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Drohnen lassen Bäume regnen

Ein Bericht von Ralf Stork

Wälder aufzuforsten ist dringend geboten – aber leider langwierig. Nun will ein Berliner Start-up mit dem Einsatz von Drohnen für deutlich mehr Tempo sorgen.

Das Ding ist groß, richtig groß – einen Meter lang und breit, mit einem Rotor an jeder Ecke. Flugdrohnen wie diese, meist für Filmaufnahmen genutzt, bekommt man im Fachhandel. Zusätzlich zu ihrem eigenen Gewicht können sie 12 bis 15 Kilogramm in die Luft stemmen. Unter der Drohne, die gerade vor uns steht, hängt aber keine Kamera, sondern ein großer, kastenförmiger Behälter, der sich zu einer Auslassöffnung hin verjüngt. «Das ist unser Beitrag gegen den Klimawandel und das Artensterben – damit säen wir Baum-, Kraut- und Strauchsamen aus», erklärt Ole Seidenberg. Er ist neben den beiden Brüdern Dominik und Simon Wind einer der drei Gründer des Berliner Start-ups «Skyseed», das sich vorgenommen hat, in den kommenden Jahren mit einem Heer von Drohnen Zehntausende Hektar zerstörten Walds wieder aufzuforsten.

Die Drohne steht in einem großen, offenen Raum, der genauso aussieht, wie man sich Geschäftsräume in der Gründerszene vorstellt: Die Decken sind hoch, die Wände unverputzt. Ein ehemaliges Lagerhaus der Berliner-Kindl-Brauerei wurde zum Loft mit ausreichend Raum für Computerarbeitsplätze, einen langen, rustikalen Holztisch, eine Teeküche und – etwas abgetrennt vom Rest – eine Werkstattecke zum Tüfteln an den Drohnen. Das alles im «Impact Hub Berlin», Zentrum und Ideenumschlagplatz des Berliner Sozialunternehmertums mitten in Neukölln.

Zwei Männer mittleren Alters sitzen auf einer Bank aus Paletten, ein dritter steht zwischen ihnen.
Die «Skyseed»-Gründer (v.l.n.r.): Dominik Wind, Simon Wind und Ole Seidenberg. Foto: Saskia Uppenkamp

Eine Frage gab den Anstoß

«Der erste Impuls für Skyseed erfolgte bereits 2018», sagt Seidenberg. Mit seinem Vollbart und der runden Brille sieht der 40-Jährige ein bisschen so aus wie eine Mischung aus Neuköllner Hipster und John Lennon in seiner Hippie-Phase. Nicht unpassend für einen Gründer der Nachhaltigkeitsszene. «Unser Mitgründer Dominik ist damals mit seinem Sohn bei sich zu Hause im Spessart unterwegs gewesen», erzählt Seidenberg. Es war spät im August, zu Beginn der großen Dürre, die das Land für drei Jahre fest im Griff halten und Hunderttausende Hektar Wald zerstören sollte. Alles sei vertrocknet gewesen, selbst Brennnesseln, Brombeeren und Efeu. Nichts rührte sich, kein Vogel, nicht mal ein Insekt. «Dann fragte ihn sein Sohn, warum der Wald so still sei. Diese Frage traf Dominik unvermittelt – und ganz schön tief.»

Bereits auf dem Nachhauseweg hatte Dominik Wind den Entschluss gefasst, sich beruflich neu zu orientieren und sich den Auswirkungen des Klimawandels mit aller Kraft entgegenzustellen. In den Wochen danach tauschte er sich auch mit seinem Bruder Simon und seinem Freund Ole Seidenberg immer wieder zu dem Thema aus. Die Gründer kennen sich schon lange: 2011 waren die Brüder Seidenbergs Büronachbarn in Kreuzberg gewesen. 2015 organisierten Ole Seidenberg und Dominik Wind zeitgleich zur Klimakonferenz in Paris ein «Klimaschutz-Camp» mit 300 Teilnehmenden aus aller Welt und arbeiteten später auch gemeinsam in Neukölln: In einer Unterkunft für geflüchtete Menschen in einem ehemaligen Kaufhaus wurde eine leer stehende Etage gemeinsam mit den Bewohnern und Bewohnerinnen zu einem Begegnungsort umgebaut. Seit 2019 arbeiten die drei schließlich beim Kollektiv «Open State» zusammen, beraten große und kleine Unternehmen bei der Transformation in eine nachhaltigere Zukunft.

