Direkt zum Inhalt der Seite springen

«Wir betreiben noch gar keinen ernsthaften Klimaschutz»

Stefan Rahmstorf im Gespräch mit Christopher Schrader

Trotz aller Kritik an der Politik ist Stefan Rahmstorf hoffnungsvoll: Noch kann die Menschheit einen schnellen Umschwung herbeiführen.

Bitte anschnallen, wir haben soeben das Holozän verlassen und steuern auf 3 Grad zu, in Deutschland sogar auf 5 bis 6 Grad. Es wird zu Turbulenzen kommen!» Was auf dem Twitterprofil von Stefan Rahmstorf fast ironisch klingt, meint der wohl bekannteste deutsche Klimaforscher jedoch bitterernst. Seit Jahrzehnten warnt der 1960 geborene Physiker öffentlich und lautstark vor den Folgen des Klimawandels – und macht in diesem Fall zugleich aufmerksam auf seinen Beitrag in dem Buch «3 Grad mehr» über die drohende durchschnittliche Erderhitzung um drei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit.

Sein öffentliches Auftreten hat Rahmstorf nicht nur Anerkennung, sondern auch viel Kritik und – vor allem auf Twitter – auch Häme eingebracht. Er lässt sich indes nicht einschüchtern und greift wiederum auch schon Kollegen und Journalisten scharf an, wenn er Mängel in deren Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellt. Gleichzeitig gehört er zu denjenigen Wissenschaftlern, die am häufigsten interviewt oder zu Vorträgen eingeladen werden. Zudem genießt er internationales Renommee: Er hat mehr als hundert Studien in wichtigen Fachzeitschriften veröffentlicht und wurde für seine Wissenschaftskommunikation vielfach ausgezeichnet.

Für das Gespräch mit dem Energiewende-Magazin trafen wir Stefan Rahmstorf im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, an dem er seit 1996 forscht und heute die Abteilung für die Analyse des Erdsystems leitet.

 

Ein Mann mittleren Alters, im Anzug, sitzt im Gespräch vor einer Fensterfront.
Foto: Saskia Uppenkamp

Herr Rahmstorf, Sie sind ein ebenso gefragter wie viel beschäftigter Wissenschaftler, der sich außerdem noch häufig und leidenschaftlich in die öffentliche Diskussion einmischt. Man fragt sich unwillkürlich: Warum tun Sie sich das an?

Tja, letztlich aus Pflichtgefühl. Ich denke, wenn man als Wissenschaftler eine Gefahr erkannt hat, muss man die Öffentlichkeit warnen.

Darauf verwenden Sie ziemlich viel Zeit – und sind dabei, zumal auf Twitter, ständig herabwürdigenden oder gar hetzerischen Kommentaren ausgesetzt. Wie halten Sie das aus?

Das ist natürlich ein Social-Media-Phänomen. Man muss sich ein dickes Fell zulegen. Auf Twitter gibt es zwar auch viele unsinnige oder beleidigende Kommentare, aber in der Summe bekomme ich wesentlich mehr Zuspruch, als dass Leute mich beleidigen.

Das geht dennoch unter die Haut. Wie dick muss das Fell sein?
Ich weiß ja, dass es sich nicht gegen mich persönlich richtet. Manche Leute lehnen einfach nur das ab, was die Klimaforschung zu sagen hat. Und was die aggressiven Formen angeht, denke ich: Es gibt halt ein paar Menschen, die sind irgendwie voller Hass – und die tun mir eher leid. Ich lese ohnehin die meisten Kommentare nicht und reagiere nur manchmal, wenn ich sehe, dass bestimmte Dinge wie eine manipulierte Klimakurve der vergangenen Jahrtausende immer wieder auftauchen.

Sehen die Leute, die das gepostet haben, das dann ein?

