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Handeln ist immer möglich

Ein Bericht von Petra Völzing

Auch in widrigen Zeiten kann die Energiewende voranschreiten. Auf dem Stromseminar 2017 zeigen vier Experten gangbare Wege auf.

Der Wind bläst den konsequenten Verfechtern der Energiewende immer stärker ins Gesicht. Die Gesetzgebung ist verschärft und wird immer unübersichtlicher, die Strommarktmechanismen lassen die EEG-Umlage steigen und schaffen Vorteile für billigen Kohlestrom, Ausbaukapazitäten werden gedeckelt, Förderungen schwinden und Ausschreibungsvorgaben bremsen die dezentrale Bürgerenergiewende aus. Es zeigt sich aber: Auch unter erschwerten Bedingungen ist mit Inspiration, Kreativität und alternativen Denkansätzen effektives Handeln für einen wirksamen Klimaschutz möglich – vier Experten zeigten auf dem Stromseminar gangbare Wege auf.

Jörg Probst: Inspirierende Gedanken

Er werde sich nicht zur Sache äußern, verkündet Jörg Probst zu Beginn seines Vortrages, und alle Teilnehmer des Stromseminars sind sofort ganz Ohr – mit Gewinn, denn der Berater und Universitätsdozent in Sachen Effizienz und Klimaschutz entfaltet ein aufschlussreiches und anschauliches Bild von unserer Zeit und dem rasenden Wandel, dem unsere Gesellschaft vor allem durch die Digitalisierung unterworfen ist. Dieses Szenario zu verstehen sei notwendig, um auch in punkto Energiewende handlungsfähig zu bleiben – darauf will Probst am Ende hinaus, und es gelingt ihm auf unterhaltsame Weise.

Um sich dem schwierigen Thema anzunähern, hält er zunächst einmal ein Plädoyer für die Frage an sich. «Wir stellen heute eine Frage – und zack hat man eine Antwort parat», meint er. Dabei bestehe doch die Gefahr, dass die Frage einen frühen Tod sterbe und falsche Antworten allzu lange lebendig blieben. Als Beispiel nennt er das eilig beschlossene Mieterstromgesetz. Probst setzt sich dafür ein, erst einmal eine Frage und die damit erzeugte Spannung auszuhalten, ihr Raum zu geben und das Ganze zu betrachten. Zentral sind für ihn folgende Fragen: Wofür ist es an der Zeit? Wo entstehen Veränderungen? Und welche Kraft ist wirksam?

Dr. Jörg Probst auf dem Stromseminar
Dr. Jörg Probst auf dem Stromseminar Foto: Albert Schmidt

Entlang dieser Fragestellungen können Strategien für die notwendige Transformation erarbeitet werden. «Wolfgang Feist hat das Passivhaus nicht erfunden, aber es war dann an der Zeit, dieses Prinzip umzusetzen», argumentiert er. «Genauso wenig, wie die Mathematiker die Mathematik erfunden haben: Sie wurde entdeckt, als es an der Zeit war.» Sich diesen Raum zu geben ist natürlich angesichts der tief greifenden Veränderungen, die zudem rasend schnell vor sich gehen, nicht ganz einfach.

Probst erinnert zum Amüsement aller an den in gefühlt grauer Urzeit existierenden Sendeschluss mit seinem Testbild und an die Rhythmisierung des Alltags durch das Fernsehprogramm. «Meine Kinder finden das sehr alt, wenn wir sonntags um 20 Uhr 15 den Tatort schauen», bemerkt er schmunzelnd. Er weist auf die Änderung des Freundschaftsbegriffs durch Facebook hin, aber auch auf die Tatsache, dass das Auto heute in urbanen Kreisen als Statussymbol ausgedient hat.

Es gibt in diesem Wandel viele Schritte in die richtige Richtung – zum Beispiel das Rathaus in der niederländischen Stadt Venlo, das das Recycling seiner Baumaterialien im Sinne von «Cradle to Cradle» bereits in die Finanzierung eingebunden hat, oder die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von vegetarischer Ernährung – und nicht zu vergessen die Tatsache, dass aus der alten Stromwirtschaft heraus ein erfolgreiches Energiewendeunternehmen wie die EWS entstehen konnte. Kurzum: Probst hält den Menschen für entwicklungsfähig und behält die Zuversicht, auch wenn der Weg steinig ist.

Heffa Schücking: Kreative Kampagnen

Auch Heffa Schücking, die Stromrebellin des Jahres 2017, beeindruckt mit ihrer positiven Einstellung und der unverwüstlichen Zuversicht, in der Welt etwas zum Besseren verändern zu können. Mit dieser Haltung hat sie tatsächlich Unglaubliches erreicht. Sie hat gegen die Macht von Weltbank und Großkonzernen Atomkraftwerke und Staudammprojekte verhindert. Aktuell ist die Kohleindustrie in ihrem Fokus. Das Ziel ihrer Organisation «urgewald» ist ambitioniert: Sie will erreichen, dass alle europäischen Banken aus der weltweiten Finanzierung von Kohleminen und Kohlekraftwerken aussteigen.

Heffa Schücking hält Vortrag auf dem Schönauer Stromseminar
Heffa Schücking auf dem Stromseminar Foto: Albert Schmidt

Mit Augenmaß für realistische Zwischenschritte hat sie bereits viel erreicht: Das norwegische Parlament hat nach einer Kampagne von urgewald beschlossen, große Kohlekonzerne aus ihrem Pensionsfonds auszuschließen. Aufgrund einer weiteren Kampagne gegen Investments in den landschaftszerstörerischen Mountaintop-Removal-Mining in den US-amerikanischen Appalachen zogen sich zahlreiche Banken aus der Finanzierung zurück.