Wir wollten endlich selbst was schaffen, ganz unmittelbar.

Ole Seidenberg, Mitgründer von «Skyseed» in Berlin

Dann kam Corona. Während des Lockdowns hätten sie die Beratungsgespräche ohnehin nur noch online machen können. «Und irgendwann stellten wir fest, dass wir ohnehin keine Lust mehr auf Folien und Workshops hatten, sondern endlich unser eigenes Projekt aufziehen wollten», sagt Seidenberg.

Im Januar 2021 gründeten sie schließlich Skyseed. Ein befreundeter Start-up-Unternehmer gab eine erste Finanzspritze. Mit einem Kernteam von fünf, manchmal sechs Leuten arbeiteten sie an ihrer Vision, aus der Luft für Nachwuchs im Wald zu sorgen. Fünf Monate später erfolgten dann die ersten Testflüge. Nach zwei weiteren Finanzierungsrunden ist die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf mittlerweile 19 gestiegen.

Es gibt ein Drohnenteam, das die Flugobjekte nicht nur steuert und wartet, sondern auch weiterentwickelt. Programmierer, die dafür sorgen, dass die Drohnen auf ihren Flügen automatisch Hindernissen ausweichen und genau die richtige Höhe halten können. Dazu kommen noch Forstwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die das waldökologische Know-how für den praktischen Einsatz mitbringen.

Gruppenbild: Gründer und Mitarbeitern von Skyseed haben sich um eine Drohne herum platziert.
Das fast vollständige Berliner «Skyseed»-Team. Ein weiterer Standort für die Saatverarbeitung und Pelletproduktion liegt in Külsheim in Baden-Württemberg. Foto: Saskia Uppenkamp

Bei der Rettung der Wälder ist Eile gefragt

Natürlich gibt es seit Jahrhunderten bewährte Vorgehensweisen, wie man Flächen wieder aufforsten kann. Was braucht es da noch eine weitere Methode mit neuer Technik? «Der Wald ist wichtig, weil er so viel CO2 speichert. Aktuell wird jedes Jahr deutlich mehr Wald zerstört, als aufgeforstet werden kann. Wir benötigen also dringend schnellere und effizientere Verfahren, und da sind Drohnen unschlagbar», erklärt Seidenberg. Außerdem gebe es viele Flächen, auf denen die Samen nur aus der Luft gesät werden können – geschädigte Schutzwälder an steilen Hängen zum Beispiel oder mit Munition belastete Waldbrandflächen.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, dem sich Skyseed mit einer großen Drohnenflotte stellen will: «Einen relevanten Beitrag können wir nur leisten, wenn das Ganze in so großem Maßstab realisiert wird, dass wir mit den Klimaveränderungen auch Schritt halten können», sagt Seidenberg. Skyseed will darum in zehn Jahren in der Lage sein, bis zu 100.000 Hektar pro Jahr aufzuforsten.

 

Wir schaffen schon heute rund einen Hektar Aussaat in zehn Minuten.

Ole Seidenberg, Mitgründer von «Skyseed» in Berlin

Vom Ende her gedacht klingt das Verfahren ganz einfach: Drohnen lassen sich im Prinzip in beliebiger Stückzahl produzieren. Die gleichzeitige Steuerung mehrerer Drohnen durch eine Person ist kein Problem. Und eine Vorrichtung, die Samen aus der Luft verstreut, stellt auch kein Hexenwerk dar.

Dennoch mussten in der kurzen Zeit seit Unternehmensgründung einige grundsätzliche Probleme gelöst werden: Die meisten Samen sind federleicht, damit der Wind sie möglichst weit zu neuen potenziellen Lebensräumen tragen kann. Somit können sie von der Drohne aber nicht zielgenau ausgebracht werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Saatgut von Insekten und Nagetieren aufgefressen wird, bevor es zu keimen anfängt. Die Lösung für dieses Problem: Pelletierung. «Die Samen werden mit einer speziellen Schicht ummantelt. Dadurch sind sie schwer genug für die Ausbringung – und gleichzeitig gut vor Witterungsextremen und Fraßschäden geschützt», erläutert Seidenberg.