Nein. Meine Erfahrung nach mehr als dreißig Jahren ist leider, dass man die hartgesottenen Klimaskeptiker so gut wie nie umstimmt. Andererseits gibt es mittlerweile viel mehr Menschen als früher, die Konstruktives zum Klimaschutz posten. Und die freuen sich, wenn sie Grafiken und Hinweise auf Fachliteratur finden, mit denen sie die immer wiederkehrenden Falschbehauptungen widerlegen können.

Sie twittern ja nicht nur: Im Zusammenhang mit Berichten über Wärmepumpen macht es den Eindruck, als führten Sie wildfremde Leute durch Ihren Heizungskeller.

Ich habe keine wildfremden Leute in meinen Heizungskeller gelassen, sondern einen Monteur. Davon ist ein Bild in einem Bericht der Deutschen Umwelthilfe erschienen – mit meinem Einverständnis. Außerdem wurden Videoclips aufgenommen, in denen ich die Vorzüge einer Wärmepumpe für den Klimaschutz erkläre. Da kann man sehen, wie die Tiefenbohrungen in meinem Garten gemacht worden sind und dann die Pumpe installiert wurde.

Ist das für Sie Teil Ihres Auftrags als Wissenschaftler?

Nicht unbedingt, ich forsche ja nicht zu Wärmepumpen. Aber ich finde die Aufklärungsarbeit der Deutschen Umwelthilfe zu Wärmepumpen sehr wertvoll und habe sie gerne unterstützt.

Solche Äußerungen werden Ihnen in Teilen der Presse als Parteinahme ausgelegt. «Grüne Vordenker wie Stefan Rahmstorf, Bernd Ulrich oder Luisa Neubauer», hat der Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt neulich geschrieben.

Ich habe nichts mit den Grünen als Partei zu tun und sehe mich auch nicht als «grünen Vordenker», sondern bin schlicht ein Wissenschaftler, der vor den Folgen unserer CO2-Emissionen warnt. So wie Christian Drosten vor den Folgen einer Covid-Infektion gewarnt und darüber gesprochen hat, wie man sie vermeidet. Aber leider wird Klimaschutz auch bei seriösen Medien als grünes Anliegen geframet, während es ja eigentlich die Sache von uns allen sein sollte, eine Klimakatastrophe zu verhindern. Das stört mich sehr. Als sei das etwas, was nur die Grünen wollen! Schließlich hat sich auch Olaf Scholz im Wahlkampf als «Klimakanzler» plakatieren lassen – und der Bundestag hat am 22. September 2016 einstimmig Ja gesagt zum Pariser Abkommen.

 

Ein Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und randloser Brille vor einem modernen Holzhaus.
Stefan Rahmstorf vor dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf dem Telegrafenberg in Potsdam. Foto: Saskia Uppenkamp

 

Was glauben Sie, mit Ihrer Kommunikation hier ausrichten zu können?

Das übergeordnete Ziel ist natürlich, zu informieren, wie wir mit dem CO2-Anstieg allen Erkenntnissen der Klimaforschung zufolge unsere eigenen Lebensgrundlagen bedrohen. Als Wissenschaftler möchte ich Schaden von der Menschheit abwenden. Ich fühle mich dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit zu warnen, wenn ich eine Gefahr sehe. So wie ich ja auch beim Anblick eines brennenden Hauses die Feuerwehr rufen sollte.

Das lodernde Feuer bewegt aber vermutlich viel mehr Menschen zum Handeln als die sich langsam aufheizende Erde.

Ich appelliere an allgemeine menschliche Grundwerte: dass man erstens nicht sehenden Auges in eine Kata­strophe rennt und zweitens auch Mitgefühl für die Menschen in den Ländern des Globalen Südens aufbringt, die wesentlich härter getroffen sind durch den Klimawandel als wir. Wir allerdings sind die Hauptverursacher. Das ist ungerecht – und Gerechtigkeit ist ein menschlicher Grundwert.

Leider zeigen Umfragen, dass Appelle an Klimagerechtigkeit, wonach die reichen Länder mehr für den Klimaschutz tun sollen als die ärmeren, gerade mal ein Drittel bis zur Hälfte der Menschen wirklich überzeugen.

