. Auch an den Stellen, die weniger Schäden erlitten haben, waren die Feuchtgebiete nur noch wenige Kilometer breit. Es zeigte sich, dass selbst diese kleine Fläche noch verbliebenen Schwemmlands ausgereicht hatte, um insgesamt etwa 625 Millionen US-Dollar Schäden zu verhindern.

Luftaufnahme einer Küstenlandschaft. An einem Strandstück liegen zahlreiche Betonkästen.
Ein Uferschutzprojekt zur Regeneration der Gezeitenmarschküste nach Hurrikan Sandy an der Küste von New Jersey: Blöcke aus Beton, sogenannte Austernburgen, sollen die Ansiedlung von Austernlarven fördern. Foto: Damon Noe / TNC

«Trotzdem waren wir überrascht, welch effektiven Schutz selbst kleine Feuchtgebiete bei weniger starken Flutereignissen bieten», berichtet Narayan. Vom Menschen errichtete Schutzmaßnahmen machten die Küstenfeuchtgebiete allerdings nicht überflüssig: «Gut konstruierte Deiche und Mauern schützen selbst gegen Extremereignisse wie Tsunamis. Feuchtgebiete stellen hauptsächlich einen effektiven Schutz bei weniger starken Flutereignissen dar», sagt Narayan. Andererseits hätten intakte Feuchtgebiete den Vorteil, dass sie sich nach Stürmen sehr schnell wieder regenerieren und mit dem steigenden Meeresspiegel Schritt halten. Im Vergleich zu teuren Schutzbauten seien sie deshalb ein günstiger Küstenschutz.

Fehlende Maßnahmen zum nachhaltigen Schutz und Ausbau

Vielerorts hat sich mittlerweile herumgesprochen, welche Vorteile Küstenfeuchtgebiete mit sich bringen. In zahlreichen Regionen haben Initiativen begonnen, sie zu schonen und auch gezielt anzulegen. Die Stiftung «Global Nature Fund» etwa koordiniert ein Projekt, um in den Sundarbans in Indien und Bangladesch, dem größten Mangrovenwald der Welt, die nachhaltige Garnelenzucht zu fördern. In Großbritannien wurden die Salzwiesen im Naturreservat «Ribble Estuary National Nature Reserve» bei Southport wiederhergestellt. Im Wattenmeer haben sich die Seegraswiesen zwischen Sylt und der Halbinsel Eiderstedt wieder erholen können, seit weniger Nährstoffe ins Wasser eingetragen werden. Und anderenorts werden künstliche Feuchtgebiete angelegt – in der Hoffnung, dass diese sich dauerhaft etablieren.

Eine Frau im Sari steht in einer Mangrovenanpflanzung und zeigt einen Mangrovensetzling.
Der «Global Nature Fund» fördert die integrierte Garnelenzucht in Bangladesch und Indien, die eine Anpflanzung von Mangroven zwischen den Teichen vorsieht. Foto: Udo Gattenlöhner / Global Nature Fund
Von einem traditionellen Zaun umgebene kleine Zuchtanlage in den Tropen.
In Flüssen und Mündungsgebieten der indischen Sundarbans entstehen immer mehr Aquakulturteiche. Foto: Udo Gattenlöhner / Global Nature Fund

Die sicherlich publikumswirksamen Massenanpflanzungen von Mangroven allerdings sehen Fachleute wie Martin Zimmer eher kritisch: «In vielen Fällen ist das purer Aktionismus. Häufig sind die Flächen nicht geeignet für Mangroven oder es werden die falschen Mangrovenarten verwendet.» Ein halbes Jahr später seien die Setzlinge dann meistens bereits abgestorben oder weggewaschen. Es gebe zwar eine Reihe von Initiativen und Organisationen, die sich eine erfolgreiche Mangroven-Aufforstung zum Ziel gesetzt hätten, sagt Zimmer. Zurzeit seien es aber immer noch zu wenige, um die Mangroven wirksam zu schützen.

Will man den Küstenfeuchtgebieten also wirklich eine Chance geben, sich wieder großflächig auszubreiten, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. Mangroven, Salzmarschen und Seegraswiesen können nur dann erfolgreich geschützt werden, wenn ihnen genug Raum bleibt und Küstengewässer sauberer werden. Und nur dann können sie uns schützen – als Bollwerke gegen Fluten, als Schatzkammern der Artenvielfalt und als langfristige Kohlenstoffspeicher.

 

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28. Mai 2021 | Energiewende-Magazin