In zwei ausgestreckten Händen befinden sich pelletierten Samen, die aussehen wie feine Kieselsteine.
Von Stecknadelkopf- bis Erbsengröße: Derzeit arbeitet man bei Skyseed daran, die aktuell noch recht unterschiedlich großen pelletierten Samen zu vereinheitlichen. Foto: Saskia Uppenkamp

Eine Geheimrezeptur verhilft zum Erfolg

Ursprünglich sollte die Pelletierung eine externe Firma übernehmen. In der Landwirtschaft werden schon länger Samenpellets eingesetzt, die Stärke enthalten und gleich nach der Aussaat wieder mit Erde bedeckt werden. Doch bei den frei liegenden Pellets auf Waldflächen ist die Stärke für viele Tiere ein gefundenes Fressen und daher ein Problem. «Wir haben schließlich unser eigenes Pelletierungsverfahren entwickelt», sagt Seidenberg. Die Ummantelung besteht unter anderem aus Pflanzenkohle und Zellulosefasern. Die genaue Rezeptur wird nicht verraten. Für den Fraßschutz ist der Verzicht auf Stärke elementar. Eine Ummantelung ohne den energiereichen Stoff weckt bei den allermeisten Tieren kein Interesse.

Auch die passenden Samenmischungen für die aufzuforstende Fläche zu bestimmen, ist nicht ganz unkompliziert. Man kann nicht einfach zwei oder drei solcher Mischungen herstellen und diese über ganz Deutschland ausbringen, denn jedes Bundesland gibt genau vor, aus welchen Regionen und Bezugsquellen das Saatgut für die Wiederbewaldung kommen darf. Damit möchte man dafür sorgen, dass nur Samen verwendet werden, die genetisch am besten an die Standortbedingungen angepasst sind. Das ist von Art zu Art recht unterschiedlich: Für die Birke gibt es vier verschiedene Herkunftsgebiete, für die Kiefer sind es mehr als zwanzig. Für jedes Einsatzgebiet muss man also eine individuelle Samenmischung zusammenstellen.

Nach verschiedenen Testphasen begann im Herbst 2023 die erste richtige Saatsaison des Unternehmens. Die Drohnen fliegen nur während des Winterhalbjahrs – dann sind die Chancen am größten, dass die Saatpellets nicht in der Sonne verdorren und mit ausreichend Flüssigkeit versorgt werden. Beflogen werden insgesamt knapp 300 Hektar Fläche im Sauerland und Siegerland, im Harz, bei Lübeck, in den deutschen Alpen und in Österreich.

Die Ergebnisse der letztjährigen Aussaatversuche zeigen aber heute schon, dass das Verfahren funktioniert. «Gerade haben wir in Niedersachsen eine Fläche besucht, die wir im Frühjahr 2023 beflogen haben – und gesehen, dass die Saat sehr gut aufgegangen ist», berichtet Seidenberg stolz.

Der Schutz durch die Pelletierung funktioniert offensichtlich.

Meike-Christine Böger, Försterin in der Südheide
Eine Frau und zwei Männer auf einer Lichtung im Wald: einer der Männer hält einen  Rahmen aus Bambusästen.
Evaluierung in der Südheide: Ole Seidenberg mit einem Muster-Quadratmeter. Der Holzrahmen wird an zufällig ausgewählten Stellen auf die beflogene Fläche gelegt. Dann werden dort alle Sämlinge gezählt. Foto: Saskia Uppenkamp
Eine Hand deutet auf einen kleinen Nadelbaum-Sprössling, der aus dem Waldboden wächst.
Aus den Samen, die im Frühjahr 2023 gesät wurden, sind mittlerweile fünf Zentimeter große Bäumchen gewachsen. Foto: Saskia Uppenkamp
Ein Mann im Freien befüllt mit einem Eimer ein trichterartiges Behältnis, das an einer Drohne befestigt ist.
Drohnenpilot Daniel Sachse beim Befüllen der Drohne mit Saatgut-Pellets. Foto: Saskia Uppenkamp
Eine Drohne schwebt über einer Waldlichtung – der Pilot steht wenige Meter entfernt.
Die Drohne im Einsatz: Rund zehn Minuten benötigt sie für die Aussaat auf einem Hektar Fläche. Foto: Saskia Uppenkamp
Zu der Dreiergruppe auf der Lichtung hat sich ein Hund gesellt – die Zweibeiner lächeln in die Kamera.
In der Südheide (v.l.n.r): Waldbesitzerin Meike-Christine Böger, Daniel Sachse und Ole Seidenberg Foto: Saskia Uppenkamp