Das ist erschreckend. Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen einfach nicht so ein globales Bewusstsein haben. Als Klimaforscher muss man sich ja sein Leben lang mit unserer Erde als Ganzem beschäftigen. Und man entwickelt dabei so etwas wie ein Wir-Gefühl für den Homo sapiens insgesamt und letztendlich für die ganze Biosphäre. Dadurch hat man da vielleicht ein bisschen einen weiteren Blick dafür, was Gerechtigkeit umfasst.

Woran merken Sie, dass diese Art der Kommunikation ankommt?

Ich habe ja genug mit Anfragen wie Ihrer zu tun. Und bei Twitter bin ich nach drei US-Kollegen der Klimaforscher mit den meisten Followern.

Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie manchmal Wichtiges weglassen müssen, damit die Botschaft klarer ist?

Ich sehe das als Herausforderung. Wie kann ich etwas so sagen, dass es einfach und verständlich ist, aber trotzdem fachlich korrekt? Natürlich muss immer einiges weggelassen werden, denn man könnte zu jeder Frage eine Stunde reden, hat aber in Interviewclips oft nur 30 Sekunden. Und da müssen die wesentlichen Punkte drin sein. Und zwar so – das ist für mich besonders wichtig –, dass der Leser oder Zuhörer versteht, was Stand der Wissenschaft ist und nicht nur meine Meinung.

Gibt es da Unterschiede?

Ich stimme in den allermeisten Dingen mit dem IPCC, dem Weltklimarat, überein. Aber es gibt schon einige Punkte, bei denen ich eine andere Einschätzung hatte oder habe, beispielsweise bei der Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs. Als Wissenschaftler war ich vor 15 Jahren der Meinung – und ich nicht alleine –, dass der IPCC-Bericht den kommenden Meeresspiegelanstieg stark unterschätzt hat.

Da wurden die ganzen Prozesse der Eisschmelze weggelassen, weil man sie nicht genau genug verstanden hat.

Ja, das war ein Hauptgrund dafür. Und dann würde ich natürlich nicht in der Öffentlichkeit sagen: Der Meeresspiegel wird um einen Meter ansteigen. Punkt. Sondern ich würde sagen: Laut Weltklimarat könnten es bis zu 60 Zentimeter werden, aber ich habe Gründe anzunehmen, dass es auch über ein Meter in diesem Jahrhundert werden kann.

Sie äußern sich auch zu politischen Botschaften von Parteien. Neulich haben Sie zum Beispiel die «Studie» der FDP-Fraktion zum Tempolimit kommentiert.

Ich habe lediglich angemerkt, dass dort ausgerechnet Leute als Autoren genommen wurden, die in der Vergangenheit völlig unseriöse Klimaskeptiker-Thesen vertreten haben. Ich war wirklich entsetzt, wen die FDP da beauftragt hat. Wer sich in der Vergangenheit derart blamiert und die Glaubwürdigkeit verloren hat, der sollte nicht mehr Politikberatung machen oder in Talkshows eingeladen werden.

Und worin bestand Ihre Motivation, CDU-Chef Friedrich Merz zu kritisieren? Der hatte etwas über Technologieoffenheit gesagt, woraufhin Sie pointiert gefragt haben: Wer saß die letzten 16 Jahre eigentlich in der Regierung? Ist das auch noch Teil Ihres Auftrags als Wissenschaftler?

Nein. Aber deshalb steht ja extra in meinem Twitterprofil: «Opinions my own!». Also äußere ich dort natürlich auch meine Meinung als Bürger zur Politik.

Wie kann man unterscheiden, wann Rahmstorf als Wissenschaftler auftritt und wann als Bürger?

Wenn ich Aussagen zur Klimawissenschaft mache, wissen meine Leser, das ist der Experte, und wenn ich allgemeinpolitische Aussagen mache, dann ist es ja klar, dass das keine wissenschaftliche Aussage ist.