Eine der Stärken der NGO urgewald ist die akribische Recherche, anhand derer die Aktivisten der Selbstinszenierung der Konzerne die ungeschminkte Wahrheit entgegenhalten. Jetzt hat urgewald auf der Webseite coalexit.org die 120 größten Unternehmen aufgelistet, die weltweit in Kohleabbau und Kohlekraftwerke investieren. «Die Hälfte der Unternehmen sind gar nicht als Kohlefirmen erkennbar», erklärt Heffa Schücking. Das ändert sich jetzt, denn die Datenbank zeigt sehr detailliert auf, in welchen Ländern und in welcher Größenordnung die Unternehmen in Kohle investieren.

Nach diesen Daten sind weltweit weitere 840.000 Megawatt an Leistung aus Kohlekraftwerken geplant, das sind 43 Prozent der Kapazitäten, die bereits in Betrieb sind. Angesichts der Bedrohungen durch den Klimawandel eine unfassbare Zahl. Schon allein durch diesen Zubau würde das im Pariser Abkommen vereinbarte Zwei-Grad-Ziel verfehlt.

Das lässt die Aktivisten von urgewald aber nicht resignieren – sie machen weiter mit ihrer Divestment-Strategie. Inzwischen haben sich 15 europäische Banken und der Versicherungskonzern Allianz verpflichtet, überhaupt nicht mehr in Kohleprojekte zu investieren. Urgewald ist seinem Ziel ein gutes Stück nähergekommen.

Joachim Nitsch und Jörg Lange: Klimaschutz durch CO₂-Abgabe

Seit seiner Einführung im Jahr 2000 ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu einem unübersichtlichen Paragrafenmonster angeschwollen. Im Streit über Förderungen, Ausbaudeckelung und Netzausbau geriet das eigentliche Ziel aus dem Blick: den Ausstoß von CO2 in erheblichem Maße zu reduzieren, um die Klimaerwärmung aufzuhalten. Um dieses wieder in den Mittelpunkt zu rücken, haben Joachim Nitsch und Jörg Lange gemeinsam mit zahlreichen Mitstreitern im März 2017 den «Verein für eine nationale CO2-Abgabe» ins Leben gerufen.

Dr. Jörg Lange auf dem Stromseminar
Dr. Jörg Lange auf dem Stromseminar Foto: Albert Schmidt

«Die neue Abgabe soll die EEG-Umlage finanzieren und auch alle anderen Steuern und Abgaben auf Energie ersetzen», erläutert Jörg Lange, Vorsitzender des Vereins. Das Prinzip ist einfach: Wer das klimaschädliche Gas erzeugt, der zahlt, und zwar ausnahmslos. Während das EEG nur die Stromerzeugung berücksichtigt, werden bei der CO2-Abgabe deswegen auch Mobilität und Wärme in das System einbezogen. Die Idee selbst ist nicht neu – es gibt bereits mehrere Länder, die eine CO2-Abgabe eingeführt haben. Neu ist aber die Konsequenz, mit der sich der Verein auf diesen Umbau als Lösung für die konsequente Umsetzung der Energiewende in Deutschland konzentriert. 

Joachim Nitsch zeigt in seinem Vortrag auf, wohin die Reise unter diesen Voraussetzungen gehen muss. Der Energiewissenschaftler, der auch die Leitlinien des Bundesumweltministeriums für den Ausbau der Erneuerbaren Energien mit verfasste, hat hierfür detaillierte Szenarien errechnet. «Die notwendige Technik steht bereits zur Verfügung», sagt er, entscheidend sei nun die Art der Umsetzung. Dass es ohne erhebliche Energieeinsparungen und Effizienzsteigerungen nicht geht, steht für ihn fest. Zudem müssen die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität stärker miteinander verkoppelt werden.

Die Prämissen sind dabei für ihn klar: An erster Stelle stehen Wind und Sonne als die neuen Primärenergielieferanten. Diese Energieformen müssen dann auch die fossilen Brennstoffe im Wärmesektor und im Verkehr ersetzen. Stromüberschüsse würden dann in chemischen Energieträgern gespeichert. Das bedeutet, dass der überschüssige Strom genutzt wird, um Wasserstoff oder Methan herzustellen, die dann über Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in Strom und Wärme umgewandelt werden können. Diese Anlagen können den erneuerbaren Energiequellen jederzeit zugeschaltet werden, um eine lückenlose Energieversorgung zu gewährleisten.

Dr. Joachim Nitsch auf dem Stromseminar
Dr. Joachim Nitsch auf dem Stromseminar Foto: Albert Schmidt

Um diesen Umbau so schnell wie möglich umsetzen zu können, setzt der CO2-Verein auf den CO2-Preis. 40 Euro sollen die Verursacher zu Beginn pro Tonne ausgestoßenes Kohlenstoffdioxid bezahlen. Der Preis soll dann schrittweise auf 80 Euro pro Tonne steigen. Das entspricht ungefähr den Kosten für die Behebung der Umweltschäden, die durch den Ausstoß entstehen.

Erhoben wird die Abgabe direkt auf den fossilen Brennstoff. Alle bisherigen Abgaben fallen dann allerdings weg, sodass die Verbraucher in der Summe nicht mehr bezahlen müssen als bisher. Die Produktion von klimaschädlichem Kohlestrom wird mit der Abgabe sehr viel teurer und unrentabel, mit der Folge, dass diese Kraftwerke in absehbarer Zeit abgeschaltet würden. Im Sinne von Probst könnte man zur CO2-Abgabe sagen: «Es ist an der Zeit.»

19. Juli 2017 | Energiewende-Magazin