«Ich bin beeindruckt, wie viele Samen tatsächlich aufgelaufen sind. Man findet flächig Douglasien und Lärchen, alles Weitere wird sich im nächsten Frühjahr zeigen», bestätigt auch Meike-Christine Böger später am Telefon. Die Försterin besitzt in der Südheide, in der Nähe von Celle, selbst 260 Hektar Wald. Eine drei Hektar große Fläche, die von Borkenkäfern und Sturm verwüstet worden war, hat sie im April dieses Jahres von Skyseed befliegen lassen. Zu den Pflanzenarten, deren Samen dort abgeworfen wurden, gehören unter anderem krautige Pflanzen, Küstentannen, Weißtannen, Douglasien und Lärchen. «Ich hätte mir auch noch ein paar Laubbäume gewünscht, aber deren Samen waren gerade nicht verfügbar», sagt Böger. Ihr Betrieb arbeitet schon lange naturnah und sie ist angesichts der Waldkrise offen für neue Ansätze. «Ich finde besonders die Pelletierung interessant, weil der zusätzliche Schutz für die Samen offensichtlich funktioniert», erklärt sie. Sie kann sich gut vorstellen, in Zukunft weiter mit Skyseed zusammenzuarbeiten.

Ein Wald lichtet sich: zwischen den Nadelbäumen klaffen große Lücken, viele haben kaum noch Äste.

Waldkrise in Deutschland

Trockenheit und Borkenkäferbefall haben in den vergangenen Jahren deutschlandweit etwa 250.000 Hektar Wald komplett vernichtet. Auf zahlreichen weiteren Flächen sind Teile der Baumbestände abgestorben, sodass sich die Gesamtschadensfläche auf rund 500.000 Hektar summiert. Diese Verluste können bei Weitem nicht so schnell ausgeglichen werden, wie sie auftreten. De facto findet eine Entwaldung weiter Landstriche statt.

Wälder sind wichtige Speicherorte für CO2. Deshalb ist es wichtig, in kurzer Zeit so viel Wald wie möglich wieder aufzuforsten. Die Waldstrategie der EU sieht vor, bis 2030 rund drei Milliarden Bäume zusätzlich zu pflanzen. Von diesem Ziel ist Europa allerdings noch weit entfernt.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen brauchen wir neue Wege bei der Wiederbewaldung.

Gabriel von dem Bussche, Waldbesitzer in Lüdenscheid

Auch in der Nähe von Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen kam das Verfahren schon zum Einsatz. Seit 2019 leitet Gabriel von dem Bussche den familiären Forstbetrieb, zu dem 2.000 Hektar Wald gehören. Über ein Drittel davon ist in den letzten Jahren durch Dürre und Borkenkäfer zerstört worden – es gibt also reichlich Potenzial für Aufforstungen. «Angesichts der aktuellen Herausforderungen brauchen wir neue Wege bei der Wiederbewaldung. Der Einsatz von Saatdrohnen kann da eine gute Ergänzung sein», sagt von dem Bussche am Telefon. Auf zwanzig Hektar ließ er in diesem Frühjahr von Skyseed Samen ausbringen. Eine eher schwierige Fläche: Hanglage mit starker Sonneneinstrahlung. Dort wurde eine Vorsaatmischung mit Gräsern, Sträuchern und Pioniergehölzen verwendet, die eine weitere Degradierung des Bodens verhindern soll.

Die ungewöhnliche Drohne schwebt mit ihren vier Rotoren zwischen den Baumwipfeln.
Drohne bei der Arbeit: Die Fluggeräte lernen, Hindernisse selbstständig zu erkennen und zu umfliegen. Foto: Saskia Uppenkamp

Noch ist es zu früh, um zu beurteilen, wie gut sich die Saat entwickelt hat. Aber grundsätzlich hält er das Verfahren für vielversprechend. In der kommenden Saison will er jedenfalls eine weitere Fläche befliegen lassen: «Von den zahlreichen ausgebrachten Samen gehen wahrscheinlich später – wie in der Natur – nur die auf, die am besten an die Standortbedingungen angepasst sind», erklärt von dem Bussche. Er gehe davon aus, dass die neuen Bäume später dann auch weniger empfindlich auf starke Hitze und Trockenheit reagieren, weil sie die Bedingungen «von klein auf» kennen.