Bjorn Stevens vom Max-Planck-Institut für Meteorologie sagte letzten Herbst in einem Interview: «Als Wissenschaftler erkläre ich den Leuten gerne, wie die Dinge, von denen ich etwas verstehe, funktionieren. Aber was qualifiziert mich, ihnen zu sagen, wie sie sich verhalten sollen?» Wie halten Sie es damit? Sagen Sie den Leuten, wie sie sich zu verhalten haben?

Nein. Aber ich sage den Leuten: Wenn wir das Pariser Abkommen einhalten wollen, dann müssen die Emissionen runter, und zwar auf null beim CO2.

Und das ist keine Verhaltensvorgabe?

Das ist einfach ein wissenschaftlicher Fakt. Der IPCC-Bericht sagt es so: «Die Begrenzung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung erfordert netto null CO2-Emissionen.»

Sie haben für Wärmepumpen geworben und die Arbeit der Umwelthilfe unterstützt. Sie haben sich für ein Tempolimit eingesetzt. Das geht doch schon in Richtung individuelles Verhalten.

Es geht letztlich um geeignete Maßnahmen, die helfen können, CO2 zu reduzieren. Ich war ja acht Jahre Regierungsberater im Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen – da war es explizit der Job, solche Lösungsoptionen und politischen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

 

Ein Mann mittleren Alters, im Anzug, sitzt im Gespräch vor einer Fensterfront.
«Wenn wir das Pariser Abkommen einhalten wollen, dann müssen die Emissionen runter, und zwar auf null beim CO₂.» Foto: Saskia Uppenkamp

 

War Ihr Einfluss in der Zeit so groß wie – sagen wir mal – der von Auto- oder Erdöl-Lobbyisten?

Sie spielen vermutlich auf die Studie zu ExxonMobil an, an der ich beteiligt war … Nun ja, Exxon wusste bereits seit den 1970er- und frühen 1980er-Jahren, was in den folgenden Jahrzehnten mit Emissionen und der Erderwärmung passieren würde, hat sich aber entschieden, die Öffentlichkeit darüber zu täuschen. Und hat dazu auch den Einfluss auf die US-Politik genutzt. Das passiert ja auch bei uns. Ich kann nicht reinschauen in die Hinterzimmer, welchen Einfluss Lobbyismus tatsächlich entfaltet. Aber man weiß aus den Recherchen Ihrer Journalistenkollegen, dass führende deutsche Wirtschaftsvertreter die Handynummer von Frau Merkel kannten und in entscheidenden Momenten eingegriffen haben – als es zum Beispiel um EU-Abgasnormen ging.

Sie waren offizieller Berater der Regierung Merkel.

Als wissenschaftlicher Politikberater hat man keinen solchen Zugang. Während der acht Jahre im Beirat habe ich nie direkt mit Frau Merkel gesprochen. Wenn wir Glück hatten, kamen Minister bei der Übergabe unserer Gutachten zum Fototermin und wir konnten eine Stunde mit ihnen sprechen. Unser Rat wurde angenommen, wenn er gerade ins Konzept passte – und Minister waren verärgert, wenn dem nicht so war.

Brauchen wir eigentlich noch weitere naturwissenschaftliche Forschung zum Klima, um Klimapolitik zu machen?

Um zu wissen, dass wir die Emissionen sehr rasch runterbringen müssen, benötigen wir keine Forschung mehr. Aber wenn es um die Anpassung geht oder um Wetterextreme, kann es uns Leid ersparen, wenn wir besser Bescheid wissen, wann zum Beispiel ein «El Niño» kommt oder wie ein Monsun ausfällt. Das ist Wissen mit sehr viel konkretem Nutzen für die Menschen.

Gleichzeitig gibt es immer wieder die Bekenntnisse vonseiten der Politik, Entscheidungen nur auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu treffen.