Die größere Robustheit der vor Ort gewachsenen Pflanzen ist ein weiterer Vorteil der Skyseed-Methode. Denn in der Regel wird der Wald mit kleinen Setzlingen aus der Baumschule aufgeforstet. Bei denen kann man sich zwar das bange Warten sparen, ob aus dem Samen etwas wird. Doch auch diese Methode ist nicht ohne Risiken: In den Baumschulen wurden die Setzlinge mit Wasser und Nährstoffen verwöhnt. Der Umzug aus dem behüteten Umfeld in die Natur mit deutlich schrofferen Bedingungen kann da ein echter Schock sein, vor allem, wenn auf die Aufforstung eine Trockenperiode folgt. Zudem können beim Einpflanzen der Setzlinge die empfindlichen Wurzeln Schaden nehmen, wodurch die Pflanze insgesamt geschwächt werde. «Alle Methoden haben ihre Vor- und Nachteile», sagt von dem Bussche. In Zukunft wird er deshalb auf Pflanzungen, Handsaat und Naturverjüngung setzen – und auch auf die Drohnen von Skyseed.

Zurück in die Skyseed-Geschäftsräume in Neukölln: Ole Seidenberg trinkt seinen Tee aus und verabschiedet sich. Er muss los. Seine Kinder sind bei einem Fußballturnier und er hat versprochen, später noch dazuzustoßen. Ieva Bebre bleibt noch eine Weile. Die junge Frau hat in Lettland Forstwissenschaft studiert und ist über Stipendien in Finnland und Schweden schließlich an der Universität Göttingen gelandet. Ihre Doktorarbeit über den Waldumbau hat sie mit Auszeichnung absolviert. Und gerade, als sie nach dem Studium überlegte, dass sie neben der reinen Forschung gern auch praktisch arbeiten würde, stieß sie bei der Recherche im Internet auf Skyseed.

Eine Frau mit kurzen kastanienbraunen Haaren und schwarzem T-Shirt sitzt erzählen mit ausgebreiteten Armen da.
Die lettische Forstwissenschaftlerin Ieva Bebre promovierte über den Waldumbau und ist mit ihrer Expertise über Wachstumsanforderungen von Sämlingen in frühen Entwicklungsstadien direkt im «Skyseed»-Team gelandet. Foto: Saskia Uppenkamp

Mit sorgfältigen Analysen zu besseren Ergebnissen

Als Teil des Ökologie-Teams trug Bebre unter anderem dazu bei, den umfangreichen Fragenkatalog zu erstellen, mit dem – ähnlich wie bei der Anamnese beim Arzt – alle Eigenschaften der aufzuforstenden Fläche festgehalten werden: Wachsen auf der Fläche überhaupt noch Pflanzen? Falls ja, welche? Wie degradiert ist der Boden? Wie groß ist die Artenvielfalt? Wie groß ist die Fläche? Wie intensiv waren oder sind Störungen zum Beispiel durch Feuer, Flut, Pflanzenkrankheiten oder invasive Arten? Ist die Fläche ebenerdig oder liegt sie an einem Hang? Aus alledem ergibt sich dann, welche Saat infrage kommt und ob der Boden noch bearbeitet werden muss, bevor die Drohne die Samen verteilt: Ist er mit Brombeerranken überwuchert, können die Samen schlecht an ihr Ziel gelangen. Problematisch sind auch dicke Moosteppiche, die schnell austrocknen und für die Wurzeln undurchdringbar werden, sobald die Schatten spendenden Bäume fehlen. In solchen Fällen muss der Boden vor der Aussaat bearbeitet werden. Die vielen Daten, die zu jeder Fläche erhoben werden, sind nicht nur vor der Aussaat wichtig, sondern auch danach – denn anhand der Aufzeichnungen lässt sich später unter anderem nachvollziehen, warum die Saat an bestimmten Stellen besser aufgegangen ist als an anderen.