Beim Klima ist das notwendige Wissen längst da, das steht in den IPCC-Berichten. Ich habe mich allerdings schon oft gefragt, wie viele der Bundestagsabgeordneten die Zusammenfassung eines IPCC-Berichts überhaupt gelesen haben. Und ich glaube, ein Kernproblem besteht darin, dass die Entscheidungsträger, eben unsere Abgeordneten und Politiker, ihre Informationen zum Klima nur aus den Medien entnehmen und nicht die Dokumente studieren, die Hunderte Wissenschaftler in jahrelanger Arbeit speziell für sie vorbereitet haben.

Diese Zusammenfassungen sind immer noch sehr wissenschaftlich formuliert. Sprechen Sie darum in Ihrem Eingangskapitel zu dem Buch «3 Grad mehr» eine deutlichere Sprache?

Ja, man muss doch klar sagen: Eine um drei Grad wärmere Welt bedeutet viele um sechs Grad wärmere Landgebiete. Dann wird es wirklich gefährlich, weil ganze Staaten durch Extremwetterereignisse destabilisiert werden könnten. Letzteres beruht auf einem Gutachten, das wir als Beirat der Regierung schon 2007 vorgelegt haben, «Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel». Wenige Jahre später ist dergleichen in Syrien passiert: Nach der schlimmsten Dürre der syrischen Geschichte sind die Massenproteste gegen das Assad-Regime ausgebrochen.

Beim Erscheinen von «3 Grad mehr» im Juli 2022 haben Sie in einem Interview gesagt: «Das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, kann ich mir schon vorstellen.» Ist die Lage so ernst?

Wenn wir eine Hungersnot von globaler Skala hätten, würde ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass wir alle solidarisch den Hungernden helfen. Oder ob es nicht tatsächlich eher zu einem Auseinanderbrechen der Zivilisation kommt und jeder nur noch für sich selber kämpft.

Das klingt drastisch, aber würde es nicht bedeuten – so schlimm das ist: Wir in Europa errichten Grenzzäune, haben es warm und hell, und genug zu essen gibt es auch?

Ich würde nicht ausschließen, dass wir dann auch in Deutschland nicht mehr genug zu essen haben. Denkbar sind zum Beispiel gleichzeitige Dürren in den großen Kornkammern der Nordhalbkugel, in Nordamerika und Eurasien. Sie sind zwar recht unwahrscheinlich, aber inzwischen wesentlich wahrscheinlicher, als es allein durch Wetterzufall sein könnte, wie eine Studie von 2019 zeigt. Ursache sind die planetaren Wellenmuster im Jetstream, also die Höhenwinde, die die Lage von Hoch- und Tiefdruckgebieten beeinflussen. Und die können Wetterlagen über bestimmten Regionen festhalten, was wiederum solche synchronen Dürren und Nahrungskrisen auszulösen vermag. Ich bin nicht sicher, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt dann stark genug ist – auch aufgrund der Entwicklung, die man während der Pandemie mit den Querdenkern und dem Zuspruch für Rechtspopulisten gesehen hat. Ich konnte ja bisher hier in Deutschland in Frieden und Wohlstand leben und empfinde das als großes Glück – aber ich bin nicht überzeugt, dass das ganz selbstverständlich immer so weitergehen wird.

 

In einem großzügigen Treppenhaus steht ein Mann im Auge der Treppe, neben einem sehr großen Globus und schaut nach oben zur Fotografin.
«Als Wissenschaftler möchte ich Schaden von der Menschheit abwenden», sagt Stefan Rahmstorf. Foto: Saskia Uppenkamp

 

Sie haben Kinder im Gymnasialalter. Wie sprechen Sie mit denen über solche Zukunftsaussichten?

Interessanterweise haben meine Kinder das Thema Klima­wandel aus der Schule mitgebracht, bevor ich jemals mit ihnen darüber gesprochen hätte. Ich dachte, die sollen eine möglichst unbesorgte Kindheit haben. Aber dann lernten sie in der Grundschule bei einem Projekttag zum Klimawandel, was für einen CO2-Fußabdruck ein Mensch in Afrika im Vergleich zu einem in Deutschland hat.

Ihre Kinder haben ihr Leben noch vor sich, und Sie beschäftigen sich mit Dystopien. Wie schaffen Sie es, ihnen dennoch Mut fürs Leben mitzugeben?

Ich habe einen fast unerschütterlichen Optimismus. Das schließt die Hoffnung ein, dass wir es schaffen, das Ruder rechtzeitig herumzureißen. Wenn wir die Erwärmung nicht bei 1,5 Grad Celsius begrenzen können, dann vielleicht doch bei 1,6 oder 1,7 Grad. Ich bin überzeugt, dass es einfach eine Frage der Zeit ist, wann der gesellschaftliche Kipppunkt kommt. Also der Moment, in dem die Menschen merken: Jetzt müssen wir aber wirklich mit höchster Priorität Klimaschutz betreiben, wenn wir weiterhin gut leben wollen und auch unsere Kinder und Enkel gut leben sollen.

Sehen Sie Anzeichen für eine Dynamik, um die nötige Transformation schnell genug voranzutreiben?

Es gibt heute viel weniger Falschinformationen, mit denen Leute den Klimawandel als solchen zu bestreiten versuchen. Dafür kursieren jetzt Unwahrheiten über mögliche Lösungsansätze. Ist das ein Fortschritt? Vielleicht. Wir haben ja schon den einen Kipppunkt erreicht, an dem die Erneuerbaren in den meisten Ländern die kostengünstigste Form der Energieversorgung sind. Mir ist bewusst, dass wir es mit der jetzigen Politik nie und nimmer schaffen werden, bei 1,5 Grad zu landen. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass sich die Politik sehr bald entscheidend ändern wird.

Das wäre aber eine gewaltige Kehrtwende.

Ja, sicher! Zwar hat die Politik schon manches erreicht, aber andererseits nutzt sie nicht einmal simple Gratismaßnahmen wie das Tempolimit. Stattdessen wurden die fossilen Energien laut der «Internationalen Energieagentur» im letzten Jahr mit einer Billion US-Dollar subventioniert. Kurz: Wir betreiben eigentlich noch gar keinen ernsthaften Klimaschutz. Wenn wir es ernsthaft angehen und zum Beispiel sagen: «Schluss mit all diesen Subventionen, wir machen jetzt, was wir können», dann werden wir meiner Meinung nach die Emissionen sehr schnell runterkriegen.

 

Kopfportrait von Herrn Rahmstorf vor einem gelb-roten Klinkerbau.
Prof. Stefan Rahmstorf

Stefan Rahmstorf, 1960 in Karlsruhe geboren, studierte in Konstanz, Ulm und Bangor/Wales Physik und Ozeanographie. Er ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er betreibt die Blogs «Real­Climate» und «Klimalounge» und hat 145.000 Twitter-Follower. Von 2004 bis 2013 war er Mitglied des «Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen». Er hat mehr als hundert Studien veröffentlicht und zahlreiche Preise für seine Kommunikation zur Klimaforschung erhalten.

Mehr zum Thema

  • Ein Mann mit schütterem Haar und im blauen Hemd steht mit verschränkten Armen im Wald und blickt ernst in die Kamera.

    «Ich nenne sie die Inaktivisten»

    Mit einer Grafik zur Klimaerwärmung wurde der Klimaforscher Michael Mann 1999 weltbekannt. Ein Gespräch über die neuen Tricks und Täuschungsmanöver der Fossilindustrie.

  • Frau mit beeindruckenden Locken lehnt an einer Betonwand, hinter ihr ist unscharf eine Treppe zu sehen.

    «Wir brauchen drastische Veränderungen»

    Erreichen wir die Klimaziele? Noch bremsen gesellschaftliche Kräfte die dazu nötige Transformation aus, zeigt eine neue Analyse. Manches aber macht Mut.

15. Juni 2023 | Energiewende-Magazin