Kleine Werkstatt, große Pläne

Markus Patas arbeitet in der Werkstattecke. Der 31-Jährige ist der Schwager von Ole Seidenberg und mit ihm kam das praktische Drohnen-Know-how in die Firma. Patas studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin. Während seines Studiums hat er selbst Drohnen gebaut und an Drohnenrennen teilgenommen. Er ist nicht nur einer der Piloten bei der Aussaat, sondern programmiert die Drohnen auch. «Gerade bringen wir der Drohne bei, dass sie selbstständig Hindernisse erkennen und umfliegen kann», sagt er und streicht sich dabei über den Dreitagebart. Dann könne die Flughöhe bei der Aussaat abgesenkt werden. Das verringert das Risiko, dass die Samen vom Wind zu weit verweht werden. Zudem sollen Sensorik und Programmierung der Drohne künftig auch ermöglichen, nur bestimmte Bereiche einer Fläche zu säen und zum Beispiel Forstwege auszulassen.

 

Ein Mann mit Brille arbeitet in einer Werkstatt an einer Drohne – auf einem Smartboard stehen Formeln und Skizzen.
Raphael Müller, ein Kollege von Markus Patas, in der Werkstatt. Skyseed entwickelt aktuell eine eigene Drohne. Foto: Saskia Uppenkamp

 

Es gibt ständig etwas zu tüfteln und zu optimieren. Der 3D-Drucker in der Werkstattecke ist fast immer in Betrieb. Gerade druckt er ein Verbindungsstück für das Gestell der Drohne. Es soll noch stabiler als die Vorgänger sein, damit es auch bei einem höheren Ladegewicht beim Landen nicht einknickt. Doch trotz aller Weiterentwicklung hat das derzeit eingesetzte Drohnenmodell konstruktiv bedingte Grenzen: Das Befüllen des Saatguts würde zum Beispiel wesentlich schneller gehen, wenn der Behälter mit den Pellets nicht unter der Drohne hängt, sondern weiter oben in den Korpus integriert ist. Es wäre auch optimal, wenn die Drohne noch mehr Saatgut tragen könnte.

Nach oben sind eigentlich keine Grenzen gesetzt.

Markus Patas, Drohnentechniker bei Skyseed in Berlin

Patas und seine Kolleginnen und Kollegen sind deshalb dabei, eine eigene Skyseed-Drohne zu entwickeln, die genau auf die Bedürfnisse des Unternehmens abgestimmt ist – die also von oben befüllt werden und deutlich mehr Gewicht tragen kann. Ende des Jahres soll der Prototyp fertig sein. Später könnte die Spezialdrohne dann von einem anderen Unternehmen in Serie produziert werden.

Der Plan ist, in den kommenden Jahren in ganz Deutschland Stützpunkte mit Drohnenpilotinnen und -piloten aufzubauen, die dann mit einem Heer von Spezialdrohnen ein Vielfaches der heutigen Flächen befliegen können. Durch größere Drohnen ließe sich mehr Saatgut transportieren. Und selbst ein ganzer Schwarm davon könnte von nur einer einzelnen Person gesteuert werden. «Nach oben hin sind eigentlich keine Grenzen gesetzt», sagt Patas. Eine große Vision für die Zukunft – aber es steht ja auch viel auf dem Spiel. Und wer den kaputten deutschen Wald vor dem Klimawandel retten will, kann letztlich gar nicht groß genug denken. Der Sohn von Dominik Wind würde es ihm sicherlich danken.

 

Das Logo des Make It Matter Awards: weiße Schrift auf ultramarine-blauem Hintergrund und der Textzusatz by EWS.
«MakeItMatter-Award»

Der von den EWS ausgelobte «MakeItMatter-Award» zeichnet Start-ups aus, die mit ihrer Unternehmensidee eine dreifach nachhaltige Wirkung erzielen – ökologisch, ökonomisch und sozial. Insgesamt werden jährlich Preisgelder von 40.000 Euro an auszeichnungswürdige Vertreter für nachhaltiges Wirtschaften vergeben. Was die mehrköpfige Fachjury bewog, dieses Jahr das Team von Skyseed mit dem 1. Preis auszuzeichnen, waren der hohe Innovationsgrad und die Skalierbarkeit der Geschäftsidee, die einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz sowie einen großen gesellschaftlichen Mehrwert schafft. Weitere Infos zum «MakeItMatter-Award» finden Sie auf dieser Seite.

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24. November 2023 | Energiewende-Magazin